16.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234277
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 25.01.2023 – AnwZ (Brfg) 30/22
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den Richter Dr. Remmert und die Richterin Grüneberg sowie den Rechtsanwalt Dr. Kau und die Rechtsanwältin Schäfer
am 25. Januar 2023
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 12. August 2022 verkündete Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger ist seit 1986 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 3. Februar 2022 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ( § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ). Die Klage gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
2
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO ). Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch ist dem Anwaltsgerichtshof ein Verfahrensfehler unterlaufen ( § 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO ).
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1. Der Kläger macht geltend, in dem Schreiben des Anwaltsgerichtshofs vom 4. Mai 2022, mit dem der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2022 auf den 12. August 2022 verlegt worden sei, sei - anders als in dem Ladungsschreiben zum 24. Juni 2022 - kein Hinweis mehr enthalten gewesen, dass im Falle eines Ausbleibens auch ohne ihn, den Kläger, verhandelt und entschieden werden könne. Es sei auch nicht auf den Hinweis in dem früheren Ladungsschreiben Bezug genommen worden, so dass er davon habe ausgehen können, dass er auf jeden Fall die Möglichkeit habe, im Termin zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Es habe daher nicht verhandelt und entschieden werden können.
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Er sei aus zwingenden Gründen an der Wahrnehmung des Termins vom 12. August 2022 gehindert gewesen, weshalb der Termin habe verlegt werden müssen. Am Morgen dieses Tages habe seine einzige Büroangestellte telefonisch mitgeteilt, sie sei erkrankt und könne nicht zur Arbeit erscheinen. Da wegen des plötzlichen Ausfalls der einzigen Mitarbeiterin die Praxis nicht besetzt gewesen sei, habe er nicht zur Verhandlung am 12. August 2022 erscheinen können. Dies habe er dem Anwaltsgerichtshof telefonisch und mittels Telefax mitgeteilt. Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs vor, auf dem die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhe. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei ordnungsgemäßer Anhörung eine Entscheidung in seinem Sinne ergangen wäre. Der Anwaltsgerichtshof begründe in seiner Entscheidung vom 12. August 2022 nicht, warum er meine, verhandeln und entscheiden zu können, ohne im Termin rechtliches Gehör zu gewähren.
5
2. Diese Rügen begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch einen Verfahrensfehler i.S.v. § 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO .
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a) Das gilt zunächst insoweit, als das Umladungsschreiben des Anwaltsgerichtshofs vom 4. Mai 2022 keinen Hinweis gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 102 Abs. 2 VwGO darauf enthielt, dass beim Ausbleiben des Klägers am 12. August 2022 auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden konnte.
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Nach der Rechtsprechung des Senats kann, wenn ein Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO fehlt, jedenfalls bei einem nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten der Eindruck entstehen, dass im Falle seines Ausbleibens keine Sachentscheidung zu seinem Nachteil ergehen werde, er sich also auch später noch zur Sache einlassen könne (Senat, Beschluss vom 10. September 2020 - AnwZ (Brfg) 21/20 , juris Rn. 22 mwN). Verhandelt und entscheidet das Gericht trotz Abwesenheit eines anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten, ohne dass diesem bei der Ladung ein entsprechender Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO erteilt wurde, stellt dies grundsätzlich einen Verfahrensfehler und eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar (Senat, Beschluss vom 10. September 2020 aaO mwN).
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Es kann dahingestellt bleiben, ob letzteres auch bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten oder - wie hier - einem Beteiligten gilt, der selbst Rechtsanwalt ist (ebenfalls offengelassen in Senat, Beschluss vom 10. September 2020 aaO). Denn jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht gegeben. Mit dem - einen ausdrücklichen Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO nicht enthaltenden - Umladungsschreiben vom 4. Mai 2022 wurde der bisherige Verhandlungstermin vom 24. Juni 2022, zu dem mit Schreiben des Anwaltsgerichtshofs vom 21. März 2022 geladen worden war, auf den 12. August 2022 verlegt. Das Umladungsschreiben ist daher im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Ladungsschreiben vom 21. März 2022 zu sehen, in dem gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden war, dass im Falle eines Ausbleibens der Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann. Ob insoweit - wofür einiges spricht - Ladung und Umladung als Einheit zu betrachten sind mit der Folge der Unschädlichkeit eines fehlenden Hinweises nach § 102 Abs. 2 VwGO in der Umladung (so Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 16. Aufl., § 102 Rn. 16), bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls der Kläger als sich selbst vertretender Rechtsanwalt, von dem die Kenntnis der verfahrensrechtlichen Grundzüge zu erwarten ist, musste aufgrund des Hinweises nach § 102 Abs. 2 VwGO in dem (ersten) Ladungsschreiben vom 21. März 2022 davon ausgehen, dass der Anwaltsgerichtshof auch am 12. August 2022 ohne seine Anwesenheit verhandeln und abschließend entscheiden konnte. Ohnehin ist bei einem Rechtsanwalt die Kenntnis der zu den Grundlagen des Verfahrens zählenden Möglichkeit, bei Abwesenheit eines Beteiligten trotz Ladung eine abschließende Entscheidung zu treffen, vorauszusetzen (Senat, Beschluss vom 10. September 2020 aaO Rn. 23).
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Diese Möglichkeit war dem juristisch geschulten Kläger mit dem Ladungsschreiben vom 21. März 2022 in Erinnerung gerufen worden. Damit war im Verhältnis zu ihm als Rechtsanwalt dem Sinn und Zweck des § 102 Abs. 2 VwGO , nämlich einer Fehlvorstellung eines Beteiligten dahingehend vorzubeugen, dass im Falle seines Ausbleibens jedenfalls keine abschließende Sachentscheidung zu seinem Nachteil ergehen werde, er sich also auch später noch zur Sache einlassen könne, Genüge getan. Dies gilt umso mehr, als der Kläger keine Umstände vorträgt, die im Zeitraum zwischen dem ersten Ladungsschreiben vom 21. März 2022 und dem nur rund sechs Wochen später datierenden Umladungsschreiben vom 4. Mai 2022 Anlass zu der Annahme hätten geben können, der Anwaltsgerichtshof werde die mündliche Verhandlung nunmehr - entgegen seinem Hinweis in dem Schreiben vom 21. März 2022 - nicht ohne eine Teilnahme des Klägers durchführen und entscheiden. Vielmehr bestand für den Kläger angesichts dessen, dass er entgegen seiner Ankündigung in der Klageschrift seine Klage nicht begründet hatte, gerade Grund zu der Annahme, eine ihm nachteilige Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs werde auch ohne seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ergehen.
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Etwas Anderes folgt nicht aus den vom Kläger angeführten Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 19. Januar 2007 (VII B 137/06 , juris Rn. 5). Daraus, dass mit dem Hinweis in einem Umladungsschreiben auf die vorausgegangene Ladung und den darin enthaltenen Hinweis auf die Vorschrift des - § 102 Abs. 2 VwGO entsprechenden - § 91 Abs. 2 FGO alles Erforderliche veranlasst ist, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei Fehlen einer solchen Bezugnahme in einem Umladungsschreiben Sinn und Zweck des § 102 Abs. 2 VwGO - zumal gegenüber einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt - nicht Genüge getan wird.
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b) Der Anwaltsgerichtshof hat das rechtliche Gehör des Klägers auch nicht dadurch verletzt, dass er dessen am Tag der mündlichen Verhandlung vom 21. August 2022 gestelltem Terminverlegungsantrag nicht nachgekommen ist.
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aa) Gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 173 Satz 1 VwGO , § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen verlegt werden; nach § 227 Abs. 2 ZPO sind die erheblichen Gründe auf Verlangen des Vorsitzenden des Gerichts glaubhaft zu machen. Im Hinblick auf die durch einen Vermögensverfall indizierte Gefährdung der Interessen der rechtsuchenden Mandanten sind dabei an den Verhinderungsgrund und dessen Glaubhaftmachung strenge Anforderungen zu stellen (Senat, Beschlüsse vom 18. Mai 2020 - AnwZ (Brfg) 63/18 , juris Rn. 14 und vom 20. November 2017 - AnwZ (Brfg) 41/17 , juris Rn. 16).
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bb) Der Kläger hat den Terminverlegungsantrag vom 12. August 2022 damit begründet, dass sich seine einzige Mitarbeiterin gerade krank gemeldet habe, eine Ersatzkraft nicht zur Verfügung stehe und sein Büro somit an diesem Tag nur mit dem Kläger besetzt sei (Telefax-Schreiben vom 12. August 2022). Dieser Sachverhalt begründet keinen, eine Terminverlegung begründenden erheblichen Grund i.S.v. § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 173 Satz 1 VwGO , § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO .
14
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass in dem Zeitraum, in dem er wegen der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof in H. am 12. August 2022 nicht in seiner Kanzlei in D. hätte anwesend sein können, von ihm dort dringende und unaufschiebbare anwaltliche Aufgaben wahrzunehmen waren.
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Er war auch berufsrechtlich nicht verpflichtet, an diesem Tag ununterbrochen in seiner Kanzlei anwesend zu sein. Zwar ist der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Kanzleipflicht gemäß § 27 Abs. 1 BRAO verpflichtet, in der von ihm einzurichtenden Kanzlei zu den üblichen Geschäftsstunden normalerweise erreichbar zu sein und dem rechtsuchenden Publikum für anwaltliche Dienste zur Verfügung zu stehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 26/09 , NJW-RR 2009, 1577 Rn. 5 und vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 69/03 , juris Rn. 5; Weyland/Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 27 Rn. 5 f.; Siegmund in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 27 BRAO Rn. 24 und 27). Eine Erreichbarkeit "normalerweise" bedeutet aber nicht, dass der Rechtsanwalt ständig persönlich in der Kanzlei anwesend sein muss (Siegmund aaO). Die Kanzleipflicht erfordert auch nicht eine ausnahmslos durchgehende telefonische Erreichbarkeit der Kanzlei zu den üblichen Geschäftszeiten (vgl. hierzu im Einzelnen Siegmund aaO Rn. 65 mwN). Dies gilt jedenfalls für den vorliegenden Fall der Erkrankung der einzigen Mitarbeiterin des Rechtsanwalts und eines ihn persönlich betreffenden zeitgleichen, wichtigen Gerichtstermins. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Anbetracht der Entfernung der Kanzlei des Klägers in D. zum Anwaltsgerichtshof in H. und einer üblichen Verhandlungsdauer von nicht mehr als einer Stunde die Abwesenheitszeit des Klägers am 12. August 2022 nicht mehr als vier Stunden betragen hätte. Sie hätte zudem - die Verhandlung war auf 12:00 Uhr angesetzt - den Zeitraum von 12:30 Uhr bis 14:30 Uhr umfasst, in dem die Kanzlei des Klägers ausweislich der von ihm verwandten Kanzleibriefbögen ohnehin geschlossen ist.
III.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO .
Limperg
Remmert
Grüneberg
Kau
Schäfer