02.11.2022 · IWW-Abrufnummer 232052
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 21.09.2022 – XII ZB 264/22
a) Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss.
b) Eine nachgeholte Glaubhaftmachung dreieinhalb Wochen nach der Ersatzeinreichung ist nicht unverzüglich erfolgt.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2022 durch die Richter Guhling, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 19. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts ( § 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht hat durch zwei gesonderte Beschlüsse vom 21. März 2022 eine Betreuung für den Betroffenen eingerichtet und seine Unterbringung genehmigt. Beide Beschlüsse sind dem Betroffenen am 22. März 2022 zugestellt worden.
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Gegen diese Entscheidungen hat der Betroffene am 21. April 2022 durch in Schriftform bei Gericht eingegangene Schriftsätze eines Rechtsanwalts Beschwerden eingelegt. Die Schriftsätze enden jeweils mit der Erklärung, es könne derzeit nicht über beA zugestellt werden, da aufgrund einer Störung keine Signatur und Versendung möglich sei. Zuvor sind Amts- und Landgericht seit dem 12. Januar 2022 in denselben Sachen neun andere Schriftsätze per Telefax oder Brief zugegangen, die die gleiche Erklärung enthalten.
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Nach gerichtlichem Hinweis auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der schriftlich eingereichten Beschwerden hat der Betroffene durch Anwaltsschriftsatz vom 17. Mai 2022 näher ausgeführt, dass die Aktivierung der beA-Karte bezüglich der Sendefunktion aus technischen Gründen nicht funktionsfähig gewesen sei. Inzwischen sei die Karte gesperrt und eine neue Karte bezogen worden, bei der die Signaturfunktion erneut nicht habe aktiviert werden können.
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Das Landgericht hat die Beschwerden mit der Begründung verworfen, die Beschwerdeeinlegungen seien nicht formgerecht innerhalb der Beschwerdefristen erfolgt, da sie nicht - wie seit dem 1. Januar 2022 erforderlich - auf einem elektronischen Übermittlungsweg eingereicht worden seien. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
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1. Das Landgericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass der Betroffene nicht innerhalb der am 22. April 2022 abgelaufenen einmonatigen Beschwerdefristen formgerecht Beschwerden eingelegt hat.
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a) Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. Als bestimmender Schriftsatz eines Rechtsanwalts ist sie gemäß dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, so bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ( § 14 b Abs. 1 Satz 2 FamFG ). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen ( § 14 b Abs. 1 Satz 3 FamFG ).
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b) Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung gilt auch in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren. Denn für die durch einen Rechtsanwalt einzureichenden Anträge und Erklärungen gilt § 14 b FamFG ohne Bereichsausnahme. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bestehen auch keine geringeren formellen Anforderungen an einen bestimmenden Schriftsatz unter dem Gesichtspunkt, dass dann, wenn vom Betroffenen kein Rechtsanwalt beauftragt worden wäre, ihm ein Verfahrenspfleger hätte bestellt werden müssen (vgl. §§ 276 Abs. 4 , 317 Abs. 4 FamFG ). Denn das Absehen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers nach den §§ 276 Abs. 4 , 317 Abs. 4 FamFG knüpft nur daran an, dass die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden, hingegen nicht daran, dass dieser die Formvorschriften für die Einlegung von Rechtsmitteln einhält.
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c) Der Verfahrensbevollmächtigte hat die Beschwerdeschriftsätze nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt. Auch war nicht ausnahmsweise die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften in Schriftform oder per Telefax zulässig, denn der Betroffene hat - unabhängig davon, ob das Vorbringen seines Verfahrensbevollmächtigten für eine Darlegung einer vorübergehenden Unmöglichkeit inhaltlich ausreichend ist - jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.
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aa) Ein elektronisch einzureichendes Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen ( § 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG i.V.m. § 130 a Abs. 2 ZPO ). Diese sind geregelt in der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017 (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV, BGBl. I S. 3803; geändert durch Verordnung vom 9. Februar 2018, BGBl. I S. 200), die zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist.
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Das elektronische Dokument muss zudem mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden ( § 130 a Abs. 3 und 4 ZPO ). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden ( § 4 Abs. 1 ERVV ).
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bb) Eine ausreichende Glaubhaftmachung, dass eine elektronische Übermittlung unter Einhaltung der vorstehenden Erfordernisse vorübergehend unmöglich war, ist weder mit der schriftlichen Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach erfolgt.
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(1) Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen (BT-Drucks. 17/12634 S. 28).
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Ob aus dem Vorstehenden zu folgern ist, dass eine Nachholung der Glaubhaftmachung von vornherein unstatthaft ist, wenn der Rechtsanwalt bereits weiträumig vor der Ersatzeinreichung von der Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung wusste und dies schon mit der Ersatzeinreichung hätte darlegen können (vgl. KGFamRZ 2022, 1220, 1221; BayVGH Beschluss vom 2. Mai 2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 6; OVG Schleswig SchlHA 2022, 199; OVG Münster Beschluss vom 9. Mai 2022 - 16 B 69/22 - juris Rn. 7; jurisPK-ERV/Biallaß [Stand: 7. September 2022] § 130 d ZPO Rn. 63; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2020, 897, 898), kann hier dahinstehen.
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Denn die der Ersatzeinreichung einzig beigegebene Erklärung, es könne derzeit nicht über beA zugestellt werden, da aufgrund einer Störung keine Signatur und Versendung möglich sei, ist schon deshalb keine ausreichende Glaubhaftmachung, weil sie keine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände enthält (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 - XII ZB 356/17 -FamRZ 2018, 447Rn. 14 mwN). Zudem kann eine Schilderung von Vorgängen durch einen Rechtsanwalt die mitgeteilten Tatsachen nur dann glaubhaft machen, wenn der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juli 2017 - XII ZB 463/16 -FamRZ 2017, 1704Rn. 14 mwN; BayVGH Beschluss vom 2. Mai 2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 7). Eine derartige besondere Versicherung enthält der Schriftsatz vom 21. April 2022 ebenfalls nicht.
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(2) Demgegenüber sind die ergänzenden Darlegungen vom 17. Mai 2022 nicht unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgt und genügen deshalb nicht den Erfordernissen des § 14 b Abs. 1 Satz 3 FamFG .
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Unverzüglich - und somit ohne schuldhaftes Zögern - ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB (vgl. dazu etwa BGH Urteil vom 24. Januar 2008 - VII ZR 17/07 - NJW 2008, 985 Rn. 18) ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist. In der Rechtsprechung wird angenommen, dass bereits nach Ablauf einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne Vorliegen besonderer Umstände - für die es hier keine Anhaltspunkte gibt - grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben ist (BayVGH Beschluss vom 2. Mai 2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 8; LAG Kiel NZA-RR 2022, 148, 155; Siegmund NJW 2021, 3617, 3618; vgl. auch OVG Münster Beschluss vom 9. Mai 2022 - 16 B 69/22 - juris Rn. 9). Die hier in Anspruch genommenen dreieinhalb Wochen überschreiten aber jedenfalls die zulässige Frist.
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cc) Fehlt die (unverzügliche) Glaubhaftmachung, so ist auch die Ersatzeinreichung unwirksam (vgl. BayVGH Beschluss vom 2. Mai 2022 - 6 ZB 22.30401 - juris Rn. 8; Siegmund NJW 2021, 3617, 3618).
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2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht keine Wiedereinsetzung gewährt.
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Die Fristversäumung war nicht unverschuldet im Sinne von § 17 Abs. 1 FamFG , weil der Betroffene sich die fehlende Unverzüglichkeit der nachgeholten Glaubhaftmachung wegen Verschuldens seines Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 11 Satz 5 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Einen Entschuldigungsgrund hierfür hat der Betroffene bereits nicht geltend gemacht. Im Übrigen wäre ein eventueller Rechtsirrtum nicht unverschuldet (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 222, 105 = NJW 2019, 2230 Rn. 25 mwN). Die Bundesrechtsanwaltskammer hat bereits in einem Newsletter zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (Ausgabe 3/2022 vom 3. März 2022) unter Hinweis auf erste Rechtsprechung ausgeführt: "Die vorübergehende Unmöglichkeit ist aber zusammen mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen ( § 130d S. 3 ZPO )". Hierüber konnte sich der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht ohne Verletzung seiner anwaltlichen Sorgfaltspflichten hinwegsetzen.
Guhling
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur