12.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235702
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 21.12.2022 – 31 A 3242/21.O
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberverwaltungsgericht NRW
Tenor:
Die Berufung der Klägerin und die Berufung des Beklagten werden verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Gründe:
2
I.
3
Der am 00. P. 1960 geborene Beklagte wurde nach einer Ausbildung zum Forstwirt, dem Studium der Forstwirtschaft und dem Vorbereitungsdienst als Forstinspektoranwärter am 1. August 1994 bei der Klägerin als Revierförster angestellt. Am 3. Mai 2007 erfolgte die Beförderung zum Stadtforstamtsrat mit Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12. Seit dem 1. September 2001 übte er die Funktion des Leiters des Sachgebiets 103 ‒ Stadtforstbetrieb ‒ aus. Ausweislich der Stellenbeschreibung vom 16. Mai 2012 oblag ihm im Wesentlichen die administrative Leitung des Sachgebiets 63 (Stadtforstbetrieb), das Aufstellen der Wirtschaftsplanentwürfe, die Koordination und Durchführung der Holzernte und der Waldverjüngung, die Wegeunterhaltung und der Wegebau im Dienstbezirk sowie die Überwachung der Unterhaltung des Forstbetriebshofes und der Fahrzeuge, Werkzeuge und Geräte.
4
Mit Bescheid vom 14. November 2017 verbot die Klägerin dem Beklagten wegen einer festgestellten mangelhaften Organisation des Aufgabenbereichs und des Verdachts erheblicher Dienstpflichtverletzungen die Führung der Dienstgeschäfte und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der vor dem Verwaltungsgericht Minden erhobene Antrag des Beklagten auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wurde durch Beschluss vom 7. März 2018 abgelehnt (4 L 2616/17); die hiergegen erhobene Beschwerde wies das beschließende Gericht am 27. Juni 2018 zurück (6 B 359/18).
5
Am 21. November 2018 hat die Klägerin Disziplinarklage gegen den Beklagten erhoben. Darin wird ihm vorgeworfen, mehrfach und über eine lange Dauer seine Hingabepflicht durch eine bewusste und vorsätzliche Vernachlässigung der forstwirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Dienstaufgaben verletzt, gesetzliche forst- und betriebswirtschaftliche Grundsätze und Ministerialverordnungen schuldhaft missachtet und damit die Pflicht zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln und zur allgemeinorientierten Amtswaltung verletzt zu haben. Ferner habe er mehrfach Weisungen der Vorgesetzten missachtet, sie über den tatsächlichen Zustand im Stadtforst im Dunkeln gelassen und sie glauben lassen, dass er sein Arbeitsgebiet bewältige. Hierin liege ‒ angesichts der Beharrlichkeit, Dauer und Nachhaltigkeit der Verstöße gegen die dem Beklagten obliegenden Kernpflichten ‒ ein schweres Dienstvergehen, das mit einem vollständigen Vertrauensverlust einhergehe.
6
Mit dem angefochtenen Urteil vom 24. November 2021, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie dem Prozessbevollmächtigen des Beklagten jeweils am 30. November 2021 zugestellt, hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten wegen Dienstvergehens die Dienstbezüge um 8 % für die Dauer von drei Jahren gekürzt.
7
Gegen dieses mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil haben der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit beim Verwaltungsgericht am 22. Dezember 2021 eingegangenem Schriftsatz und der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit beim Verwaltungsgericht am 30. Dezember 2021 eingegangenen Schriftsatz jeweils Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern. Den Anträgen hat der Senatsvorsitzende mit Verfügungen vom 6. sowie 7. Januar 2022 entsprochen und die Frist zur Einreichung der Begründung der Berufungen bis zum 31. Januar 2022 verlängert. Dabei hat er zugleich auf § 64 Abs. 1 LDG NRW hingewiesen.
8
Am 28. Januar 2022 um 12.44 Uhr ging die Berufungsbegründung des Beklagten beim beschließenden Gericht ein. Die Berufungsbegründung der Klägerin ging am 31. Januar 2022 um 15.33 Uhr beim beschließenden Gericht ein. Mit Verfügungen vom 31. Januar 2022, erstellt um 17.30 bzw. 17.32 Uhr, veranlasste der Berichterstatter, den jeweiligen Eingang einer Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht zu prüfen und die eingegangenen Berufungsbegründungen im regulären Geschäftsgang an das Verwaltungsgericht weiterzuleiten. Ferner machte er die Klägerin und den Beklagten unter Bezugnahme auf die Eingangsverfügung auf die Senatsrechtsprechung aufmerksam, wonach auch in den Fällen der Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung durch den Senatsvorsitzenden deren Einreichungsort das Verwaltungsgericht ist.
9
Am 14. Februar 2022 ging beim Verwaltungsgericht eine Berufungsbegründung der Klägerin ein. Mit beim Verwaltungsgericht sowie beim Oberverwaltungsgericht am selben Tage eingegangenem Schriftsatz beantragte die Klägerin, ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, das Oberverwaltungsgericht sei aus Fürsorgepflicht zur (elektronischen) Weiterleitung des Schriftsatzes oder zumindest zur Absetzung eines unverzüglichen Hinweises verpflichtet gewesen. Beides sei nicht geschehen, obwohl das Hinweisschreiben bereits am 31. Januar 2022 verfasst worden sei. Der Disziplinarsenat habe die Berufung sehenden Auges in die Unzulässigkeit laufen lassen. Tatsächlich habe sie darauf vertrauen dürfen, dass der Schriftsatz noch fristgerecht (elektronisch) beim Verwaltungsgericht eingeht, nachdem der Formmangel noch am 31. Januar 2022 erkannt worden sei. Indem überdies kein unverzüglicher Hinweis an ihre Prozessbevollmächtigten erfolgt sei, habe das Oberverwaltungsgericht ihr die Gelegenheit verwehrt, den Fehler fristwahrend zu beheben. Der Übersendungsentscheidung vom 31. Januar 2022 habe die Rechtsauffassung zugrunde gelegen, dass es sich bei den Verfahrensregelungen des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW um eine ergänzungsbedürftige Vorschrift nach § 3 Abs. 1 LDG NRW handele. Mangels ausdrücklicher Regelung sei nicht davon auszugehen, dass sich die Formvorschrift des Satzes 2 uneingeschränkt auf den systematisch nachfolgend geregelten Fall der gewährten Verlängerung durch den Vorsitzenden des Disziplinarsenats erstrecken solle. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe der anderweitigen Rechtsauslegung eine klare Absage erteilt und durch Auslegung, insbesondere nach Systematik, Sinn und Zweck, eine Ausnahmeregelung erkannt. Es sei nicht ersichtlich, dass das Landesdisziplinargesetz eine von den Vorschriften der VwGO abweichende Regelung zum Adressaten des Berufungsbegründungsschriftsatzes etabliert habe. Auch nach Anwendung des klassischen Auslegungskanons verblieben Zweifel, dass allein das (für eine Entscheidung zwischenzeitlich unzuständige) Verwaltungsgericht Adressat der Berufungsbegründung sein solle. Es fehle sowohl an einer ausdrücklichen Regelung, wie nach der Gewährung der Fristverlängerung nach § 64 Abs. 1 Satz 3 LDG NRW zu verfahren sei, als auch an einer widerstreitenden Regelung. § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW selbst regele als verbundene Vorschrift einzig den Fall der Berufungseinlegung als auch der Begründung innerhalb der regulären Monatsfrist. Dass § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW hingegen einer Auftrennung seines Fristen- und Adressatenelements zugänglich sei, um so zu einem Widerspruch des Landesdisziplinargesetzes gegenüber der ausdrücklichen Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung zu gelangen, sei nicht zu erkennen. Mithin sei § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO ergänzend zur Auslegung der Form- und Verfahrensvorschrift des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW heranzuziehen, soweit nicht schon aus der Auslegung selbst ein Ausnahmetatbestand gesehen werde. In der Sache halte das Urteil des Verwaltungsgerichts einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme werde dem festgestellten Dienstvergehen nicht gerecht.
10
Am 15. Februar 2022 ging beim Verwaltungsgericht eine Berufungsbegründung des Beklagten ein. Mit beim Verwaltungsgericht am selben Tage eingegangenem Schriftsatz, datiert auf den 1. Februar 2022, beantragte auch der Beklagte, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, die Wiedereinsetzung werde auf eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht gestützt. Nachdem die Berufungsbegründung am Freitag, den 28. Januar 2022, eingereicht worden sei, hätte der mit Datum vom 31. Januar 2022 versehene, jedoch erst am 1. Februar 2022 übermittelte, Hinweis spätestens im Laufe des 31. Januar 2022 erteilt werden müssen. Dann hätte die Berufungsbegründung ohne weiteres noch beim Verwaltungsgericht eingereicht werden können. Zudem hätte die Berufungsbegründung vom 28. Januar 2022 an das Verwaltungsgericht weitergeleitet werden müssen. In rechtlicher Hinsicht sei den Ausführungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Einreichung der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht nichts hinzuzufügen. In der Sache sei das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen bzw. auf ein milderes Strafmaß zu erkennen. Selbst wenn man die vom Verwaltungsgericht festgestellten ‒ weiterhin angezweifelten ‒ Vorwürfe als zutreffend berücksichtigte, müssten diese nicht zwangsläufig zu einer Zurückstufung bzw. Reduzierung der Dienstbezüge herangezogen werden.
11
Mit Verfügung vom 16. November 2022 hat der Senat seine Absicht mitgeteilt, beide Berufungen durch Beschluss zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der einzuhaltenden Frist bei dem Verwaltungsgericht eingegangen seien und die jeweils beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme.
12
Hierzu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29. November 2022 Stellung genommen. Sie macht bezüglich ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend, sie habe die Frist zur Begründung der Berufung unverschuldet versäumt, da sie sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert habe. Darüber hinaus regt sie an, das Verfahren bis zum Abschluss des laufenden Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht (Az.: 2 B 49.21) nicht zu betreiben.
13
Die Klägerin beantragt,
14
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, sowie
15
das angefochtene Urteil zu ändern und die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen,
16
und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
17
Hilfsweise beantragt sie,
18
das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
19
Der Beklagte beantragt,
20
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, sowie
21
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen bzw. eine mildere Disziplinarmaßnahme zu bestimmen,
22
und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
23
Er macht geltend, die Berufungsbegründung sei fristwahrend eingereicht worden. Jedenfalls sei der Antrag auf Wiedereinsetzung begründet. Unabhängig hiervon sei er mit dem beantragten Ruhen des Verfahrens einverstanden.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten das Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Klägers Bezug genommen.
25
II.
26
Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 3 LDG NRW i.V.m. § 125 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, sind unzulässig und daher zu verwerfen.
27
1.
28
Die Klägerin und der Beklagte haben die Berufung erst nach Ablauf der mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 6. sowie 7. Januar 2022 bis zum 31. Januar 2022 verlängerten Frist gegenüber dem Verwaltungsgericht begründet. Die am 28. Januar (Beklagter) sowie 31. Januar 2022 (Klägerin) beim beschließenden Gericht eingegangenen Berufungsbegründungen wahrten diese Frist nicht. Denn gem. § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW ist die Berufung ‒ fristgerecht ‒ beim Verwaltungsgericht einzulegen und zu begründen. Mangelt es ‒ wie hier ‒ an diesem Erfordernis, ist die Berufung gem. § 64 Abs. 1 Satz 5 LDG NRW unzulässig.
29
2.
30
Die Tatsache, dass die Frist zur Begründung der Berufung durch den Senatsvorsitzenden jeweils antragsgemäß verlängert worden ist, führt nicht dazu, dass die Berufungsbegründung fristwahrend auch beim Berufungsgericht eingelegt werden kann.
31
a)
32
Dies hat der beschließende Senat bereits in seinem Urteil vom 20. März 2019 ‒ 3d A 4888/18.O ‒, juris Rn. 54 ff., wie folgt begründet:
33
„Der Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW, der die Einlegung und die Begründung der Berufung gegen eine Disziplinarklage hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterwirft ("und"), ist eindeutig. Er lässt keine Auslegung dahingehend zu, dass allein die Einlegung, nicht aber die Begründung beim Verwaltungsgericht erfolgen müsste. Eine Möglichkeit, die Berufung fristwahrend auch beim Oberverwaltungsgericht einzulegen oder zu begründen, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Dies lässt allein den Schluss zu, dass der Landesgesetzgeber im Disziplinarrecht eine alternative oder zusätzliche Möglichkeit, die Begründung der Berufung gegen Urteile in Disziplinarklagesachen beim Oberverwaltungsgericht einzureichen, nicht zulassen wollte. Demgegenüber war eine solche Möglichkeit in § 80 Satz 2 der Disziplinarordnung NRW für die Einlegung der Berufung in Disziplinarsachen noch ausdrücklich vorgesehen. Eine gleichartige Regelung besteht für die Einlegung der verwaltungsgerichtlichen Revision in § 139 Abs. 1 Satz 2 VwGO. § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO bestimmt für die isolierte (nachfolgende) Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Berufung das Oberverwaltungsgericht als ausschließlichen Adressaten.
34
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26.04.2016 - 3d A 1785/14.O -, juris Rn. 47.
35
Auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Wortlaut des Gesetzes ("einzulegen und zu begründen") insoweit eindeutig, als er sowohl die Einlegung als auch die Begründung der Berufung bei einer Disziplinarklage hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterwirft, nämlich der Einreichung beim Verwaltungsgericht.
36
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.05.2017 - 2 B 51.16 -, juris Rn. 12.
37
Etwas anderes gilt nicht deshalb, weil ‒ wie im Streitfall ‒ die Frist für die Berufungsbegründung verlängert worden ist. Denn eine Ausnahme für diesen Fall ist im Gesetz nicht vorgesehen.
38
Eine solche ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Darin heißt es zum gleichlautenden § 64 BDG, den der Landesgesetzgeber übernommen hat: "Satz 2 regelt die Frist und Form der Berufung, die innerhalb eines Monats bei dem Verwaltungsgericht eingelegt werden muss." (BT-Drucks. 14/4659, S. 50). Dagegen ist in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt, dass die Berufungsbegründung im Falle einer Fristverlängerung an das Oberverwaltungsgericht statt wie im Gesetz vorgesehen an das Verwaltungsgericht übermittelt werden darf.
39
Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls dagegen, dass die Berufung nach einer Fristverlängerung beim Oberverwaltungsgericht begründet werden darf. Denn im Gegensatz zu § 64 LDG NRW sieht § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO in der seit dem 1. September 2004 gültigen Fassung vor: "Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen." Eine solche Regelung fehlt in § 64 Abs. 1 LDG NRW. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Berufungsbegründung im Falle der Fristverlängerung durch den Vorsitzenden auch beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden kann, wäre erforderlich gewesen, eine vergleichbare Regelung in § 64 LDG NRW einzufügen.
40
Hinzu tritt, dass der Bundesgesetzgeber im Jahr 2006 § 64 BDG überarbeitet und an Änderungen der VwGO angepasst hat (BT-Drucks. 16/2253, S. 14). In diesem Zusammenhang hat er zwar § 64 Abs. 2 BDG an die Änderung von § 124a VwGO angepasst, nicht aber § 64 Abs. 1 BDG an die zum 1. September 2004 erfolgte Änderung des § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO, wonach die Berufungsbegründung im Falle der Fristverlängerung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden kann (s.o.). Wenn der Gesetzgeber auf diese Weise allein § 64 Abs. 2 BDG, nicht aber auch § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG an die erfolgten Änderungen in der VwGO anpasst, spricht auch dies dafür, dass es beim Wortlaut von § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW und damit bei unterschiedlichen Regelungen verbleiben sollte. Der Landesgesetzgeber hat ebenfalls lediglich § 64 Abs. 2 LDG NRW an die Änderungen der VwGO angepasst, nicht aber § 64 Abs. 1 (vgl. LT-Drucks. NRW 14/9308, S. 25 und 40).
41
Eine Auslegung von § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck erfordert kein anderes Ergebnis. Die Regelung ist eine Formvorschrift, die der Gesetzgeber in unterschiedlichster Weise ausgestalten kann. Art. 19 Abs. 4 GG oder der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK) rechtfertigen keine andere Auslegung, zumal der Berufungskläger durch die auch hier erfolgte Rechtsmittelbelehrung - ungeachtet zusätzlicher erläuternder Verfügungen - hinreichend geschützt ist.
42
Es ist nicht ersichtlich, dass dem Rechtsmittelführer durch die Regelung der Zugang zu der Berufungsinstanz unzumutbar oder sachlich nicht gerechtfertigt erschwert wird.
43
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2003 - 1 BvR 310/03 -, juris Rn. 8.
44
Etwaige Praktikabilitätsvorteile sind jedenfalls nicht so groß, dass sie eine Abkehr vom Wortlaut des Gesetzes erfordern oder rechtfertigen. Insbesondere genügt angesichts des klaren Gesetzeswortlauts hierfür nicht eine etwaige minimale Beschleunigung des Verfahrens."
45
b)
46
An diesen Erwägungen hat der Senat auch nach dem dem vorstehend zitierten Urteil nachgehenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2019 ‒ 2 B 25.19 ‒, demzufolge an Systematik und Normzweck der Regelungen orientierte prozessökonomische Erwägungen für die ausnahmsweise gegebene Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht für den Fall sprechen sollen, dass der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat, festgehalten. Dies hat er im Urteil vom 18. August 2021 ‒ 3d A 1185/20.O ‒ juris Rn.63 ff., wie folgt begründet:
47
„Den dortigen ‒ die Entscheidung nicht tragenden ‒ Ausführungen, "an Systematik und Normzweck der Regelungen (sic. § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW) orientierte prozessökonomische Erwägungen sprechen für die ausnahmsweise gegebene Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht in dem Fall, dass der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat", vermag der Senat keinen Grund zu entnehmen, der es rechtfertigte, vom eindeutigen Wortlaut der Vorschriften abzuweichen.
48
Ergänzend zu den vorstehenden Ausführungen ist Folgendes anzumerken:
49
1.
50
Die Entstehungsgeschichte des § 64 LDG NRW belegt, dass eine Ausnahme vom vorgesehenen Ort für die Einreichung der Berufungsbegründung im Fall der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden des Disziplinarsenats vom Gesetzgeber nicht gewollt war. In der Gesetzesbegründung zu § 64 BDG, den der Landesgesetzgeber ‒ in Anpassung des nordrhein-westfälischen Disziplinarrechts an das Disziplinargesetz des Bundes unter dem Aspekt der Rechtsvereinheitlichung im Bereich des Disziplinarrechts und in Verfolgung des Konzepts, eine Gleichbehandlung aller Beamtinnen und Beamten im Bundesgebiet zu gewährleisten ‒
51
vgl. LT-Drucksache NRW 13/5220, S. 2, 77 ‒
52
wortgleich übernommen hat, heißt es dazu:
53
"Das Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage kann wie bisher mit der Berufung angegriffen werden.
54
Die Einführung einer Zulassungsberufung entsprechend § 124 VwGO ist im Disziplinarklageverfahren nicht angezeigt. Während die Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren Entscheidungen zum Gegenstand haben, die von einer Ausgangsbehörde erlassen und anschließend von einer Widerspruchsbehörde und vom Verwaltungsgericht überprüft werden, hat im Disziplinarklageverfahren erst das Verwaltungsgericht die eigentliche Sachentscheidung getroffen.
55
Diese muss schon angesichts ihrer erheblichen Auswirkungen auf den Betroffenen ohne besondere Zulassungsvoraussetzungen durch eine zweite Instanz überprüfbar sein.
56
Satz 2 regelt die Frist und Form der Berufung, die innerhalb eines Monats bei dem Verwaltungsgericht eingelegt werden muss.
57
Die Regelungen zum Begründungszwang in den Sätzen 3 bis 5 sind in Anlehnung an § 124 Abs. 3 VwGO konzipiert."
58
Vgl. BT-Drucks. 14/4659, S. 50.
59
Während der Gesetzgeber zunächst der Einführung einer Zulassungsberufung nach dem Vorbild des § 124 VwGO in Disziplinarklageverfahren eine Absage erteilt, stellt er zu Satz 2 des § 64 BDG klar, dass hier Frist und Form der Berufungseinlegung geregelt werden sollen, ohne gesondert herauszustellen, dass Satz 2 auch die Begründung der Berufung regelt. Den Begründungszwang in § 64 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 BDG hat der Gesetzgeber dann in Anlehnung an § 124a Abs. 3 VwGO ‒ in der bis zum 31.12. 2001 geltenden Fassung, die der Gesetzgeber allein im Blick haben konnte ‒ konzipiert. Soweit in der Gesetzesbegründung dagegen von § 124 Abs. 3 VwGO die Rede ist, handelt es sich um ein offensichtliches redaktionelles Versehen, da § 124 VwGO in keiner seiner Fassungen über einen dritten Absatz verfügte, die Vorschrift ausdrücklich nur die Zulässigkeit der Berufung betrifft und sich lediglich in § 124a VwGO Regelungen zur Begründung der Berufung finden.
60
Die Regelungen in § 64 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 BDG entsprechen ‒ unter Anpassung an das Disziplinarverfahren ‒ wortgleich den Regelungen in § 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO, wenn es dort heißt:
61
"3 Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. 4 Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). 5 Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig."
62
Entscheidende Bedeutung für das Verständnis des § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG kommt dabei der Tatsache zu, dass der Gesetzgeber ausdrücklich nicht auf § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO, wonach "die Begründung ..., sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen" ist, Bezug genommen hat. Aus dieser ausdrücklichen Nichtübernahme der Konzeption des § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO in den § 64 BDG und der eindeutigen Regelung zur Einlegung und Begründung der Berufung in § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG folgt unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik, dass die Berufungsbegründung in Disziplinarklageverfahren ausschließlich beim Verwaltungsgericht einzureichen ist, und zwar unabhängig davon, ob es zu einer Verlängerung der Begründungsfrist durch den Senatsvorsitzenden gekommen ist oder nicht. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Berufungsbegründung im Falle der Fristverlängerung durch den Senatsvorsitzenden auch beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden kann, wäre es erforderlich - und ohne weiteres möglich - gewesen, eine dem § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO vergleichbare Regelung in § 64 BDG einzufügen. Hieran fehlt es.
63
Für eine insoweit bewusste Entscheidung des Gesetzgebers spricht auch die Regelung in Abs. 2 des § 64 BDG, der für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über eine Disziplinarverfügung insbesondere den § 124a VwGO in Gänze für anwendbar erklärt, für diese Fälle also ausdrücklich die Einreichung einer separaten Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht - nicht lediglich zulässt, sondern: - fordert.
64
2.
65
An Systematik und Normzweck der Regelungen orientierte prozessökonomische Erwägungen rechtfertigen nicht eine ausnahmsweise gegebene Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht in dem Fall, dass der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat.
66
A.A. BVerwG, Beschluss vom 22.07.2019 - 2 B 25.19 -, juris Rn. 8.
67
a)
68
Es ist bereits dargelegt worden, dass sich weder aus der Systematik noch aus dem Normzweck die Möglichkeit einer Einreichung der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht herleiten lässt. Darüber hinaus steht einem solchen Verständnis auch der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen, der eine abweichende Auslegung nicht zulässt.
69
Vgl. dazu auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.03.2003 - 1 BvR 310/03 -, juris Rn. 8.
70
Die Auslegung einer Rechtsnorm beginnt beim Wortlaut. Sie ist darauf gerichtet, den möglichen Sinngehalt eines Normtextes zu erfassen und zu ermitteln, was die Norm nach den Sprachgesetzen bedeuten kann.
71
Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 441.
72
Dabei stehen die grammatikalische Struktur der Norm, die logische Beziehung der einzelnen Gesetzesworte zueinander sowie die mögliche Bedeutung der einzelnen gesetzlichen Tatbestandsmerkmale selbst im Fokus der Auslegung.
73
Vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, S. 37 ff.
74
Der Wortlaut einer Norm gibt den möglichen Sinngehalt der gesetzlichen Aussage vor und markiert damit zugleich die Grenze der Auslegung.
75
Vgl. nur Zippelius, a.a.O., S. 39.
76
Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW und unter Berücksichtigung der dargestellten Entstehungsgeschichte der Vorschrift scheidet eine Auslegung in dem vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Sinne aus.
77
Der demgegenüber für den Fall der Verlängerung der Berufungsfrist vertretenen Auffassung, der Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW/BDG sei nicht eindeutig,
78
so OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 2008 - 21d A 956/07.BDG -, NVwZ-RR 2008, 844, juris Rn. 42,
79
steht bereits entgegen, dass der Wortlaut einer Regelung nicht auf der einen Seite eindeutig und auf der anderen Seite nicht eindeutig sein kann. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Wortlaut des § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW jedoch - wie bereits dargelegt - eindeutig.
80
b)
81
Das Argument,
82
vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.12.2010 - 2 B 66.10 -, juris Rn. 7,
83
dieses wortgetreue Verständnis lasse sich schwerlich mit der durch Satz 3 begründeten Zuständigkeit des Vorsitzenden des Berufungsgerichts für die Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vereinbaren, überzeugt nicht. Zwar ist mit dem Begriff des Vorsitzenden im Sinne des Satzes 3 der Vorsitzende des Berufungsgerichts gemeint und hat das Verwaltungsgericht nach Abschluss des erstinstanzlichen Disziplinarklageverfahrens keine Entscheidungszuständigkeiten mehr, da das Berufungsverfahren vollständig beim Oberverwaltungsgericht geführt wird. Dies führt jedoch nicht etwa dazu, dass eine Gesetzesauslegung dahingehend, gleichwohl bleibe der Ort für eine fristgerechte Einreichung der Begründung das Verwaltungsgericht, aus denklogischen Gründen unmöglich wäre. Vielmehr handelt es sich um reine Zweckmäßigkeitserwägungen. Das bestätigt das vom Bundesverwaltungsgericht in Bezug genommene Urteil des erkennenden Gerichts vom 20. Februar 2008 - 21d A 956/07.BDG -, NVwZ-RR 2008, 844, juris Rn. 42.
84
Dieses hatte aus der Befassung des Oberverwaltungsgerichts mit der Sache infolge der Berufungsfristverlängerung und dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht keinerlei Befugnis außer der Weiterleitung der Begründung mehr habe, geschlussfolgert, es gebe aus Gründen der Prozessökonomie in diesem Fall "keinen vernünftigen Grund", warum die Berufungsbegründung zwingend beim Verwaltungsgericht einzureichen sei.
85
Derartige - vermeintliche - Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen es indes nicht, entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die Möglichkeit einer fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht zuzulassen. Abgesehen davon führte eine solche Auslegung dazu, dass nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden des Disziplinarsenats die Berufungsbegründung fristgerecht bei zwei unterschiedlichen Stellen, nämlich gleichermaßen beim Verwaltungs- wie beim Oberverwaltungsgericht, eingereicht werden könnte. Dass die Einreichung beim Verwaltungsgericht in einem solchen Fall unzulässig sein könnte, wird soweit ersichtlich von niemandem vertreten. Eine solche Verdoppelung der Orte möglicher fristwahrender Vorlage der Berufungsbegründung kann kaum als "prozessökonomisch" bezeichnet werden. Sie schaffte Unbestimmtheiten in einem Bereich, in dem Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung ist. Nicht ohne Grund sieht § 64 Abs. 2 Satz 2 BDG / LDG NRW i.V.m. § 124a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 5 VwGO ‒ wie ausgeführt ‒ für Begründungen von Berufungen bzw. Berufungszulassungsanträgen u.a. in Anfechtungsverfahren gegen Disziplinarverfügungen die Einreichung ausschließlich beim Oberverwaltungsgericht vor.
86
c)
87
Auch das Übersenden der Verfahrensakten nach Eingang der Berufungsschrift von der ersten in die zweite Instanz rechtfertigt keine andere Beurteilung.
88
In Abgrenzung zur früheren Rechtslage sieht die aktuelle Fassung des § 124a VwGO, wie erörtert, sowohl für die Begründung der zugelassenen Berufung als auch für die Darlegung der Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, die Einreichung beim Oberverwaltungsgericht vor, so sie nicht mit dem instanzeinleitenden Schriftsatz erfolgt. Der (für die frühere Fassung nach dem Willen des Gesetzgebers bedeutsamen) Möglichkeit der ortsnahen Akteneinsicht beim Verwaltungsgericht kommt nach dem Verständnis des aktuellen Bundesgesetzgebers keine Bedeutung mehr zu. Das lässt den Rückschluss zu, dass dieser Gesetzgeber auch des § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG, mit dem § 64 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW übereinstimmt, der ‒ wie dargelegt ‒ die Regelung des § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO bewusst nicht in Bezug genommen hat, keine berücksichtigungsbedürftigen prozessökonomischen Unterschiede mit Blick darauf gesehen hat, ob Einreichungsort der Begründung und Verbleib der Akten auseinanderfallen.
89
Ob die Aufnahme einer dem § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechenden Regelung in § 64 Abs. 1 LDG NRW/BDG sinnvoll hätte sein können, wenn ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründung gestellt worden ist, weil das Oberverwaltungsgericht deshalb mit der Sache bereits befasst ist und das Verwaltungsgericht keinerlei Befugnis außer der Weiterleitung der Begründung hat,
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darauf stellt das OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 2008 - 21d A 956/07.BDG -, NVwZ-RR 2008, 844, juris Rn. 42, entscheidend ab,
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kann dahinstehen, nachdem der Gesetzgeber, wie dargelegt, von einer solchen Regelung Abstand genommen hat. Es ist angesichts der Gewaltenteilung nicht Sache der Gerichte, diese gesetzgeberische Entscheidung zu unterlaufen oder zu aktualisieren.“
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Hieran hält der Senat nach erneuter Prüfung auch unter Berücksichtigung dessen fest, dass das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich (wenngleich in anderer Besetzung als aktuell) in einem ähnlich gelagerten Fall die Revision wegen Divergenz zugelassen hat.
