18.01.2022 · IWW-Abrufnummer 226983
Oberverwaltungsgericht Bremen: Beschluss vom 02.12.2021 – 1 B 434/21
Der Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 VwGO kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein postulationsfähiger Prozessvertreter pauschal auf Schriftstücke seines Mandanten oder von Dritten Bezug nimmt bzw. solche in eigene Schriftsätze hineinkopiert, d.h. auf der ersten Seite mit seinem Briefkopf versieht und auf der letzten Seite eigenhändig unterschreibt.
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
die Stadt Bremerhaven, vertreten durch den Magistrat,
Hinrich-Schmalfeldt-Straße/Stadthaus 1, 27576 Bremerhaven,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte:
hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Prof. Sperlich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. K. Koch und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. N. Koch am 2. Dezember 2021 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 5. Kammer - vom 1. November 2021 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen vom 01.11.2021 ist bereits unzulässig (I.). Im Übrigen wäre sie auch unbegründet (II.).
I. Die Beschwerde ist schon unzulässig, denn die Beschwerdebegründung entspricht nicht den Vorgaben des Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 4 VwGO. Gemäß den Sätzen 1 und 2 dieser Norm müssen sich die Beteiligten vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Nur ein solcher Bevollmächtigter (§ 67 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 7 VwGO) kann wirksam prozessuale Erklärungen abgeben und Rechtshandlungen vornehmen. Der Vertretungszwang, auf den das Verwaltungsgericht in der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses und der Senat nochmals mit Hinweisschreiben vom 24.11.2021 hingewiesen haben, gilt auch für die nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erforderliche Begründung der Beschwerde.
Soweit der Antragsteller zunächst in einem persönlichen Schreiben vom 17.11.2021, bei Gericht eingegangen am 22.11.2021, Einwendungen gegen die Fahrerlaubnisentziehung erhoben hat, kann dies die Beschwerde somit jedenfalls nicht begründen.
Aber auch die am 30.11.2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Beschwerdebegründung, die den Briefkopf des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers trägt und von diesem eigenhändig unterschrieben wurde, genügt nicht den Anforderungen an den Vertretungszwang. Der Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 VwGO kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein postulationsfähiger Prozessvertreter pauschal auf Schriftstücke seines Mandanten oder von Dritten Bezug nimmt bzw. solche - wie hier - in eigene Schriftsätze hineinkopiert, d.h. auf der ersten Seite mit seinem Briefkopf versieht und auf der letzten Seite eigenhändig unterschreibt. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Zweck des Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 4 VwGO. Danach muss im Interesse eines geordneten und sachlichen Ganges des Verfahrens deutlich werden, dass der Prozessbevollmächtigte sich die von ihm vorgetragenen oder vorgelegten Ausführungen seiner Mandanten zu Eigen gemacht hat. Sein schriftsätzliches Vorbringen muss erkennen lassen, dass er selbst eine eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des vorgebrachten Streitstoffes vorgenommen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 58.12, juris Rn. 16 m.w.N.). In diesem Sinne muss eine dem Vertretungszwang unterliegende Rechtsmittelbegründung vom Prozessbevollmächtigten "erarbeitet" sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.07.2000 - 1 B 37.00, juris Rn. 3). Soweit der Vertretene bei der Erstellung eines Schriftsatzes mitgewirkt hat, muss erkennbar sein, dass der Vertreter den Schriftsatz eigenständig geprüft, rechtlich durchdrungen und für gut befunden hat, wofür allein eine entsprechende Erklärung des Prozessbevollmächtigten nicht ausreicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.01.2019 - 4 S 17/19, juris Rn. 3 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben genügt die Beschwerdebegründung vom 30.11.2021 nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO. Es ist für den Senat offensichtlich, dass die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 30.11.2021 von dem insoweit postulationsunfähigen Antragsteller selbst verfasst wurden und nicht von seinem erfahrenen Prozessbevollmächtigten. Sie beschränken sich auf eine einleitende, gewissermaßen entschuldigende Erklärung des Prozessbevollmächtigten ("legt der Kläger Wert darauf, dass wir, wie folgt, in dem Beschwerdeverfahren vortragen") und übernehmen in der Folge wörtlich und kommentarlos die Ausführungen des Klägers aus dessen Schreiben an das Gericht vom 17.11.2021. Sie sind dementsprechend auch durchgängig in der Ich-Form gehalten. Selbst der Satz "Da ich mich nicht zu 100% auf meinen Anwalt verlassen kann (dadurch habe ich auch Fristen bei der Führerscheinstelle nicht einhalten können) [...]" ist unverändert in den Schriftsatz vom 30.11.2021 übernommen worden. Hinzu kommt, dass der Schriftsatz weitgehend eine - sonst in Beschwerdeverfahren mit rechtskundigen Prozessbevollmächtigten übliche - Strukturierung unter juristischen Gesichtspunkten vermissen lässt. Ein eigenständiges "Erarbeiten" der Ausführungen liegt nach allem offensichtlich nicht vor.
II. Davon abgesehen hätte die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.
Nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragsgegnerin und - ihr folgend - das Verwaltungsgericht zu Recht vom Vorliegen einer Fahrungeeignetheit i.S.d. § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4, ausgegangen sind.
Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht haben zutreffend angenommen, dass der Antragsteller mit dem bei ihm bei der Trunkenheitsfahrt vom 16.11.2020 festgestellten Promille-Wert von 2,0 zu den Personen gehört, für die auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und in Übereinstimmung mit der Wertung des Verordnungsgebers (vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV) deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit anzunehmen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.05.2008 - 3 C 32.07, juris Rn. 15 ff. m.w.N.). Werden diese Personen in einer solchen Lage im Straßenverkehr angetroffen, ist regelmäßig ernsthaft zu besorgen, dass sie zukünftig im alkoholisierten Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Kraftfahrzeugs abzusehen.
Weiter zutreffend haben Antragsgegnerin und Verwaltungsgericht die Einschätzung in dem medizinisch-psychologischen Gutachten, dass der Antragsteller keine realistische und kritische Selbsteinschätzung zu seinem Alkoholkonsum erkennen lasse, so dass eine günstige Verkehrsverhaltensprognose nicht abgegeben werden könne, unbeanstandet gelassen. Soweit der Antragsteller geltend macht, seine Angaben zu seinem Alkoholkonsum im Rahmen der Begutachtung seien entgegen der Einschätzung der Gutachter zutreffend gewesen, bei ihm sei daher vom Vorliegen physischer Besonderheiten auszugehen, vermag dies die erstinstanzliche Entscheidung nicht in Zweifel zu ziehen. Die Behauptung des Klägers widerspricht bereits dem aktuellen Stand der Alkoholforschung. Für eine außergewöhnliche Alkoholverträglichkeit des Antragstellers ohne Gewöhnung sind zudem auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Dies hat das Verwaltungsgericht bereits ausführlich dargelegt. Der Antragsteller trägt ebenfalls nichts vor, was seine Behauptung substantiieren könnte. Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass die medizinischen Befunde, die für die Begutachtung erhoben worden seien, einen gewohnheitsmäßigen Alkoholmissbrauch nicht explizit hätten bestätigen können. Die Befunde standen einer solchen Annahme aber auch keineswegs entgegen, wie in dem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt worden ist. Die Behauptung des Antragstellers, die Annahme einer Alkoholgewöhnung sei durch die medizinischen Befunde entkräftet worden, trifft daher nicht zu.
Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung und Aufforderung der Führerscheinvorlage besteht. Dieses entfällt insbesondere nicht dadurch, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis erst einige Monate nach dem Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss erfolgt ist. Dies ist der Einhaltung rechtsstaatlicher Maßstäbe geschuldet und führt keineswegs dazu, dass es weiterhin hinzunehmen ist, dass der Antragsteller mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Ziffern 46.5 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
RechtsgebietProzessrecht
Vorschriften§ 67 Abs. 4 VwGO