21.12.2022 · IWW-Abrufnummer 232938
Oberverwaltungsgericht Saarland: Beschluss vom 07.11.2022 – 2 A 176/22
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass sich die Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren sowohl zur Rechtslage als auch zum zugrundeliegenden Sachverhalt äußern können (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht dagegen weder, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen, noch dazu, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Weder der Art. 103 Abs. 1 GG noch das einfache Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) gebieten, sich in den Gründen der gerichtlichen Entscheidung mit jeder Einzelheit des Vorbringens zu befassen. Vielmehr genügt die Angabe der Gründe, die für die richterliche Überzeugungsbildung maßgeblich gewesen sind. Die Anhörungsrüge nach dem § 152a VwGO stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar und dient deswegen auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder Ergänzung derselben oder ihrer Begründung zu veranlassen (vgl. dazu zuletzt etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 2.5.2022 - 2 B 69/22 -, vom 7.3.2022 - 2 B 42/22 -, und vom 3.3.2022 - 2 B 43/22 -).
In dem Verwaltungsrechtsstreit
1.) der Frau A., A-Straße, A-Stadt, und
2.) der Schülerin C. gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1), ebenfalls A-Straße, A-Stadt,
Klägerinnen,
Prozessbevollmächtigter zu 1. und 2.: Rechtsanwalt B., xxxstraße 12-14, B-Stadt,
gegen
das Saarland, vertreten durch das Ministerium der Justiz, Franz-Josef-Röder-Straße 17, 66119 Saarbrücken,
Beklagter,
wegen Datenschutzes
hier: Anhörungsrüge nach § 152a VwGO
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen.
Die Klägerin zu 1) und ihre Tochter, die Klägerin zu 2), begehrten die Feststellung, dass der Beklagte ihr Recht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung verletzt hat, indem das Ministerium für Bildung und Kultur (im Folgenden: Ministerium oder Bildungsministerium) mündlich, telefonisch und schriftlich Inhalte aus ihren öffentlich-rechtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes an die Beschäftigungsstelle der Klägerin zu 1), die S... des Saarlandes, weiterleitete. Außerdem beantragten sie, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, künftig den Datenschutz und ihre informationelle Selbstbestimmung zu verletzen.
Die im Dezember 2004 geborene Klägerin zu 2) besuchte zum Zeitpunkt der Klageerhebung die 10. Klasse des A...-Gymnasiums in B-Stadt. Im Rahmen eines Schulsportfests im Oktober 2015 kam sie bei einem Wettlauf zu Fall. In den folgenden beiden Wochen nahm sie nicht mehr am Sportunterricht teil. Im Anschluss kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Klägerin zu 1), dem Sportlehrer und dem Schulleiter über den Hergang und die Folgen dieses Sportunfalls. Daraufhin erhob die Klägerin zu 1) mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den Schulleiter, den Klassenlehrer sowie gegen den Sportlehrer, die vom Bildungsministerium zurückgewiesen wurden.
Am 26.4.2017 wurde, nachdem für die Klassenstufe der Klägerin zu 2) eine - üblicherweise in der 7. Klasse stattfindende - Skilehrfahrt auszufallen drohte, ein Schreiben der Elternvertreter der Klassenstufe 6 an die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 6 verteilt, dem ein an die Eltern gerichtetes Schreiben an das Ministerium für Bildung und Kultur beigefügt war.
Eine von den Klägerinnen beim Verwaltungsgericht in dem Zusammenhang erhobene Feststellungsklage gegen das Bildungsministerium wegen "rechtswidrigen Realhandelns" der Schule wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen. (1) Ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. (2)
Im Juni 2019 übersandte die Abteilung A des Ministeriums der in der Staatskanzlei des Saarlandes beschäftigten ... D. die Kopie eines von einer Mutter einer anderen Schülerin des Gymnasiums gefertigten Gedächtnisprotokolls über ein Gespräch mit der Klägerin zu 1) im März 2019, wonach diese auf ein Mobbing ihrer Tochter und auf Zustände in der Schule "wie damals in der Nazizeit" verwiesen haben sollte. Das Protokoll war in dem Verwaltungsstreitverfahren zur Gerichtsakte gereicht worden.
Am 17.9.2020 hat die Klägerin zu 1) dann beim Verwaltungsgericht die vorliegende "Feststellungs- und Unterlassungsklage" wegen "unzulässiger Datenübermittlung zwischen staatlichen Stellen und der damit verbundenen Verletzung des Datenschutzes und der informellen Selbstbestimmung sowie der Verletzung der Amtsverschwiegenheitsverpflichtung" erhoben. (3) Am 1.2.2021 ist die Klägerin zu 2) der Klage ihrer Mutter beigetreten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 22.6.2022 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen vorgetragen, dass schon seit 2016 vertrauliche Informationen aus privatrechtlichen Verfahren an die Dienststelle der Klägerin zu 1) weitergeleitet worden seien. Im Übrigen sei die Problematik bezüglich der Klägerin zu 2) "eine völlig andere".
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit den zuletzt gestellten Anträgen, festzustellen, dass der Beklagte wegen Verletzung des Rechtes der Klägerinnen auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung nicht berechtigt war, Dateninhalte aus den öffentlich-rechtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes an die S... weiterzuleiten, und den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung der Klägerinnen zu verletzen, indem Inhalte aus den öffentlich-rechtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes an die S... weitergeleitet werden, im Juni 2022 abgewiesen. In der Begründung wurde insbesondere darauf verwiesen, die in der Übermittlung des Gesprächsprotokolls liegende Datenverarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO(4) sei rechtmäßig gewesen. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, das streitgegenständliche Gedächtnisprotokoll vom März 2019 an den Arbeitgeber der Klägerin zu 1) weiterzuleiten. Die §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 2 SaarlDSG hätten das Ministerium auch mit Blick auf das durch Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG sowie durch das europa- und konventionsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 CrCH, Art. 12 ff. DSGVO zur Weitergabe der Daten der Klägerinnen berechtigt, das Gedächtnisprotokoll an die S... des Saarlandes weiterzuleiten. (5)
Einen von den Klägerinnen gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 4.10.2022 - 2 A 176/22 - zurückgewiesen. Auf die den Klägerinnen bekannte Begründung wird Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 19.10.2022 eingegangene Rüge der Klägerinnen einer Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör vor Gericht.
II.
Die gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO statthafte Anhörungsrüge der Klägerinnen hat keinen Erfolg. Sie haben nicht im Sinne von § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO für eine Fortführung des Berufungszulassungsverfahrens (§ 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO) vorliegen. Eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör durch den Beschluss vom 4.10.2022 lässt sich dem umfangreichen, im Wesentlichen den bisherigen Vortrag beziehungsweise die rechtliche Argumentation wiederholenden Vorbringen in der Rüge vom 19.10.2022 nicht entnehmen.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet ein Recht, sich in dem gerichtlichen Verfahren sowohl zur Rechtslage als auch zum zugrundeliegenden Sachverhalt äußern zu können (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht hingegen weder, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen, noch dazu, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Die Annahme einer Verletzung der Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme des Beteiligtenvorbringens ist ferner nicht schon gerechtfertigt, wenn in der angefochtenen Entscheidung auf einen bestimmten Sachvortrag der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Weder der Art. 103 Abs. 1 GG noch das einfache Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) gebieten, sich in den Gründen der gerichtlichen Entscheidung mit jeder Einzelheit des Vorbringens zu befassen. Vielmehr genügt die Angabe der Gründe, die für die richterliche Überzeugungsbildung maßgeblich gewesen sind. Die Anhörungsrüge stellt vor allem entgegen der Ansicht der Klägerinnen nach gesicherter Rechtsprechung keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar und dient deswegen auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder Ergänzung derselben oder ihrer Begründung zu veranlassen. (6) Dies darf speziell bei der Klägerin als bekannt vorausgesetzt werden. (7)
Soweit sich die Klägerin in der Begründung für ihre Rüge erneut sehr ausführlich mit einer - vermeintlich unzureichenden - Würdigung ihres Vortrags durch den Senat (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), etwa hinsichtlich des Inhalts und des Zustandekommens des angeblich "nachweislich ungeprüften Lügenprotokolls" befasst, ist - wie ausgeführt - festzuhalten, dass es sich dabei nicht um eine im Rahmen des § 152a VwGO beachtliche, weil nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnende Frage des materiellen Rechts beziehungsweise der materiellen Richtigkeit der Entscheidung handelt. Das gilt insbesondere für die in dem Beschluss des Senats vom 4.10.2022 unter ausführlicher Befassung mit den dagegen vorgebrachten Argumenten der Klägerinnen ausdrücklich bestätigte Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die beanstandete Weitergabe von Informationen vom Bildungsministerium an die S... datenschutzrechtlich nach den Vorgaben der §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 2 SaarlDSG keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterlag. Dass die Argumente - soweit vorgetragen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) - bei der Entscheidung über den Zulassungsantrag nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch ausführlich gewürdigt wurden, ist der Begründung des Beschlusses vom 4.10.2022 unschwer zu entnehmen. Das genügt den Anforderungen des Gebots des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Die inhaltliche Richtigkeit der Würdigung, die im Übrigen - das nur ergänzend - auch auf der Grundlage des neuerlichen im Wesentlichen wiederholenden Vorbringens der Klägerinnen in der Rüge vom 19.10.2022 keinen Bedenken unterliegt, spielt im Rahmen der allein auf das Verfahrensrecht zielenden Anhörungsrüge nach dem § 152a VwGO wie gesagt keine Rolle.
Mangels feststellbarer Verletzung des Anspruchs der Klägerinnen auf rechtliches Gehör im Zulassungsverfahren war ihre Anhörungsrüge zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO, 100 ZPO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr für das Anhörungsrügeverfahren (Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.