11.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215564
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 11.03.2020 – 9 K 1344/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hessisches Finanzgericht
9. Der Senat
11.03.2020
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Kläger Aufwendungen für die Strafverteidigung ihres Sohnes als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 Einkommensteuergesetz ‒ EStG - geltend machen können.
Die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung 2017 Strafverteidigerkosten für Ihren Sohn A, geb. in 1999, i.H.v. 12.495 € als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anzuerkennen (Bl. 74 Gerichtsakten).
Mit Einkommensteuerbescheid vom 13.05.2019 (Bl. 50 Einkommensteuerakten) lehnte das beklagte Finanzamt - Finanzamt ‒ den Ansatz dieser Aufwendungen ab. Prozesskosten seien vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen, weil es sich nicht um Aufwendungen handele, ohne die die Kläger Gefahr liefen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
Der Einspruch hiergegen wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 79 Einkommensteuerakten).
Hiergegen haben die Kläger, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben, mit der sie ihr Ziel weiterverfolgen.
Außergerichtlich und gerichtlich vertreten die Beteiligten folgende Rechtsansichten:
Die Kläger stützen ihre Auffassung im Wesentlichen auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23.05.1990 III R 145/85 BStBl. II 1990, 895 und vom 30.10.2003 III R 23/02 BStBl. II 2004, 267. Der BFH, so die Kläger, gehe in beiden Urteilen davon aus, dass einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Strafverteidigung seines volljährigen Kindes aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und somit als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien, wenn es sich um „ein innerlich noch nicht gefestigtes, erst heranwachsendes Kind handelt, dessen Verfehlung strafrechtlich noch nach dem Jugendstrafrecht geahndet werden kann“. Diese Voraussetzungen lägen im vorliegenden Fall unstreitig vor. Zudem liege aufgrund der Unterhaltsverpflichtung der Kläger gegenüber Ihrem Sohn auch eine Zwangsläufigkeit aus rechtlichen Gründen vor. Dass es sich bei den genannten Urteilen um solche nach der Rechtslage vor dem 01.01.2013 handele, sei unerheblich. Die in den Urteilen aufgestellten Grundsätze seien weiterhin von Bedeutung, da der Gesetzgeber durch die Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG den Rechtszustand vor dem Urteil des BFH vom 12.05.2011 wiederherstellen wollte. Dass eine weitergehende Änderung der Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung gewollt gewesen sei, sei nicht ersichtlich. Die Kläger nehmen insoweit auf die Kommentierung von Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 18. Aufl. § 33 Rn. 47c Bezug.
Die Kläger haben ihren Antrag der Höhe nach im gerichtlichen Verfahren auf 9.520,-€ reduziert, da nur dieser Betrag im Streitjahr gezahlt worden sei.
Die Kläger beantragen,
die mit der Einkommensteuererklärung 2017 erklärten Strafverteidigerkosten in Höhe von 9.520,-€ als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2017 unter Änderung des Steuerbescheides vom 13.05.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 entsprechend herabzusetzen,
die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen,
für den Fall der vollen oder teilweisen Ablehnung des Klageantrags die Revision zuzulassen,
die notwendigen Gebühren und Auslagen im Einspruchsverfahren für erstattungsfähig zu erklären.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen und
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beruft sich auf den seit dem Veranlagungszeitraum 2013 eingefügten § 33 Abs. 2 S. 4 EStG. Der Wortlaut dieser Norm setze nicht voraus, dass es sich um eigene Prozesskosten des Steuerpflichtigen handele, so dass auch Prozessaufwendungen für das Verfahren eines Dritten betroffen sein können. Eine Anerkennung sei nur in den im Gesetz genannten Ausnahmefällen möglich, was vorliegend nicht gegeben sei. Es könne auch nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, Aufwendungen für die e i g e n e Prozessführung auszuschließen, solche für a n d e r e Personen jedoch zuzulassen.
Wegen Einzelheiten des jeweiligen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid vom 13.05.2019 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung ‒ FGO ‒).
Das Finanzamt hat zu Recht die geltend gemachten Aufwendungen für die Strafverteidigerkosten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt.
Die Rechtsprechung des BFH zur Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung war vor Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG schwankend. Nach zunächst langjähriger und ständiger Rechtsprechung des BFH seit dem Urteil vom 05.07.1963 VI 272/61 S BStBl. II 1963, 499 stellten die Kosten eines Zivilprozesses grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung dar.
Eine Ausnahme wurde dann gemacht, wenn die Existenz des Steuerpflichtigen bedroht oder der Kernbereich menschlichen Lebens berührt war. Sodann änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung grundsätzlich an (BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 BStBl. II 2011, 1015). Diese Rechtsprechung wurde erneut dahingehend geändert, dass Zivilprozesskosten nur unter den zunächst in der früheren Rechtsprechung genannten Ausnahmen anzuerkennen seien (BFH-Urteil vom 18.06.2015 VI R 17/14 BStBl. II 2015, 800; zum Vorstehenden vgl. Loschelder in Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 36. Aufl. § 217 § 33 Tz. 35 Stichwort „Prozesskosten“ und Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 33 Tz. 209).
Der zum 01.01.2013 eingefügte § 33 Abs. 2 S. 4 EStG regelt nunmehr gesetzlich die Frage der Abzugsfähigkeit von Prozesskosten.
