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  • 27.03.2025 · IWW-Abrufnummer 247307

    Landgericht Braunschweig: Beschluss vom 24.02.2025 – 1 Qs 46/25

    Die seit dem 01.01.2025 geltenden 4-Tagesfiktion, die die Zustellzeiten durch das bereits am 23.07.2024 beschlossene Postrechtsmodernisierungsgesetz verlängert ist, ist in Zukunft bei der Frage des Fristablaufs, die u.a. bei der Frage, ob eine Stellungnahmefrist betreffend der Benennung eines Pflichtverteidigers bereits abgelaufen ist, in Zukunft zu berücksichtigen.


    Landgericht Braunschweig

    Beschluss

    1 Qs 46/25

    In der Strafsache 
    gegen pp.

    Pflichtverteidiger:
    Rechtsanwalt R 1,
    Verteidiger: Rechtsanwalt R 2 

    wegen gefährlicher Körperverletzung

    hier: sofortige Beschwerde gegen Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Braunschweig am 24.02.2025 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:

    1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 26.01.2025 wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg 10.01.2025 (Az.: 7 Ds 909 Js 39623/24 (1111/24)) aufgehoben.
    2. Dem Beschwerdeführer wird Herr Rechtsanwalt R 2 als Pflichtverteidiger beigeordnet.
    3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

    Gründe:  

    I.

    Gegen Herrn pp. (im Folgenden: der Beschwerdeführer) wurde durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig am 28.08.2024 Anklage erhoben. Ihm wurde vorgeworfen am 27.03.2024 eine gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung begangen zu haben.

    Mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 30.10.2024 wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet (Az.: 7 Ds 1111/24). Hauptverhandlungstermin wurde bestimmt auf den 19.12.2024. Die Ladung wurde dem Beschwerdeführer laut Postzustellungsurkunde am 07.11.2024 zugestellt.

    Da der Beschwerdeführer der Hauptverhandlung fernblieb, beantragte die Staatsanwaltschaft Braunschweig nach Aussetzung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer wegen der in der Anklageschrift vom 28.08.2024 bezeichneten Tat einen Strafbefehl nach § 408a StPO zu erlassen, durch den gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt wird, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Als Weisungen bzw. Auflagen wurde beantragt, jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich bekannt zu geben und eine Geldauflage in Höhe von 900,00 Euro, zu zahlen in monatlichen Raten zu je 50,00 Euro, zu entrichten.

    Das Gericht teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19.12.2024, abgesandt am 02.01.2025, mit, dass es erwäge, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben. Gemäß § 408b StPO sei dem Beschwerdeführer für das Strafbefehlsverfahren ein Verteidiger zu bestellen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert innerhalb einer Woche mitzuteilen, ob er bereits einen Rechtsanwalt beauftragt habe bzw. welcher Rechtsanwalt bestellt werden solle. Falls kein Rechtsanwalt beauftragt oder bezeichnet werde, solle Herr Rechtsanwalt R 1 beauftragt werden.

    Mangels Rückmeldung des Beschwerdeführers wurde seitens des Amtsgerichts Wolfsburg mit Beschluss vom 10.01.2025 Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger bestellt. Der Beschluss wurde am 15.01.2025 an den Beschwerdeführer und Rechtsanwalt R 1 versandt.

    Mit Schreiben vom 13.01.2025, beim Amtsgericht Wolfsburg am 14.01.2025 eingegangen, gab der Beschwerdeführer an, sich von Rechtsanwalt R 2 vertreten lassen zu wollen. Mit Schreiben vom 14.01.2025, am selben Tag beim Amtsgericht Wolfsburg eingegangen, versicherte Rechtsanwalt R 2 von dem Beschwerdeführer beauftragt worden zu sein und beantragte die Beiordnung seiner Person.

    Der Beschluss zur Pflichtverteidigerbestellung vom 10.01.2025 wurde Rechtsanwalt R 1 laut Empfangsbekenntnis am 16.01.2025 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.01.2025, beim Amtsgericht Wolfsburg am 22.01.2025 eingegangen, beantragte Rechtsanwalt R 1 daraufhin Akteneinsicht.

    Mit Schreiben vom 26.01.2025, beim Amtsgericht Wolfsburg am selben Tag eingegangen, legte Rechtsanwalt R 2 namens und in Vollmacht des Angeklagten gegen die Beiordnung von Rechtsanwalt R 1 und die faktische Ablehnung der Beiordnung seiner Person sofortige Beschwerde ein. Er habe sich am 14.01.2025 rechtszeitig legitimiert und die Beiordnung seiner Person beantragt. Aus völlig unklaren Gründen habe das Gericht einen Tag später jedoch Rechtsanwalt R 1 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

    Mit Verfügung vom 31.01.2025 übersandte das Amtsgericht Wolfsburg die Akten unter Hinweis auf die sofortige Beschwerde von Rechtsanwalt R 2 an die Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Weiterleitung der Akten an das Beschwerdegericht.

    Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat die Akten mit Verfügung vom 10.02.2025 an das Landgericht Braunschweig mit dem Antrag übersandt, der sofortigen Beschwerde vom 26.01.2025 stattzugeben, den Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 10.01.2025 aufzuheben, mit dem Rechtsanwalt R 1 Thiele als Pflichtverteidiger bestellt wurde und stattdessen zu beschließen, Rechtsanwalt R 2 als Pflichtverteidiger zu bestellen.

    Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass gem. § 37 Abs. 1 StPO für das Verfahren bei Zustellungen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten. Der Lauf einer richterlichen Frist beginne gem. § 221 ZPO, sofern nicht bei ihrer Fristsetzung ein anderes bestimmt wird, mit der Zustellung des Dokuments, in dem die Frist festgesetzt ist.

    Da das Anhörungsschreiben zur Verteidigerbestellung nach § 408b StPO vom 19.12.2024 als einfaches Schreiben - ohne Zustellungsnachweis - verfügt worden sei, könne die tatsächliche Zustellung des Schreibens nicht festgestellt werden. Der „Abvermerk“ lasse jedoch erkennen, dass das Schreiben erst am 02.01.2025 von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Wolfsburg bearbeitet und in den Postausgang gelegt worden sei.

    Es sei folglich von einer Aufgabe zur Post frühestens am 03.01.2025 zu rechnen. Nach der seit dem 01.01.2025 geltenden 4-Tagesfiktion (durch die Verlängerung der Zustellzeiten durch das bereits am 23.07.2024 beschlossene Postrechtsmodernisierungsgesetz) habe mit einer Zustellung somit nicht vor dem 07.01.2025 gerechnet werden können. Am 10.01.2025 sei die Wochenfrist folglich noch nicht abgelaufen gewesen und die rechtzeitige Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung mit Schreiben vom 14.01.2024 sei folglich nicht zu widerlegen.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gem. § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO
    statthaft und gem. § 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

    Darüber hinaus ist sie auch begründet.

    Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig Bezug genommen, welche sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen macht.

    III.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen sind in entsprechender Anwendung der §§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 473 Absatz 2 Satz 1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen.

    RechtsgebieteStrafprozess, Pflichtverteidiger, StellungnahmefristVorschriften§ 37 Abs. 1 StPO, § 221 ZPO, § 408b StPO