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  • 23.04.2024 · IWW-Abrufnummer 241117

    Anwaltsgerichtshof München: Urteil vom 16.11.2023 – BayAGH III-4-6/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Anwaltsgerichtshof Bayern 

    Urteil vom 16.11.2023

    III-4-6/23

    Tenor:

    1. Die Klage vom 27.02.2023 wird abgewiesen.
    2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
    3. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
    4. Der Streitwert wird auf 12.500 € festgesetzt.

    Tatbestand

    1
    Dem Kläger wurde durch Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 03.08.1989 die Berechtigung verliehen, die Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu führen. Der Kläger ist außerdem als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig und führt diese Berufsbezeichnungen neben dem Titel "Fachanwalt für Steuerrecht".

    2
    Der bei Erlass des angefochtenen Bescheides 81 jährige Kläger ist seit 48 Jahren als Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig.

    3
    Bis 2019 hat der Kläger anerkennungsfähige Fortbildungsnachweise vorgelegt.

    4
    Seit 2020 hat der Kläger keine Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen der Tätigkeit als Fachanwalt für Steuerrecht mehr besucht. Mit Schreiben der Beklagten vom 06.04.2022 wurde er darauf hingewiesen, dass die Fortbildungsnachweise für 2020 und 2021 fehlen. Mit Schreiben vom 14.04.2022 räumte der Kläger ein, dass er seit 2020 keine Fortbildungsveranstaltungen im Sinn von § 15 FAO zum Erwerb von Fachkenntnissen als Fachanwalt für Steuerrecht besucht habe. Dies begründete er damit, dass Coronabedingt zahlreiche Präsenzveranstaltungen abgesagt worden seien und es ihm nicht möglich gewesen sei, an einer online Veranstaltung teilzunehmen. Das aktuelle Fachwissen habe er durch die regelmäßige Lektüre der relevanten Fachzeitschriften erworben. Mit Schreiben vom 27.06.2022 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass dies nicht ausreichend sei.

    5
    Fortbildungsnachweise durch die Lektüre von Fachzeitschriften könnten im Umfang von 5 Zeitstunden durch die Vorlage geeigneter Leistungsnachweise erbracht werden. Im Übrigen werde dem Kläger Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Fortbildungsnachweise nachzureichen. Sofern der Kläger auf das Schreiben vom 27.06.2022 nicht bis 31.08.2022 die erforderlichen Fortbildungsnachweise nachreiche, werde das Widerrufsverfahren bezüglich der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung Fachanwalt für Steuerrecht eingeleitet.

    6
    Da der Kläger dieses Schreiben nicht beantwortete, setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 05.09.2022 davon in Kenntnis, dass nunmehr beabsichtigt sei, die Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu widerrufen.

    7
    Dies begründete die Beklagte damit, dass der Kläger für die Jahre 2020, 2021 und 2022 seiner Fortbildungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Es wurde ihm Gelegenheit gegeben, bis 03.10.2022 Nachweise vorzulegen, dass er aus besonderen Härtegründen an der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung verhindert war und im Übrigen zu dem geplanten Widerruf Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 26.09.2022 führte der Kläger aus, dass er durch die Lektüre von Fachzeitschriften und aufgrund seiner erheblichen Berufserfahrung über ausreichende Kenntnisse verfüge. Durch seine Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sei er ebenfalls zu ständiger Fortbildung verpflichtet, die über das für einen Fachanwalt für Steuerrecht geltende Maß hinausgehe. Der BGH habe es zugelassen, im Einzelfall von der Vorlage eines förmlichen Fortbildungsnachweises gemäß § 15 FAO abzusehen.

    8
    Durch Bescheid vom 15.02.2023 hat die Beklagte die Befugnis des Klägers zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" widerrufen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 17.02.2023 zugestellt. Der Bescheid ist darauf gestützt, dass der Kläger in den Jahren 2020, 2021 und 2022 seiner Verpflichtung zur Teilnahme an Fortbildungen und zum Nachweis der Teilnahme an diesen Fortbildungsveranstaltungen gem. § 15 FAO nicht nachgekommen war.

    9
    Es bestünden zwar Überschneidungen hinsichtlich der Fachkenntnisse, die auch für die Tätigkeiten als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater benötigt werden. Auch für diese Tätigkeitsbereiche sei aber nicht die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen nachgewiesen worden. Im Übrigen rechtfertigten es die Überschneidungen nicht, für die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" von der Vorlage entsprechender Fortbildungsnachweise abzusehen; denn die Tätigkeit als Fachanwalt für Steuerrecht unterscheide sich von der Tätigkeit eines Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers. Unter Berücksichtigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Klägers einerseits und des Vertrauens der Rechtsuchenden in das Berufsbild des Fachanwalts für Steuerrecht andererseits sei das Ermessen der Beklagten dahingehend auszuüben, das Recht zur Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu widerrufen.