Diese Norm betrifft grundsätzlich jedes gerichtliche Verfahren, somit auch Strafverfahren (Loschelder in Schmidt, Kommentar zum EStG 38. Aufl. 2019, § 33 Tz. 67; BFH-Urteil vom 18.05.2017 VI R 9/16 BStBl. II 2017, 988). Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 16.04.2013 IX R 5/12 BStBl. II 2013, 806 m.w.N.) stellen Strafverteidigerkosten eines rechtskräftig Verurteilten keine außergewöhnliche Belastung dar, da es an einer Unausweichlichkeit der Aufwendungen fehlt; Prozesskosten entstehen nur bei sanktionierten Straftätern, wobei die Straftat nicht unausweichlich war.
Vorliegend wurde der Sohn der Kläger wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte im erschwerten Fall tateinheitlich mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, tateinheitlich mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwarnt (neben Erteilung weiterer Auflagen). Dieser Strafausspruch ist der Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes ‒ JGG - geschuldet. Der Sohn der Kläger wurde jedoch nicht freigesprochen, was im Rahmen der Anwendung des § 33 EStG von Bedeutung ist ‒ wobei im Falle eines Freispruchs ohnehin keine Prozesskosten angefallen wären.
Der Sohn der Kläger hätte daher diese Kosten nicht als außergewöhnliche Belastung in Ansatz bringen können.
Nichts Anderes kann für den Fall gelten, dass ‒ wie vorliegend ‒ die Eltern die Kosten übernommen haben.
Die Kläger können sich nach Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG nicht (mehr) auf die BFH-Urteile vom 23.05.1990 III R 145/85 und vom 30.10.2003 III R 23/02 berufen. Zwar hat der BFH im Urteil III R 145/85 entschieden, dass die Kosten für die Strafverteidigung eines eines Verbrechens beschuldigten Kindes für die Eltern aus sittlichen Gründen zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG sein können und dies im Urteil III R 23/02 bei Jugendlichen und Heranwachsenden bejaht, bei Volljährigen jedoch offengelassen. Die Urteile stammen jedoch aus einer Zeit deutlich vor Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG und sind somit zu einer anderen Gesetzeslage ergangen und können nicht ohne weiteres auf die Gesetzeslage im vorliegend streitigen Zeitraum 2017, somit nach Einfügung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG, übertragen werden.
Der Senat vermag auch nicht der Rechtsauffassung der Kläger zu folgen, dass die neue Gesetzeslage insoweit unbeachtlich sei, da der Gesetzgeber die allgemeinen Grundsätze der früheren Rechtsprechung nicht habe wieder verändern oder einschränken wollen. Eine Gesetzesbegründung zu § 33 Abs.2 S.4 EStG liegt nicht vor (vgl. zur Entstehungsgeschichte Heim, DStZ 2014, 165). Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber angesichts des Wortlauts der Norm an die „alte“ Rechtsprechung des BFH anknüpfen wollte. Die (umstrittene) Problematik „Prozesskosten“ ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nunmehr abschließend gesetzlich geregelt worden. Dass über die im Gesetz genannten
Einschränkungen hinaus noch weitere Ausnahmen, etwa bezogen auf Strafprozesskosten für Heranwachsende, vorgesehen werden sollten, ist nicht erkennbar. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig und umfasst somit sowohl eigene Prozesskosten auch als auch solche für Dritte (so auch Frotscher, Kommentar zum EStG, Lfg. 6/2018 § 33 Tz 101; Blümich, Kommentar zum EStG, § 33 EL. 5/2019 Tz. 242). Soweit Mellinghoff in Kirchhof, Kommentar zum EStG, 18. Aufl. § 33 Tz. 47c die Auffassung vertritt, dass Aufwendungen der Eltern für die Strafverteidigung ihres volljährigen Kindes als außergewöhnliche Belastung nur dann steuermindernd zu berücksichtigen sei, wenn es sich um ein innerlich noch nicht gefestigtes, erst heranwachsendes Kind handele, dessen Verfehlung strafrechtlich noch nach dem Jugendstrafrecht geahndet werden konnte, vermag der Senat dem aufgrund des neu eingefügten § 33 Abs. 2 S. 4 EStG, der - wie oben dargestellt ‒ die Problematik „Prozesskosten“ abschließend und umfassend regelt, nicht zu folgen.
Da vorliegend nicht ersichtlich ist, dass die Kläger durch die Zahlung der Strafverteidigerkosten für Ihren Sohn Gefahr liefen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren und ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu konnten, ist ein Abzug dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht möglich, was vom Finanzamt zutreffend erkannt wurde.
Die Kläger können die Kosten auch nicht als Unterhaltsaufwendungen gemäß § 33 a EStG geltend machen, da diese Norm nur typische Unterhaltsaufwendungen (etwa Ernährung, Kleidung, Wohnung, Hausrat, notwendige Versicherungen) betrifft (Loschelder in Schmidt, Kommentar zum EStG, 38. Aufl. § 33 a Tz. 9 m.w.N.) und in § 33 Abs.2 S.4 EStG die vorliegende Konstellation ‒ wie dargestellt ‒ abschließend geregelt ist.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
RechtsgebietEStGVorschriften§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG