05.03.2024 · IWW-Abrufnummer 240056
Oberlandesgericht Thüringen: Urteil vom 26.01.2024 – 9 U 364/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Jena
Urteil vom 26.01.2024
Tenor:
1.
Das Urteil des Landgerichts G. vom 24.04.2018 - 3 O 582/17 - wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Beklagten teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.004,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.189,13 EUR seit dem 31.12.2016, aus weiteren 2.457,44 EUR seit dem 21.04.2017 und aus weiteren 2.357,63 EUR seit dem 21.11.2017 zu zahlen.
2.
Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs in Höhe von 2.415,55 EUR wird die Klage auf Grund des Verzichts abgewiesen.
3.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2.
Der Inzidentantrag der Beklagten wird abgewiesen.
3.
Die Klägerin hat 28 % und die Beklagten haben als Gesamtschuldner 72 % der Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin 34 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 66 % zu tragen.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt die beklagten Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer, der Eheleute A. (im Folgenden: die Mandanten oder die Zeugen), auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass die Beklagten für ihre Mandanten einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt bzw. fortgeführt haben.
2
Das Landgericht hat mit Urteil vom 24.04.2018 die Beklagten als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von 8.419,75 EUR verurteilt, weil die Beklagten für ihre Mandanten einen bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Juni 2013 aussichtslosen Rechtsstreit eingeleitet hätten und den Mandanten durch diese Pflichtverletzung ein Prozesskostenschaden entstanden sei. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.
3
Ferner begehren die Beklagten im Wege eines Inzidentantrags Zinsen für den Zeitraum der von ihnen im Wege der Hinterlegung erbrachten Sicherheitsleistung.
4
Die Beklagten beantragen,
5
1.
das Endurteil des Landgerichts Gera vom 24.04.2018, Az. 3 O 582/17, abzuändern und die Klage abzuweisen,
6
2.
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagten Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.419,75 EUR seit dem 03.07.2018 (Tag der Einzahlung der Sicherheitsleistung) bis zum 27.09.2019 (Tag der Herausgabe) zu zahlen.
7
Die Klägerin beantragt,
8
1.
die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Gera, Az. 3 O 582/17, wegen des Kostenschadens in Höhe von 6.004,20 EUR zurückzuweisen,
9
2.
den Inzidentantrag der Beklagten zurückzuweisen.
10
Sie hat in Höhe von 2.415,55 EUR die Rücknahme der Klage und den Verzicht auf die Ansprüche erklärt. Die Beklagten haben der Klagerücknahme widersprochen.
11
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2023 den Zeugen K. A. vernommen.
12
Von der Darstellung des Tatbestandes wird im Übrigen abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 313b Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 ZPO).
II.
13
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1, §§ 517, 519, 520 ZPO). Sie hat teilweise Erfolg.
14
Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht ein Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung aus Anwaltsvertrag in Höhe von 6.004,20 EUR zu (§ 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1 BGB, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG).
15
Zwischen den Beklagten und ihren Mandanten bestand seit 2011 ein Anwaltsvertrag (§ 675 BGB), wobei die Beklagten eine Vollmacht für die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung in Bezug auf Schadensersatzansprüche wegen einer von ihren Mandanten getätigten Beteiligung an dem "S. KG" erhielten. Die Beklagten betrieben ab dem Jahr 2013 im Auftrag ihrer Mandanten ein Klageverfahren, das im Jahr 2015 - für die Beklagten erkennbar - aussichtslos geworden war und zu einem Kostenschaden der Mandanten führte.
16
1. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2023 einen Teilverzicht auf die Klageforderung in Höhe von 2.415,55 EUR wirksam erklärt.
17
Die Klage ist in dieser Höhe ohne Sachprüfung durch Teilverzichtsurteil als unbegründet abzuweisen (§§ 306, 525 Satz 1 ZPO), ohne dass es eines dahingehenden Antrags der Beklagten bedurft hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1967 - VII ZR 166/63 -, juris Rn. 18; OLG Nürnberg, Urteil vom 23. Oktober 1980 - 8 U 137/79 -, juris Rn. 25; Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 306 ZPO Rn. 20; Musielak, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 306 ZPO Rn. 6). Die Beklagten haben zwar keinen Antrag auf Erlass eines Teilverzichtsurteils gestellt, aber beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Einem Antrag auf Erlass eines streitigen Urteils fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 306 ZPO, Rn. 5; Althammer, a.a.O. Rn. 20). Ein Ausnahmefall, etwa die Vereinbarung eines Musterverfahrens, ist nicht gegeben (vgl. dazu: Althammer, a.a.O. Rn. 5, 22).
18
2. Der ebenfalls von der Klägerin erklärten Teilrücknahme der Klage haben die Beklagten widersprochen (§ 269 Abs. 1 ZPO), so dass sie nicht wirksam geworden ist.
19
Soweit die Beklagten einer Klageänderung widersprochen haben, weil sie in dem Schadensersatzbegehren der Klägerin, das sich zumindest teilweise auf die Fortführung eines aussichtslos gewordenen Rechtsstreits gründet, einen anderen und im erstinstanzlichen Verfahren nicht rechtshängig gewordenen Streitgegenstand sehen, geht dieser Widerspruch ins Leere.
20
Der von der Klägerin geltend gemachte Kostenschaden ist von dem Streitgegenstand ihrer ursprünglichen Klage, wie er sich aus den Mahnbescheiden vom 27.12.2016 und der Anspruchsbegründung vom 13.04.2017 ergibt, umfasst.
21
a) Der von der Rechtskraft erfasste Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt (vgl. st. Rspr. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 - XI ZR 57/12 -, juris Rn. 15; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 207/11 -, juris Rn. 14). Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen. Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Parteien die im Vorprozess nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs damals bereits kannten und hätten vortragen können (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2013 - XI ZR 57/12 -, juris Rn. 15).
22
In dem Urteil vom 16.09.2021 (IX ZR 165/19) hat der Bundesgerichtshof dargelegt, dass ein und derselbe Kostenschaden zwei unterschiedlichen, sich wechselseitig ausschließenden Streitgegenständen unterfallen kann (dort Rn. 25, juris). Der Mandant kann behaupten, der Vorprozess wäre bei pflichtgemäßem Vorgehen des Anwalts gewonnen und ihm folglich keine Kostenpflicht auferlegt worden. Hier tritt der Kostenschaden neben den Schaden, der im Verlust der Hauptsache liegt. Zum anderen kann der Mandant geltend machen, der Anwalt habe den nicht gewinnbaren Vorprozess gar nicht erst einleiten oder fortführen dürfen (BGH, a.a.O.). Anders als die Beklagten meinen, liegen in der zweiten Alternative nicht nochmals zwei unterschiedliche Streitgegenstände, nämlich die Einleitung und die Fortführung des Rechtsstreits über mehrere Instanzen. Vielmehr bilden die Einleitung und die Fortführung nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs erkennbar einen einheitlichen Streitgegenstand. Dies ergibt sich aus Randnummer 31 des Urteils, in der der Bundesgerichtshof ausdrücklich die Beratungspflicht über die Erfolgsaussichten über die Einleitung hinaus auf die Fortführung des Verfahrens ausweitet und insbesondere bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Ausgangslage die Beratung des Mandanten über diese Umstände verlangt.
23
b) Der Einwand der Beklagten, diesem Verständnis stehe das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.03.2008 (IX ZR 136/07) entgegen, geht fehl. Denn im dortigen Verfahren war der Vorwurf an den beklagten Rechtsanwalt allein mit der Behauptung begründet worden, überhaupt Klage erhoben zu haben. Die erst mit der Revision vorgetragene mangelhafte Begründung dieser Klage, die zur Erfolglosigkeit des Rechtsstreits geführt hat, war zuvor nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 13.03.2008 - IX ZR 136/07 -, juris Rn. 24; dazu auch Urteil vom 22. Oktober 2013 - XI ZR 57/12 -, juris Rn. 25). Diese Konstellation liegt hier aber gerade nicht vor. Die Klägerin hat nämlich zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass die Ausgangsverfahren bei einer pflichtgemäßen Prozessführung hätten gewonnen werden können.
24
c) Vielmehr beinhaltet die Behauptung der Klägerin, die Beklagten hätten den Prozess schon nicht führen bzw. fortführen dürfen, zugleich den impliziten Vortrag, dass an der Weiterführung des Rechtsstreits trotz Aussichtslosigkeit, die sich auch zu einem späteren Zeitpunkt ergeben kann, noch nach der Klageabweisung bzw. Berufungszurückweisung festgehalten wurde. Einem Rechtsanwalt kommt nämlich die Verpflichtung zu, den Rechtsstreit kontinuierlich im Hinblick auf dessen Erfolgschancen zu beobachten. Es handelt sich insoweit nicht um immer wieder neu einsetzende Pflichten, sondern um eine dynamische, der Entwicklung des Rechtsstreits wie auch der Rechtsprechung folgende Verpflichtung (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 31; so auch: OLG Zweibrücken, Urteil vom 9. März 2023 - 4 U 97/22 -, juris Rn. 42, 44). Es handelt sich gerade nicht um einen anderen Lebenssachverhalt, denn die Pflicht, einen Rechtsstreit nicht bei Aussichtslosigkeit zu führen, setzt sich während des gesamten Rechtsstreits bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss fort und kann auch mehrere Pflichtverletzungen umfassen. Von dieser Bestimmung des Streitgegenstands ist auch der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, a.a.O.) ausgegangen, denn sonst hätte er die Revision hinsichtlich der Kosten, die nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) entstanden sind, also die im dortigen Verfahren geltend gemachten Kosten der Berufung und des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, zurückweisen müssen, weil es sich um einen anderen Streitgegenstand oder um sich gegenseitig ausschließende Streitgegenstände handelt.
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d) Aber selbst wenn insoweit von zwei unterschiedlichen Streitgegenständen auszugehen wäre, weil eine neue Pflichtverletzung der Beklagten erst mit der Rechtsprechungsänderung durch den Bundesgerichtshof begründet worden sei, so hätte die Klägerin beide Pflichtverletzungen von Anfang an zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht (§ 260 ZPO). Ausdrücklich führt sie in der Anspruchsbegründung nämlich aus, dass die Beklagten nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) pflichtwidrig Berufung eingelegt haben bzw. die Berufung nicht zurückgenommen haben. Dementsprechend macht sie auch den danach durch die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entstandenen Kostenschaden mit der Anspruchsbegründung geltend. Damit hat sie bereits mit der Anspruchsbegründung schlüssig behauptet, dass auch diese Pflichtverletzung für den Kostenschaden ursächlich sein soll. Sich gegenseitig ausschließende Streitgegenstände liegen dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 25).
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3. Die Schadensersatzansprüche der Mandanten gegen die Beklagten wegen einer Pflichtverletzung aus Anwaltsvertrag gemäß § 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1 BGB sind gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 15 ff.). Die Klägerin hat den Mandanten, ihren Versicherungsnehmern, den Schaden ersetzt, indem sie entsprechende Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erbracht hat. Die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche durch die Klägerin verstößt nicht gegen Treu und Glauben (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 22).
27
4. Die Beklagten haben die ihnen zukommenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit ihren Mandanten B. verletzt, weil sie sie vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Gera am 11.07.2016 nicht zum Wegfall der Erfolgsaussichten ihrer Klage beraten und nicht von der Einlegung dieses Rechtsmittels abgeraten haben.
28
a) Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 27). Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH, a.a.O. Rn. 27, juris). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es danach, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen ("Weichenstellungen") in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Dazu muss sich der Anwalt über die Sach- und Rechtslage klarwerden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen (BGH, a.a.O. Rn. 28). Auch im Blick auf die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits geht es darum, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen rechtlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Aufgrund der Beratung muss der Mandant in der Lage sein, Chancen und Risiken des Rechtsstreits selbst abzuwägen. Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen (BGH, a.a.O. Rn. 29). Zwar besteht keine mandatsbezogene Pflicht, einen von Anfang an aussichtslosen Rechtsstreit nicht zu führen, jedoch muss der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten des in Aussicht genommenen Rechtsstreits genügen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 26). Ist danach eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten (BGH a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).
29
Bei der Beratung kommt der aktuellen einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung überragende Bedeutung zu (BGH a.a.O. Rn. 30). Diese hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Der Rechtsanwalt hat seine Hinweise, Belehrungen und Empfehlungen in der Regel an dieser Rechtsprechung auszurichten, dies sogar dann, wenn er diese für unzutreffend hält (BGH a.a.O. m.w.N.). Seine Pflicht, den Mandanten über die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits aufzuklären, endet nicht mit dessen Einleitung (vgl. BGH a.a.O. Rn. 31). Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären (BGH a.a.O.). Dies kommt in Betracht, wenn eine zu Beginn des Rechtsstreits noch ungeklärte Rechtsfrage in einem Parallelverfahren höchstrichterlich geklärt wird und danach das Rechtsschutzbegehren des Mandanten keine Aussicht auf Erfolg mehr hat. In dieser Situation hat er von einer Fortführung der Rechtsverfolgung abzuraten (BGH a.a.O.).
30
Über die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung hat der Tatrichter zu befinden (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 40). Ausgangspunkt der Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der bei pflichtgemäßem Handeln des Rechtsanwalts zu erteilenden Beratung. Die Annahme der Aussichtslosigkeit unterliegt hohen Anforderungen. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Regelmäßig ist dies dann der Fall, wenn eine einschlägige Entscheidung ergangen ist. Auch dann können aber im Schrifttum geäußerte Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hat, Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht. Die niemals auszuschließende Möglichkeit einer zugunsten des Mandanten ergehenden Fehlentscheidung steht der Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung indes nicht entgegen (vgl. BGH a.a.O.).
31
Das Recht des Mandanten, nach entsprechender Beratung durch den Rechtsanwalt eigenverantwortlich über die Einleitung und Fortführung der Rechtsverfolgung zu entscheiden, wird durch eine bestehende Rechtsschutzversicherung nicht berührt (BGH a.a.O. Rn. 33, juris).
32
b) Gemessen an diesen Grundsätzen waren die Beklagten verpflichtet gewesen, vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Gera am 11.07.2016 zur Rücknahme der Klage zu raten, weil diese infolge des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) praktisch aussichtslos geworden war und die Beklagten ihre Beratung mit dem 30.09.2015 danach hätten ausrichten müssen. Im vorliegenden Rechtsstreit kommt hinzu, dass nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2016 (III ZB 88/15), der am 23.02.2016 auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlicht wurde, weiträumig vor dem Termin vor dem Landgericht eine höchstrichterliche Entscheidung vorlag, die einerseits den von den Beklagten formulierten Güteantrag und andererseits eine Auseinandersetzung mit unionsrechtlichen Fragen enthielt. Die rechtliche Einschätzung der Beklagten, dass über den 30.09.2015 bzw. den 28.01.2016 hinaus weiterhin Erfolgsaussichten bestanden hätten, war objektiv unzutreffend, für einen sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt erkennbar und damit pflichtwidrig.
33
Ausgangspunkt des Vorprozesses war ein von den Beklagten am 29.12.2011 für die Mandanten gefertigter Güteantrag, mit dem die Verjährung von Ansprüchen wegen der Verletzung von Beratungspflichten vor Abschluss einer Beteiligung an dem "S. GmbH & Co. KG" gehemmt werden sollte (vgl. Anlage K 3). Die Beklagten reichten diesen "Antrag auf außergerichtliche Streitschlichtung" bei der Gütestelle Rechtsanwalt D. in L. ein. Dieser Güteantrag vermochte die Verjährung nicht zu hemmen, so dass die Schadensersatzansprüche bereits vor der Klageerhebung im Jahr 2013 verjährt waren (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28.01.2016 (III ZB 88/15); Beschluss vom 18. August 2016 - III ZR 336/15 - juris; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 5. Juli 2019 - 4 U 359/18 -, juris Rn. 57).
34
Der Vorprozess begann im Juni 2013 mit der Klage gegen die S. Deutschland GmbH (im Folgenden: S. L.) zum Landgericht G. (4 O 658/13), vor dem am 11.07.2016 die mündliche Verhandlung erfolgte und das mit Urteil vom 22.08.2016 die Klage abwies (vgl. Anlage K 6).
35
Gegen das Urteil des Landgerichts G. legten die Beklagten im Auftrag der Mandanten Berufung beim Thüringer Oberlandesgericht (5 U 663/16) ein. Das Thüringer Oberlandesgericht erließ am 01.02.2017 einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO und nach Verlängerung der Frist zur Stellungnahme am 09.05.2017 einen Zurückweisungsbeschluss nach dieser Vorschrift (vgl. Anlage K 16).
36
Während des erstinstanzlichen Verfahrens, nämlich mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14), änderte sich die Rechtsprechung zur Hemmungswirkung eines Güteantrags. Der Bundesgerichtshof stellte nunmehr erhöhte Anforderungen an eine Individualisierung des im Güteantrag geltend gemachten Anspruchs. Diesen Anforderungen wurde der Güteantrag vom 29.12.2011 nicht gerecht. Dass die weitere Rechtsverfolgung dadurch aussichtslos geworden war, mussten die Beklagten jedenfalls vor dem Termin am 11.07.2016 erkennen und ihre Mandanten zur Rücknahme der 2013 eingereichten Klage raten.
37
Im Einzelnen:
38
aa) Mit der durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) eingeleiteten Rechtsprechungsänderung zu den Anforderungen an einen Güteantrag war objektiv davon auszugehen, dass die Klage keinen Erfolg mehr haben konnte.
39
In dieser Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof zur hinreichenden Individualisierung eines Güteantrages für die Bewirkung der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB Folgendes ausgeführt: Der Güteantrag muss in Anlageberatungsfällen regelmäßig die konkrete Kapitalanlage bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum angeben und den Hergang der Beratung mindestens im Groben umreißen. Ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner (und der Gütestelle) ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 25 m.w.N.). Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten (BGH a.a.O. m.w.N.).
40
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der Güteantrag vom 29.12.2011 nicht hinreichend individualisiert mit der Folge, dass die Schadensersatzansprüche des Mandanten wegen Ablaufs der kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB insgesamt verjährt waren (§ 214 Abs. 1 BGB). Er vermochte damit keine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB herbeizuführen. Die kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, die gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 01.01.2002 begonnen hatte, war damit am Ende des 02.01.2012 (Montag) und somit bereits vor Einreichung der Klage im Juni 2013 abgelaufen gewesen. Dies hat der Bundesgerichtshof für einen von den Beklagten verwandten vergleichbaren Güteantrag im Januar 2016 ausdrücklich bestätigt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris).
41
(1) Der Güteantrag vom 29.12.2011 (vgl. Anlage K 3) wies keinen Bezug zum konkreten Beratungshergang auf.
42
(a) Er enthielt als individuelle Angaben lediglich den Namen der Mandanten, die Bezeichnung des Anlagefonds nebst einer Nummer und die Höhe der geleisteten Einlagen (zzgl. 5 % Agio). Nicht genannt waren die Zeichnungssumme und der zumindest ungefähre jeweilige Beratungszeitraum oder andere die getätigten Anlagen hinreichend individualisierende Tatsachen (vgl. auch OLG München, Urteil vom 19. Februar 2016 - 3 U 618/15 -, juris Rn. 46). Dies war nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 27).
43
(b) Der Güteantrag unterschied sich von dem durch den Bundesgerichtshof im Urteil vom 18.06.2015 beurteilten Güteantrag nur dahingehend, dass neben der Bezeichnung des Anlagefonds die "Vertragsnummer" bzw. Beteiligungsnummer genannt wurde.
44
Soweit die Beklagten die Auffassung vertreten, statt der Angabe des ungefähren Beratungszeitraumes sei zusätzlich die nur einmal vergebene Beteiligungsnummer benannt, mit der die beratende Vertriebsgesellschaft alle weiteren Umstände der Beratung hätte eruieren können, so dass durch die Beteiligungsnummer der Lebenssachverhalt unverwechselbar gekennzeichnet und von anderen denkbaren Streitgegenständen, also anderen Anlagevermittlungsgeschäften, abgegrenzt sei, genügte diese Angabe der Beteiligungsnummer im Güteantrag nicht, um eine hinreichende Individualisierung herzustellen.
45
Der Bundesgerichtshof hielt es in seinem Urteil vom 18.06.2015 nämlich für maßgeblich, dass es der dortigen Beklagten, die im Strukturvertrieb eine große Zahl von Kapitalanlagen unter Mithilfe einer Vielzahl von für sie tätigen Beratern und Vermittlern vertrieben hat, allenfalls unter größeren Mühen möglich war festzustellen, um welche Anlageberatung es ging (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 27). Um den Jahreswechsel 2011/2012 habe sich die dortige Beklagte angesichts des Ablaufs der für die vor dem Jahr 2002 stattgefundenen Anlageberatungsfälle geltenden kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB am 2. Januar 2012 (Art. 229 § 6 Abs. 1 und 4 EGBGB) einer Vielzahl von Güteanträgen gegenüber gesehen, während die handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen (§ 257 HGB) für diese Beratungsfälle in den allermeisten Fällen bereits abgelaufen gewesen seien (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 27).
46
Diese Maßgabe galt für die im hiesigen Vorprozess Beklagte gleichermaßen. Diese hatte ebenfalls im Strukturvertrieb eine große Zahl von Kapitalanlagen unter Mithilfe einer Vielzahl von für sie tätigen Beratern und Vermittlern vertrieben und sah sich um den Jahreswechsel 2011/2012 aufgrund des Ablaufs der kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist einer Vielzahl von Güteanträgen ausgesetzt. Daher war auch in ihrem Fall die Angabe der Beteiligungsnummer für die Individualisierung nicht ausreichend (vgl. ebenso OLG München Urteil vom 19. Februar 2016 - 3 U 618/15 -, juris Rn. 47).
47
(c) Der Ansicht der Beklagten, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 sei nicht auf den Güteantrag vom 29.12.2011 übertragbar, weil dieser ausschließlich eine nicht anlagegerechte Beratung durch Verwendung fehlerhafter Emissionsprospekte zum Gegenstand gehabt habe, während der durch den Bundesgerichtshof beurteilte Güteantrag eine nicht anlegergerechte Beratung zum Gegenstand gehabt hatte, folgt der Senat nicht. Im vorliegenden Fall ging es nämlich um eine Prospekthaftung im weiteren Sinne, nämlich eine Haftung von Anlageberatern und Prospektbenutzern aufgrund einer konkreten Beratung (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 5. Juli 2019 - 4 U 359/18 -, juris Rn. 68). Insofern galten die gleichen Anforderungen und nicht diejenigen, die im Fall einer Prospekthaftung im engeren Sinne zur Anwendung kamen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, a.a.O.) Letztere richteten sich nämlich lediglich an Güteanträge, die Schadensersatzansprüche gegen die Prospektverantwortlichen und die Prospektverfasser betrafen.
48
(2) Auch das angestrebte Verfahrensziel war in dem Güteantrag vom 29.12.2011 nicht ausreichend beschrieben.
49
Die Behauptung der Beklagten, erstmals am 28.01.2016 habe der Bundesgerichtshof, im Gegensatz zu seinen Entscheidungen aus dem Jahr 2015, die Angabe zum angestrebten Verfahrensziel als maßgeblich angesehen, entspricht nicht den Tatsachen.
50
So hatte der Bundesgerichtshof bereits im Urteil vom 18.06.2015 hervorgehoben, dass das Verfahrensziel ausreichend beschrieben und damit die Größenordnung des geltend gemachten Anspruches für den Schuldner erkennbar sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 28). Zudem war anhand der Begründung des Urteils zu erkennen, dass die Beschreibung des Verfahrensziels in dem Güteantrag den Anforderungen an die gebotene Individualisierung nicht genügte.
51
(a) So führte der Bundesgerichtshof aus, dass der Güteantrag für den Schuldner erkennen lassen muss, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll, damit dieser prüfen kann, ob eine Verteidigung erfolgversprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Dementsprechend muss der Güteantrag einen bestimmten Rechtsdurchsetzungswillen des Gläubigers unmissverständlich kundgeben und hierzu die Streitsache darstellen sowie das konkrete Begehren erkennen lassen (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 23). Der verfolgte Anspruch ist hinreichend genau zu bezeichnen (BGH a.a.O. Rn. 23), wobei keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind (BGH a.a.O. Rn. 24). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Güteantrag an die Gütestelle als neutralen Schlichter und Vermittler gerichtet wird und diese zur Wahrnehmung ihrer Funktion ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert werden muss (BGH a.a.O. Rn. 24). Der Gütestelle muss es möglich sein, im Wege eines Schlichtungsversuchs einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 28).
52
(b) Diesen Anforderungen genügte der Güteantrag vom 29.12.2011 nicht. Zwar sprach der Güteantrag davon, dass "die antragstellende Partei (...) den Ersatz des gesamten durch die Beteiligungsabschlüsse ursächlich entstandenen Schadens geltend" macht (S. 3 des Güteantrags). In der Schlussbemerkung (S. 7 des Güteantrags) wurde gefordert, dass der antragstellenden Partei "alle im Zusammenhang mit den Beteiligungen entstandenen Schäden zu ersetzen [sind]" und sie "so zu stellen [ist], als ob keine Beteiligung zustande gekommen wäre". Weiter hieß es: "Der Schadensersatz umfasst somit sämtliche aufgebrachten Kapitalbeträge sowie entgangenen Gewinn und ggf. vorhandene sonstige Schäden (z.B. aus Darlehensfinanzierung oder Steuerrückzahlungen)." Verwiesen wurde schließlich noch auf die Kosten der Rechtsverfolgung und künftige Schäden aus der Beteiligung.
53
Die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs war daraus aber weder für die seinerzeitige Antragsgegnerin noch für die Gütestelle im Ansatz zu erkennen und auch nicht wenigstens im Groben einzuschätzen. Es wurden in dem Güteantrag über die getätigten Einlagen hinaus gerade keine Beträge genannt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 28). So wurde weder die Zeichnungssumme mitgeteilt - nur erbrachte Einlagen -, noch die Höhe erhaltener Ausschüttungen. Es fehlte eine Angabe, ob und wenn ja, in welcher Höhe fremdfinanziert wurde und damit ggf. Finanzierungskosten angefallen sein können. Auf welcher Basis entgangener Gewinn berechnet werden könnte, blieb ebenfalls unerwähnt. Was unter "ggf. vorhandene(n) sonstige(n) Schäden" neben Steuerrückzahlungen, zu deren Höhe ebenso wie zum entgangenen Gewinn nichts ausgeführt wurde, und den notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu verstehen war, wurde im Güteantrag an keiner weiteren Stelle erklärt (vgl. auch OLG München, Urteil vom 19. Februar 2016 - 3 U 618/15 -, juris Rn. 49).
54
Auch aus der Nennung der Beteiligungsnummer oder Vertragsnummer ließ sich die Größenordnung nicht abschätzen, da die geltend gemachten Schäden hieraus nicht hervorgingen (vgl. auch OLG München, Urteil vom 19. Februar 2016 - 3 U 618/15 -, juris Rn. 50). Ein vorgängiges Anspruchsschreiben des Mandanten, auf dessen Inhalt hätte Bezug genommen und das als Anlage dem Güteantrag hätte beigefügt werden können, lag ebenso wenig vor (vgl. auch OLG München a.a.O.).
55
Damit war aus dem Güteantrag vom 29.12.2011 weder für die Antragsgegnerin noch für die Gütestelle erkennbar, welcher Anspruch oder welche konkreten Ansprüche geltend gemacht werden sollten. Dass die Anforderungen an die Individualisierung nicht erfüllt waren, stand nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 fest.
56
(3) Aufgrund der bis zum 03.09.2015 nachfolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu weiteren Güteanträgen bestand dann endgültig keine Aussicht mehr darauf, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Güteanträgen noch ändern wird und dem Güteantrag vom 29.12.2011 aus anderen Gründen doch noch hemmende Wirkung zukommen könnte.
57
Am 13.08.2015 entschied der Bundesgerichtshof, dass bei einem Güteantrag, dem die Summe des eingebrachten Kapitals nebst Agio (52.500 DM = 26.842,82 €) entnommen werden konnte, gleichwohl die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs für die Antragsgegnerin und Schuldnerin sowie für die Gütestelle nicht zu erkennen und auch nicht wenigstens im Groben einzuschätzen gewesen war (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2015 - III ZR 358/14 -, juris Rn. 4). Obwohl in diesem Güteantrag angegeben war, dass "die für die jeweilige Anteilsfinanzierung erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen" als Schadensersatz gefordert werden, war dies für die Individualisierung nicht ausreichend. Zur Begründung verwies der Bundesgerichtshof darauf, dass der wenigstens ungefähre Umfang der Kreditkosten, des entgangenen Gewinns sowie der abzuziehenden "etwaigen" Ausschüttungen nicht genannt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2015 - III ZR 358/14 -, juris Rn. 4).
58
Dass es dem Bundesgerichtshof zudem maßgeblich auch auf die Frage der Fremd- oder Eigenfinanzierung ankam, ergab sich eindeutig aus seiner Entscheidung vom 20.08.2015 (III ZR 373/14). Bei einem Güteantrag, mit dem beschrieben wurde, dass dem Antragsteller wegen fehlerhafter Anlageberatung Schadensersatz- und Rückabwicklungsansprüche zustünden und "die Antragstellerseite so zu stellen sei, wie sie gestanden hätte, wenn sie die Fondsbeteiligung nicht gezeichnet hätte", war die Größenordnung der Ansprüche ebenfalls nicht zu erkennen. Auch wenn in diesem Güteantrag ausgeführt wurde, dass auch der entgangene Gewinn zu ersetzen sei, da die Zeichnungssumme jederzeit festverzinslich zu einem Zinssatz von mindestens 4 % hätte angelegt werden können und erhaltene Ausschüttungen und Steuervorteile in Abzug zu bringen seien, reichte dies zur Individualisierung nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 2015 - III ZR 373/14 -, juris Rn. 22). In diesem Fall war dem Güteantrag nämlich nicht zu entnehmen, ob das eingebrachte Beteiligungskapital fremdfinanziert war, so dass ein etwaiger Schaden auch oder gar in erster Linie in den aufgebrachten Zins- und Tilgungsleistungen bestanden haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 2015 - III ZR 373/14 -, juris Rn. 22). Die Bedeutung der Fremd- oder Eigenfinanzierung für die Individualisierung bestätigte der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 03.09.2015 (III ZR 347/14) nochmals. Dem dort zu beurteilenden Güteantrag konnte ebenfalls nicht entnommen werden, ob das eingebrachte Beteiligungskapital fremdfinanziert gewesen war (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2015 - III ZR 347/14 -, juris Rn. 18). Spätestens zu diesem Zeitpunkt bestanden endgültig keine Zweifel mehr daran, dass im Güteantrag eine Angabe zur Fremd- oder Eigenfinanzierung und der damit im Zusammenhang stehenden Kosten erforderlich war.
59
Der von den Beklagten gefertigte Güteantrag vom 29.12.2011 enthielt keine Angaben dazu, ob die Anlagen fremdfinanziert gewesen waren. Ebenso ergaben sich aus ihm weder der Umfang des entgangenen Gewinns noch etwaige Ausschüttungen. Deswegen durfte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.09.2015 keinesfalls mehr davon ausgegangen werden, dass der Güteantrag der Beklagten vom 29.12.2011 die Verjährung der Schadensersatzansprüche gehemmt hatte.
60
bb) Auch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und deren Aufnahme durch die Instanzgerichte und in der juristischen Literatur ließ nicht erwarten, dass es zu einer Änderung der in dem Urteil vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) aufgestellten Grundsätze kommen würde. Dies gilt auch für Frage der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Grundgesetz und dem Unionsrecht.
61
(1) Zehn Tage nach seiner Grundsatzentscheidung vom 18.06.2015 erließ der Bundesgerichtshof insgesamt vier Beschlüsse, mit denen er an seiner Entscheidung vom 18.06.2015 festhielt (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 - III ZR 164/14 -, juris Rn. 3 (veröffentlicht: 03.08.2015); Beschluss vom 16. Juli 2015 - III ZR 302/14 -, juris Rn. 5 (veröffentlicht: 03.08.2015); Beschluss vom 16. Juli 2015 - III ZR 218/14 -, juris (veröffentlicht: 04.08.2015); Beschluss vom 16. Juli 2015 - III ZR 248/14 -, juris (veröffentlicht: 06.08.2015)). Eine im Verfahren III ZR 302/14 erhobene Anhörungsrüge verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 13.08.2015, die am 24.08.2015 in die Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs aufgenommen wurde, und führte dabei aus:
62
"Die gegen die Rechtsauffassung des Senats betreffend die Anforderungen an Güteanträge in Kapitalanlagefällen angeführten Argumente hat der Senat im vorliegenden Fall ebenso wie bereits bei den Senatsbeschlüssen vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 u.a. erwogen und für nicht durchgreifend erachtet." (BGH, Beschluss vom 13. August 2015 - III ZR 302/14 -, juris).
63
Wie bereits ausgeführt, bestätigte der Bundesgerichtshof im Anschluss daran seine Rechtsprechung auch mehrfach, so unter anderem durch Beschluss vom 13.08.2015 sowie Urteile vom 20.08.2015 (III ZR 373/14; veröffentlicht in der Datenbank am 10.09.2015), 03.09.2015 (III ZR 347/15; veröffentlicht am 22.09.2015) und 15.10.2015 (II ZR 170/14; veröffentlicht am 05.11.2015).
64
Mit Beschluss vom 16.07.2015 stellte der Bundesgerichtshof zudem klar, dass die Grundsatzfrage, welche Anforderungen in Anlageberatungsfällen an die Individualisierung des geltend gemachten (prozessualen) Anspruchs in einem Güteantrag zu stellen sind, durch die Entscheidung vom 18.06.2015 bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2015 - III ZR 164/14 -, juris Rn. 2 und 4).
65
(2) Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich der Bundesgerichtshof erstmals mit Beschluss vom 28.01.2016 (III ZB 88/15) ausdrücklich zur Frage der Europarechtskonformität seiner mit Urteil vom 18.06.2015 aufgestellten Anforderungen an eine hinreichende Individualisierung von Güteanträgen zur Herbeiführung einer Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB geäußert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris). Er hat festgestellt, dass die unionsrechtlichen Normen offensichtlich keine Vorgaben für die Anforderungen an die Individualisierung des in einem Güteantrag geltend gemachtem Anspruchs enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris Rn. 18). Dies lässt aber nicht die Schlussfolgerung zu, der Bundesgerichtshof habe diese Rechtsfrage zuvor nicht geprüft oder gar übersehen.
66
Der Bundesgerichtshof hat - wie jedes nationale Gericht - den Anwendungsvorgang des primären und sekundären Unionsrechts und die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts auch ohne entsprechenden Vortrag der Parteien zu beachten (vgl. Streinz, in: ders. EUV/AUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 EUV Rn. 35 ff., 61 ff.). Es ist daher davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof bei dem Urteil vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) die maßgeblichen Richtlinien, die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG L 171/12) und die Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 sowie der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. EU L 165/63), berücksichtigt hat. Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht an, weil der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28.01.2016 sich ausdrücklich mit dieser unionsrechtlichen Frage beschäftigt hat und von einem acte clair ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 - juris, Rn. 18). Der Termin am Landgericht Gera fand erst im Juli 2016 statt, so dass die Beklagten vor diesem Zeitpunkt auch nicht mehr von einer geringfügigen Erfolgsaussicht wegen ungeklärter unionsrechtlicher Fragen ausgehen durften.
67
Soweit die Beklagten meinen, dass durch die Vorlage eines Instanzgerichts nach Art. 267 AEUV eine Befassung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit der Rechtsfrage möglich gewesen wäre, vermag dies an der Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung nichts ändern. Denn wie der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 28.01.2016 (III ZB 88/15) ausführte, lag evident kein Verstoß gegen Unionsrecht vor. Die von den Beklagten in Bezug genommenen Vorlagen des Landgerichts Ravensburg (EuGH-Vorlage vom 7. Januar 2020 - 2 O 315/19 -, juris) und des Landgerichts Saarbrücken (EuGH-Vorlage vom 17. Januar 2019 - 1 O 164/18 -, juris) führen zu keiner anderen Beurteilung. Diese Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof betrafen nämlich andere Rechtsfragen und zeigen lediglich auf, dass ein nationales Gericht dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage nach Art. 267 AEUV vorlegen darf. Die theoretisch immer bestehende Möglichkeit, dass ein Gericht trotz der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Rechtsfrage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung vorlegt und sich infolge dessen eine Rechtsprechungsänderung ergeben kann, steht der Annahme der Aussichtslosigkeit hier aber nicht entgegen. Dies ergibt sich zum einen aus der vom Bundesgerichtshof festgestellten offensichtlichen Konformität mit Unionsrecht und zum anderen daraus, dass eine anderweitige Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bislang nicht ergangen ist.
68
(3) Das Bundesverfassungsgericht nahm die gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) gerichtete Verfassungsbeschwerde zeitnah nicht zur Entscheidung an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. September 2015 - 1 BvR 1817/15 -, juris). Dies gilt auch für andere Verfassungsbeschwerden, die gegen weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an Güteanträge eingelegt worden waren (vgl. etwa: BVerfG, Beschluss vom 10. September 2015 - 1 BvR 2072/15 -, juris, zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2015 - III ZR 302/14 -, Rn. 1, juris).
69
(4) Die Oberlandesgerichte folgten der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ohne dass Bedenken gegen die im Urteil vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) enthaltenen strengeren Anforderungen erhoben wurden. So schlossen sich noch im Jahr 2015 das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Urteil vom 22.07.2015 (7 U 48/14), das Oberlandesgericht Frankfurt mit Urteil vom 31.07.2015 (19 U 207/14) und Hinweisbeschluss vom 10.09.2015 sowie anschließendem Zurückweisungsbeschluss vom 18.11.2015 (25 U 57/15), das Oberlandesgericht München mit Hinweisbeschluss vom 25.09.2015 und Zurückweisungsbeschluss vom 19.11.2015 (15 U 2273/15), das Oberlandesgericht Hamm in mehreren Beschlüssen vom 20.10.2015 (34 U 65/15) vom 29.10.2015 (34 U 52/15), vom 05.11.2015 (34 U 206/15), vom 10.11.2015 (34 U 208/15), vom 24.11.2015 (34 U 69/15), vom 25.11.2015 (24 U 118/15), vom 26.11.2015 (34 U 98/15), vom 03.12.2015 (34 U 122/15) und das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 25.11.2015 (24 U 118/15) und Urteilen vom 17.12.2015 (24 U 133/14, 24 U 137/14 und 24 U 136/14) der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 an.
70
(5) Schließlich stieß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verjährungshemmung durch Güteanträge in dem ganz überwiegenden Teil des Schrifttums auf Zustimmung (z.B. Grüneberg, BKR 2015, S. 485 (494 ff.); Deiß, EWiR 2015, S. 737; Antomo, JZ 2015, S. 1109 ff.; Gilberg, NJW 2015, S. 2410 ff.; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 204 BGB Rn. 19; Henrich, in: BeckOK, Stand 01.05.2016, § 204 BGB Rn. 26; Lakkis, in: jurisPK-BGB, Stand 13.04.2016, § 204 BGB, Rn. 57.5 bis 57.9; Martens, WuB 2016, S. 143 f.; Meller-Hannich, LMK 2015, 372470; Nobbe, WM 2016, S. 337, 341 ff.).
71
Nach alledem bestanden nach dem 03.09.2015 keine Zweifel an der objektiven Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung mehr.
72
cc) Die mangelnde Individualisierung des Güteantrages vom 29.12.2011 musste daher von einem sorgfältig arbeitenden und auf das Kapitalanlagerecht spezialisierten Rechtsanwalt jedenfalls vor dem erstinstanzlichen Termin am 11.07.2016 erkannt werden. Bei einer entsprechenden rechtlichen Prüfung wäre ein Rechtsanwalt jedenfalls vor diesem Termin zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Güteantrag, obwohl er inhaltliche Unterschiede zu den dort gegenständlichen Güteanträgen aufwies, die Verjährung nicht gehemmt hatte.
73
Ein Rechtsberater ist verpflichtet, die höchstrichterliche Rechtsprechung zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und seine Rechtsberatung daran auszurichten (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2003 - IX ZR 54/02 -, juris Rn. 16; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 5. Juli 2019 - 4 U 359/18 -, juris Rn. 113, Vill, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 79). Dieser Zeitpunkt ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an Güteanträge bereits zum 30.09.2015 eingetreten.
74
(1) Über die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich der Rechtsanwalt anhand von amtlichen Sammlungen und einschlägigen Fachzeitschriften zu informieren (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - IX ZR 199/13 -, juris Rn. 11). Ferner findet sich diese Rechtsprechung in Kommentaren, Lehrbüchern und elektronischen Datenbanken (vgl. Vill, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/ Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 80). Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 hierbei bewusst offengelassen, ob bei einer fortschreitenden, einen einfachen, raschen und kostengünstigen Zugriff gestattenden Informationstechnologie in Zukunft strengere Anforderungen an die Kenntnis höchstrichterlicher Entscheidungen zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2010 - IX ZR 26/09 -, juris Rn. 26).
75
Ein auf Kapitalanlagerecht spezialisierter Rechtsanwalt war nach Auffassung des Senats gehalten, sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren. Der Begriff der amtlichen Sammlung ist im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht allein auf Druckwerke beschränkt. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass gerade angesichts der Entwicklung des allgemeinen Medienkonsums (vgl. Frees/Koch, Media Perspektiven 9/2015, S. 366 ff. zur ARD/ZDF-Onlinestudie 2015) und der zunehmenden Digitalisierung im Arbeitsbereich eine immer stärker werdende Verlagerung der Wahrnehmung höchstrichterlicher Rechtsprechung hin zu digitalen Angeboten erfolgt. Dies gebietet es, dass nicht allein die Druckwerke amtlicher Sammlungen (BGHZ und BGHSt) als maßgebliches Erfassungsmittel der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Blick genommen werden müssen, sondern auch dessen online verfügbare Entscheidungsdatenbank, in der die seit dem 01.01.2000 ergangenen Entscheidungen veröffentlicht werden (in diese Richtung bereits OLG München, Urteil vom 17. Juli 2007 - 4 UF 108/07 -, juris; Rott, in: Blocher/Heckmann/Zech, DGRI Jahrbuch 2016, 1. Aufl. 2017, Legal Tech aus Verbraucherperspektive, Rn. 43; ablehnend Heinemann, NZF 2015, 438, (441)). Die von Heinemann angeführten ablehnenden Stimmen von Fischer (AnwBl. 1993, S. 597 (599)) und Lange (DB 2003, S. 869 (871)) betreffen jeweils Zeiträume, in denen die digitale Recherche und allgemein die Internetnutzung noch nicht derart stark ausgeprägt waren wie 2015. So nutzten 1997 gerade einmal 6,5 % der Deutschen das Internet und im Jahr 2000 28,6 %. Seitdem hat sich die zumindest gelegentliche Internetnutzung auf 79,5 % im Jahr 2015 deutlich gesteigert (im Einzelnen: Frees/ Koch, Media Perspektiven 9/2015, S. 366 f.). Dabei geht es, anders als Heinemann (in: Vollkommer/ Greger/Heinemann, Anwaltshaftung, 5. Auflage 2021, § 11 Rn. 19 ff., 28) meint, nicht darum, dem Anwalt letzten Endes eine (insbesondere zeitlich) unbegrenzte Überwachungspflicht solcher Quellen aufzugeben, sondern eine vom ihm geforderte Informationsbeschaffung an die sich weiter entwickelnden Medien und Informationsquellen anzupassen. Gerade bei der Online-Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs handelt es sich um eine einfach zugängliche und kostenfreie Recherchemöglichkeit, die nach Ansicht des Senats ein Äquivalent zu der gedruckten amtlichen Sammlung darstellt. Ihr kommt die für amtliche Sammlungen kennzeichnende besondere Autorisierung vor.
76
Zwar ist von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht zu erwarten, dass er sämtliche Entscheidungen in dieser Datenbank durchsieht. Jedoch besteht zumindest die Pflicht, die für seinen konkreten Tätigkeitsbereich als "Leitsatzentscheidungen" in der Datenbank benannten Entscheidungen zeitnah zur Kenntnis zu nehmen. Für den Fall, dass der Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts auf einen eng zugeschnittenen Rechtsbereich begrenzt ist, kann sich die Verpflichtung derart steigern, dass er auch darüberhinausgehende Entscheidungen des für seinen Tätigkeitsbereich zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen hat. Dies wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn er massenhaft Verfahren zu vergleichbaren Sachverhalts- und Rechtsfragenkonstellationen betreibt. Gerade in diesen Fällen ist eine besondere Sorgfalt für den Fall geboten, dass entscheidungserhebliche Rechtsfragen dieser Fälle bislang nicht geklärt sind. Insoweit hatte der Bundesgerichtshof schon bisher eine gesteigerte Pflicht zur Kenntnisnahme der Rechtsprechung der Instanzgerichte und des Schrifttums einschließlich der Aufsatzliteratur angenommen, soweit ein Rechtsgebiet auf Grund eindeutiger Umstände in der Entwicklung begriffen und neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist (BGH, Urteil vom 25. September 2014 - IX ZR 199/13 -, juris Rn. 12; Urteil vom 21. September 2000 - IX ZR 127/99 -, juris Rn. 49; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Juli 2019 - I-23 U 180/18 -, juris Rn. 21).
77
In welchen Zeitabständen ein Rechtsanwalt diese Quellen zu durchsuchen hat, ist dabei abhängig von dem ihm zur Kenntnisnahme zuzubilligenden Karenzzeitraum. Dem Rechtsanwalt muss zur Erfassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein realistischer Toleranzrahmen zugebilligt werden, wobei es hinsichtlich dessen Bestimmung auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ankommt (BGH, Urteil vom 25. September 2014 - IX ZR 199/13 -, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 21. September 2000 - IX ZR 127/99 -, juris Rn. 49; Vill, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 81). Die grundsätzliche Karenzzeit von vier bis sechs Wochen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. November 2001 - 23 U 20/01 -, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. April 2013 - 11 U 80/12 -, juris Rn. 28) kann unter Umständen auch kürzer zu bemessen sein, soweit beispielsweise das Mandat eine höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage betrifft (vgl. Heinemann, in: Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftung, 5. Auflage 2021, § 11 Rn. 23 ff.).
78
(2) Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) wurde nach der amtlichen Auskunft des Bundesgerichtshofs am 06.07.2015 in die Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs eingestellt. Sie wurde danach in der Neuen Juristischen Wochenschrift, Heft Nr. 33 vom 13.08.2015, veröffentlicht (dort S. 2407 ff.). Die nachfolgenden Urteile des Bundesgerichtshofs vom 20.08.2015 (III ZR 373/14) und vom 03.09.2015 (III ZR 347/15) wurden am 10.09.2015 und am 22.09.2015 in die Datenbank eingestellt.
79
(3) Ein auf Kapitalanlagerecht spezialisierter Rechtsanwalt, der für die von ihm vertretenen Anleger massenhaft Güteanträge zur Hemmung der Verjährung gestellt hatte und bundesweit Klageverfahren betrieb, musste die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Güteanträgen im besonderen Maße verfolgen. Dass im Jahr 2015 zahlreiche Revisionsbzw. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim Bundesgerichtshof anhängig waren, bei denen (auch) die Hemmungswirkung von Güteanträgen gegenständlich war, musste einem auf diesem Feld tätigen Rechtsanwalt bekannt sein, so dass er die höchstrichterliche Entscheidung zu erwarten und zeitnah zur Kenntnis zu nehmen hatte.
80
(4) Bei den Beklagten handelte es sich um eine auf Kapitalanlagen spezialisierte Kanzlei, die im Jahr 2011 massenhaft Güteanträge zur Hemmung der Verjährung eingereicht hatte und Anleger bundesweit gerichtlich vertrat. Sie waren daher verpflichtet, die Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Frage zu verfolgen und insbesondere die höchstrichterlichen Entscheidungen zeitnah zur Kenntnis zu nehmen.
81
Dies betraf vor allem das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015, aber auch die nachfolgenden Entscheidungen vom 13.08.2015, vom 20.08.2015 und vom 03.09.2015. Die Beklagten hatten das Urteil vom 18.06.2015 auch spätestens am 10.07.2015 zur Kenntnis genommen, da sie in einem Serienschreiben an die von ihnen vertretenen Mandanten vom 10.07.2015 auf diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs Bezug nahmen (Anlage K 17 zum Schriftsatz der Klägerin vom 11.03.2022). Selbst wenn ihnen zu diesem Zeitpunkt nur die entsprechende Presseerklärung des Bundesgerichtshofs und noch nicht die Entscheidungsgründe bekannt gewesen sein sollten, so waren sie gehalten, sich den Volltext des Urteils bis spätestens Ende Juli 2015 aus der Datenbank zu beschaffen und nicht erst mit deren Veröffentlichung in der Neuen Juristischen Wochenschrift im August 2015 davon Kenntnis zu nehmen. Die Pflicht zur Kenntnisnahme und Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung war bei den Beklagten zu diesem Zeitpunkt nämlich im Vergleich zu einem in einer allgemeinen Beratungs- und Prozesspraxis tätigen Rechtsanwalt in besonderem Maße gesteigert, weil sie in dieser Zeit in zahlreichen Verfahren fristgebundene Handlungen, vor allem die Einlegung von Einsprüchen gegen Versäumnisurteile oder von Rechtsmitteln, zu prüfen hatten (vgl. Vill, in: Fischer/Vill/Fischer/ Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 81). Das Urteil vom 18.06.2015 gab aber zugleich auch Anlass, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung engmaschig zu verfolgen.
82
Im vorliegenden Fall waren die Beklagten jedenfalls vor der mündlichen Verhandlung in erster Instanz am 11.07.2016 verpflichtet, ihre Beratung an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auszurichten. Ihnen war nach der Kenntnisnahme des Urteils vom 18.06.2015 bis spätestens zum 31.07.2015 in der Folge ein weiterer angemessener Zeitraum zur Prüfung der Urteilsgründe und zur Anpassung ihrer Beratung zunächst bis Ende August 2015 zuzugestehen. Dabei berücksichtigt der Senat zugunsten der Beklagten, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Auswirkungen auf eine Vielzahl der von ihnen betriebenen Verfahren hatte und sie sich einem außergewöhnlich hohen Beratungsaufwand gegenübersahen. Da aber in dieser Zeitspanne bis Ende August/Anfang September 2015 weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergingen, die von den Beklagten ebenfalls auf ihre Bedeutung für die von ihnen gestellten Güteanträge analysiert werden durften und mussten, verlängerte sich die Karenzzeit entsprechend. Dies betrifft insbesondere die oben aufgeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bis zum 03.09.2015.
83
Falls die Beklagten von der Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 03.09.2015 nicht bereits durch eine Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Kenntnis erhalten hatten, hätten sie sich diese unverzüglich nach der Veröffentlichung des Urteils am 22.09.2015 (Dienstag) verschaffen müssen, wobei der Senat danach nur noch einen Zeitraum von einer Woche bis einschließlich dem 29.09.2015 (Dienstag) für die Beschaffung und Prüfung als angemessen erachtet, da die Beklagten mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits auf Grundlage der vorangegangenen Entscheidungen vertraut sein mussten. Der Senat legt daher hinsichtlich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.09.2015 einen deutlich kürzer zu bemessenden Toleranzrahmen zur Kenntnisnahme und zur inhaltlichen Prüfung zugrunde. Eine darüberhinausgehende Überlegungszeit war den Beklagten nicht mehr zuzugestehen.
84
Die Beklagten hätten daher spätestens am 30.09.2015 davon ausgehen müssen, dass die von ihnen gestellten Güteanträge die Verjährung nicht gehemmt hatten und die weitere Rechtsverfolgung bei Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aussichtslos für ihre Mandanten geworden war. Sie waren ab diesem Zeitpunkt gehalten, ihre Mandanten entsprechend zu beraten.
85
dd) Die Beklagten durften in der Folge auch nicht aus anderen Gründen vom Fortbestehen einer zumindest geringen Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ausgehen, etwa wegen kritischer Stimmen in der juristischen Literatur zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das betrifft aber auch die etwaige Erhebung einer Verfassungsbeschwerde, das von den Beklagten betriebene Kapitalanleger-Musterverfahren und die von den Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof vertretenen Auffassungen zur Erfolgsaussicht der von den Beklagten betriebenen Verfahren.
86
(1) Es war nicht anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof wegen den von den Beklagten aufgeführten Äußerungen im juristischen Schrifttum seine Rechtsprechung ändern würde. Das Urteil vom 18.06.2015 fand nämlich nur vereinzelt kritische Stimmen in der Literatur, die auch keine neuen, vom Bundesgerichtshof bis dahin nicht berücksichtigten Gesichtspunkte enthielten. Die im Schrifttum geäußerten Bedenken konnten damit keine Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 40).
87
(a) Soweit die Literaturstimmen vordergründig die Anforderungen an das Verfahrensziel kritisieren, handelt es sich dabei nicht um Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hatte. Zudem weisen nahezu alle Autoren ausdrücklich darauf hin, dass die Rechtspraxis die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Anforderungen an einen Güteantrag bei der Beratungspraxis zu beachten habe.
88
(aa) Die Kritik von Lindner (jurisPR-BGHZivilR 20/2015 Anm. 1 vom 13.11.2015), der als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in einem Parallelverfahren tätig gewesen war, beinhaltete keine neuen, vom Bundesgerichtshof bisher nicht behandelten Gesichtspunkte.
89
Lindner führte aus, aus seiner Sicht könne es nicht überzeugen, "wenn für die Anspruchsindividualisierung im Güteantrag mehr verlangt wird, als dass der Antragsgegner die erhobene Forderung hinreichend klar erkennen kann". Dabei sei eine "ausreichende Individualisierung [...] aber häufig schon gewährleistet, wenn die Anlage als solche und der Anleger/Antragsteller bestimmt bezeichnet werden. Kommt insoweit auch aus Sicht des Antragsgegners nur eine Anlageberatung bzw. -vermittlung in Betracht, weil der konkret benannte Anleger bei ihm nur einmal diese bestimmte Anlage gezeichnet hat, ist der anspruchsbegründende Lebenssachverhalt an sich ausreichend, weil eindeutig identifizierbar umschrieben, sofern er ihn - wie regelmäßig - aus den bei ihm noch vorhandenen Unterlagen rekonstruieren kann." Soweit man sich an der Klage orientiere, seien die Anforderungen sogar noch geringer, da es in solchen Fällen genüge, wenn der Anspruch identifizierbar sei. Dabei müsse die Klage für die Hemmung weder schlüssig noch zulässig oder gar begründet sein. Dann sei es auch nicht sinnvoll, vom Gläubiger bereits im Rahmen des Güteantrages die Mitteilung zu verlangen, ob er den großen oder kleinen Schadensersatz verlange.
90
Gerade mit den Unterschieden des Klage-, Mahn- und Güteverfahrens hatte sich der Bundesgerichtshof aber bereits in der Entscheidung vom 18.06.2015 unter Randnummer 24 insbesondere unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 09.07.2014 (17 U 172/13) und des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11.11.2014 (WM 2015, S. 474, 475 f.) sowie auf einen Aufsatz von Duchstein (NJW 2014, S. 342) auseinandergesetzt. Dabei stellten die zitierten Quellen eindrücklich die Gründe dar, die für die vom Bundesgerichtshof angestellten Anforderungen an die Güteanträge sprachen.
91
Soweit Lindner der Ansicht war, der Anspruch wäre grundsätzlich schon mit der Forderung, so gestellt zu werden, wie wenn die Anlage nicht erworben worden wäre, ausreichend umrissen, hatte der Bundesgerichtshof dieser Einschätzung deutlich eine Absage erteilt und argumentiert, dass der Güteantrag einen bestimmten Rechtsdurchsetzungswillen des Gläubigers unmissverständlich kundgeben und hierzu die Streitsache darstellen sowie das konkrete Begehren erkennen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 23).
92
Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 18.06.2015 auch die besondere Rolle der Gütestelle in dem Schlichtungsverfahren berücksichtigt und dieser eine andere Bedeutung beigemessen als Lindner, so dass auch aus diesem Grund höhere Anforderungen an den Güteantrag zu stellen waren. Die pauschale Behauptung Lindners, ohnehin werde der Antragsgegner regelmäßig wissen, um welchen Anspruch es gehe, wenn er sich für die Durchführung des Güteverfahrens entscheide, ist aufgrund des durch den Bundesgerichtshof betonten Umstands, dass sich die Anlagenberatungsgesellschaft im konkreten Fall einer Vielzahl von Güteanträgen ausgesetzt sah, ebenfalls nicht haltbar.
93
Vielmehr weist Lindner selbst zum Schluss darauf hin, dass bis "zu einer Korrektur dieser Grundsätze [...] sich die Praxis jedoch daran [den Anforderungen des BGH] orientieren [wird] müssen, zumal die gegen die Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde gescheitert ist".
94
Die Ausführungen von Lindner konnten somit nicht die Annahme rechtfertigen, der Bundesgerichtshof würde seine Haltung unter Berücksichtigung dieser Stimme noch einmal überdenken.
95
(bb) Auch die kritische Haltung zur Frage des mit dem Güteverfahren verfolgten Verfahrensziels von Höger (jurisPR-BGHZivilR 22/2015 Anm. 4) vermochte keine für die Beklagten abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Die Anmerkung bezieht sich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2015 (III ZR 170/14), mit der er die Entscheidung vom 18.06.2015 bestätigte. Für Höger ist dabei die "strenge Handhabung der Voraussetzungen einer Anspruchsindividualisierung für die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB [...] grundsätzlich richtig und zu begrüßen. Denn sie erleichtert die Arbeit der Gütestellen und korrespondiert mit dem originären Sinn und Zweck der Güteverfahren. Das Güteverfahren hat nämlich primär das Ziel einer abschließenden Schlichtung ohne Anrufung der Gerichte und nicht das Ziel einer bloßen Verjährungshemmung als Zeitgewinn vor Anrufung der Gerichte".
96
Lediglich zu dem mit den Güteverfahren verfolgten Verfahrensziel und damit letztlich der Darlegung der Schadenshöhe hat er Bedenken geäußert und ausgeführt, im "Klageverfahren wäre insoweit eine nachträgliche Substantiierung der Schadenshöhe möglich, ohne dass sich dies auf die verjährungshemmende Wirkung der Klage auswirken würde (...)".
97
Jedoch hat Höger dahinstehen lassen, ob die Anforderungen an die Darlegung des Verfahrensziels und damit letztlich der Darlegung der Schadenshöhe gerechtfertigt seien sowie herausgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 10.09.2015 (1 BvR 1817/15) jedenfalls die ersten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 durch Nichtannahme der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden "abgesegnet" habe.
98
Es war daher auch für die Beklagten fernliegend, dass der Bundesgerichtshof seine Haltung unter Berücksichtigung dieser Urteilsbesprechung noch einmal geändert hätte.
99
(cc) Dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung wegen des Aufsatzes von Borowski (VuR 2015, S. 469 f. [BGH 20.08.2015 - III ZR 373/14] [BGH 20.08.2015 - III ZR 373/14]) geändert hätte, war ebenfalls nicht anzunehmen.
100
Soweit Borowski meint, dass "die genaue Schadenshöhe, beispielsweise im Falle von Steuerstreitigkeiten auf Fondsebene, von den fehlinformierten Verbrauchern gar nicht mitgeteilt werden könnte, werde vom BGH ebenso wenig berücksichtigt, wie die Überforderung des Verbrauchers mit der genauen Schadensberechnung (...)", hat er bereits nicht verdeutlicht, warum der Verbraucher überfordert und eine Mitteilung insofern nicht möglich sein soll. Der Einschätzung von Borowski, es sei für den Antragsgegner erkennbar, in welcher Höhe er in Anspruch genommen werde, weil diesem die Zeichnungsunterlagen vorliegen würden und diese regelmäßig Angaben zur Fremdfinanzierung enthielten, ist der Bundesgerichtshof mit dem überzeugenden Argument entgegengetreten, dass die Vielzahl von Güteanträgen eine Zuordnung wesentlich erschwert.
101
Auch das Argument von Borowski, dass der mit dem Güteverfahren befasste Schlichter erst nach einer möglichen Stellungnahme des Antragsgegners einen Einigungsvorschlag unterbreiten könne, verkennt, dass ein etwaiges Bestreiten des Antragsgegners nicht über eine unzureichende Darlegung der Größenordnung hinweghilft. Auch in diesem Fall ist der Gütestelle nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nicht möglich, einen fallangemessenen Einigungsvorschlag zu erstellen.
102
(dd) Auch der Aufsatz von Rechtsanwalt Fuxman (GbR 2015, S. 324) führt nicht zur Annahme, der Bundesgerichtshof werde seine Rechtsprechung ändern.
103
Soweit Fuxmann die Notwendigkeit der Eingrenzung zwischen "großem" und "kleinem" Schadensersatz bezweifelt, weil der Antragsgegner schon aus der Beteiligungshöhe den maximalen Forderungsumfang ersehen könne, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, warum das gerade nicht der Fall ist. Wenn es für Fuxmann überdies nicht sachgerecht erscheint, eine derart genaue Schadenseingrenzung in Anlageberatungsfällen zu verlangen, da der VI. Zivilsenat bei der Prospekthaftung nicht einmal die Angabe einer Beteiligungssumme verlange, bleibt der bereits oben dargelegte Unterschied von Anlagenberatungsfällen zur Prospekthaftung unbeachtet. Zustimmend stellt Fuxmann dann heraus, dass die zur Individualisierung notwendigen Angaben nicht vollständig zwingend im Güteantrag enthalten sein müssten, sondern sich auch aus einem beigefügten Anspruchsschreiben ergeben könnten. Im Gegensatz zum formalisierten Mahnverfahren, das nicht auf eine gütliche Einigung ausgerichtet sei und folglich eine Bezugnahme genügen lasse - sofern das Anspruchsschreiben dem Gegner zugegangen sei -, könne eine Gütestelle nur dann einen sinnvollen Vergleichsvorschlag erarbeiten, wenn ihr die nötigen Informationen vollständig zur Verfügung gestellt werden würden. Auch äußert Fuxmann, dass das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2016 insgesamt für mehr Rechtssicherheit sorge. Es halte Anlegeranwälte zu größerer Sorgfalt bei der Abfassung von Güteanträgen an. In Anbetracht dieser Ausführungen hält es der Senat für ausgeschlossen, dass diese den Bundesgerichtshof zu einer Rechtsprechungsänderung veranlasst hätten.
104
(ee) Ferner ließ auch die Urteilsbesprechung von Harnos (BKR 2015, S. 386 ff. [BGH 18.06.2015 - III ZR 198/14] [BGH 18.06.2015 - III ZR 198/14]) nicht den Rückschluss zu, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung noch abändern wird. Harnos vertritt die Auffassung, dass es bei der Darstellung des Verfahrensziels im Regelfall genügen dürfte, wenn der Antragsteller die Beteiligungshöhe nenne. Auf dieser Grundlage könne die Gütestelle einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Solchen Überlegungen ist der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen mit dem Argument entgegengetreten, dass auf dieser Grundlage gerade kein fallgerechter Vergleichsvorschlag unterbreitet werden kann.
105
Soweit Harnos unterschiedliche Streitgegenstände in dem entgangenen Zinsgewinn beziehungsweise in dem Finanzierungsschaden einerseits und dem Anspruch auf Rückabwicklung des Anlagegeschäfts andererseits sieht und deswegen eine Hemmungswirkung hinsichtlich des Rückabwicklungsanspruchs annehmen will, hat der Bundesgerichtshof anders entschieden und an dieser Rechtsprechung festgehalten. Hinzu kommt, dass der Güteantrag der Beklagten gerade nicht auf den Rückabwicklungsanspruch begrenzt war, sondern den Ersatz sämtlicher Schäden beinhaltete. Eine Hemmung durch Teilindividualisierung hatte der Bundesgerichtshof vor dem Termin vor dem Landgericht Gera ebenfalls abgelehnt.
106
(ff) Schließlich werden in der Anmerkung von Knops und Spiegelberg zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. August 2015 (III ZR 373/14) keine neuen, bislang vom Bundesgerichtshof nicht behandelten Grundsätze angeführt, sondern die hohen Anforderungen an Güteanträge kritisiert (WuB 2016, S. 14 ff.). Dabei stellen die Autoren weniger die aufgestellten Grundsätze als die Subsumtion im konkreten Fall in Frage. Insofern erachten sie die Formulierung des Güteantrages hinsichtlich des Verfahrensziels in dem vom Bundesgerichtshof am 20.08.2015 entschiedenen Fall für ausreichend. Soweit sie die vom Bundesgerichtshof geforderten Angaben, "ob das eingebrachte Beteiligungskapital fremdfinanziert war nebst eventueller Freistellungsansprüche und etwaig abzuziehender Ausschüttungen" kritisch hinterfragen, geht dies nicht über allgemeine Bedenken hinaus, die jedoch ebenfalls keine neuen, bislang unberücksichtigten Gesichtspunkte betreffen.
107
(b) Die von Lindner und Borowski vertretene Auffassung, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 gegen europäisches Recht verstoße, rechtfertigte nicht die Annahme, der Bundesgerichtshof werde seine Rechtsprechung auf dieser Grundlage noch einmal überdenken und ändern.
108
(aa) Soweit Lindner meint, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 widerspreche "der Intention des europäischen (...) Gesetzgebers, außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren zu fördern und so eine auch für Laien zugängliche, kostengünstigere Alternative für die Rechtsdurchsetzung zu schaffen", postuliert er - unzutreffend (vgl. nur deutlich OLG München, Urteil vom 19. Februar 2016 - 3 U 618/15 -, juris Rn. 57 ff. m.w.N.) - einen vermeintlichen Verstoß gegen die Absicht des europäischen Gesetzgebers, ohne dies näher dazulegen. Ohne eine weitergehende Begründung seiner Ansicht hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung noch einmal überdacht hätte.
109
(bb) Auch aufgrund der Ausführungen von Borowski (VuR 2015, S. 467 [BGH 20.08.2015 - III ZR 373/14] (470)), der meint, es blieben die Ziele der neueren europäischen Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt, war keine Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs zu erwarten. Soweit sich Borowski dabei auf die bereits oben aufgeführte Richtlinie 2013/11/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung von Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG bezieht, hat er verkannt, dass § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. EU L 165/63) genügt. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28.01.2016 (III ZB 88/15) später ausdrücklich festgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris Rn. 18).
110
(c) Die übrigen durch die Beklagten angeführten Literaturstimmen aus dem Jahr 2016 können unberücksichtigt bleiben. Nachdem der Bundesgerichtshof bis Januar 2016, insbesondere mit Beschluss vom 28.01.2016 (III ZB 88/15), seine Rechtsprechung mehrfach bestätigt hat, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass eine anhaltende kritische Diskussion in Teilen der juristischen Literatur noch eine Rechtsprechungsänderung hätte herbeiführen können.
111
(2) Die Möglichkeit, nach Erschöpfung des Rechtswegs eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht einzulegen, steht der Annahme der Aussichtslosigkeit der Verfahrensfortsetzung im hiesigen Vorprozess nicht entgegen. Schon bei abstrakter Betrachtung dieser Möglichkeit, ist die Annahme selbst geringer Erfolgsaussichten fernliegend. Ferner teilt der Senat die Auffassung der Beklagten, ihre Mandanten hätte trotz der Aussichtslosigkeit das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof durchführen müssen, um sich den Weg für eine Verfassungsbeschwerde offen zu halten oder um die Durchführung anderer Verfassungsbeschwerdeverfahren abzuwarten, weil diese Erfolgsaussichten für sein Verfahren hätten begründen können, nicht.
112
(a) Die Stellung der Verfassungsbeschwerde im Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes zeigt bereits auf, dass diese bei der Prüfung der Erfolgsaussichten nur in besonderen Ausnahmefällen Bedeutung erlangen kann. Der Bundesgerichtshof hat in dem Urteil vom 16.09.2021 (IX ZR 165/19) in seinen Ausführungen zu den Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits dementsprechend nur auf den Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit abgestellt, nicht aber auf das Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 40). Das liegt darin begründet, dass es sich bei der Verfassungsbeschwerde um einen außerordentlichen Rechtsbehelf außerhalb des vom Gesetzgeber vorgesehenen Instanzenzugs handelt und dieser für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung allenfalls bei Verstößen gegen verfassungsrechtliche geschützte Rechte Bedeutung erlangen könnte. Die Verfassungsbeschwerde ist nämlich kein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, der sich diesem in gleicher Funktion ohne Weiteres anschlösse. Vielmehr ist sie eine besondere Vorkehrung zur Durchsetzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, mithin ein außerordentlicher Rechtsbehelf, mit dem der Träger des vermeintlich verletzten Rechts Eingriffe der öffentlichen Gewalt abwehren kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 395-418 [BVerfG 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02], Rn. 60). Als Teil der Rechtsschutzgewährleistung sind Verfassungsbeschwerden von anderer Qualität als die an die Fachgerichte adressierten Rechtsbehelfe. Dies zeigt sich nicht nur an dem besonderen Prüfungsmaßstab und an den Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG. Verfassungsbeschwerden hindern den Eintritt der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidungen nicht; auch können Verfassungsbeschwerdeverfahren regelmäßig erst zu einem Zeitpunkt eingeleitet werden, in dem das fachgerichtliche Verfahren seinen Abschluss gefunden hat und die Phase der Vollstreckung oder des Vollzugs eröffnet ist (vgl. BVerfG a.a.O.). Das Verfassungsbeschwerdeverfahren setzt das fachgerichtliche Verfahren nicht einfach fort. Es dient nur der Überprüfung auf Verfassungsverstöße. Die Prüfungsintensität ist eingeschränkt (vgl. BVerfG a.a.O.). Nicht jeder Fehler bei der Rechtsanwendung durch die Gerichte kann mit Erfolg angegriffen werden, sondern nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Dies ist nur dann der Fall, wenn die in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte verletzt worden sind. Mit einer sog. "Urteilsverfassungsbeschwerde" kann ein Rechtssuchender also lediglich rügen, dass er durch die Gerichtsentscheidungen in seinen Grundrechten verletzt worden ist. Dabei kann er insbesondere eine willkürliche Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990 - 1 BvR 275/90 -, juris Rn. 9) anführen oder sich auf die Verletzung des Rechts auf Gewähr des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) stützen. Ferner kann sich der Beschwerdeführer auf Gewährleistungen berufen, die aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet werden. Nicht erfolgreich wird ein Rechtssuchender dann sein, wenn er lediglich weiter auf einer anderen Rechtsmeinung beharrt. Vielmehr muss er darlegen, dass die Rechtsanwendung in seinem Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass diese auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dementsprechend nimmt das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens bei der Überprüfung eines Verhaltens ein verbleibendes Risiko falscher Rechtsanwendung durch das Gericht in Kauf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 395-418, Rn. 19, 50). Allein die abstrakt immer bestehende Möglichkeit, diesen außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde zu ergreifen, vermag daher nach der höchstrichterlichen Klärung einer Rechtsfrage durch die Fachgerichte nur bei Hinzutreten ganz besonderer Umstände allenfalls eine geringfügige Erfolgsaussicht zu begründen.
113
(b) Ein Rechtsanwalt ist nach Erschöpfung des Rechtswegs zwar grundsätzlich verpflichtet, den Auftraggeber über die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde aufzuklären (vgl. Vill, in: Fischer/ Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 256). Dies ist aber nur dann veranlasst, wenn der Rechtsweg von den ordentlichen Gerichten bereits abgeschlossen wurde und zu diesem Zeitpunkt Erfolgsaussichten für eine Verfassungsbeschwerde bestehen. Davon durften die Beklagten hier aber nicht ausgehen. Der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) und den nachfolgenden Entscheidungen zu Güteanträgen lag weder eine willkürliche Rechtsanwendung zugrunde noch war eine Verletzung des Rechts auf Gewähr des rechtlichen Gehörs oder des Rechts auf den gesetzlichen Richter gegeben. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 18.06.2015 wurde dementsprechend bereits mit Beschluss vom 10.09.2015 (1 BvR 1817/15) nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. September 2015 - 1 BvR 1817/15 -, juris).
114
Soweit die Beklagten auf die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde am 21.09.2017 gegen den in einem Parallelverfahren ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.08.2017 (III ZR 37/17) verweisen, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung der Erfolgsaussichten. Denn auch diese Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht, wie auch andere Verfassungsbeschwerden gegen andere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Güteanträgen, nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. November 2017 - 1 BvR 2137/17 -, Anlage BK 26 im Verfahren 9 U 348/18; Beschluss vom 10. September 2015 - 1 BvR 2072/15 -, juris). Zudem wurde diese Verfassungsbeschwerde erst nach Abschluss des Verfahrens ihrer Mandanten B. eingelegt.
115
Ferner ist ergänzend zu würdigen, dass die Beklagten im hiesigen Vorprozess gerade keine Verfassungsbeschwerde eingelegt haben. Die Beklagten haben dazu jedenfalls keinen Vortrag gehalten. Die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Gera vom 22.08.2016 hatte damit Bestand. Eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde in einem anderen von den Beklagten geführten Ausgangsverfahren hätte für ihre Mandanten keine rechtlichen Folgen oder sonstigen Vorteile gebracht. Es wäre bei der rechtskräftigen Abweisung ihrer Klage geblieben.
116
(c) Bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs kann schließlich aus rechtstatsächlicher Sicht nicht unberücksichtigt bleiben, dass aus dem Jahresbericht des Bundesverfassungsgerichts für das Jahr 2022 hervorgeht, dass bei der Betrachtung eines Zeitraums von zehn Jahren lediglich 1,69 % der Verfassungsbeschwerden erfolgreich gewesen waren (vgl. dort S. 53). Auch vor diesem Hintergrund ist - selbst bei Berücksichtigung der abstrakten Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde - von der Aussichtslosigkeit der Verfahrensfortführung auszugehen. Denn die Erfolgsaussichten einer etwaigen Verfassungsbeschwerde, bei der die Verletzung von verfassungsrechtlichen Gewährleistungen nicht greifbar auf der Hand liegt, sind rechtstatsächlich als aussichtslos einzustufen.
117
Auch daher mussten die Beklagten jedenfalls vor der ersten mündlichen Verhandlung am 11.07.2016 von der Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung ausgehen und ihre Mandanten entsprechend beraten.
118
(3) Anders als die Beklagten vortragen, ergaben sich aufgrund der von den Beklagten seit 2014 betriebenen Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Kammergericht ab dem 30.09.2015 keine (mittelbaren) Erfolgsaussichten für den für ihre Mandanten B. betriebenen Rechtsstreit mehr. Auch die von einem Kapitalanleger-Musterverfahren im Allgemeinen ausgehende Breitenwirkung (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2017 - III ZB 135/15 -, juris Rn. 17) hätte hier nicht dazu geführt, dass die Weiterführung des Rechtsstreits für die Mandanten sinnvoll gewesen wäre. Zwar mag es sein, dass der "S. Beteiligung Objekt Nr. ..." Gegenstand eines Kapitalanleger-Musterverfahrens gewesen war, wie die Beklagten unwidersprochen behaupten. Gleichwohl hätten die Beklagten ihren Mandanten nicht dazu raten dürfen, ihren Rechtsstreit wegen dieses Kapitalanleger-Musterverfahrens ab dem 30.09.2015 fortzuführen. Denn es bestand ab diesem Zeitpunkt keine Aussicht mehr, auf diesem Weg eine Änderung der gefestigten Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Bestimmtheit der Güteanträge bzw. zu deren Hemmungswirkung herbeizuführen. Jedenfalls vor dem Termin am Landgericht Gera stand endgültig fest, dass es wegen der eingetretenen Verjährung auf die Feststellungen im dem Kapitalanleger Musterverfahren nicht mehr ankam (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 76/15 -, Rn. 11, juris; Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, Rn. 13, juris).
119
Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das Kammergericht nicht, wie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 09.03.2017 (III ZB 135/15) festgestellt hat, das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses für das Kapitalanleger-Musterverfahren aufgrund einer eigenen Prüfung der Verjährung annehmen durfte. Denn das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nur in besonderen Ausnahmefällen, etwa, wenn sämtliche Aussetzungsbeschlüsse aufgehoben wurden, weil sich herausgestellt hatte, dass die Entscheidungen der jeweiligen Ausgangsverfahren von den Feststellungszielen nicht mehr abhingen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2017 - III ZB 135/15 -, juris Rn. 13 ff.). In diesem Fall ist das Musterverfahren zu beenden (vgl. Kruis, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 13, 5. Aufl. 2022, § 13 KapMuG Rn. 29 f.¸ Kotschy, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 13 Rn. 13). Jedoch stand, wie der Senat bereits festgestellt hat, ab dem 18.06.2015 objektiv fest, dass die Ansprüche der von den Beklagten vertretenen Anleger in diesem sowie in zahlreichen weiteren von ihnen betriebenen Verfahren verjährt waren. Dies hatte für die Beklagten zum 30.09.2015 erkennbar zur Folge, dass bei Berücksichtigung der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle Aussetzungsbeschlüsse der Ausgangsgerichte aufzuheben waren. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 (III ZR 198/14) bedeutete für die Anlegerverfahren nämlich, dass es auf etwaige Feststellungen in dem Kapitalanleger-Musterverfahren wegen der eingetretenen Verjährung nicht mehr ankam (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 76/15 -, Rn. 11, juris).
120
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere des III. Zivilsenats, war zu diesem Zeitpunkt auch derart verfestigt, dass die Beklagten davon ausgehen mussten, dass selbst bei Fortführung des Kapitalanleger-Musterverfahrens keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu erwarten ist. Daher ist von einem zeitlichen Gleichlauf der Erfolgsaussichten für die individuellen Anlegerverfahren und für das Kapitalanleger-Musterverfahren auszugehen. Wie bereits dargelegt, ist die theoretisch niemals auszuschließende Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung oder einer Fehlentscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 40), hier über den Weg des Kapitalanleger-Musterverfahrens, nicht ausreichend, um eine zumindest geringfügige Erfolgsaussicht des Verfahrens anzunehmen.
121
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass einige wenige Gerichte nach dem 18.06.2015 ihre Aussetzungsbeschlüsse aufrechterhielten oder weitere Verfahren aussetzten. Denn diese Entscheidungen waren spätestens in Anbetracht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab dem 18.06.2015 rechtlich unzutreffend. Ausweislich der verfahrensbeendenden Entscheidung des Kammergerichts vom 08.09.2017 (14 Kap 2/15) waren dementsprechend in der Folge sämtliche Aussetzungsbeschlüsse der Ausgangsgerichte aufgehoben worden (vgl. Anlage BK 21 im Verfahren 9 U 348/18).
122
(4) An der fehlenden Erfolgsaussicht der weiteren Rechtsverfolgung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof X. und Y., auch über den 29.09.2015 bzw. den 28.01.2016 hinaus die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens in anderen von den Beklagten betriebenen Verfahren befürwortet haben. Die Beklagten waren zunächst unabhängig von deren Tätigkeit in Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren verpflichtet, die Erfolgsaussichten der Klage zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1989 - IX ZR 75/88 -, juris Rn. 8, vom 27. März 2003 - IX ZR 399/99 -, juris Rn. 19; OLG Zweibrücken, Urteil vom 9. März 2023 - 4 U 97/22 -, juris Rn. 41; Vill, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 257). Wie der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, hätten die Streithelfer der Beklagten bei der objektiven Aussichtslosigkeit des Rechtsstreits allenfalls den gleichen Fehler begangen wie die Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 46). Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens und von dem Senat nicht zu beurteilen.
123
Damit steht fest, dass die Beklagten jedenfalls vor dem 11.07.2016 ihre ab dem 30.09.2015 gegenüber ihrem Mandanten bestehende Beratungspflicht verletzt haben, indem sie ihnen nicht von der weiteren Rechtsverfolgung abgeraten haben.
124
5. Die anwaltliche Pflichtverletzung beruht auf Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB). Insoweit haben sich die Beklagten nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entlasten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1996 - IX ZR 106/95 -, juris Rn. 30; G. Fischer, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 50). Solchen Vortrag haben die Beklagten nicht gehalten. Die Beklagten hätten bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit ihres Vorgehens erkennen und die sich daraus ergebenden Nachteile für ihre Mandanten vermeiden können. Ein Rechtsirrtum ist in der Regel zu vertreten (vgl. G. Fischer, a.a.O. Rn. 43). Er wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass andere Rechtskundige möglicherweise denselben Fehler begangen haben (vgl. G. Fischer, a.a.O.). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - eine mehrfach bestätigte höchstrichterliche Entscheidung vorliegt, ist von einem schuldhaften Irrtum auszugehen.
125
6. Der Senat geht davon aus, dass sich die Mandanten der Beklagten bei pflichtgemäßer Beratung gegen die Fortführung des Rechtsstreits entschieden hätten. Die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten ist für den Schaden kausal geworden.
126
a) Fällt dem Rechtsanwalt eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Beratungspflicht zur Last, kommt es darauf an, wie sich der Mandant im Falle pflichtgemäßer Unterweisung verhalten hätte. Diese Frage stellt sich im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität, die der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beweisen hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, Rn. 35 f., juris). Zu Gunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten. Anders verhält es sich wiederum, wenn von einer objektiven Aussichtslosigkeit der (weiteren) Rechtsverfolgung auszugehen ist. Dann wirkt die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens trotz des Bestehens einer bestandskräftigen Deckungszusage eines Rechtsschutzversicherers zugunsten des Geschädigten (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 39, juris). In diesem Fall ist nämlich nicht mehr davon auszugehen, dass sogar ganz geringe Erfolgsaussichten einen rechtsschutzversicherten Mandanten dazu veranlassen könnten, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen. Greift die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ein, so liegt hierin keine Beweislastumkehr, sondern ein Anscheinsbeweis, der durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden kann, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 36 m.w.N.).
127
Wie bereits dargelegt, war die Fortführung des Rechtsstreits für die Beklagten erkennbar ab dem 30.09.2015 aussichtslos geworden. Der Anscheinsbeweis wirkt hier zugunsten der Klägerin.
128
Die mit dem Gegenbeweis belastete Partei kann dann die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Ablaufs beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89 -, juris Rn. 16; Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, Vorbemerkungen zu § 284, Rn. 29). Die Umstände, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit einer anderen Ursache ergeben soll, müssen von der Partei zur Überzeugung des Tatrichters nachgewiesen werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89 -, juris Rn. 16, Urteil vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 32/16 -, juris Rn. 11).
129
b) Die Beklagten haben den (vereinfachten) Gegenbeweis jedoch nicht geführt.
130
Auf die Vernehmung der Zeugin Ka. B. haben die Beklagten im Termin vom 21.12.2023 verzichtet.
131
Der Senat sieht auf Grundlage der Vernehmung ihres weiteren Mandanten, des Zeugen K.A., den Anschein des beratungsgerechten Verhaltens als nicht erschüttert an. Der Senat ist nicht von dem ernsthaften Vorliegen eines atypischen Verhaltens der Mandanten der Beklagten überzeugt.
132
Der Zeuge A. hat einen glaubwürdigen Eindruck auf den Senat gemacht und auch seine Aussage ist glaubhaft. Er hat geschildert, dass er und seine Ehefrau seinerzeit 30.000 DM über den Rechtsvorgänger der vormaligen Beklagten angelegt hatten. Er sei von den Beklagten angeschrieben worden und habe sich nach einem persönlichen Gespräch mit einem Rechtsanwalt der Beklagten zur Klage entschlossen. Dann hat der Zeuge sehr bestimmt geäußert, dass er sich, wenn er von den Rechtsanwälten über die Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs und die dadurch eingetretene Aussichtslosigkeit ihres Rechtsstreits beraten worden wäre, dafür entschieden hätte, den Rechtsstreit nicht fortzuführen. Er hat dies auch ausdrücklich bekräftigt, nachdem ihn der Senat gefragt hat, ob er trotz der Absicherung durch den Rechtsschutzversicherer sich zu einer Beendigung des Rechtsstreits entschlossen hätte. Er hat dies nachvollziehbar mit seiner allgemeinen humanen Einstellung begründet, dass er niemand schaden oder etwas wegnehmen wolle. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieser Bekundung ergeben sich auch nicht aus der Beantwortung der durch die Beklagten gestellten Frage, ob er sich für die Fortführung des Rechtsstreits entschieden hätte, wenn die Beklagten ihn zwar auf die Aussichtslosigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hingewiesen hätten, aber zugleich auf die Tatsache, dass ein Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof noch Erfolgsaussichten sehe und der Rechtsschutzversicherer Deckung zugesagt habe. Hier hat der Zeuge zwar ausgesagt, dass er in diesem Fall den Rechtsstreit fortgesetzt hätte. Diese Aussage erschüttert den Anschein des beratungsgerechten Verhaltens aber nicht. Die Beklagten hätten ihre Mandanten dann auch darauf hinweisen müssen, dass der Bundesgerichtshof den Anträgen der mit diesen oder ähnlichen Güteanträgen befassten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof in allen bislang entschiedenen Fällen gerade nicht gefolgt sei. Diese Sachlage war vor dem 11.07.2016 offenkundig, denn zwischenzeitlich waren auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2016 zu einem Güteantrag der Beklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15 -, juris) und zahlreiche weitere Entscheidungen zu vergleichbaren Güteanträgen ergangen, und hätte im Rahmen einer pflichtgemäßen Beratung dargelegt werden müssen. Dass der Zeuge und seine Ehefrau auch dann den Rechtsstreit hätten fortsetzen wollen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist, weil der Zeuge zuvor gerade eindeutig und bestimmt ausgesagt hat, dem Rechtsstreit bei Aussichtslosigkeit nicht fortführen zu wollen, vom Gegenteil auszugehen.
133
Es bleibt dabei, dass davon auszugehen ist, dass sich die Mandanten der Beklagten beratungsgerecht gegen die Fortführung des Rechtsstreits entschieden hätten.
134
c) Die Prüfung der Erfolgsaussichten von Nichtzulassungsbeschwerden in anderen Verfahren durch den Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 46). Dies gilt auch für die von der Klägerin erteilten Deckungszusagen im Vorprozess und für die von den Beklagten in Parallelverfahren beabsichtigten Verfassungsbeschwerdeverfahren in den Jahren 2016 und 2017.
135
7. Den Mandanten der Beklagten ist durch die Pflichtverletzung der Beklagten vor dem 11.07.2016 ein Kostenschaden entstanden, für den die Klägerin Versicherungsleistungen erbracht hat.
136
a) Die Beklagten hätten ihre Mandanten nach dem 29.09.2015, aber spätestens vor der nächsten kostenauslösenden Maßnahme, also vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Gera am 11.07.2016, darauf hinweisen müssen, dass die weitere Rechtsverfolgung aussichtslos ist. Sie hätten ihren Mandanten zur Rücknahme der Klage raten müssen. Die Kläger hätten vor dem 11.07.2016 ihre Klage auch ohne Zustimmung der Beklagten des Vorprozesses zurücknehmen können, da zuvor noch keine mündliche Verhandlung in dem Rechtsstreit stattgefunden hatte (§ 269 Abs. 1 ZPO). Bei zutreffender Beratung wären auch die Kosten für das Berufungsverfahren vor dem Thüringer Oberlandesgericht nicht entstanden.
137
Auf den Ersatz von Kosten, die vor der mündlichen Verhandlung durch die Einreichung der Klage entstanden sind, hat die Klägerin verzichtet.
138
b) Die Höhe des Schadens ist unter Anwendung der Maßstäbe des § 287 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - VII ZR 84/10 -, juris Rn. 17). Im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO reicht bei der Entscheidung über die Schadenshöhe eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2013 - VIII ZR 174/12 -, juris Rn. 20). Zwar ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Enthält der diesbezügliche Vortrag Lücken oder Unklarheiten, so ist es in der Regel jedoch nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jeden Ersatz zu versagen. Der Tatrichter muss vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist, und darf eine solche Schätzung erst dann gänzlich unterlassen, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2013 - VIII ZR 174/12 -, juris Rn. 20). Es entspricht dem Zweck des § 287 ZPO, durch den der Gesetzgeber dem Richter das Recht gegeben und damit die Pflicht auferlegt hat, einen Schaden trotz unvollständiger Aufklärung des Sachverhalts durch Schätzung festzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - VII ZR 84/10 -, juris Rn. 24).
139
c) Dementsprechend hat der Senat einen Schaden in Höhe von 6.004,20 EUR bestimmt. Der Senat ist überzeugt, dass Kosten in dieser Höhe entstanden und von der Klägerin auch beglichen worden sind. Die Klägerin hat verschiedene Urkunden vorgelegt, deren Inhalt von den Beklagten nicht weiter bestritten worden ist und deren inhaltliche Aussagekraft der Senat auch nicht aus anderen Gründen anzweifelt.
140
aa) Der Klägerin steht der Ersatz der Gerichtsgebühren in Höhe von 438 EUR zu. Die Zahlung von Gerichtsgebühren in Höhe von 657 EUR durch die Klägerin ist unstreitig. Für das erstinstanzliche Verfahren fallen 3,0 Gerichtsgebühren an (Nr. 1210 KV GKG). Bei einer Rücknahme vor dem 11.07.2016 wäre nur 1,0 Gerichtsgebühr zu entrichten gewesen (Nr. 1211 KV GKG). Bei einem Gegenstandwert von 12.884,56 EUR (vgl. Anlage K 6) beträgt eine Gebühr 219 EUR (Anlage 2 zu § 34 GKG in der zum Zeitpunkt der Klageerhebung gültigen Fassung). Der Klägerin steht daher der Ersatz von 2,0 Gerichtsgebühren, insgesamt 438 EUR) zu.
141
bb) Die Beklagten haben der Klägerin ferner die Kosten für ihre Teilnahme an dem Termin vom 11.07.2016 in Höhe von 751,13 EUR zu erstatten. Hierfür haben die Beklagten u.a. 1,2 Terminsgebühren (Nr. 3104 VV RVG) erhalten, die in der unstreitig erfolgten Zahlung der Klägerin an die Beklagten für die erstinstanzliche Vertretung enthalten waren. Die Beklagten sind der Höhe dieses Betrags nicht weiter entgegengetreten.
142
cc) Der Klägerin steht auch der Ersatz der Kosten zu, die der S. L. für die Teilnahme an dem Termin vom 11.07.2016 entstanden sind.
143
(1) Die Klägerin verlangt nach Teilverzicht noch 862,51 EUR für die Terminsgebühr sowie Reisekosten in Höhe von 321,30 EUR. Diese Beträge sind gebührenrechtlich und rechnerisch richtig. Sie gehen zudem aus dem Kostenfestsetzungsantrag der Prozessbevollmächtigten der S. L. hervor und wurden in dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gera vom 26.06.2017 antragsgemäß festgesetzt (vgl. Anlagen 12 und 14 zum Schriftsatz vom 11.03.2022). Diesem neuen und konkreten Vortrag sind die Beklagten inhaltlich nicht mehr entgegengetreten.
144
(2) Der Senat geht auch von der Zahlung dieses Betrags an die S. L. aus. Mit Schreiben vom 06.11.2017 hat die S. L. eine Zahlung in Höhe von 3.579,88 EUR durch die Klägerin bestätigt, die sich ausdrücklich auf das erst- und zweitinstanzliche Verfahren der Zeugen A. bezieht (Anlage K 18). Dieser Betrag ist zwar höher als der Betrag in dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gera vom 26.06.2017 (3.488,55 EUR), weil darin nach dem Vortrag der Klägerin Zinsen enthalten sind. Es liegen keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Bestätigung wahrheitswidrig erfolgt sei oder Fehler enthält.
145
dd) Für das Berufungsverfahren vor dem Thüringer Oberlandesgericht waren von der Klägerin für die Mandanten der Beklagten 4,0 Gerichtsgebühren (Nr. 1220 KV-GKG) in Höhe von 1.068 EUR zu entrichten. An der Zahlung durch die Klägerin bestehen keine Zweifel. Sie hat diese durch die Einzahlungsbestätigung des Thüringer Oberlandesgerichts vom 19.04.2022 (Anlage 18 zum Schriftsatz vom 28.04.2022) nachgewiesen. Diesen Betrag haben die Beklagten zu erstatten.
146
ee) Die Höhe der an die Beklagten erfolgten Zahlung für die im Berufungsverfahren erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 1.389,44 EUR ist unstreitig.
147
ff) Die Beklagten haben der Klägerin auch die Kosten der vormaligen Berufungsbeklagten zu erstatten.
148
(1) Die Klägerin macht hierfür 1.173,82 EUR geltend. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gera vom 26.06.2017 wurde der Betrag in dieser Höhe festgesetzt (vgl. Anlage 14 zum Schriftsatz vom 11.03.2022). Die Beklagten sind diesem Vortrag nicht mehr entgegengetreten.
149
bb) Der Senat geht auch hier davon aus, dass die Klägerin diesen Betrag an die S. L. bezahlt hat. Wie bereits dargelegt, hat die S. L. mit Schreiben vom 06.11.2017 eine Zahlung in Höhe von 3.579,88 EUR durch die Klägerin bestätigt, die sich auf das erst- und zweitinstanzliche Verfahren bezieht (Anlage K 18).
150
Damit steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 6.004,20 EUR zu. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner (§ 421 BGB, § 52 Abs. 2 Satz 1 BRAO).
151
8. Ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) der Mandanten der Beklagten ist nicht ersichtlich und von den Beklagten auch nicht behauptet worden. Eine Zurechnung eines etwaigen Verschuldens der Klägerin bei der Prüfung der Deckungsanfragen erfolgt nicht. Im Verhältnis zu den Beklagten trafen die Klägerin schon keine Pflichten (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 23). Zudem kommt ein Rechtsschutzversicherer bei der Prüfung der Deckungsanfrage seinen Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis nach, die nicht deckungsgleich mit den Pflichten der Rechtsanwälte aus deren Anwaltsvertrag mit ihren Mandanten sind und die auch nicht die Vermeidung der Haftung von Rechtsanwälten bezwecken. Die Prüfungsobliegenheit der Versicherer dient auch nicht dazu, Schaden von ihrem Versicherungsnehmer fernzuhalten, sondern der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten aus dem Versicherungsvertrag und der Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Damit kommt auch keine Zurechnung eines etwaigen Verschuldens der Klägerin in Betracht.
152
9. Die Beklagten können die Leistung nicht nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern. Die der Klägerin zustehenden Ansprüche sind nicht verjährt.
153
Ansprüche wegen einer anwaltlichen Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1. § 675 Abs. 1 BGB, § 86 VVG verjähren nach der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB). Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist bestimmt sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Für die Frage, wann ein Schaden eingetreten ist, gilt die Risiko-Schaden-Formel des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 - IX ZR 197/14 -, juris Rn. 75). Danach ist eine bloße Vermögensgefährdung infolge der Pflichtverletzung des Beraters nicht ausreichend. Vielmehr entsteht ein Schaden erst dann, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung des Beraters gegenüber seinem früheren Vermögensstand objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt, dass der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist, mag auch seine Höhe noch nicht beziffert werden können. Es muss nicht feststehen, dass eine Vermögenseinbuße bestehen bleibt und damit endgültig wird (vgl. BGH, a.a.O.). Im Fall der Durchführung eines aussichtslosen Rechtsstreits entsteht der Schaden mit der Klageerhebung und wird zu diesem Zeitpunkt auch dann fällig (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1995 - X ZR 32/93 -, juris Rn. 35; Chab, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/ Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 25). Die Verjährungsfrist hätte in diesem Fall hier bei Kenntnis von dem Schadenseintritt mit dem Schluss des Jahres 2013 zu laufen begonnen und hätte am 31.12.2016 geendet. Durch die Zustellung der Mahnbescheide am 30.12.2016 wäre die Verjährung noch im Jahr 2016 gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Für die Hemmungswirkung ist auch der den Streitgegenstand bildende prozessuale Anspruch maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 15; Chab, in: Fischer/Vill/Fischer/Pape/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 38). Dieser umfasst hier, wie bereits dargelegt, nicht nur die Einleitung des Verfahrens, sondern auch dessen Fortsetzung nach der Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Ferner ist hier zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Mandanten der Beklagten frühestens mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.06.2015 - wie die Beklagten auch - Kenntnis davon erlangen konnte, dass ihr Rechtsstreit aussichtslos geworden war und die Beklagten mit ihrem Rat, den Rechtsstreit fortzuführen, die ihnen zukommenden Pflichten verletzt haben. Daher ist erst ab diesem Zeitpunkt die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ebenfalls erforderliche Kenntnis von dem Schaden eingetreten. Demnach begann die Verjährungsfrist erst mit dem 31.12.2015 zu laufen und endete am 31.12.2018. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde dadurch auch für die von der Klägerin erstmals mit der Anspruchsbegründung geltend gemachten Schadenspositionen rechtzeitig gehemmt.
154
Sollten, wie die Beklagten meinen, hingegen zwei Streitgegenstände mit jeweils unterschiedlichen Pflichtverletzungen vorliegen, so wäre der hier noch zu beurteilende Schaden erst mit der unzureichenden Beratung ab dem 30.09.2015 entstanden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14 -, juris Rn. 14 zur Anlageberatung) bzw. hätten die Mandanten erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Pflichtverletzung erhalten. Der Anspruch wäre dann erst am 31.12.2018 verjährt. Mit Zustellung der Anspruchsbegründung der Beklagten wäre die Verjährung dann rechtzeitig im Jahr 2017 gehemmt worden.
155
10. Die Zinsen stehen der Klägerin gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Der Mahnbescheid, der den Beklagten jeweils am 30.12.2016 zugestellt worden war, beinhaltet die Schadensersatzansprüche der Klägerin hinsichtlich der Gerichtskosten der ersten Instanz und die dortige anwaltliche Vertretung durch die Beklagten. Damit sind diese Ansprüche rechtshängig geworden (§ 696 Abs. 3 ZPO). Mit Zustellung der Anspruchsbegründung am 20.04.2017 bzw. der Klageerweiterung am 20.11.2017 sind die weiteren Kostenschäden im Wege des § 264 Nr. 1 ZPO rechtshängig geworden (§ 697 Abs. 2 Satz 1, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO).
156
11. Der Inzidentantrag der Beklagten hat keinen Erfolg. Ihnen steht kein Anspruch auf Zinsen nach § 717 Abs. 2 Satz 1 bzw. Satz 2 ZPO, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB auf die geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen zu.
157
Die Beklagten haben zur Abwendung der von der Klägerin ausgebrachten Sicherungsvollstreckung am 03.07.2018 eine Sicherheitsleistung in Höhe von 8.419,75 EUR hinterlegt, die am 27.09. 2019 freigegeben wurde (vgl. Anlagen BK 4 bis 6).
158
Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO wird der Vollstreckungsschaden ersetzt, wenn der Vollstreckungsschuldner Leistungen zur Abwendung der Vollstreckung erbracht hat. Zwar haben die Beklagten nicht konkret vorgetragen, dass ihnen die Vollstreckung drohte (vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 717 ZPO Rn. 31), dies ergibt sich aber bereits aus dem Vorliegen eines Zahlungstitels (vgl. KG Berlin, Urteil vom 25. Januar 2018 - 8 U 58/16 -, juris Rn. 63).
159
Der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Grundsätzlich ist Naturalrestitution geschuldet, unter den Voraussetzungen der §§ 250 f. BGB auch Geldersatz. Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB vorliegt, beurteilt sich im Ansatz nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (sog. Differenzhypothese; vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1984 -VI ZR 264/82 -, juris, Rn. 13). Es ist der Zustand herzustellen, der ohne die Vollstreckung bestehen würde; die Folgen des Vollstreckungszugriffs bzw. ihrer Abwendung sind auszugleichen (vgl. Lackmann, in: Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 717 ZPO Rn. 12). Die Beklagten haben einen solchen weiteren Vollstreckungsschaden nicht konkret dargelegt. Fiktive Schäden werden nicht ersetzt (vgl. Hess, in: Wiezcorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 717 ZPO, Rn. 19; Schuschke/Braun, in: Schuschke u.a., Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, § 717 ZPO Rn. 11; Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 717 ZPO, Rn. 8; BGH, Urteil vom 3. Juli 1984 - VI ZR 264/82 -, juris Rn. 14 zu einem besonders gelagerten Fall). Daher können sich die Beklagten hier auch nicht auf eine Verzinsung nach § 291 BGB für die Zeit der Hinterlegung berufen, denn dies würde den Ersatz eines fiktiven oder pauschalierten Schadens bedeuten, der von dem Gesetzgeber in der vorliegenden prozessualen Situation nicht vorgesehen ist.
160
Von diesem Schaden nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Verzinsung eines solchen Schadensersatzanspruches nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 291 BGB zu unterscheiden. Ein Inzidentantrag, mit dem ein Schaden nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO im anhängigen Rechtsstreit nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO geltend gemacht wird, bewirkt die Rechtshängigkeit des Schadensersatzanspruchs mit Rückwirkung zur Zeit der Zahlung oder des Bewirkens der Leistung (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 717 ZPO, Rn. 14). Prozesszinsen nach § 291 BGB können dann ab diesem Zeitpunkt verlangt werden (vgl. Saenger, ZPO, § 717 ZPO Rn. 10). Hier ist jedoch kein solcher Schaden konkret geltend gemacht oder rechtshängig worden. § 291 BGB kann daher wegen der fehlenden Rechtshängigkeit eines Schadens nicht - auch nicht für die Zeit der Hinterlegung - zur Anwendung gelangen.
161
Das Bundesarbeitsgericht hat zwar entschieden, dass auch ein fiktiver Zinsverlust zu ersetzen ist und hat § 288 BGB entsprechend angewandt (vgl. BAG, Beschluss vom 12. November 2014 - 7 ABR 86/12 -, juris Rn. 32, juris; ähnlich wohl Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 717 ZPO Rn. 26). Jedoch war in diesem Verfahren auch die Rückzahlung der Leistung begehrt worden, so dass § 291 BGB zur Anwendung gelangen konnte. Lediglich für die Höhe der Zinsen hat das Bundesarbeitsgericht auf § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verwiesen (dort Rn. 31 f.). Das Amtsgericht Hamburg hat die Verzinsung nach § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 288 BGB zugesprochen in einem Fall, bei dem die nach einem Versäumnisurteil zu Unrecht vollstreckte Leistung noch nicht zurückbezahlt, aber die Rückzahlung auch nicht im Wege der Inzidentklage geltend gemacht wurde (vgl. AG Hamburg Urteil vom 25. März 2022 - 48 C 483/19, BeckRS 2022, 6628 beck-online Rn. 62). Dieses Urteil gewährt aber zu Unrecht den Ersatz eines fiktiven Zinsschadens.
162
Dadurch werden die Beklagten auch nicht schlechter gestellt als Antragsteller, die ihre Sicherheitsleistung noch nicht zurückerlangt haben und diese im Wege des Inzidentantrags geltend machen, so dass ihnen die Verzinsung nach § 291 BGB zugutekommt. Denn den Beklagten hätte jederzeit die Möglichkeit offen gestanden, einen konkreten Schaden geltend zu machen. Vor diesem Hintergrund besteht für die analoge Anwendung von § 291 BGB im Rahmen des § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO kein Raum.
163
Den Beklagten war auch kein Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO zu erteilen. Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 24.09.2020 ausführlich und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass ein (Zins-)Vollstreckungsschaden nicht pauschal unter Verweis auf § 291 BGB begründet werden kann. Bei derartigen unmissverständlichen Hinweisen durch die Gegenseite ist ein gerichtlicher Hinweis entbehrlich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05 -, juris Rn. 2).
III.
164
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Im Umfang des Teilverzichts hat die Klägerin die Kosten zu tragen (vgl. Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 306 ZPO Rn. 30). Hinsichtlich der Kostentragung in erster Instanz war die rechtskräftig gewordene Abweisung der Klage in Höhe von 681,04 EUR zu berücksichtigen.
165
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nrn. 1, 10, §§ 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
166
3. Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
167
a) Der Fall hat keine grundsätzliche Bedeutung. Diese kommt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - IV ZR 150/20 -, juris Rn. 14).
168
aa) Eine solche Rechtsfrage liegt hier nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 16.09.2021 (IX ZR 165/19) die auch in diesem Rechtsstreit klärungsbedürftigen Rechtsfragen, insbesondere zur Beratungspflicht bei objektiv aussichtsloser Rechtsverfolgung und zur haftungsausfüllenden Kausalität in einem solchen Fall geklärt. Die Feststellungen zu den Fragen, ob Aussichtslosigkeit vorliegt und ab welchem Zeitpunkt, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich der Entscheidung des Tatrichters überantwortet, der die dafür relevanten Tatsachen feststellen und würdigen muss (vgl. Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 -, juris Rn. 37, 40; vom 29. September 2022 - IX ZR 204/21 -, juris Rn. 26). Dass die Würdigung der festgestellten Tatsachen möglicherweise Auswirkungen auf weitere Verfahren, die zwischen den Parteien oder den Beklagten und anderen Rechtsschutzversicherern rechtshängig sind, haben, vermag eine grundsätzliche Bedeutung nicht begründen. Denn es steht keine Rechtsfrage im Raum, die vom Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden worden ist.
169
bb) Eine Grundsatzbedeutung einer Rechtsfrage kann sich im Einzelfall auch aus ihrem Gewicht für die beteiligten Verkehrskreise ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2003 - V ZB 9/03 -, juris Rn. 2). Allein der Umstand, dass eine Entscheidung für eine Vielzahl von ähnlich gelagerten Verfahren Bedeutung erlangen kann, begründet aber noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2018 - VII ZR 232/17 -, juris Rn. 14; Feskorn in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 543 ZPO, Rn. 13). Denn es ist nicht ersichtlich, dass das tatsächliche oder wirtschaftliche Gewicht dieser Verfahren, bei denen die Beklagten Regressansprüchen von verschiedenen Rechtsschutzversicherern ausgesetzt sind, Allgemeininteressen in besonderem Maße berühren (vgl. dazu BGH, a.a.O.).
170
b) Ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist ebenfalls nicht gegeben.
171
aa) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist in Fällen einer Divergenz die Revision zuzulassen, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt aber nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2018 - II ZR 70/16 -, juris Rn. 17; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 543 ZPO, Rn. 16).
172
bb) Ein solcher Fall liegt nicht vor, auch wenn die Beklagten eine Divergenz zu dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2021 (IX ZR 165/19) behaupten. Wie bereits dargelegt, ist hinsichtlich der Pflichtverletzung der Beklagten von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen, nämlich keinen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit zu führen bzw. bei einer Veränderung der rechtlichen und tatsächlichen Ausgangslage den Mandanten zu beraten. Anders als die Beklagten meinen, behandelt der Bundesgerichtshof diese Fragen in einem ähnlich gelagerten Verfahren als einen einheitlichen Streitgegenstand, wie sich insbesondere aus Randnummern 25 und 31 dieses Urteils ergibt (vgl. BGH, a.a.O.; so auch OLG Zweibrücken, Urteil vom 9. März 2023 - 4 U 97/22 -, juris Rn. 6). Auch zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.03.2008 (IX ZR 136/07) besteht keine Divergenz, denn dort war zu dem nicht pflichtgemäßen Vorgehen des Anwalts, wegen dem der Prozess nicht gewonnen hätte werden können, erst mit der Revision vorgetragen worden. Insoweit handelte es sich - anders als hier - um einen anderen Streitgegenstand, da in den Tatsacheninstanzen lediglich die Aussichtslosigkeit des Rechtsstreits behauptet worden war (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 - IX ZR 136/07 - juris Rn. 24; Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 - Rn. 25, juris). Aber selbst wenn von zwei Streitgegenständen auszugehen wäre, hätte dies für den Rechtsstreit keine Folgen, da die Klägerin in der Anspruchsbegründung schlüssig zu beiden Streitgegenständen vorgetragen hat und deswegen keine Verjährung eingetreten ist.
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cc) Eine Divergenz liegt auch nicht wegen der Abweisung des Inzidentantrags vor. Hinsichtlich des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 12. November 2014 (7 ABR 86/12) besteht keine Divergenz, weil dort zugleich die Leistung zurückverlangt worden war. Auch von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. November 2008 (IX ZR 139/07) weicht der Senat nicht ab, denn dort waren die Finanzierungskosten für die Sicherheit konkret dargelegt und beziffert worden. Dies gilt auch für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 1997 (IX ZR 122/96), denn hier war der konkret bezifferte Zinsschaden von dem Tatrichter festgestellt worden und ist vom Bundesgerichtshof insoweit als weitergehender Schaden im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO eingeordnet worden.
Streitwertbeschluss:
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...
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Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 6.435,00 € festgesetzt.
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Der nach der abschließenden Beratung und Abstimmung eingegangene und nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 18.01.2024 gebietet nicht die Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO. Diese Entscheidung war ohne den zum 31.12.2023 ausgeschiedenen Richter am Oberlandesgericht J. zu treffen (§ 320 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 ZPO analog; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2002 - V ZR 357/00 -, juris).