05.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217208
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 22.07.2020 – 3 KN 1/20
Eine aufgrund eines Geschäftsstellenversehens unterbliebene Abheftung eines Schriftsatzes begründet unter keinem Gesichtspunkt die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder gar des gesamten Spruchkörpers.
In der Verwaltungsrechtssache
...
- Antragsteller -
Proz.-Bev.: ...
gegen
das Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Adolph-Westphal-Straße 4, 24143 Kiel
- Antragsgegner -
Proz.-Bev.: ...
Streitgegenstand: Gültigkeit einer Rechtsverordnung (SARS-CoV-
BekämpfV) - Infektionsschutzrecht -
hier: Ablehnungsgesuch
hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts am 22. Juli 2020 durch die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts ..., den Richter am Verwaltungsgericht ... und die Richterin am Oberverwaltungsgericht ... beschlossen:
Tenor:
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers vom 25. Mai 2020 gegen die Vizepräsidentin des Oberverwaltungsgerichts ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ... und den Richter am Verwaltungsgericht ... wird zurückgewiesen.
Gründe
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers vom 25. Mai 2020 hat keinen Erfolg.
Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO, § 42 Abs. 2 ZPO). Insoweit ist eine tatsächliche Voreingenommenheit nicht erforderlich. Entscheidend ist, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25. Juli 2012 - 2 BvR 615/11 -, Juris Rn. 13 und vom 12. Dezember 2012 - 2 BvR 1750/12 -, Juris Rn. 14, jeweils m.w.N.). Für die Ablehnung des Richters reicht somit nicht allein die rein subjektive Besorgnis der Befangenheit. Es müssen vielmehr vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichend gewichtige objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben können, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2012 - 2 KSt 1.11 -, Juris Rn. 4 m.w.N.). Ein Ablehnungsgesuch ist indes bereits als unzulässig zurückzuweisen, wenn kein Ablehnungsgrund angegeben wird oder wenn die Begründung völlig unzureichend ist, also unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2015 - 2 BvQ 45/15 -, Juris Tenor 1 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 - 5 B 15/20 D -, Juris Rn. 3; BGH, Beschluss vom 8. Juli 2020 - IV ZA 1/20 -, Juris Tenor m.w.N.).
Dies vorausgesetzt, ist das Ablehnungsgesuch gegen die oben genannten Richter auf Grundlage der Befangenheitsrügen des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen.
Ein etwaiges prozessuales Fehlverhalten der abgelehnten Richter - und schon gar nicht eines, das Anlass zu Zweifeln an der Unparteilichkeit gibt - wird seitens des Antragstellers nicht aufgezeigt. Vielmehr ist die Grenze zu einem rechtsmissbräuchlichen, die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs nach sich ziehenden Verhalten, als überschritten anzusehen. Die Ausführungen des Antragstellers sind zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet, da sie die Ablehnung der Richterinnen und Richter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können und deswegen das Instrument der Richterablehnung erkennbar missbrauchen.
Im Einzelnen:
Soweit der Antragsteller zunächst geltend macht, dass bereits der Umstand, dass der Schriftsatz vom 9. April 2020 nicht zur den Akten der Verfahren 3 KN 1/20 und 3 MR 2/20 genommen worden ist, geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu begründen, stellt die unstreitig unterbliebene Zuordnung des Schriftsatzes zu diesen Verfahrensakten schon dem Grunde nach kein zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit geeignetes etwaiges Fehlverhalten eines Richters dar, da dies in den Aufgabenbereich der Geschäftsstellen fällt.
Auch die Rüge des Antragstellers, dass das Gericht in dem Beschluss vom 18. Mai 2020 (- 3 MR 2/20 -) über die Anhörungsrüge vom 9. April 2020 zudem Ausführungen gemacht habe, die mit dem objektiven Sachverhalt nicht nachvollziehbar in Einklang zu bringen seien, indem in diesem behauptet werde, der Senat habe bei seiner angegriffenen Entscheidung (Beschluss vom 9. April 2020 - 3 MR 2/20 - ) den Schriftsatz des Antragstellers vom 9. April 2020 berücksichtigt, ist ersichtlich nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu begründen. Insbesondere hat das Gericht bereits dem Akteninhalt nach in diesem Zusammenhang keine unrichtigen Tatsachen mitgeteilt. Dies ergibt sich im Einzelnen daraus, dass der um 13:11 Uhr am 9. April 2020 durch den Antragsteller dem Gericht übermittelte Schriftsatz dem Antragsgegner aufgrund einer Zustellverfügung der Vorsitzenden des 3. Senats vom selben Tage (- 3 MR 4/20 - und - 3 KN 5/20 -, jeweils Bl. 9 und 10 d. Akten) ausweislich der vom Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners um 15.46 Uhr übermittelten Gegenerklärungen (- 3 MR 4/20 -, Bl. 14-16 d. Akte, bzw. - 3 KN 5/20 -, Bl. 15-17 d. Akte) diesem zuvor zugestellt worden ist. Hierzu war denklogisch notwendig, dass zumindest die Vorsitzende des 3. Senats die Ausführungen des Antragstellers in diesem Schriftsatz zur Kenntnis genommen hat. Ein Verfahrensablauf, der impliziert, dass der Inhalt dieses Schriftsatzes dennoch - entgegen der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter - nicht Gegenstand der Beratung zu dem erst um 19.31 Uhr per Telefax übermittelten Beschluss (- 3 MR 2/20 -, Bl. 55. d. Akte) und damit in diesem Verfahren nicht inhaltlich berücksichtigt worden ist, ist indes nicht ersichtlich. Allein aus dem Umstand, dass der Schriftsatz vom 9. April 2020 durch ein Versehen der Geschäftsstelle nicht zu der Gerichtsakte des Verfahrens 3 MR 2/20 gelangt ist, kann angesichts des dargestellten sonstigen Verfahrensablaufes gerade nicht geschlussfolgert werden, dass die abgelehnten Richter sich mit dem Inhalt des Schriftsatzes vor der Beschlussfassung nicht auseinandergesetzt und diesen nicht berücksichtigt haben. Dass die geänderten Anträge des Antragstellers in diesem Schriftsatz seitens des Gerichts abweichend von seiner eigenen Rechtsauffassung behandelt worden sind, indem der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO in Bezug auf die SARS-CoV-2-BekämpfV vom 8. April 2020 aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 9. April 2020 aufgrund eines neuen Streitgegenstandes als neuer Antrag und nicht lediglich als Antragsänderung in dem gegen die SARS-CoV-2-BekämpfV vom 2. April 2020 gerichteten Verfahren 3 MR 2/20 behandelt worden ist, ist ebenfalls nicht geeignet, die Annahme einer wahrheitswidrigen Sachverhaltsdarstellung seitens der abgelehnten Richter zu stützen.
Soweit mit dem Ablehnungsgesuch damit letztlich der Sache nach auch gerügt wird, die abgelehnten Richter hätten den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO in Bezug auf die SARS-CoV-2-BekämpfV vom 8. April 2020 aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 9. April 2020 lediglich als Antragsänderungen und nicht als neue Verfahren behandeln dürfen, ist die Richtigkeit dieser Rechtsanwendung nicht Gegenstand des Ablehnungsverfahrens und damit ebenfalls bereits dem Grunde nach nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegenüber diesen zu begründen. Das Richterablehnungsverfahren dient nämlich nicht dazu, Beteiligte gegen unrichtige Rechtsauffassungen zu schützen. Im Ablehnungsverfahren geht es vielmehr allein um eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung ausschließlich mit den hierfür vorgesehenen Rechtsmitteln zu erfolgen hat. Lediglich im Ausnahmefall sind die Verfahrensweise und die vom Gericht vertretene Rechtsauffassung ein hinreichender Grund für die Ablehnung, nämlich dann, wenn die richterliche Handlung ausreichender gesetzlicher Grundlage völlig entbehrt und so grob rechtswidrig ist, dass sie als Willkür erscheint, oder wenn die fehlerhafte Begründung eindeutig erkennen lässt, dass sie auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der Partei beruht (Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 42 Rn. 17 f. m.w.N.). Dies ist vorliegend indes nicht im Ansatz erkennbar.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
RechtsgebietProzessrechtVorschriften§ 54 VwGO, § 42 ZP0