25.02.2020 · IWW-Abrufnummer 214371
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 12.02.2020 – IV ZB 23/19
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann
am 12. Februar 2020
beschlossen:
Tenor:
Die Verfahren über die Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 2. Zivilsenat - vom 9. August 2019 und vom 28. August 2019 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; das Verfahren IV ZB 23/19 führt.
Die Rechtsbeschwerden des Klägers gegen die Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 2. Zivilsenat - vom 9. August 2019 und vom 28. August 2019 werden auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 300.000 €
Gründe
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I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung.
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Das Urteil des Landgerichts ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. März 2019 zugestellt worden. Nach rechtzeitiger Berufungseinlegung ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 11. Juni 2019 verlängert worden. Am 11. Juni 2019 ist die erste Seite der Berufungsbegründung - ohne Unterschrift - per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen. Das Original der vollständigen Berufungsbegründung ist am 12. Juni 2019 eingereicht worden.
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Das Berufungsgericht hat den Kläger mit Verfügung vom 18. Juni 2019 darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen gegeben. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben mit am 18. Juli 2019 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Hierzu haben sie ausgeführt, dass am 11. Juni 2019 die Mitarbeiterinnen der Klägervertreterkanzlei über das Kanzleifax sowie ein Prozessbevollmächtigter über seinen privaten Faxanschluss mehrfach versucht hätten, die Berufungsbegründung zu übermitteln, ohne dass der Sendebericht eine ordnungsgemäße Übermittlung dokumentiert habe. Als die Berufungsbegründung am 12. Juni 2019 persönlich an die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts übergeben worden sei, habe eine dortige Mitarbeiterin erklärt, dass beim Berufungsgericht am 11. Juni sowie am Vormittag des 12. Juni 2019 erhebliche technische Probleme mit dem Faxgerät bestanden hätten, worüber sie durch eine Rundmail des Vizepräsidenten des Gerichts informiert worden sei.
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Nach gerichtlichem Hinweis auf eine mögliche Verfristung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger in einer weiteren Stellungnahme vom 31. Juli 2019 erklärt, er und sein Prozessbevollmächtigter hätten erst am 12. Juni 2019 festgestellt, dass die fehlgeschlagene Übermittlung auf das Gerichtsfaxgerät zurückzuführen sei. Die Fristen seien durch die ausreichend qualifizierte und kontrollierte Rechtsanwaltsfachangestellte ordnungsgemäß notiert worden. Dazu hat er auf eine Abschrift der gerichtlichen Verfügung vom 18. Juni 2019 verwiesen, auf der "Frist: 19.07.19" notiert war.
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Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 9. August 2019 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet worden sei. D as Wiedereinsetzungsgesuch sei unzulässig, da es nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Behebung des Hindernisses für die Fristeinhaltung eingereicht worden sei. Der Kläger mache (wohl zutreffend) geltend, dass es ihm wegen einer Empfangsstörung am 11. Juni 2019 unmöglich gewesen sei, die Berufungsbegründung per Fax an das Gericht zu senden. Bei der Abgabe des Schriftsatzes am 12. Juni 2019 sei die Ehefrau des Klägers durch eine Gerichtsmitarbeiterin über am Vortag bestehende Probleme mit dem gerichtlichen Faxgerät informiert worden. Damit sei von einem Wegfall des Hindernisses auszugehen. Die Wiedereinsetzungsfrist sei daher am 12. Juli 2019 abgelaufen. Der Umstand, dass das Gericht dem Kläger mit Verfügung vom 18. Juni 2019 Gelegenheit zur Stellungnahme zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist binnen einen Monats gegeben habe, führe nicht zu einer Verlängerung der Wiedereinsetzungsfrist. Dem Kläger sei auch nicht mit Blick auf die vorgenannte Fristsetzung von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren. Zwar sei im Büro des Klägervertreters offenbar eine Unsicherheit bezüglich der rechtlichen Bewertung der gewährten Stellungnahmefrist vorhanden gewesen. Es stelle aber ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten dar, wenn dieser nicht sicherstelle, dass seine Mitarbeiter ihn bei Zweifeln hinsichtlich der Berechnung einer Frist vor deren Eintragung konsultierten.
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Daraufhin hat der Kläger einen erneuten Antrag auf Wied ereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Darin hat er erklärt, eines Wiedereinsetzungsantrags habe es nicht bedurft, denn das erkennende Gericht habe die Berufungsbegründung wegen dessen eigenen Verschuldens, des technischen Defekts des Gerichtsfaxgeräts, nicht als verfristet behandeln dürfen. Diesen Antrag hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 28. August 2019 verworfen und ausgeführt, dem Kläger sei auch keine Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren. Dem Senat sei nach Aktenlage bei Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist lediglich bekannt gewesen, dass der Kläger am 11. Juni 2019 mehrfach vergeblich die Übermittlung einer vollständigen Berufungsbegründung versucht habe, die vollständige Begründung jedoch erst am 12. Juni 2019 eingegangen sei und es bei der Übermittlung externer Telefaxe am 11. Juni 2019 mehrfach zu Übertragungsfehlern gekommen sei. Daraus habe sich zwar die Vermutung, keineswegs aber die Gewissheit ergeben, dass die rechtzeitige Übermittlung an einem Fehler des gerichtlichen Faxgeräts gescheitert sei.
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Gegen die beiden Beschlüsse richten sich die Rechtsbeschwerden des Klägers.
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II. Die Rechtsbeschwerden sind zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 , § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie sind aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen nicht den Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ).
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1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht innerhalb der dafür geltenden Frist beantragt hat. Beide Wiedereinsetzungsanträge waren verfristet. Die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO lief hier am 12. Juli 2019 ab. Nachdem die Prozessbevollmächtigten des Klägers und deren Mitarbeiterinnen am 11. Juni 2019 keinen Sendebericht über eine vollständige Faxübermittlung erhalten hatten und die Ehefrau des Klägers am 12. Juni 2019 über am Vortag bestehende technische Probleme mit dem Gerichtsfaxgerät informiert worden war, war für die Prozessbevollmächtigten erkennbar, dass sie nicht von einem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes ausgehen konnten.
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2. Das Berufungsgericht ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist auch nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen zu gewähren war. Dies kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO offenkundig sind oder nach einem erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17 , NJW 2018, 1022 Rn. 19; vom 26. Juni 2014 - V ZB 187/13 , NJW-RR 2015, 628 Rn. 12). Auch nach Fristablauf können erkennbar unklare Angaben noch durch Erläuterung offenkundig werden, sofern die nachgeschobenen Angaben innerhalb der Frist zumindest angedeutet worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2018 aaO; vom 26. Juni 2014 aaO).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist war nicht aus den Akten ersichtlich oder offenkundig, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11. Juni 2019 die Übermittlung einer vollständigen, unterschriebenen Berufungsbegründung per Telefax versucht hätten und eine ordnungsgemäße Übertragung aufgrund einer Störung des Gerichtsfaxgeräts von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre. Für das Berufungsgericht war zu diesem Zeitpunkt aus den Akten nur ersichtlich, dass am 11. Juni 2019 eine unvollständige Berufungsbegründung ohne Unterschrift eingegangen war; daraus ergab sich nicht, wie das Gesamtschriftstück, das übermittelt werden sollte, aussah. Aus einem Vermerk der Annahmestelle des Berufungsgerichts vom 25. Juni 2019 ließ sich entnehmen, dass es am 11. Juni 2019 "wiederholt bei der Übermittlung von externen eFaxe zu Übertragungsfehlern" gekommen sei. Daraus ergab sich noch nicht, dass an diesem Tag jede vollständige Faxübertragung technisch ausgeschlossen gewesen wäre. Erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist hat der Kläger in dem am 18. Juli 2019 eingegangenen Schriftsatz behauptet, dass es laut Auskunft einer Geschäftsstellenmitarbeiterin "erhebliche technische Probleme" mit dem Gerichtsfaxgerät gegeben habe und dazu eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, der zufolge diese Auskunft sogar gelautet habe, es seien am 11. Juni 2019 "keine Faxe ordnungsgemäß" beim Berufungsgericht angekommen.
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Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht es auch nicht versäumt, dem Kläger einen erforderlichen Hinweis zu erteilen. Es hat ihn vielmehr mit Verfügung vom 18. Juni 2019 darauf hingewiesen, dass dort nur unvollständige Faxübertragungen vom 11. Juni 2019 vorlägen, ohne dass der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist weitere Angaben dazu gemacht hätte.
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3. Das Berufungsgericht hat dem Kläger auch zu Recht keine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist gewährt, da er diese Frist nicht unverschuldet versäumt hat. Dabei kann dahinstehen, ob der so bezeichnete "nochmalige Antrag" auf Wiedereinsetzung - in die Berufungsbegründungsfrist - vom 31. Juli 2019 zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist ausgelegt werden kann. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsangelegenheiten, die in seiner Praxis häufig vorkommen, seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen, wenn die Berechnung der Fristen keine rechtlichen Schwierigkeiten macht ( BGH, Beschluss vom 9. September 2008 - VI ZB 8/08 , NJW 2008, 3705 Rn. 6 m.w.N.). Andererseits muss der Rechtsanwalt aber durch geeignete Anweisungen sicherstellen, dass ihm die Feststellung des Beginns und des Endes der Fristen in den Fällen vorbehalten bleibt, die in seiner Praxis ungewöhnlich sind oder bei deren Berechnung Schwierigkeiten auftreten können, denn die eigene Sorgfaltspflicht des Anwalts erhöht sich bei Vorliegen besonderer Umstände, die eine erhöhte Gefahr für den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebs darstellen (BGH, Beschluss vom 9. September 2008 aaO). Ein solcher Fall war hier gegeben. Nachdem das Berufungsgericht mit Verfügung vom 18. Juni 2019 auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen und eine Stellungnahmefrist von vier Wochen gesetzt hatte, bestand die erkennbare Gefahr, dass die zuständige Kanzleimitarbeiterin diese Stellungnahmefrist mit der Wiedereinsetzungsfrist gleichsetzen könnte; dementsprechend wurde die Frist auch falsch eingetragen. Die Prüfung, wann dagegen das Hindernis im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO behoben war, hätte den Prozessbevollmächtigten oblegen.
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4. Die Rechtsbeschwerde ist nach alledem auch insoweit ohne Erfolg, als sie sich gegen die Verwerfung der Berufung richtet.
Lehmann
Dr. Bußmann
Mayen
Felsch
Harsdorf -Gebhardt