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  • 16.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230752

    Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 22.06.2022 – 31 A 373/22.O

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberverwaltungsgericht NRW


    Tenor:

    Die Berufung wird auf Kosten des Beamten verworfen.
     
    1
    G r ü n d e :

    2
    I.

    3
    Die Disziplinarkammer hat den Beamten durch Urteil vom 29. November 2021, auf das wegen der Einzelheiten, insbesondere auch des durch Einleitungsverfügung vom 2. September 2004 gegen den Beamten eingeleiteten und in der Folgezeit mehrfach um weitere Dienstvergehen ergänzten förmlichen Disziplinarverfahrens, verwiesen wird, aus dem Dienst entfernt. Das mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil ist dem Verteidiger des Beamten, der sich am 6. November 2021 unter Vorlage einer Prozessvollmacht bestellt hatte, am 20. Dezember 2021 zugestellt worden. Mit elektronischer Post vom 8. Februar 2022 aus einem besonderen Anwaltspostfach hat der Verteidiger des Beamten beim Verwaltungsgericht eine auf den 18. Januar 2022 datierte Berufungsschrift gegen das Urteil der Disziplinarkammer eingereicht. Am 17. Februar 2022 hat der Verteidiger des Beamten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Berufung beantragt. Am 18. Februar 2022 hat der Verteidiger des Beamten die Berufungsbegründungsschrift elektronisch aus einem besonderen Anwaltspostfach beim Verwaltungsgericht eingereicht. Unter dem 18. Februar 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 21. Februar 2022, hat der Beamte selbst der Berufungsbegründung ein Schreiben „hinzugefügt“.

    4
    II.

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    Die Berufung ist unzulässig (§ 82 DO NRW in der Fassung vom 1. Mai 1981, vgl. zu dessen Anwendung 1.). Die vom Verteidiger des Beamten am 8. Februar 2022 eingelegte Berufung ist nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des angefochtenen Urteils (§ 79 Abs. 1 Satz 1 DO NRW) eingelegt worden und wird dem Begründungserfordernis des § 81 DO NRW nicht gerecht (2.). Die nachgeholte Berufungsbegründung ist ebenfalls nicht innerhalb der Berufungsfrist bei der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts eingegangen (3.), und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlen (4.).

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    Der Disziplinarsenat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die unzulässige Berufung gemäß §§ 85 Abs. 1 Nr. 1, 82 DO NRW durch Beschluss zu verwerfen. Dem Vertreter der obersten Dienstbehörde ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, § 85 Abs. 2 DO NW.

    7
    1.

    8
    Im Streitfall finden ungeachtet des Inkrafttretens des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen ‒ LDG NRW ‒ im Jahre 2005 auch im gerichtlichen Verfahren noch und weiterhin die Regelungen der Disziplinarordnung des M.      Nordrhein-Westfalen ‒ DO NRW ‒ Anwendung: § 82 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW ordnet an, dass die nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei In-Kraft-Treten des Gesetzes befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt werden, soweit in den Absätzen 2 bis 9 nicht Abweichendes bestimmt ist. Das ist hier indes der Fall. Nach § 82 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW werden förmliche Disziplinarverfahren nach dem zur Zeit ihrer Einleitung geltenden Recht fortgeführt. Für die Anschuldigung und die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens gilt nach § 82 Abs. 3 Satz 2 LDG NRW ebenfalls das bisherige Recht. Diese für förmliche Disziplinarverfahren nach der DO NRW uneingeschränkt geltende Regelung führt im Streitfall auf die Geltung der DO NRW: Das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Beamten wegen der streitgegenständlichen Vorwürfe wurde durch Zustellung der Einleitungsverfügung des Polizeipräsidenten Wuppertal vom 2. September 2004 eingeleitet (§ 33 DO NRW). Zu diesem Zeitpunkt war die Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen noch in Kraft.

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    2.