    10
    Gegen den Bescheid erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 27. 02. 2023 Klage. Er verwies darauf, dass bereits im Hinblick auf das Alter von 81 Jahren und die Berufserfahrung des Klägers, der nach wie vor annähernd vollschichtig beschäftigt sei, davon auszugehen sei, dass dieser über die erforderlichen Fachkenntnisse verfüge. Der Kläger lese regelmäßig die einschlägigen Fachzeitschriften. Außerdem bilde er sich als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer fort. Hierdurch erwerbe er weitergehende Fachkenntnisse als dies durch die gemäß § 15 FAO vorgeschriebene Fortbildung als Fachanwalt für Steuerrecht zu erwarten sei.

    11
    Die Ermessensausübung durch die Beklagte sei zu beanstanden, da sie diese Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt habe.

    12
    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seit 3 Jahren seiner Verpflichtung zur Fortbildung nicht mehr nachkomme. Die Fortbildung als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sei weder nachgewiesen, noch seien Fortbildungsveranstaltungen zu diesen Berufsfeldern ausreichend, um die Fortbildungspflicht gemäß § 15 FAO zu erfüllen. Auch die Lektüre von Fachzeitschriften sei nicht ausreichend, Leistungskontrollen im Sinn von § 15 FAO seien nicht nachgewiesen. Das Alter des Klägers rechtfertige keine Erleichterung, insbesondere wäre es ihm zumutbar gewesen, mit Unterstützung seiner Kanzlei auch an online-Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, die in ausreichender Zahl durch die Beklagte, aber auch durch andere Fortbildungsinstitute angeboten worden seien.

    13
    In der Replik führt der Kläger ergänzend aus, dass die Beklagte hinsichtlich der Jahre 2020 und 2021 die Jahresfrist gemäß § 25 Abs. 2 FAO nicht eingehalten habe. Die Beklagte verweist darauf, dass für den Fristbeginn der Kenntnisstand bei Einleitung des Widerrufsverfahrens entscheidend sei.

    Entscheidungsgründe
    14
    Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.

    15
    1. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des BayAGH München folgt aus §§ 112a, 112b BRAO.

    16
    Die Rechtsanwaltskammer München ist passiv legitimiert (§ 112d BRAO).

    17
    Ein Vorverfahren ist entbehrlich (Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO).

    18
    Die Klage wurde form und fristgerecht eingelegt (§ 74 VwGO).

    19
    2. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2023 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher auch nicht in seinen Rechten (§§ 113 Abs. 1 VwGO, § 112c BRAO).

    20
    a. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.

    21
    Gemäß §§ 33 Abs. 3 Nr. 1, 43c Abs. 4 S. 2 BRAO, § 25 Abs. 1 FAO ist die Beklagte örtlich und sachlich für die Durchführung des Widerrufsverfahrens zuständig.

    22
    Der Kläger wurde gem. § 25 Abs. 3 FAO angehört. Nach vorausgegangener Korrespondenz wurde er mit Schreiben vom 05.09.2022, zugestellt am 06.09.2022, davon in Kenntnis gesetzt, dass die Beklagte ein Verfahren zum Widerruf des Rechts zur Führung der Berufsbezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" eingeleitet hat.

    23
    Durch begründeten Bescheid vom 15.02.2023 wurde dem Kläger diese Befugnis entzogen.

    24
    b. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig. Gemäß § 43c Abs. 4 S. 2 BRAO kann einem Rechtsanwalt die Befugnis, die Bezeichnung als Fachanwalt für Steuerrecht zu führen, entzogen werden, wenn er die gemäß § 15 FAO vorgeschriebenen Fortbildungen nicht wahrnimmt. Gemäß § 15 FAO hat der Anwalt pro Jahr Fortbildungsmaßnahmen im Umfang von 15 Zeitstunden nachzuweisen, wobei 5 Zeitstunden durch die Lektüre von Fachzeitschriften nebst Leistungsnachweis abgedeckt werden können. Seit 2020 hat der Kläger keinerlei Fortbildungsnachweise mehr erbracht. Mit Schreiben vom 14.04.2022 hat er bestätigt, dass er seit 2020 an keinen Fortbildungsmaßnahmen mehr teilgenommen hat. Es mag zutreffen, dass der Kläger seiner Fortbildungsverpflichtung als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer nachgekommen ist. Hierüber wurde jedoch kein Nachweis vorgelegt. Im Übrigen handelt es sich um Fortbildungen, die sich nur teilweise mit dem Berufsfeld des Fachanwalts für Steuerrecht decken. Darüber hinaus sieht § 15 FAO ein formalisiertes Verfahren der Fortbildung und des Nachweises vor. Die Rechtsuchenden dürfen darauf vertrauen, dass ein Berufsträger, der die Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" führt, auch an diesen Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen hat.

    25
    Die Jahresfrist gemäß § 25 Abs. 2 FAO ist eingehalten. Bei der Jahresfrist handelt es sich um eine Entscheidungsfrist (AGH Hamm BRAK-Mitt. 2020, 217; BGH BRAK Mitt 2014, 212). Sie beginnt erst zu laufen, wenn dem Vorstand alle für die Entscheidung über den Widerruf relevanten Tatsachen bekannt sind. Dies ist grundsätzlich erst dann der Fall, wenn das Mitglied der Kammer zu den Gründen, warum ein Fortbildungsnachweis nicht vorgelegt wurde, angehört wurde und nachdem diesem Gelegenheit gegeben wurde, die erforderlichen Fortbildungsnachweise nachzureichen. Diese Voraussetzungen sind nicht vor Ablauf des 31.08.2022 eingetreten, da die Beklagte dem Kläger bis zu diesem Termin letztmalig Gelegenheit gegeben hatte, Fortbildungsnachweise bzw. Leistungsnachweise nachzureichen bzw. Hinderungsgründe geltend zu machen.

    26
    Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt. Hinsichtlich der Entscheidung, ob ein Widerruf auszusprechen ist, ist regelmäßig von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen, wenn ein Rechtsanwalt eine nach § 15 FAO vorgeschriebene Fortbildung nicht absolviert hat und keine besonderen Gründe vorliegen, die einen Verstoß gegen die Fortbildungspflicht entschuldigen (AGH Hamm Urt. v. 12.7.2019 - 1 AGH 2/19; Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl. 2022 Anh I2, FAO § 25 Rn. 4; Offermann-Burckart in:. Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 43c BRAO Rn. 77; bei mehrfachem Verstoß gegen die Fortbildungsverpflichtung auch BGH BRAK-Mitt 2014, 212).

    27
    Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger ist für 3 Jahre seiner Fortbildungsverpflichtung vollständig nicht nachgekommen. Hierbei ist erschwerend zu berücksichtigen, dass der Kläger auch 2022 seiner Fortbildungsverpflichtung überhaupt nicht nachgekommen ist, obwohl das Verfahren bereits im April 2022 eingeleitet worden war.

    28
    Selbst wenn man seinen Vortrag als zutreffend unterstellt, dass er die einschlägigen Fachzeitschriften regelmäßig gelesen habe und sich im Übrigen im Rahmen seiner beruflichen Verpflichtung als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer fortgebildet hat, reicht dies nicht aus, die formalisierte Fortbildungsobliegenheit gemäß § 15 FAO zu erfüllen.

    29
    Triftige Hinderungsgründe hat der Kläger nicht dargelegt. Insbesondere wäre es ihm zumutbar gewesen, das technische Knowhow zu schaffen, um gegebenenfalls auch online an Fortbildungen teilzunehmen.

    30
    Schließlich kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH BRAK-Mitt 2001, 187 [BGH 02.04.2001 - AnwZ B 37/00] berufen. In diesem Fall hatte der Senat gerügt, dass der Vorstand der Rechtsanwaltskammer bei der Ausübung des Ermessens nicht geprüft hatte, dass der Kläger des dortigen Verfahrens als ordentlicher Professor für Steuerrecht Lehrveranstaltungen abgehalten hatte, die möglicherweise in § 15 FAO als Leistungsnachweis vorgesehenen Lehrveranstaltungen gleichwertig anzusehen sein könnten. Der Kläger macht jedoch nicht geltend, in der Fortbildung, wissenschaftlich oder publizierend tätig gewesen zu sein.

    31
    Das Vertrauen der Rechtsuchenden, dass ein Fachanwalt seine Kenntnisse im Rahmen der Fortbildung gemäß § 15 FAO aktualisiert, geht daher der Einschränkung der Berufsfreiheit durch den Widerruf der Befugnis die Berufsbezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu führen, vor.

    III.

    32
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO.

    33
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

    34
    Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 193 BRAO, § 52 GKG.

    RechtsgebieteBerufsrecht, FAOVorschriften§ 1 FAO