14.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237350
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.07.2023 – AnwZ (Brfg) 31/22
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, die Richterin Grüneberg, die Richterin Ettl sowie den Rechtsanwalt Dr. Lauer und die Rechtsanwältin Niggemeyer-Müller
am 19. Juli 2023
beschlossen:
Tenor:
Unter Zurückweisung der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden die Nichtzulassungsbeschwerde und der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 2. Juni 2022 verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Rechtsmittelverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger verzichtete im Jahr 2012 auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Am 6. Juli 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Wiederzulassung. Ohne dass die Beklagte den Antrag des Klägers zuvor abgelehnt hätte, hat der Kläger am 10. Juni 2021 mit dem Ziel der Wiederzulassung Klage erhoben. Mit Bescheid vom 15. Juni 2021 hat die Beklagte die Wiederzulassung des Klägers abgelehnt.
2
Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit Urteil vom 2. Juni 2022, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 22. September 2022, abgewiesen. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils lautet auszugsweise: "Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Anwaltsgerichtshof Berlin zu beantragen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt wird, beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzureichen."
3
Mit am 28. September 2022 beim Anwaltsgerichtshof Berlin - eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger "Nichtzulassungsbeschwerde" eingelegt. Mit am 21. November 2022 um 17.27 Uhr - ebenfalls beim Anwaltsgerichtshof Berlin - eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger das Rechtsmittel begründet. Der Anwaltsgerichtshof hat diesen Schriftsatz am 22. November 2022 postalisch an den Bundesgerichtshof weitergeleitet, wo er am 30. November 2022 eingegangen ist.
4
Mit Verfügung vom 9. Januar 2023 hat der Senat auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Hinblick darauf hingewiesen, dass allein der Antrag auf Zulassung der Berufung - und nicht die Nichtzulassungsbeschwerde - statthaft sei und die Rechtsmittelbegründung den Bundesgerichtshof nicht fristgerecht erreicht habe.
5
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2023 hat der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der unzutreffenden Bezeichnung des Rechtsmittels und des verspäteten Eingangs der Begründung des Antrags sowie die Zulassung der Berufung beantragt.
II.
6
Die am 28. September 2022 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers war zu verwerfen, da sie unzulässig ist.
7
Sie ist bereits unstatthaft. Statthaft ist allein der Antrag auf Zulassung der Berufung, was sich auch aus der Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Urteils ergibt (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO).
III.
8
Der Antrag auf Zulassung der Berufung war ebenfalls zu verwerfen.
9
1. Er ist nicht fristgerecht erhoben worden. Die Frist zur Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung beträgt einen Monat ab Zustellung des vollständigen Urteils. Die Frist lief mithin am Montag, den 24. Oktober 2022 ab (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 Alternative 1, § 187 Abs. 1 BGB).
10
a) Der Schriftsatz vom 26. Januar 2023 konnte die Frist damit nicht mehr wahren.
11
b) Eine Auslegung oder Umdeutung der bereits am 28. September 2022 erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde als (sodann fristgerechten) Antrag auf Zulassung der Berufung bzw. in einen solchen ist nicht möglich.
12
Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine "Berufung" oder "Revision" grundsätzlich nicht als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt oder in einen solchen umgedeutet werden kann (vgl. nur Beschlüsse vom 2. März 2022 - AnwZ (Brfg) 34/21, juris Rn. 5 ff. und vom 2. Juni 2017 - AnwZ (Brfg) 26/16, juris Rn. 8 ff.). Zum vorliegenden Fall der Falschbezeichnung als "Nichtzulassungsbeschwerde" bestehen keine wesentlichen Unterschiede, zumal es eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Urteile anderweitig - nämlich bei Ausschluss der Berufung und gegen die Nichtzulassung der Revision (§§ 135, 133 Abs. 1 VwGO) - tatsächlich gibt. Zwischen dem Antrag auf Zulassung der Berufung und der Nichtzulassungsbeschwerde bei der Revision bestehen nicht unwesentliche Unterschiede (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 5 LA 230/09, juris Rn. 4).
13
Die Ansicht des Klägers, wonach die Falschbezeichnung als unschädlich anzusehen sei, trifft daher nicht zu, was er letztlich auch einräumt, wenn er sich auf eine - tatsächlich nicht bestehende - Hinweispflicht des Anwaltsgerichtshofs beruft.
14
2. Selbst wenn man eine Auslegung oder Umdeutung der Nichtzulassungsbeschwerde als bzw. in einen Antrag auf Zulassung der Berufung zulassen wollte, wäre dieser Antrag nicht innerhalb der zweimonatigen Frist begründet worden und deshalb unzulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5 VwGO).
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a) Das vollständige Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. September 2022 zugestellt worden. Die zweimonatige Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Bundesgerichtshof lief daher am 22. November 2022 ab (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 Alternative 1, § 187 Abs. 1 BGB). Die Begründung ist erst am 30. November 2022 beim Bundesgerichtshof - und damit verfristet - eingegangen. Dass der Kläger die Begründung bereits am 21. November 2022 - und damit innerhalb der Frist - beim Anwaltsgerichtshof eingereicht hat, ist nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2022 - AnwZ (Brfg) 17/22, juris Rn. 5 mwN).
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b) Die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung ist auch durch die Zustellung des vollständigen Urteils in Gang gesetzt worden, weil - anders als der Kläger meint - die Rechtsmittelbelehrung im angegriffenen Urteil nicht unrichtig war (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 58 Abs. 1, 2 Satz 1 VwGO).
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Zwar ist nicht nur über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, sondern auch über dessen Sitz zu belehren. Dies ist aber mit dem Hinweis auf den Sitz in Karlsruhe geschehen. Die Angabe der postalischen Anschrift, also die Bezeichnung von Postleitzahl, Straße und Hausnummer, erfordert § 58 Abs. 1 VwGO dagegen nicht (vgl. BVerwGE 25, 261, 262; BVerwG, NVwZ 1991, 261). Dies gilt nach Einführung der Pflicht, schriftliche Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln (vgl. § 55d VwGO), erst recht, weil die postalische Anschrift in diesem Zusammenhang nicht weiterhilft.
18
Anders als der Kläger meint, muss die Rechtsmittelbelehrung auf die Nutzungspflicht nach § 55d VwGO nicht hinweisen. So ist auf die Formvorschrift, den Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO), nicht zwingend hinzuweisen (BVerwG, NJW 1979, 1670). Für andere Formvorschriften gilt nichts Anderes (vgl. BeckOK VwGO/Kimmel, 64. Edition, § 58 Rn. 19). Eine Hinweispflicht ergibt sich auch nicht aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG), zumal § 55d VwGO nur auf Rechtsanwälte, Behörden und vertretungsberechtigte Personen - und damit nicht auf den juristischen Laien - Anwendung findet.
IV.
19
Dem Kläger war auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 60 VwGO). Der zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet, weil der Kläger nicht ohne Verschulden an der rechtzeitigen Einlegung des Zulassungsantrags und am Einhalten der Antragsbegründungsfrist gehindert war.
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1. Sowohl aus der Rechtsmittelbelehrung im angegriffenen Urteil als auch aus dem Gesetz ergibt sich, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung das allein statthafte Rechtsmittel ist. Die gesetzliche Regelung muss der Prozessbevollmächtigte des Klägers kennen, was dem Kläger zuzurechnen ist (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO).
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Auch ist das Verschulden des Klägers nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Anwaltsgerichtshof - wie der Kläger meint - auf die falsche Rechtsmittelbezeichnung hätte hinweisen müssen. Dies würde die - grundsätzlich bestehende - nachwirkende Fürsorgepflicht des Anwaltsgerichtshofs überspannen. Auf die falsche Bezeichnung eines Rechtsmittels muss ein mit der Sache befasst gewesenes Gericht ebenso wenig hinweisen wie auf die Erhebung beim unzuständigen Gericht (hierzu BVerfG, NJW 2001, 1343 mwN).
22
Mit der Entscheidung des Rechtsstreits ist die Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs grundsätzlich erloschen. Insbesondere besteht nach Erlass des Urteils keine Möglichkeit des Anwaltsgerichtshofs, die Berufung noch zuzulassen; die Möglichkeit der Zulassung der Berufung besteht allein im Urteil (§ 112e Satz 2, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Bei einem Antrag auf Zulassung der Berufung besteht auch - anders als bei der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 5 Satz 1 VwGO) - keine Abhilfekompetenz des Ausgangsgerichts. Damit korrespondiert, dass auch keine Hinweispflichten des Gerichts mehr bestehen.
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2. Die Obliegenheit, die Begründung beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzureichen, ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung. Zudem ergibt sie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO), den der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Rechtsanwalt kennen muss und dessen Verschulden dem Kläger zuzurechnen ist (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO).
24
Das Verschulden wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anwaltsgerichtshof seine Fürsorgepflicht verletzt hätte. Zwar ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn ein Schriftsatz beim unzuständigen, aber ehemals mit der Sache befassten Gericht fristgerecht eingeht und der Schriftsatz bei Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang das zuständige Gericht noch fristgerecht erreicht hätte. In einem solchen Fall wirkt sich der Fehler des Beteiligten oder seines Prozessbevollmächtigten nämlich nicht mehr aus (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.
25
Der Schriftsatz mit der Begründung des Zulassungsantrags hat den Anwaltsgerichtshof am 21. November 2022 um 17.27 Uhr - also einen Tag vor Fristablauf, jedoch bereits nach Ende der üblichen Dienstzeiten - erreicht. Am 22. November 2022, also bereits am Tag nach Eingang des Schriftsatzes, hat der Justizbeschäftigte des Anwaltsgerichtshofs die Weiterleitung des Schriftsatzes vom 21. November 2022 per Post veranlasst. Der Schriftsatz hat den Bundesgerichtshof zwar aus Gründen, die der Akte nicht zu entnehmen sind, erst am 30. November 2022 erreicht. Unabhängig von der Frage, ob die Verzögerung noch im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs liegt, hätte die Verfügung des Anwaltsgerichtshofs mit dem klägerischen Schriftsatz den Bundesgerichtshof postalisch jedoch frühestens am 23. November 2022 und damit nach Fristende erreicht.
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Anders als der Kläger meint, hätte die Übersendung auch nicht elektronisch erfolgen müssen. Eine aktive Nutzungspflicht des Elektronischen Gerichts- und Behördenpostfachs - analog zur aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (vgl. etwa § 55d VwGO) - besteht für Gerichte (jedenfalls noch) nicht. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers behauptet, davon ausgegangen zu sein, dass auch die Kommunikation innerhalb der Justiz "per beA" stattfinde, ändert daran nichts. Die Fürsorgepflicht des ehemals mit der Sache befassten Gerichts umfasst die zügige Weiterleitung von Schriftsätzen an das zuständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs. Das unzuständige Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, dem zuständigen Gericht die Schriftsätze unter höchster Beschleunigung und Nutzung sonst nicht eingesetzter Übermittlungswege zukommen zu lassen. Eine solche Verfahrensweise liegt erkennbar jenseits der Anforderungen des "ordentlichen Geschäftsgangs".
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Eine Pflicht, den Kläger über die Wahl des Postwegs statt des elektronischen Wegs zu unterrichten, besteht entgegen der Auffassung des Klägers ebenfalls nicht. Dies ist insbesondere nicht der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen (BVerfG, NJW 1995, 3173). Vielmehr darf die Fürsorgepflicht der Gerichte im Hinblick auf Schutz vor weiterer Belastung im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit nicht überspannt werden (vgl. BVerfG aaO S. 3175), was allerdings der Fall wäre, wenn man unzuständigen Gerichten - neben Weiterleitungspflichten - Hinweispflichten aufbürden würde (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343 mwN).
V.
28
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
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