Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 18.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234751

    Amtsgericht Schwetzingen: Beschluss vom 23.01.2023 – 1 F 228/22

    Ein bestehendes Arzt-Patient-Verhältnis zwischen dem Richter und einem Verfahrensbeteiligten begründet die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 42 Abs. 2 ZPO in der Regel auch dann, wenn nicht die ärztliche Tätigkeit des Arztes Gegenstand des Verfahrens ist.


    Amtsgericht Schwetzingen

    Beschluss vom 23.01.2023


    In der Familiensache
    hat das Amtsgericht Schwetzingen durch den Richter am Amtsgericht xxx am 23.01.2023 beschlossen:

    Tenor:

    Das Ablehnungsgesuch der Antragsstellerin wird für begründet erklärt.

    Gründe

    A.

    Verfahrensgegenständlich ist Unterhalt für ein aus einer außerehelichen Beziehung hervorgegangenes Kind. Der Antragsgegner ist Zahnarzt. Der zuständige Abteilungsrichter teilte am 11.11.2022 den Beteiligten mit, dass er selbst Patient beim Antragsgegner ist und forderte die Beteiligten zur Stellungnahme auf. Mit Schriftsatz vom 18.11.2022 erklärte die Antragstellervertreterin, dass sie beantrage, dass der Richter für befangen erklärt werde und die Zuständigkeit wechsle. Mit Vermerk vom 09.01.2023 leitete der Abteilungsrichter die Akte weiter zur Prüfung des Antrags "im Hinblick auf die bedenkliche Gemengelage im Hinblick auf das vertrauliche Arzt-Patient-Verhältnis". Dies hat der Abteilungsrichter mit Vermerk vom 17.01.2023 konkretisiert.

    B.

    Das Ablehnungsgesuch ist zulässig und begründet.

    I.

    Der Schriftsatz der Antragstellervertreterin vom 18.11.2022 ist als Ablehnungsgesuch im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 42 Abs. 1 ZPO auszulegen. Der Antrag erfolgt zumindest implizit im Namen der ablehnungsberechtigten Antragstellerin.

    Ein Beschluss gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 45 Abs. 2 S. 1 ZPO ist nötig. Aus dem Vermerk des zuständigen Richters vom 09.01.2023 geht nicht hervor, dass der Richter selbst das Gesuch für begründet hält, sondern lediglich, dass er die Ablehnung nicht für unvertretbar hält.

    II.

    Auch inhaltlich ist die Ablehnung gerechtfertigt. Es liegt ein Grund vor, der im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 42 Abs. 2 ZPO geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

    Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder sich selbst befangen fühlt. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss vom 14. März 2003 - IXa ZB 27/03 -, Rn. 6, juris).

    Das Arzt-Patient-Verhältnis zwischen dem Richter und dem Antragsgegner ist als eine persönliche und rechtliche Beziehung zu qualifizieren, welche im Ergebnis ausreichend ist, für einen objektiven Beobachter Anlass zu Zweifeln zu geben.

    Die Rechtsprechung sieht die Besorgnis der Befangenheit beispielsweise in Arzthaftungsprozessen in der Regel als berechtigt, wenn der Richter selbst Patient des Arztes war oder ist (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 - 5 W 36/11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 - 13 W 22/19; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 - 5 U 1011/11). Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass zwischen dem Arzt und seinem Patienten immer ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, nicht nur in Einzelfällen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 - 5 W 36/11 -, Rn. 6, juris). Dies sei nur bei einmaligen, lange zurückliegenden oder weniger bedeutenden Maßnahmen nicht der Fall (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 - 13 W 22/19, Rn. 15, juris). Außerdem sei es nicht abwegig, wenn ein Beteiligter befürchte, der Richter könne Angst haben, ein negativer Ausgang des Prozesses für den Arzt könnte seine zukünftige Behandlung beeinflussen (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 - 5 U 1011/11 -, Rn. 3, juris).

    All diese Überlegungen sind nicht nur im Arzthaftungsprozess von Bedeutung, sondern auch in sonstigen Rechtsstreitigkeiten, zumindest solchen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Für die Frage, ob zwischen dem Arzt und dem Richter ein besonderes Verhältnis besteht, ist es allenfalls am Rande erheblich, ob Gegenstand des Verfahrens die ärztliche Tätigkeit ist oder nicht. Die Tatsache, dass der Patient seine gesundheitlichen Belange dem Arzt anvertraut und sich mit diesen in die Hände des Arztes begibt, ist in jedem Fall gegeben.

    Ebenso ist die Befürchtung, der Richter könne Folgen für seine eigene Behandlung besorgen, im Unterhaltsverfahren nicht weniger berechtigt.

    Daher kann auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses davon ausgegangen werden, dass ein Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen einem Verfahrensbeteiligten und dem Richter eine Besorgnis der Befangenheit regelmäßig begründet.

    Aus den Umständen des Einzelfalles ergibt sich nichts anderes. Der Richter hat angegeben, dass er seit etlichen Jahren regelmäßig zu Untersuchungen und Zahnreinigung in die Praxis des Antragsgegners geht. Auch wurde über vertrauliche gesundheitliche Belange gesprochen. Es besteht also eindeutig ein Vertrauensverhältnis. Auch hat der Rechtstreit für den Antragsgegner erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Die Unterhaltspflicht für ein Kind belastet ihn in erheblichem Umfang von langer Dauer.

    RechtsgebietUnterhaltsprozessVorschriften§ 113 Abs. 1 S. 1 FamFG i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO