23.03.2016 · IWW-Abrufnummer 146634
Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 25.11.2015 – 17 W 247/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln
17 W 247/15
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 315,59 €.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
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G r ü n d e :
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I.
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Die in Bonn wohnende Klägerin nahm den Beklagten vor dem dortigen Landgericht im Klagewege in Anspruch. Mit ihrer Vertretung beauftragte sie in Köln ansässige Rechtsanwälte. Der Prozess endete mit einem Vergleich. Gemäß der dort getroffenen Regelung hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zu tragen.
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Zur Kostenfestsetzung angemeldet hat die Klägerin u. a. 315,59 € brutto an Fahrtkosten ihrer jetzigen Verfahrensbevollmächtigten sowie Tages- und Abwesenheitsgelder. Die Rechtspflegerin hat die Kostenfestsetzung antragsgemäß durchgeführt.
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Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seinem Rechtsmittel. Er ist der Auffassung, die Reisekosten sowie Tages- und Abwesenheitsgelder für einen nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt seien nicht erstattungsfähig, weil ihre Veranlassung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen sei. Hierzu verweist sie auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle.
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Dem tritt die Klägerin entgegen und beruft sich ihrerseits auf Entscheidungen des Landgerichts Düsseldorf, des Amtsgerichts Marbach und des Amtsgerichts Kiel.
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Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel des Beklagten nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Die gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch ansonsten unbedenklich zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache selbst keinerlei Erfolg.
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Zu Recht hat die Rechtspflegerin die Reisekosten sowie Tages- und Abwesenheitsgelder, die dadurch entstanden sind, dass die in C wohnende Klägerin für ihre beim dortigen Landgericht erhobene Klage einen Ler Rechtsanwalt mandatiert hat, festgesetzt.
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1.
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a)
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine vor einem auswärtigen Gericht klagende bzw. verklagt werdende Partei sich von einem an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt vertreten lassen, ohne im Hinblick auf dessen anfallende Reisekosten kostenerstattungsrechtlich Nachteile in Kauf nehmen zu müssen (BGH NJW 2003, 898 = MDR 2003, 233; NJW 2007, 2048 = MDR 2007, 802).
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Mandatiert sie hingegen einen weder an ihrem Wohn- oder Geschäftsort noch am Gerichtsort niedergelassenen Rechtsanwalt, sondern einen am weiter entfernten sogenannten dritten Ort, dann sind Reisekosten des Rechtsanwalts nur in Höhe der fiktiven Reisekosten erstattungsfähig, die angefallen wären, wenn die Partei einen solchen am Gerichtsort oder an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen mandatiert hätte. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (MDR 2004, 838 = NJW-RR 2004, 858; NJW 2011, 3520).
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b)
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Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind der obsiegenden Partei die Reisekosten ihres Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu ersetzen, als seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder –verteidigung notwendig war. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes findet eine Notwendigkeitsprüfung in Bezug auf die entstandenen Reisekosten für einen Rechtsanwalt, der seinen Sitz entweder im Gerichtsbezirk hat oder dort wohnt, nicht statt, § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO. Die insoweit anfallenden Gebühren und Auslagen sind in vollem Umfang erstattungsfähig.
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§ 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 ZPO ist ebenso klar zu entnehmen, dass eine Notwendigkeitsprüfung erst dann vorzunehmen ist, wenn es um Reisekosten eines Rechtsanwalts geht, der weder im Gerichtsbezirk wohnt noch dort niedergelassen ist, sondern am sogenannten dritten Ort. Im Wege des Umkehrschlusses folgt daraus zugleich, dass Reisekosten stets ohne Notwendigkeitsprüfung in voller Höhe zu erstatten sind, wenn der Rechtsanwalt im Bezirk des Prozessgerichts ansässig ist (LG Gera AGS 2014, 251; LG Krefeld JurBüro 2011, 377 = RVGreport 2011, 235; AGS 2014, 424 = JurBüro 2014, 377; LG Limburg AGS 2013, 98; AG Gießen AGS 2014, 544; AG Siegburg AGS 2012, 594; Reck Rpfleger 2012, 419; N. Schneider NJW-Spezial 2011, 603; Prütting/Gehrlein/Schneider, ZPO, 7. Aufl., § 91 Rdn. 5; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 91 Rdn. 13 „Reisekosten b) des Anwalts“; a.A. OLG Celle NJW 2015, 2670). Sie hat mithin das Recht, einen Rechtsanwalt innerhalb des gesamten jeweiligen Gerichtsbezirks zu mandatieren, ohne im Hinblick auf anfallende Reisekosten bzw. Tages- und Abwesenheitsgelder bei der Erstattung Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Dies gilt gerade auch für den Fall, dass der Rechtsanwalt innerhalb des Gerichtsbezirks an einem dritten, also einem vom Geschäfts- oder Wohnort der Mandantschaft bzw. dem Gerichtsort abweichenden Ort ansässig ist.
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c)
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Allein dann, wenn ein Rechtsanwalt mandatiert wird, der seine Kanzlei außerhalb des Gerichtsbezirks hat, findet nach dem eindeutigen Gesetzestext des § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 ZPO eine Prüfung der Notwendigkeit statt. Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (MDR 2012, 312 = Rpfleger 2012, 289) etwa dann zu bejahen, wenn es sich um einen Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen handelt, der am Wohn- oder Geschäftssitz der Partei nicht zu finden ist. Dagegen rechtfertigen langjährige Zusammenarbeit (BGH MDR 2008, 946) oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt die Hinzuziehung in der Regel nicht (BGH, Beschluss vom 22. April 2008 – XI ZB 20/07 – n. v.; NJW-RR 2007, 1071).
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d)
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Wird die Notwendigkeit nach den vorstehenden Maßstäben verneint, so bedeutet dies jedoch nicht, dass die für die Einschaltung eines auswärtigen Anwalts anfallenden höheren Kosten für Reise- bzw. für Tages- und Abwesenheitsgelder in keinem Fall zu erstatten wären.
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Der Senat schließt sich der Ansicht an, dass diese Kosten bis zur Höhe der weitesten Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig sind, in dem der Prozess stattfindet (LG Düsseldorf NJW 2015, 498 = AGS 2015, 7; AG Kiel NJW-RR 2013, 892 = AGS 2014, 8, AG Marbach AGS 2014, 210 = Rpfleger 2014, 289; BeckOK ZPO/Jaspersen/Wache, 18. Edition, Stand: 01.09.2015, § 91 Rdn. 168; Prütting/Gehrlein/Schneider, a.a.O.; Schons NJW 2015, 500; Zöller/Herget, a.a.O.; a. A. OLG Celle NJW 2015, 2670).
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Das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 ZPO ist einschränkend auszulegen zur Verhinderung beliebiger und ungerechter Ergebnisse. Jede Partei ist infolge des zur Gegenpartei bestehenden Prozessrechtsverhältnisses stets gehalten, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Obsiegens vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (BGH MDR 2003, 1140; 2007, 1160; BAG NJW 2008, 1340). Dies ergibt sich letztlich aus dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB (Zöller/Herget, § 91 Rdn. 12).
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Wenn die Klägerin aber die Reisekosten sowie Tages- und Abwesenheitsgelder gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO in voller Höhe erstattet verlangen könnte, falls sie etwa einen Rechtsanwalt in Reichshof mandatiert hätte, das zum Gerichtsbezirk des Landgerichts Bonn gehört und von dort aus 80 km (einfache Strecke) entfernt liegt, nicht aber die wesentlich geringeren bei Beauftragung eines im Bereich des Landgerichts Köln ansässigen (einfache Strecke 32 km), dann führt dies zu einem unvertretbaren Ergebnis und zu einer Ungleichbehandlung dann, wenn sich eine Partei entsprechend des Gebotes zur Kostengeringhaltung verhält. Noch eklatanter wäre der Unterschied in Bezug auf die Kosten, wenn die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits einen Rechtsanwalt in X, das zum Bezirk des Landgerichts Köln gehört, mandatiert hätte, das unmittelbar an den Cer Zuständigkeitsbereich angrenzt (einfache Strecke 15 km).
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e)
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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO der ständigen Rechtsprechung im Rahmen der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe entspricht (LAG Hessen AGS 2010, 299; LAG Köln NZA-RR 2013, 311; LAG Berlin-Brandenburg AGS 2014, 289; LAG Hamm BeckRS 2014, 68424).
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2.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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3.
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Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Fortbildung des Rechts bzw. der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich ist, § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 Satz 1 ZPO.