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    Die in § 79 Abs.1 Satz 1 DO NRW festgelegte Monatsfrist für die Einlegung der Berufung ist durch die Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Beamten gegen Empfangsbekenntnis am 20. Dezember 2021 in Lauf gesetzt worden. Nach § 77 Abs. 3 DO NRW ist das Urteil in Disziplinarsachen mit Gründen ‒ u.a. ‒ dem Beamten zuzustellen. Nach § 40 Satz 2 DO NRW gilt der Verteidiger, der eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat, als ermächtigt, Zustellungen an den Beamten in Empfang zu nehmen. Diese Regelung bleibt von § 77 Abs. 3 DO NRW, der allein den Zustellungsadressaten festlegt, unberührt.

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    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.11.2019 ‒ 3d A 1/19.O ‒, juris, und Urteil vom 10.11.2004 ‒ 22d A 2859/02.O ‒, S. 11 f. des amtlichen Umdrucks.

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    Der Verteidiger des Beamten hat mit Schriftsatz vom 6. November 2021 eine schriftliche Vollmacht vorgelegt. Damit konnte durch eine Zustellung an ihn die Zustellung des Urteils an den Beamten bewirkt werden.

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    Innerhalb der demzufolge bis zum 20. Januar 2022 reichenden Frist des § 79 Abs. 1 Satz 1 DO NRW hat der Beamte keine Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist erst am 8. Februar 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangen.

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    Die Berufung ist zudem unzulässig, weil die Berufungseinlegung des Verteidigers dem Begründungserfordernis des § 81 DO NRW nicht genügt und der dies nachholende Schriftsatz vom 18. Februar 2022 die Berufungsfrist des § 79 DO NRW nicht wahrt.

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    Der Beamte hat zwar über seinen Verteidiger mit auf den 18. Januar 2022 datiertem Schriftsatz Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz genügt jedoch nicht den inhaltlichen Anforderungen, die § 81 DO NRW an die Berufungsschrift stellt. Danach ist in der Berufungsschrift das angefochtene Urteil zu bezeichnen und anzugeben, inwieweit es angefochten wird und welche Änderungen beantragt werden; nach Halbsatz 2 sind die Anträge zu begründen. In der Berufungsschrift wird lediglich das angefochtene Urteil bezeichnet, für den Beamten Berufung eingelegt und ausgeführt, eine Begründung werde fristgemäß erfolgen. Es fehlt jedoch an der Angabe des Ziels der Berufung sowie an der nach § 81, 2. Halbsatz DO NRW zwingend erforderlichen substantiierten Begründung der Berufung. Hierzu ist erforderlich, dass aus dem Vorbringen des Beamten erkennbar ist, inwieweit und aus welchen Erwägungen sich das angefochtene Urteil nicht mit denjenigen Vorstellungen deckt, die der Beamte aus seiner Sicht für rechtens hält. Er muss dafür die Erwägungen, mit denen er das angefochtene Urteil angreift, unter Angabe von Einzelheiten vortragen, um das Berufungsgericht in die Lage zu versetzen, die Beanstandungen der angefochtenen Entscheidung zu werten und hierüber zu befinden.

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    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.11.2019 ‒ 3d A 1/19.O ‒, juris Rn. 12 f. m. w. N.

    17
    Diesen Anforderungen genügt das in der Berufungsschrift enthaltene Vorbringen nicht. Das war ersichtlich auch die Auffassung des Verteidigers des Beamten, der in der Berufungsschrift ausdrücklich angekündigt hat, eine Begründung werde fristgemäß erfolgen.

    18
    3.

    19
    Soweit die Berufungsbegründung sodann erst am 18. Februar 2022 und damit nach Ablauf der Frist des § 79 DO NRW eingereicht worden ist, fehlt es an einem Wiedereinsetzungsantrag des Beamten.

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    Der Wiedereinsetzungsantrag vom 17. Februar 2022 benennt nicht die Gründe, die einer fristgerechten Berufungsbegründung im Wege gestanden haben. Der Verteidiger des Beamten hat darin allein dazu vorgetragen, aus welchen Gründen es zu einer Versäumung der Berufungsfrist gekommen ist, und hat entsprechend ausdrücklich allein „Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Berufung“ beantragt. Hat er aber ‒ wie von ihm vorgetragen ‒ den Schriftsatz zur Berufungseinlegung am 18. Januar 2022 gefertigt, hätte er umgehend eine Wiedervorlagefrist verfügen müssen, um die Berufungsbegründung noch fristgerecht bis zum Ablauf des 20. Januar 2022 einreichen zu können. Auf das Erfordernis, dass die Berufungsanträge innerhalb der Berufungsfrist zu stellen und zu begründen waren, war bereits in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden. Die Begründung der Berufung hat nach § 81 DO NRW in der Berufungsschrift und damit innerhalb der Berufungsfrist zu erfolgen. Bei der Frist des § 81 DO NRW handelt es sich um eine Ausschluss-Notfrist, die ohne ausdrückliche gesetzliche Zulassung einer Fristverlängerung nicht verlängert werden kann.

    21
    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.11.2019 ‒ 3d A 1/19.O ‒, juris Rn. 15 f. m. w. N.

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    Hierzu hat der Verteidiger des Beamten aber nichts vorgetragen.

    23
    Soweit der Verteidiger nunmehr erstmals im Schriftsatz vom 8. Juni 2022 darauf verwiesen hat, er habe für den Beamten unter dem 17. Februar 2022 die Wiedereinsetzung „in die Frist zur Einlegung und Begründung“ beantragt, trifft dies wie oben dargelegt nicht zu. Selbst wenn man den Schriftsatz vom 8. Juni 2022 als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist ansehen wollte, wäre dieser jedenfalls außerhalb der Frist der §§ 25 Sätze 1 u. 2 DO NRW, 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt worden.

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    4.

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    Abgesehen hiervon sind die dargelegten Wiedereinsetzungsgründe wegen der Frist für die Berufungseinlegung nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen.

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    Eine Wiedereinsetzung setzt nach § 25 Satz 1 DO NRW i. V. m. § 44 Satz 1 StPO voraus, dass der Beamte ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten.

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    a) Insoweit hat der Verteidiger des Beamten bereits nicht hinreichend dargetan, dass er ohne Verschulden an einer fristgemäßen Einreichung der Berufung gehindert war, § 25 Satz 1 DO NRW i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO. Aufgrund des Vortrags des Verteidigers zu den Umständen der Fristversäumnis und der in seinem Büro bestehenden Organisation ist ein Verschulden nicht auszuschließen. Eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle kann nicht festgestellt werden.

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    Der Verteidiger des Beamten hat unter Bezugnahme auf die eidesstattliche Versicherung seiner Büromitarbeiterin vom 17. Februar 2022 vorgetragen, er habe das Schreiben zur Berufungseinlegung am 18. Januar 2022 entworfen und sodann innerhalb einer elektronischen Aktenführung („E-Akte“) abgespeichert. Im Anschluss daran habe er seine Büromitarbeiterin gebeten, das Schreiben über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Verwaltungsgericht zu senden, die Frist auszutragen und die entsprechenden Wiedervorlagen zu vermerken. Am Folgetag habe die Büromitarbeiterin bei der Fristbesprechung bestätigt, dass das Schreiben versandt worden sei. Zutreffend sei, dass die Büromitarbeiterin die Berufungseinlegungsfrist nach Übergabe des Schreibens in den beA-Postausgang als erledigt ausgetragen habe. Sie habe hierbei jedoch nicht kontrolliert, ob in der „E-Akte“ tatsächlich auch eine Sendebestätigung zur technischen Dokumentation der Übergabe des Schreibens an den Postausgang erstellt worden sei. Die Kanzleihinweise sähen aber gleichwohl vor, dass Fristen erst bei Vorliegen der Versandbestätigung als erledigt angesehen werden dürften. Regelmäßig würden sämtliche per beA zu versendende Schreiben in einem Postausgang gesammelt und dann zentral, entweder auf Knopfdruck oder am Ende des Arbeitstages automatisch, versandt. Es könne nicht nachvollzogen werden, warum das Schreiben dann nicht beim Verwaltungsgericht eingegangen sei. In der „E-Akte“ befinde sich keine elektronische Versandbestätigung. Eine Eingangsbestätigung der Empfängerstelle im Sinne eines Faxsendeberichts gebe es (soweit bekannt) im Rahmen des beA-Systems nicht. Dies könne wohl nur durch Anforderung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) sichergestellt werden. Dies sei bisher aber nicht für erforderlich angesehen worden und wäre angesichts der Menge pro Tag versandter beA-Nachrichten auch ein überproportionaler Aufwand, zumal eEBs auch vom Empfänger bewusst beantwortet werden müssten und den Zugang nicht automatisch bestätigten. Das Verschulden der Mitarbeiterin, die Versandbestätigung nicht abzuwarten und zu kontrollieren, sei dem Beamten nicht zuzurechnen.

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    Damit ist eine unverschuldete Fristversäumung nicht dargetan. Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs sind Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO (entspricht inhaltlich § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO) unabdingbar. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies kann ohne weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO erfolgen. Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen ist, schickt dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, besteht damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben muss den Rechtsanwalt dagegen zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen. Wird zeitnah keine automatische Eingangsbestätigung übermittelt, muss der Rechtsanwalt damit rechnen, dass das Dokument nicht bei der Empfangseinrichtung des Gerichts angekommen und damit die Übermittlung auf elektronischem Wege nicht erfolgreich gewesen ist.

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    Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.10.2021 ‒ 8 B 11187/21 ‒, juris Rn. 10 m. w. N.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.08.2020 ‒ 5 MB 20.20 ‒, juris Rn 5; OVG Magdeburg, Beschluss vom 28.08.2019 ‒ 2 M 58.19 ‒, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 29.09.2021 ‒ VII ZR 94.21 ‒, juris Rn. 12 m. w. N.

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    Eine Kontrolle des Zugangs einer Eingangsbestätigung ist hier offensichtlich nicht durchgeführt worden. Der Verteidiger macht dies auch nicht geltend. Er beruft sich lediglich darauf, ihm sei die automatische Eingangsbestätigung nicht bekannt. Dies vermag ihn aber nicht zu entlasten. Hieran hat sich mit Einführung des beA nichts geändert, weil die Eingangsbestätigung vom elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) sofort an das beA versandt wird. Letztlich hat sich der Verteidiger nicht einmal eine Absendebestätigung seiner Berufungsschrift anzeigen lassen; dies ist auch von seiner Büromitarbeiterin nicht kontrolliert worden. Selbst wenn aber letzteres den Kanzleihinweisen entsprechend erfolgt wäre, wäre dies ersichtlich nicht ausreichend gewesen, da hierdurch keine erfolgreiche Übermittlung an das Verwaltungsgericht als Empfänger belegt ist. Dass die Berufungsschrift auch bei ordnungsgemäßer Kontrolle der Eingangsbestätigung nicht mehr bis zum Ablauf des 20. Januar 2022 hätte eingereicht werden können, ist nicht ersichtlich und wird auch vom Beamten nicht geltend gemacht. Sofern die vom Verteidiger geschilderten Abläufe seinen Anordnungen zur Kanzleiorganisation vollumfänglich entsprochen haben sollten, trifft den Verteidiger jedenfalls insofern ein Verschulden, als er hierin nicht die gebotenen Vorkehrungen für eine wirksame Eingangskontrolle abgesandter bestimmender Schriftsätze bei Gericht getroffen hat.

    32
    b) Im Übrigen fehlt es an einem Verschulden des Verteidigers nicht schon deshalb, weil aufgrund eines fehlenden Hinweises auf das ab dem 1. Januar 2022 für u.a. Rechtsanwälte geltende Erfordernis des Einreichens der Berufungsschrift als elektronisches Dokument (§ 25 DO NRW, § 32d Satz 2 StPO) eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung nach § 23 DO NRW, § 35a StPO unterblieben ist. Die Vermutung des § 44 Satz 2 StPO hebt nur das Erfordernis fehlenden Verschuldens des Antragstellers auf. Ein im Wiedereinsetzungsantrag darzulegender ursächlicher Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis ist auch in diesem Fall erforderlich.

    33
    Vgl. BGH, Beschluss vom 16.08.2000 ‒ 3 StR 339/00 ‒ , juris Rn. 4; BVerfG, Beschlüsse vom 11.04.1991 ‒ 2 BvR 1996/89 ‒, juris Rn. 9, und vom 13.09.1993 ‒ 2 BvR 1366/93 ‒, juris Rn. 4.

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    Insoweit hat der Verteidiger jedoch nicht einmal selbst behauptet, die Berufungsfrist gerade infolge des fehlenden Hinweises auf das ab dem 1. Januar 2022 geltende Erfordernis des Einreichens der Berufungsschrift als elektronisches Dokument in der Rechtsmittelbelehrung versäumt zu haben. Er hat vielmehr ausdrücklich vorgetragen, die Übermittlung der Berufungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) veranlasst zu haben.

    35
    c) Das Verschulden seines Verteidigers schlägt auf den Beamten durch, weil ihn ein Mitverschulden an der Fristversäumnis trifft.

    36
    Bei der Prüfung der Frage, ob einem Beamten an einer Fristversäumung gemäß § 44 StPO ein Verschulden trifft, ist es zwar den Gerichten regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seines Verteidigers zuzurechnen. Dies gilt aber nur, sofern der Beamte nicht durch eigenes Verschulden zur Versäumung der Frist beigetragen hat. Denn auch ein anwaltlich vertretener Beamter ist bei der Beachtung prozessualer Vorschriften nicht von allen Sorgfaltspflichten freigestellt.

    37
    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.02.2004 ‒ 22d A 2345/02.O ‒, juris Rn. 7 f. unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 24.06.2002 ‒ II WDB 5.02 ‒, juris Rn. 15 und BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 ‒ 2 BvR 2107/03 ‒, juris Rn. 12.

    38
    Im Streitfall hat der Beamte gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen. Er war in dem Urteil der Disziplinarkammer gemäß § 23 Abs. 1 DO NRW darüber belehrt worden, dass die Berufung binnen Monatsfrist nach Zustellung einzulegen ist. Der Beamte hätte sich daher vor Ablauf der Frist vergewissern können und müssen, ob sein Verteidiger rechtzeitig Berufung einlegt. Dies legte schon sein eigenes Interesse nahe. Die Disziplinarkammer hatte gegen ihn die höchste Disziplinarmaßnahme, nämlich die Entfernung aus dem Dienst, verhängt. Dies wollte der Beamte nicht hinnehmen und strebte deshalb eine Überprüfung im Berufungsverfahren an. Wenn er aber in dieser Situation in Kenntnis der formellen Erfordernisse nichts weiter unternahm, als einen Anwalt mit der Berufungseinlegung und Begründung zu beauftragen, so hat er die nach Lage der Sache erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, wenn er die ihm bekannten Fristen nicht kontrollierte und sich nicht weiter darum kümmerte, dass seine Berufung rechtzeitig vorgelegt wurde.

    39
    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.06.2002 ‒ II WDB 5.02 ‒, juris Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 09.02.2004 ‒ 22d A 2345/02 ‒ , juris Rn. 8.

    40
    Soweit der Beamte in seiner Stellungnahme vom 18. Februar 2022 ausgeführt hat, er wisse nach der am Vorabend erhaltenen Mitteilung seines Verteidigers, in den er vollstes Vertrauen habe, dass die Berufung durch ein Verschulden seiner Kanzlei nicht in der gesetzlich vorgegebenen Frist eingelegt worden sei, nicht, wann die Frist zur Berufungsbegründung ablaufe, entlastet ihn dies nicht. Er durfte sich nicht blind auf dessen Handeln verlassen, sondern hätte bereits zuvor, als er feststellen musste, dass ihm keine Abschrift einer Berufung mit Berufungsbegründung von seinem Verteidiger zuging, diesen zeitnah auf einen drohenden Fristablauf hinweisen müssen. Dies hat er jedoch versäumt, ohne dass dafür hinreichende Gründe ersichtlich geworden sind.

    41
    III.

    42
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 DO NRW.

    43
    Dieser Beschluss wird mit Zustellung rechtskräftig (vgl. § 90 DO NRW).

    RechtsgebietElektronischer RechtsverkehrVorschriften§ 25 S. 1, § 81 Hs. 2 DO NRW