14.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239735
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 04.01.2024 – 3 ORs 87/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht, 3. Strafsenat
Beschluss vom 4. Januar 2024
(561) 231 Js 2367/22 Ns (50/23)
In der Strafsache gegen
X
wegen Nötigung
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 4. Januar 2024 beschlossen:
- Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.
- Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e:
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Berlin die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. März 2023 verworfen.
Gegen das auf einen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch erfolgte amtsgerichtliche Erkenntnis hat die für die Angeklagte gemäß § 138 Abs. 2 StPO als Wahlverteidigerin zugelassene K. W. mit am 17. März 2023 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz per Telefax Rechtsmittel eingelegt.
In der Folge hat das Landgericht Berlin Termin zur Berufungshauptverhandlung anberaumt und die Berufung der Angeklagten verworfen. Als weitere Wahlverteidigerinnen hat es gemäß § 138 Abs. 2 StPO L. L. und C. M. zugelassen. Gegen das Urteil hat die Angeklagte am 19. Oktober 2023 persönlich Rechtsmittel eingelegt. Die Revisionsbegründung gegen das am 2. November 2023 zugestellte Urteil ist mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023 durch L. L. per Telefax erfolgt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, weil der sie begründende Schriftsatz entgegen der § 32d StPO nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden und daher unwirksam sei.
II.
Die Revision der Angeklagten war als unzulässig zu verwerfen.
1a) Die Revision ist unzulässig, da sie nicht formgerecht im Sinne des § 32d Satz 2 StPO erfolgt ist. Nach § 341 Abs. 1 StPO muss die Revision bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils eingelegt und gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen eines Monats nach Ablauf dieser Frist begründet werden. Verteidiger und Rechtsanwälte müssen (auch) die Begründung der Revisionsanträge gemäß dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden, durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208, 2210) eingeführten § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument übermitteln. Nach dem Gesetzeswortlaut, dem Zusammenhang und insbesondere der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Prozesshandlung; ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BT-Drucks. 18/9416 S. 51; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 ‒ 4 StR 68/22 ‒, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Februar 2022 ‒ 1 Ss 28/22 ‒, juris; KK-StPO/Graf 9. Aufl., § 32d Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl., § 32d Rn. 2).
b) Dem genügt die allein durch Telefax am 1. Dezember 2023 eingelegte Revisionsbegründung nicht, denn die von der Angeklagten gewählte und vom Gericht zugelassene Verteidigerin L. L., die für die Angeklagte das Rechtsmittel begründen konnte, musste dies ‒ ebenso wie Rechtsanwälte ‒ in Form eines elektronischen Dokuments tun. Denn der eindeutige Wortlaut von § 32d StPO sieht die in Satz 2 normierter Verpflichtung gerade nicht nur für Rechtsanwälte, sondern für "Verteidiger und Rechtsanwälte" vor (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416 S. 51: "§ 32 StPO-E beschränkt die Nutzungspflicht von vornherein auf Verteidiger und Rechtsanwälte"). Die Angeklagte hat hier zu Beginn der Hauptverhandlung am 13. Oktober 2023 vor dem Landgericht Berlin ihre (weiteren) Verteidigerinnen gewählt und diese haben die Wahl angenommen. Mit der Genehmigung durch das Landgericht Berlin durch Beschluss vom selben Tag ist das Verteidigungsverhältnis wirksam entstanden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 138 Rn. 10), unabhängig davon, ob die Wahlverteidigerin entgeltlich oder unentgeltlich für die Angeklagte tätig geworden ist (vgl. Meyer-Goßner-Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn. 4).
Raum für eine teleologische Reduktion von § 32d S. 1 StPO dahin, Verteidiger, die nicht Rechtsanwälte sind, vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Personenkreis von der Norm nicht erfasst werden sollte. In der Gesetzesbegründung wird deutlich gemacht, dass dieses besondere Formerfordernis nicht für Beschuldigte, nicht vertretene Nebenkläger und sonstige Verfahrensbeteiligte gelten soll (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Ausgenommen werden sollte also vor allem der "einfache" Bürger in seinem Kontakt mit der Strafjustiz, dessen Zugang nicht erschwert werden sollte (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416, S. 2 f.) Daraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die am Verfahren beteiligten Beistände von Beschuldigten vollständig erfasst werden sollten. Dafür spricht schließlich auch der Sinn und Zweck der Norm, denn eine elektronische Aktenführung kann nur dann die damit verbundenen Vorteile voll umfänglich entfalten, wenn möglichst alle Prozessbeteiligten ihre Beiträge systemgerecht einreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juni 2022 ‒ 3 Ws (B) 123/22 - 122 Ss 58/22 ‒, juris; KK-StPO/Graf, a.a.O., § 32d Rn. 1). Folglich sollte der davon ausgenommene Personenkreis möglichst klein bleiben (vgl. Senat, a.a.O.)
2a) An dem vorstehenden Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass bereits die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 10. März 2023 nicht form- und fristgerecht gemäß §§ 314 Abs. 1, 32d S. 2 StPO erfolgt ist. Gegen dieses Urteil ist nämlich ebensowenig wirksam Berufung eingelegt worden, wie gegen das nunmehr angefochtene die Revisionsbegründung wirksam erfolgt ist. Denn die am 17. März 2023 durch die Wahlverteidigerin K. W. per Telefax eingelegte Berufung entsprach ebenfalls nicht den gesetzlich zwingenden Vorschriften und war damit unwirksam. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Prozessordnungsgemäß hätte die Berufung demnach als unzulässig verworfen werden müssen. Dem Verfahren dürfte damit das Prozesshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft als Befassungsverbot entgegengestanden haben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 143, 171). Maßgeblich für die Rechtskraft ist der Fristablauf, wobei sich stets die Problematik der Verknüpfung von Form und Frist ergibt. Eine Berufung ist verspätet ‒ und das angefochtene Erkenntnis damit ohne weiteres rechtskräftig ‒ wenn sie nicht innerhalb der Frist in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingeht (vgl. MüKoStPO/Quentin 2. Aufl., § 319 Rn. 2; BeckOK StPO/Eschelbach, 49. Ed., § 319 Rn. 3). Ein Verwerfungsbeschluss hat in diesen Fällen rein deklaratorische Wirkung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 316 Rn. 1). Selbst wenn man dem iudex a quo indes die Verwerfungskompetenz nach § 319 Abs. 1 StPO abspricht, weil § 32d StPO eine weitergehende Prüfung erfordert, dürfte dies nicht zur Hemmung der Rechtskraft nach § 316 Abs. 1 StPO führen.
b) Dem Senat war jedoch die Prüfung des landgerichtlichen Urteils wegen der bereits unzulässigen Revision nicht eröffnet. Denn erst eine zulässige Revision hätte dem Senat überhaupt den Zugriff auf das Berufungsurteil und die Möglichkeit eröffnet, das eingetretene Verfahrenshindernis von Amts wegen zu prüfen. Soweit die Rechtsprechung es zulässt, auch bei einer nicht ordnungsgemäß begründeten Revision Verfahrenshindernisse in den Blick zu nehmen, bezieht sich das auf solche, die nach Erlass des angefochtenen Urteils entstanden sind (bspw. Tod des Angeklagten oder Rücknahme des Strafantrags). Diese Unterscheidung erschließt sich auch systematisch, weil ein nach Urteilserlass entstandenes Hindernis eben gerade keine Nachprüfung und Richtigstellung eines fehlerhaften Urteils erfordert, sondern sich auf eine neu entstandene Verfahrenslage bezieht (vgl. grundlegend BGHSt 22, 213 f.; s. auch BGH, Beschlüsse vom 29. September 2021 ‒ 4 StR 98/21 ‒ [zum Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs] und vom 3. Mai 2012 ‒ 3 StR 109/12 ‒, jeweils juris). Hier ist die entgegenstehende Rechtskraft als Verfahrenshindernis indes bereits vor der angefochtenen Entscheidung entstanden. Soweit vereinzelt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juni 2008 ‒ 2 Ss 190/08 ‒, juris) in einer Verfahrenslage, in der über einen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO nach erfolgter Verwerfung der Revision als unzulässig entschieden werden musste, ein anderes Ergebnis hergeleitet wird, überzeugt dies nicht. Dem steht zum einen bereits die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen. Zum anderen führte eine solche Vorgehensweise dazu, die an klare förmliche Voraussetzungen gebundene Möglichkeit des Zugriffs des Revisionsgerichts auf das Urteil zur Beseitigung von Rechtsmängeln zu umgehen, um besonders unerwünschte Folgen (wie hier das Vorhandensein zweier rechtskräftiger Erkenntnisse) zu vermeiden. Auch unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz) vermag der Senat einer solchen Lösung daher nicht näherzutreten; vielmehr dürfte hier ein im Rahmen der Vollstreckbarkeit (§ 449 StPO) von Amts wegen zu beachtendes Vollstreckungshindernis vorliegen (vgl. zu Vollstreckungshindernissen MüKoStPO/Nestler 1. Aufl., § 449 Rn. 45, 69), das zum Ausschluss der Vollstreckbarkeit mehrerer ‒ gegebenenfalls auch unterschiedlicher ‒ Erkenntnisse führt, noch bevor eine solche Konstellation im Wege des Gnadenrechts Beachtung finden müsste.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.