93
Maßgeblich für diese Haltung des Senats ist die Erwägung, dass der Wortlaut eines Gesetzes sowohl den Ausgangspunkt als auch (erst recht) die Grenze jeder zulässigen Auslegung bildet ‒ jedenfalls, soweit nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen Abweichendes geboten ist (wofür im Streitfall mit Blick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, wie er Berufungszulassung und Berufungsbegründung ‒ vgl. § 124a VwGO einerseits und §§ 64 BDG, 64 LDG NRW andererseits ‒ gestalten möchte, kein greifbarer Anhalt besteht).
94
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Kammerbeschluss vom 22.05.2022 ‒ 2 BvR 1667/20 ‒, juris Rn. 33 ff.
95
Wenn, soweit und solange nicht der Gesetzgeber selbst (hier: derjenige des Landes NRW als für das LDG NRW zuständiger) eine Rechtslage schafft, die etwa mit dem System der Berufungszulassung der VwGO (vgl. § 124a VwGO) übereinstimmt, sieht sich der beschließende Senat angesichts des Zweifel nicht aufkommen lassenden Wortlauts des § 64 Abs. 1 LDG NRW gehindert, die (bislang im Übrigen, soweit erkennbar, nicht mit ausgiebiger Begründung tragend geäußerte) Rechtsmeinung des zweiten Senats des Bundesverwaltungsgerichts unter Zurückstellung von Bedenken im Interesse der Rechtseinheitlichkeit mitzutragen. Dies ergibt sich aus dem in Art. 20 Abs. 2 GG angelegten Gedanken des Respekts gegenüber dem Gesetzgeber als einem der drei Träger der Staatsgewalt.
96
3.
97
Weder der Klägerin noch dem Beklagten ist wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren.
98
a)
99
Es kann nicht festgestellt werden, dass den Prozessbevollmächtigten beider Beteiligten kein ‒ der Klägerin respektive dem Beklagten gem. § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares ‒ Verschulden an der Fristversäumnis trifft und sie sich darauf verlassen durften, dass der rechtzeitige Eingang der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht die verlängerte Berufungsbegründungsfrist wahren würde.
100
Vgl. zu einem solchen Fall BVerwG, Beschlüsse vom 30.12.2010 ‒ 2 B 66.10 ‒, juris Rn. 5 ff., und vom 23.05.2017 ‒ 2 B 51.16 ‒, juris Rn. 13.
101
Die Beteiligten wurden schon durch die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung an das Verwaltungsgericht zu übermitteln ist. Derartiges ergibt sich ‒ wie ausgeführt ‒ auch ausdrücklich aus dem Gesetz. Es lag darüber hinaus keine einheitliche Rechtsprechung vor, nach der die Berufungsbegründung im Falle einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden des Disziplinarsenats ausnahmsweise beim Oberverwaltungsgericht statt beim Verwaltungsgericht eingelegt werden dürfte. Vielmehr ist die Berufungsbegründung nach gefestigter, mittlerweile mehr als fünf Jahre bestehender und entsprechend veröffentlichter Auffassung des beschließenden Senats auch im Falle der Fristverlängerung durch den Vorsitzenden beim Verwaltungsgericht einzureichen,
102
Vgl. z.B. OVG NRW, Urteile vom 18.08.2021 ‒ 3d A 1185/20.O ‒, juris Rn. 107, vom 20.03.2019 ‒ 3d A 4888/18.O ‒, vom 08.03.2017 ‒ 3d A 1815/13.O ‒, juris Rn. 49, und vom 11.01.2017 ‒ 3d A 204/16.O ‒, juris Rn. 24.
103
Hierauf hat der Senatsvorsitzende die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie des Beklagten zusätzlich mit Verfügungen vom 6. Januar 2022 und 7. Januar 2022 hingewiesen. Vor diesem Hintergrund greift der Einwand der Klägerin nicht durch, sie habe sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert, weshalb ihr mangels Verschuldens Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Es ist auch nichts dazu vorgetragen oder ersichtlich, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Beklagten den in diesen Verfügungen enthaltenen Hinweis nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen haben könnten. Das Gegenteil ergibt sich vielmehr daraus, dass die Beteiligten die hierin mitgeteilten Fristverlängerungen in Anspruch genommen haben.
104
b)
105
Da keine Verpflichtung des Gerichts besteht, die Beteiligten oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten,
106
vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.01.2001 ‒ 1 BvR 2147/00 ‒, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2019 ‒ 4 B 812/18 ‒, juris Rn. 9 m. w. N.,
107
durften die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie des Beklagten ‒ abgesehen davon, dass ein derartiger Hinweis des Senats den nachfolgenden Ausführungen entsprechend schon nicht innerhalb der Begründungsfrist zu erwarten gewesen wäre ‒ auch sonst nicht darauf vertrauen, rechtzeitig auf die Einlegung der Berufung bei dem zuständigen Gericht hingewiesen zu werden. Während des Laufs der Begründungsfrist sind die Beteiligten zudem, wie erwähnt, aus Gründen prozessualer Fürsorge vom beschließenden Senat auf die maßgebliche Rechtsvorschrift ausdrücklich hingewiesen worden.
108
c)
109
Auch eine im ordentlichen Geschäftsgang veranlasste Weiterleitung des Begründungsschriftsatzes des Beklagten vom 28. Januar 2022 sowie der Klägerin vom 31. Januar 2022 durch das Oberverwaltungsgericht an das Verwaltungsgericht hätte nicht dazu geführt, dass die Klägerin und der Beklagte die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bei dem Verwaltungsgericht noch hätten einhalten können, weshalb beiden auch mit Blick auf eine etwaige derartige Verpflichtung des Oberverwaltungsgerichts keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann.
110
aa)
111
Zwar mag ein unzuständiges Gericht jedenfalls dann, wenn es bereits mit der Sache befasst war, gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gehalten sein, einen bei ihm eingegangenen Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten,
112
vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.01.2018 ‒ 9 B 20.17 ‒, juris Rn. 6.
113
bb)
114
Die seitens des Gerichts noch am 31. Januar 2022 veranlasste Weiterleitung der Berufungsbegründungsschriftsätze der Klägerin und des Beklagten nach Durchlaufen des ordentlichen Geschäftsgangs ‒ der nach Eingang in der zentralen Poststelle und der Weiterleitung an die Serviceeinheit unter anderem die Vorlage an den Berichterstatter umfasst, der eine Weiterleitung zu veranlassen hat und sodann wiederum die Weitergabe an die auszuführende Serviceeinheit ‒ vermochte nicht mehr zu einem fristgemäßen Eingang beim Verwaltungsgericht zu führen.
115
Der am Freitag, dem 28. Januar 2022, um 12.44 Uhr eingegangene Berufungsbegründungsschriftsatz des Beklagten ist ‒ unter Berücksichtigung der Laufzeit von der zentralen Eingangsstelle des Oberverwaltungsgerichts bis zum Eingang des Schriftsatzes bei der Service-Einheit (= Geschäftsstelle), für die der Bundesgerichtshof einen Tag veranschlagt,
116
vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2020 ‒ IV ZB 18/19 ‒, juris, Rn. 15,
117
‒ dem ordentlichen Geschäftsgang entsprechend ‒ am nächsten Arbeitstag, dem 31. Januar 2022, vorgelegt worden. Unter weiterer Berücksichtigung des regelmäßigen Geschäftsgangs ‒ der nach Kenntnisnahme des Senatsvorsitzenden die Weiterleitung an den Berichterstatter umfasst, der sodann eine Weiterleitung zu veranlassen hat und sodann wiederum die Weitergabe an die auszuführende Serviceeinheit ‒ wäre der Schriftsatz frühestens am 1. Februar 2022 und damit nach Fristablauf beim Verwaltungsgericht eingegangen.
118
Gleiches gilt erst recht für den erst am letzten Tag der Frist, dem 31. Januar 2022 um 15.33 Uhr beim beschließenden Gericht eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz der Klägerin.
119
Gleichwohl hat das beschließende Gericht die Berufungsbegründungen entgegen der Auffassung der Klägerin gerade nicht sehenden Auges in die Unzulässigkeit laufen lassen. Beide Berufungsbegründungschriftsätze sind dem Berichterstatter von der Serviceeinheit noch am Montag, dem 31. Januar 2022, vorgelegt worden. Dieser veranlasste sodann schon am selben Tag, mit um 17.30 bzw. 17.32 Uhr erstellten Verfügungen, den jeweiligen Eingang einer Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht zu prüfen und die eingegangenen Berufungsbegründungen im regulären Geschäftsgang an das Verwaltungsgericht weiterzuleiten. Dies konnte indes erst am 1. Februar 2022 während der regelmäßigen Dienstzeit der Serviceeinheit erfolgen. Soweit beide Beteiligte darauf abstellen, die Schriftsätze hätten „ohne weiteres“ noch fristgerecht (elektronisch) an das Verwaltungsgerichts weitergeleitet werden müssen, blenden sie den dargelegten ordentlichen Geschäftsgang bei Gericht aus.
120
4.
121
Der von der Klägerin hilfsweise gestellte Antrag auf Ruhen des Verfahrens war abzulehnen, da die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Das Ruhen wäre vorliegend nicht zweckmäßig.
122
Gemäß § 251 Satz 1 ZPO, der gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO, 3 LDG NRW auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren entsprechend anwendbar ist, hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Zweckmäßig ist eine Ruhensanordnung im Allgemeinen dann, wenn mit hinreichender Sicherheit eine Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch andere Maßnahmen (Vergleichsverhandlungen, vorgreifliche Verfahren, Beweisaufnahmen usw.) zu erwarten ist.
123
vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 26.07.2004 ‒ 22 C 04.1198 ‒, juris Rn. 8.
124
Das Ruhen des Verfahrens ist gerade vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots im Disziplinarrecht unzweckmäßig. Eine Förderung des hiesigen Disziplinarklageverfahrens ist im Hinblick auf die klägerseits angeführte ausstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls nicht zu erwarten.
125
III.
126
Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
127
IV.
128
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 LDG NRW, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
129
V.
130
Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. §§ 125 Abs. 2 Satz 4, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen.