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  • 15.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238291

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 04.09.2023 – 4 U 1126/23

    Enthält ein satirischer Beitrag eine unrichtige Tatsachenbehauptung, kommt es für die rechtliche Beurteilung darauf an, ob für den Empfänger die typische Verfremdung oder Übertreibung dieses Genres erkennbar ist.


    Oberlandesgericht Dresden

    Beschluss vom 04.09.2023


    In dem Rechtsstreit
    C... L..., ...
    - Klägerin und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt S..., ...
    gegen
    1. H... B..., ...
    - Beklagter und Berufungsbeklagter -
    2. J... L..., ...
    - Beklagter und Berufungsbeklagter -
    Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
    Rechtsanwälte S... & G..., ...

    wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld
    hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
    xxx
    ohne mündliche Verhandlung am 04.09.2023 beschlossen:

    Tenor:

    1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
    2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
    3. Der Verhandlungstermin vom 10.10.2023 wird aufgehoben.
    4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren soll auf 10.000,- € festgesetzt werden.

    Gründe

    Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

    I.

    Die Klägerin ist Rechtsanwältin und hat den Beklagten zu 1) in einem Einspruchsverfahren vor dem Amtsgericht Leipzig vertreten. Über die Verhandlung hat der Beklagte zu 1) einen Artikel in der vom Beklagten zu 2) verlegten "...-..." Nr. 0/0000 veröffentlicht. Die Klägerin meint, durch verschiedene Äußerungen dieses Artikels schwerwiegend in ihrem Persönlichkeitsrecht und ihrer Würde als Organ der Rechtspflege verletzt zu sein. Sie hält hierfür eine Geldentschädigung in Höhe von mindestens 10.000,- € für gerechtfertigt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Ansinnen weiter.

    II.

    Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin in dem Artikel aufgrund des Hinweises auf die "gute Anwältin, zu finden auf Seite 21 dieser Ausgabe" in Verbindung mit der dort auffindbaren Annonce erkennbar dargestellt ist. Dies lässt die Berufung als ihr günstig unbeanstandet. Ein Anspruch auf eine Geldentschädigung folgt hieraus indes nicht. Nach ständiger Rechtsprechung begründet eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung nur dann, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (statt aller  BGH, Urteil vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14 -, Rn. 33, juris vgl. auch BVerfG, NJW 2004, 591, 592  [BVerfG 26.08.2003 - 1 BvR 1338/00]; Senat,  Beschluss vom 13. April 2023 - 4 W 198/23 -, Rn. 12, juris). Vorliegend fehlt es bereits an einer Persönlichkeitsrechtsverletzung. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin die in dem Artikel enthaltene Berichterstattung über ihr - in die Sozialsphäre fallendes - Auftreten in einem Einspruchsverfahren über eine Verkehrsordnungswidrigkeit hinnehmen muss.

    Die hiergegen mit der Berufung erhobenen Bedenken verkennen den anzusetzenden Prüfungsmaßstab. Wie aus der Überschrift "Blitzer-Ärgernis - Fahre nie bei Gelb ..." und dem durchgängig im Plauderton gehaltenen Artikel für den Durchschnittsleser erkennbar wird, handelt es sich hierbei um eine satirisch angelegte Glosse des Beklagten zu 1) über eine Gerichtsverhandlung in eigener Sache, der kolportagehaft gängige Klischees über die Justiz ("Treppen und Flure wie aus "Soko Leipzig" und "Tatort", "Vergitterte Fenster" "wartete die Zeit, die der Amtsschimmel durchtraben musste") reproduziert und nach Art einer Fabel mit einer abschließenden Moral ("die Häscher lauern überall, um dir finanziell das Fell über die Ohren zu ziehen") versehen ist. In diesen Kontext reiht sich die ebenfalls klischeehafte Beschreibung der Klägerin als Rechtsanwältin ein, der ein "filmreifer Auftritt" bescheinigt wird, bei dem sie mit "Gesetzen und Paragrafen ... abrufbereit angefüllt" gewesen sei. Von einem solchen Artikel erwartet der Leser keine Information, sondern vorrangig Unterhaltung. Der Satire ist die Verfremdung, Verzerrung und Überzeichnung wesenseigen. Wird die beanstandete Äußerung im Rahmen eines satirischen Beitrags gemacht, ist sie daher nach ständiger Rechtsprechung zur Ermittlung ihres eigentlichen Aussagegehalts zunächst von ihrer satirischen Einkleidung zu befreien. Aussagekern und Einkleidung sind sodann einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zu unterziehen, wobei die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind als die für die Bewertung des Aussagekerns. Enthält der satirische Beitrag eine unrichtige Tatsachenbehauptung, so kommt es für die rechtliche Beurteilung auch darauf an, ob für den Empfänger erkennbar ist, dass es sich dabei um eine für die Satire typische Verfremdung oder Übertreibung handelt, er sie also für seine Meinungsbildung bewertend einordnen kann, oder ob er zu der irrigen Einschätzung kommen kann, die Aussage sei tatsächlich wahr ( BGH v. 7.12.1999 - VI ZR 51/99BGHZ 143, 199 (209);  BGH v. 10.1.2017 - VI ZR 561/15 , ZUM-RD 2017, 254 Rz. 12 und 562/15, AfP 2017, 157 Rz. 14;  BVerfG v. 25.3.1992 - 1 BvR 514/90 , BVerfGE 86, 1 (12);  BVerfG v. 12.11.1997 - 1 BvR 2000/96 , AfP 1998, 52;  BVerfG v. 14.2.2005 - 1 BvR 240/04 , AfP 2005, 171 (172); vgl. zur Satire auch EGMR v. 1.6.2017 - 55537/10 Rz. 33).

    Auf dieser Grundlage ist hier für den Durchschnittsleser erkennbar, dass es sich bei dem Vergleich des Erscheinungsbilds der Klägerin im Gerichtssaal mit dem Auftreten einer "Dame vom Escort-Service" nicht um die Behauptung handelt, die Klägerin selbst übe einen solchen Beruf aus oder biete sexuelle Dienstleistungen an. Vielmehr handelt es sich hierbei um die satirische Einkleidung, mit der der Beklagte zu 1) seinen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der Klägerin wiedergibt, der er einen "filmreifen Auftritt" attestiert. Dass er dabei die Begriffe "elegant, selbstbewusst und attraktiv" mit dem Bild einer "Dame vom Escort-Service" gleichsetzt, lässt lediglich den Schluss zu, dass es sich hierbei in den Augen des Verfassers um dessen eigenen Referenzpunkt für Eleganz handelt, setzt die Klägerin jedoch erkennbar nicht auf eine Stufe mit einer Prostituierten, wobei auch darauf hinzuweisen ist, dass gerade im Bereich der Satire - wie auch hier - die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs oft überschritten werden, eine "Niveaukontrolle" indes nicht stattfinden darf ( BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 -,  BGHZ 143, 199-213, Rn. 43). Da die Kleidung der Klägerin in dem Artikel in keiner Weise näher beschrieben wird, kann dem Artikel auch nicht die tatsächliche Behauptung entnommen werden, sie sei dort aufreizend oder übertrieben freizügig aufgetreten. Dass die Klägerin "filmreif" in den Gerichtssaal "hereingeschwebt" sei, ist ebenfalls für den Leser erkennbar dem satirischen Charakter des Gesamtartikels geschuldet, der durch eine unernste und bis hin zu Albernheiten geprägte Sprache gekennzeichnet ist. Dem von dieser satirischen Einkleidung befreiten Aussagekern lässt sich insofern nur entnehmen, dass die Klägerin mit großem Ernst und erheblichem Aufwand, letztlich aber ohne Erfolg die vom Beklagten zu 1) angestrebte Einspruchsverhandlung betrieben hat. Darin liegt indes keine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts.

    Zu Recht als fernliegend hat das Landgericht auch die Ansicht der Klägerin angesehen, der Artikel enthalte die tatsächliche Behauptung, sie sei verspätet zu dem Gerichtstermin erschienen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat darauf Bezug. Es liegt im Übrigen auf der Hand, dass eine solche Behauptung, selbst wenn sie unrichtig wäre, eine Geldentschädigung nicht rechtfertigen kann, schon gar nicht in der von der Klägerin angestrebten Höhe von mindestens 10.000,- €. Gleiches gilt auch für den Satz "Was hatte ich mir da eingebrockt, wegen eines Ampelblitzes so einen Aufriss zu machen! ... Aber meine Anwältin hatte mir ja zugeraten. Jetzt gab es kein Zurück, ich war drin, nun musste ich die Suppe auch auslöffeln ...", in dem der Verfasser selbstkritisch einräumt, es sei wohl übertrieben gewesen, wegen einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit eine mündliche Hauptverhandlung anzustreben. Anders als die Klägerin meint, wird hiermit aber nicht behauptet, sie habe die "autonome Entscheidung" des Beklagten zu 1) übergangen und gegen dessen Willen zu einem solchen Prozess "gedrängt". Jenseits der satirischen Einkleidung enthält dieser Absatz lediglich die Behauptung, die Rechtsverfolgung sei dem Beklagten zu 1) von der Klägerin angeraten worden. Bestandteile dieses Rats werden auch im Eingangsteil dieses Artikels ("Vielleicht ginge es sogar ohne Verfahren ab, das möglicherweise wegen Geringfügigkeit eingestellt würde. Wäre schon dagewesen.") wiedergegeben. Auch der vorletzte Absatz des Artikels ("wenige Tage zuvor bei gleichem Vergehen an gleicher Ampel das Verfahren eingestellt worden wäre, hatte sie [die Kl.] deutlich zu verstehen gegeben") lässt den Umfang der Beratungsleistung der Klägerin erkennen, den diese auch nicht als unzutreffend gerügt hat. Aus dem fünften Satz des Artikels "Passieren kann nichts, denn im Verliererfall zahlt der Rechtsschutz." wird zudem deutlich, dass die Klägerin den Beklagten zu 1) auch darauf hingewiesen hat, dass der Erfolg eines Einspruchs nicht garantiert sei. Die bloße Behauptung, ein Rechtsanwalt habe dem Mandanten trotz ungewisser Erfolgsaussicht zu einem bestimmten Vorgehen geraten, stellt aber keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Anwalts dar. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt aus dem Anwaltsvertrag mit dem Mandanten zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist ( BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 261/03BGHZ 171, 261 Rn. 9 mwN; vom  21. Juni 2018 - IX ZR 80/17WM 2018, 1988 Rn. 8; vom  16. September 2021 - IX ZR 165/19DB 2021, 2484 Rn. 27; st. Rspr.). Über die Beschreibung eines solchen Vorgehens geht der Artikel an keiner Stelle hinaus. Dass er sich hierbei einer satirischen Sprache bedient, muss die Klägerin hinnehmen, eine allgemein schützenswerte "Anwaltswürde" kann sie nicht für sich in Anspruch nehmen.

    Der Senat rät angesichts dessen zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

    RechtsgebietPersönlichkeitsrechtsverletzungVorschriftenArt. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 823 Abs. 1 BGB; § 1004 BGB