06.04.2016 · IWW-Abrufnummer 146720
Anwaltsgerichtshof Berlin: Urteil vom 05.05.2015 – I AGH 16/14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
ANWALTSGERICHTSHOF BERLIN
Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer I AGH 16/14
verkündet am: 5. Mai 2015
Anwaltsgerichtshofs Berlin
In dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
xxx
hat der I. Senat des Anwaltsgerichtshofs in Berlin unter Mitwirkung der Präsidentin des Anwaltsgerichtshofs Rechtsanwältin Dr. K… als Vorsitzenden, der Rechtsanwältinnen Dr. A… und Dr. F…, des Richters am Kammergericht Dr. E… und der Richterin am Kammergericht G… als Beisitzer im schriftlichen Verfahren am 5. Mai 2015 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über den Widerruf der Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft aufgrund seiner weiteren Tätigkeit als Vorstand und Geschäftsführer in zwei Gesellschaften. Der 1979 geborene Kläger ist seit dem Sommer 2008 als Rechtsanwalt zugelassen, seit Juli 2010 in Berlin. Seit dieser Zeit war der Kläger zunächst auch als Unternehmensanwalt bei der E… AG in Nebentätigkeit beschäftigt und zeigte dies der Beklagten an. Letztere teilte mit Schreiben vom 4. Juli 2011 mit, dass nach Prüfung der Unterlagen kein Verstoß gegen
§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ersichtlich sei.
Im Februar 2014 wurde der Kläger zum Vorstand der E… AG berufen; er informierte die Beklagte mit Schreiben vom 25. März 2014 unter Beifügung des Vorstandsdienstvertrages über diesen Sachverhalt. Gegenstand des Unternehmens der E… AG sind die „Erbringung von Bauträgerleistungen, Planungsleistungen und Ingenieurleistungen jeglicher Art, Beratungs- und Vermittlungsleistung im Immobilienbereich sowie An- und Verkauf von Immobilien“. Gemäß § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages führt der Kläger gemeinsam mit einem anderen Vorstandsmitglied oder einem Prokuristen die Geschäfte der Gesellschaft; gemäß § 5 Absatz 5 wurde dem Kläger die unwiderrufliche Erlaubnis erteilt, neben seiner Vorstandstätigkeit den Beruf als Rechtsanwalt auszuüben und jederzeit für seine Mandanten erreichbar zu sein. Aktienanteile an der E… AG hält der Kläger nicht.
Der Kläger ist ferner als Geschäftsführer bei der 3… GmbH, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der E… AG, tätig, deren Geschäftszweck der Erwerb, die Vermietung und die Vermarktung von Gebäuden und anderen Bauwerken zum Zwecke der Veranstaltung von Kongressen, Tagungen etc. sowie die Verwaltung von Grundstücken ist. Dem Kläger ist insoweit Alleinvertretungsbefugnis erteilt worden.
Mit Schreiben vom 10. April und 30. Juni 2014 teilte die Beklagte mit, dass sie die Vereinbarung der Tätigkeit des Klägers in den beiden vorgenannten Gesellschaften mit dem Rechtsanwaltsberuf prüfe und eine Interessenkollision im Sinne von § 14 Abs. 2 Nummer 8 BRAO nicht ausgeschlossen sei. Der Kläger nahm daraufhin mit Schreiben vom 6. Mai und 22. August 2014 zu den Bedenken der Beklagten Stellung und verwies darauf, dass kein Mitglied des Vorstandes bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen dürfe und er in der Unternehmensgruppe E… weder makelnd noch bei der Akquise bzw. beim An- bzw. Verkauf von Immobilien tätig sei.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nummer 8 BRAO und machte geltend, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tätigkeit als Makler, Immobilienhändler und -entwickler sei die Tätigkeit des Klägers mit dem Anwaltsberuf unvereinbar, da sich die Gefahr von Interessenkollisionen deutlich abzeichnen würde.
Gegen den dem Kläger am 15. Oktober 2014 zugestellten Widerrufsbescheid wendet er sich mit seiner beim Anwaltsgerichtshof Berlin am 14. November 2014 eingegangenen Klage gegen den Widerruf seiner Zulassung als Rechtsanwalt. Der Kläger ist der Auffassung, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auf seinen Fall nicht anwendbar, da er weder makelnd und noch bei der Akquise von Immobilien tätig sei. Der vermeintliche Konflikt lasse sich auch mit Berufsausübungsregeln lösen, zumal individualrechtliche Weisungen noch weitergehen würden als gesetzliche Vorschriften. Eine konkrete Gefahr der Interessenkollision zwischen seiner tatsächlich in den beiden Gesellschaften ausgeübten Tätigkeit und dem Anwaltsberuf liege nicht vor. Dies habe die Beklagte auch nicht angenommen und eine entsprechende Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt, als er noch als Angestellter bei der E… AG tätig gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Klägers wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2014 – Aktenzeichen … - über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft des Klägers aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Unternehmensgegenstand der E… AG sowie der 3… GmbH wiesen genau diejenige Tätigkeit aus, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der Stellung als unabhängigen Organ der Rechtspflege nicht vereinbar sei oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerrufsbescheides vom 8. Oktober 2014 (Anlage K 7) Bezug genommen.
Beide Parteien haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Blatt 18 und 22 der Akte).
II.
Aufgrund des beiderseitig wirksam erklärten Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entschieden werden.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben gemäß §§ 112 c Abs. 1 Satz 1, 215 Abs. 1 Satz 1 BRAO n.F. in Verbindung mit den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung: Das in Berlin grundsätzlich geltende Widerspruchsverfahren ist nicht erforderlich gemäß § 68 I VwGO in Verbindung mit § 26 Abs. 5 Satz 1 AZG (Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung). Die Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO sowie die weiteren Formalien gemäß § 82 Abs. 1 und 2 VwGO sind beachtet.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober.2014 ist rechtmäßig, da die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht widerrufen hat.
Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass des angegriffenen Bescheids erfüllt.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet im Hinblick auf die grundrechtlich gewährleistete Freiheit der Berufswahl insoweit zwar Zurückhaltung bei der Entwicklung typisierender Unvereinbarkeitsregeln, weil die Beschränkung der Berufswahlfreiheit dem Betroffenen nur zumutbar ist, wenn der Unvereinbarkeitsgrundsatz nicht starr gehandhabt wird (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. August 2013 – 1 BvR 2912/11 –, Rn. 25, juris).
Eine kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Tätigkeit kann den Ausschluss vom Beruf des Rechtsanwalts jedoch dann rechtfertigen, wenn sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet. Die Unabhängigkeit und Integrität eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebliche Orientierung am Recht und an den (objektiven) Interessen seiner Mandanten sollen durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht gefährdet werden (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2003 – AnwZ (B) 79/02 –, Rn. 5, juris). Interessenkollisionen liegen vor allem dann nahe, wenn ein kaufmännischer Beruf die Möglichkeit bietet, Informationen zu nutzen, die aus der rechtsberatenden Tätigkeit stammen (BGH, Beschluss vom 08. Oktober 2007 – AnwZ (B) 92/06 –, Rn. 6, juris). Solches wird nicht nur bei einer Immobilienmaklertätigkeit bejaht, sondern gilt auch für die Tätigkeit eines Immobilienhändlers und -entwicklers (Anwaltsgerichtshof Berlin, Beschluss vom 06. April 2009 – I AGH 6/08 –, Rn. 5, juris) oder wenn er zumindest eine Beschäftigung ausübt, die mit dem geschäftlichen Interesse des Unternehmens, Gewinn zu erwirtschaften, untrennbar verbunden ist (BGH, Beschluss vom 21. März 2011 – AnwZ (B) 36/10 –, Rn. 7, juris). Insoweit besteht die Gefahr, dass der Rechtsanwalt, der allein im Interesse des Unternehmens, dessen Geschäfte er leitet, rechtlich tätig ist, bei den Kunden, die mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, den unzutreffenden Eindruck erweckt, seine Tätigkeit sei aufgrund seiner Stellung als Rechtsanwalt unabhängig und neutral erfolgt. Da der Kläger gemäß dem Schreiben des Vorstandsvorsitzenden M… vom 5. Mai 2014 mit der Rechtsgestaltung von Grundstücks- und Mietverträgen betraut ist, an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen wesentlich teilhat und Entscheidungen auch nach außen kommuniziert, kann ohne Weiteres ein solcher verfälschender Eindruck bei den Kunden der Unternehmensgruppe E… AG entstehen.
Darüber hinaus könnte ein Rechtsanwalt das Wissen, das er aus der Beratung seiner Mandanten über deren Vermögensverhältnisse erlangt, dazu nutzen, seinen Mandanten Geschäfte mit den Gesellschaften, in denen er seine Vorstandstätigkeit ausübt, zu empfehlen, obwohl er dies als unabhängiger Rechtsanwalt nicht tun dürfte und würde (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2011 – AnwZ (B) 36/10 –, Rn. 10, juris). Solche Gefährdung besteht auch vorliegend. Denn es ist durchaus denkbar, dass der Kläger die Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse seiner Mandanten mit dem Interesse seines Unternehmens, wirtschaftlich erfolgreich am Markt tätig zu sein, in unzulässiger Weise verquickt.
Unmaßgeblich ist, dass die Beklagte dem Kläger zuvor die Nebentätigkeit im Angestelltenstatus gestattet hatte. Denn die Sachlage ist anders, wenn der Rechtsanwalt als Geschäftsführer oder Vorstand handelt. Hier kommt es nicht darauf an, ob er als gesetzlicher Vertreter selbst akquirierend tätig ist oder ob dies anderen obliegt (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2007 – AnwZ (B) 92/06 –, Rn. 12 f., juris). Denn der (Mit-) Geschäftsführer bzw. Vorstand ist dem Unternehmensinteresse stärker verpflichtet als ein Angestellter des Unternehmens mit eingeschränktem Aufgabenbereich. Auch wenn die Vergütung des Vorstands nicht umsatzabhängig ausgestaltet ist, so hat er doch ein größeres Interesse an dem wirtschaftlichen Wohlergehen des Unternehmens, für das er nach außen und gegenüber den Gesellschaftern einzustehen hat. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Vergütung zukünftig am Umsatz orientiert wird.
Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Einschränkung, dass der Kläger tatsächlich nicht im Bereich der Akquise tätig sein dürfe, weder aus § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages noch aus dem Schreiben des Vorstandsvorsitzenden Müller vom 12. Juni 2014 (Anlage K 5) zu entnehmen ist. Vielmehr ergibt sich aus letzterem nur, dass er diese Tätigkeit derzeit (in tatsächlicher Hinsicht) nicht ausübt; in § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages sind nur allgemeine Regeln zum Aufgabenbereich enthalten. Schließlich ist § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vorstand (Anlage 1 zur Anlage K 4) zu berücksichtigen. Darin ist in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage statuiert, dass die Verteilung der Arbeitsgebiete kein Mitglied des Vorstands von der gemeinschaftlichen Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung befreit.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass nach der Geschäftsordnung der E… AG Interessenkollisionen zu vermeiden seien, ist dies bereits deshalb nicht entlastend, als es sich um eine Regelung im Interesse der E… Gruppe handelt, wie sich auch daraus ergibt, dass kein Mitglied des Vorstandes bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen dürfe. Der Widerruf der Rechtsanwaltszulassung soll dagegen gerade die höherrangige Bewertung von Interessen für das Unternehmen, für das der Rechtsanwalt zusätzlich tätig ist, zum Nachteil der Mandanten bzw. zum Nachteil der öffentlichen Meinung vermeiden.
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die trotz der Unvereinbarkeit der Tätigkeit des Klägers für die E… Gruppe mit seiner Stellung als Rechtsanwalt einem Widerruf entgegen stehen würden, weil der Widerruf für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde (§ 14 Bas. 2 Nr. 8 letzter Halbsatz BRAO).
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Ein Anlass, die Berufung nach §124 VwGO, §§112 Abs.1, 112 e BRAO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§§124 a Absatz 1 Satz 1, 124 Absatz 2 Nr.2 und 3 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bundesgerichtshof zugelassen wird.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach zu beantragen. Der Antrag ist beim Anwaltsgerichtshof Berlin, Elßholzstraße 30/33, 10781 Berlin zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe schriftlich oder in elektronischer Form über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.
Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer I AGH 16/14
verkündet am: 5. Mai 2015
Anwaltsgerichtshofs Berlin
In dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
xxx
hat der I. Senat des Anwaltsgerichtshofs in Berlin unter Mitwirkung der Präsidentin des Anwaltsgerichtshofs Rechtsanwältin Dr. K… als Vorsitzenden, der Rechtsanwältinnen Dr. A… und Dr. F…, des Richters am Kammergericht Dr. E… und der Richterin am Kammergericht G… als Beisitzer im schriftlichen Verfahren am 5. Mai 2015 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten über den Widerruf der Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft aufgrund seiner weiteren Tätigkeit als Vorstand und Geschäftsführer in zwei Gesellschaften. Der 1979 geborene Kläger ist seit dem Sommer 2008 als Rechtsanwalt zugelassen, seit Juli 2010 in Berlin. Seit dieser Zeit war der Kläger zunächst auch als Unternehmensanwalt bei der E… AG in Nebentätigkeit beschäftigt und zeigte dies der Beklagten an. Letztere teilte mit Schreiben vom 4. Juli 2011 mit, dass nach Prüfung der Unterlagen kein Verstoß gegen
§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ersichtlich sei.
Im Februar 2014 wurde der Kläger zum Vorstand der E… AG berufen; er informierte die Beklagte mit Schreiben vom 25. März 2014 unter Beifügung des Vorstandsdienstvertrages über diesen Sachverhalt. Gegenstand des Unternehmens der E… AG sind die „Erbringung von Bauträgerleistungen, Planungsleistungen und Ingenieurleistungen jeglicher Art, Beratungs- und Vermittlungsleistung im Immobilienbereich sowie An- und Verkauf von Immobilien“. Gemäß § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages führt der Kläger gemeinsam mit einem anderen Vorstandsmitglied oder einem Prokuristen die Geschäfte der Gesellschaft; gemäß § 5 Absatz 5 wurde dem Kläger die unwiderrufliche Erlaubnis erteilt, neben seiner Vorstandstätigkeit den Beruf als Rechtsanwalt auszuüben und jederzeit für seine Mandanten erreichbar zu sein. Aktienanteile an der E… AG hält der Kläger nicht.
Der Kläger ist ferner als Geschäftsführer bei der 3… GmbH, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der E… AG, tätig, deren Geschäftszweck der Erwerb, die Vermietung und die Vermarktung von Gebäuden und anderen Bauwerken zum Zwecke der Veranstaltung von Kongressen, Tagungen etc. sowie die Verwaltung von Grundstücken ist. Dem Kläger ist insoweit Alleinvertretungsbefugnis erteilt worden.
Mit Schreiben vom 10. April und 30. Juni 2014 teilte die Beklagte mit, dass sie die Vereinbarung der Tätigkeit des Klägers in den beiden vorgenannten Gesellschaften mit dem Rechtsanwaltsberuf prüfe und eine Interessenkollision im Sinne von § 14 Abs. 2 Nummer 8 BRAO nicht ausgeschlossen sei. Der Kläger nahm daraufhin mit Schreiben vom 6. Mai und 22. August 2014 zu den Bedenken der Beklagten Stellung und verwies darauf, dass kein Mitglied des Vorstandes bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen dürfe und er in der Unternehmensgruppe E… weder makelnd noch bei der Akquise bzw. beim An- bzw. Verkauf von Immobilien tätig sei.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nummer 8 BRAO und machte geltend, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tätigkeit als Makler, Immobilienhändler und -entwickler sei die Tätigkeit des Klägers mit dem Anwaltsberuf unvereinbar, da sich die Gefahr von Interessenkollisionen deutlich abzeichnen würde.
Gegen den dem Kläger am 15. Oktober 2014 zugestellten Widerrufsbescheid wendet er sich mit seiner beim Anwaltsgerichtshof Berlin am 14. November 2014 eingegangenen Klage gegen den Widerruf seiner Zulassung als Rechtsanwalt. Der Kläger ist der Auffassung, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auf seinen Fall nicht anwendbar, da er weder makelnd und noch bei der Akquise von Immobilien tätig sei. Der vermeintliche Konflikt lasse sich auch mit Berufsausübungsregeln lösen, zumal individualrechtliche Weisungen noch weitergehen würden als gesetzliche Vorschriften. Eine konkrete Gefahr der Interessenkollision zwischen seiner tatsächlich in den beiden Gesellschaften ausgeübten Tätigkeit und dem Anwaltsberuf liege nicht vor. Dies habe die Beklagte auch nicht angenommen und eine entsprechende Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt, als er noch als Angestellter bei der E… AG tätig gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Klägers wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2014 – Aktenzeichen … - über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft des Klägers aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Unternehmensgegenstand der E… AG sowie der 3… GmbH wiesen genau diejenige Tätigkeit aus, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der Stellung als unabhängigen Organ der Rechtspflege nicht vereinbar sei oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerrufsbescheides vom 8. Oktober 2014 (Anlage K 7) Bezug genommen.
Beide Parteien haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Blatt 18 und 22 der Akte).
II.
Aufgrund des beiderseitig wirksam erklärten Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entschieden werden.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben gemäß §§ 112 c Abs. 1 Satz 1, 215 Abs. 1 Satz 1 BRAO n.F. in Verbindung mit den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung: Das in Berlin grundsätzlich geltende Widerspruchsverfahren ist nicht erforderlich gemäß § 68 I VwGO in Verbindung mit § 26 Abs. 5 Satz 1 AZG (Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung). Die Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO sowie die weiteren Formalien gemäß § 82 Abs. 1 und 2 VwGO sind beachtet.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober.2014 ist rechtmäßig, da die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft zu Recht widerrufen hat.
Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass des angegriffenen Bescheids erfüllt.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet im Hinblick auf die grundrechtlich gewährleistete Freiheit der Berufswahl insoweit zwar Zurückhaltung bei der Entwicklung typisierender Unvereinbarkeitsregeln, weil die Beschränkung der Berufswahlfreiheit dem Betroffenen nur zumutbar ist, wenn der Unvereinbarkeitsgrundsatz nicht starr gehandhabt wird (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. August 2013 – 1 BvR 2912/11 –, Rn. 25, juris).
Eine kaufmännisch-erwerbswirtschaftliche Tätigkeit kann den Ausschluss vom Beruf des Rechtsanwalts jedoch dann rechtfertigen, wenn sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet. Die Unabhängigkeit und Integrität eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebliche Orientierung am Recht und an den (objektiven) Interessen seiner Mandanten sollen durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht gefährdet werden (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2003 – AnwZ (B) 79/02 –, Rn. 5, juris). Interessenkollisionen liegen vor allem dann nahe, wenn ein kaufmännischer Beruf die Möglichkeit bietet, Informationen zu nutzen, die aus der rechtsberatenden Tätigkeit stammen (BGH, Beschluss vom 08. Oktober 2007 – AnwZ (B) 92/06 –, Rn. 6, juris). Solches wird nicht nur bei einer Immobilienmaklertätigkeit bejaht, sondern gilt auch für die Tätigkeit eines Immobilienhändlers und -entwicklers (Anwaltsgerichtshof Berlin, Beschluss vom 06. April 2009 – I AGH 6/08 –, Rn. 5, juris) oder wenn er zumindest eine Beschäftigung ausübt, die mit dem geschäftlichen Interesse des Unternehmens, Gewinn zu erwirtschaften, untrennbar verbunden ist (BGH, Beschluss vom 21. März 2011 – AnwZ (B) 36/10 –, Rn. 7, juris). Insoweit besteht die Gefahr, dass der Rechtsanwalt, der allein im Interesse des Unternehmens, dessen Geschäfte er leitet, rechtlich tätig ist, bei den Kunden, die mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, den unzutreffenden Eindruck erweckt, seine Tätigkeit sei aufgrund seiner Stellung als Rechtsanwalt unabhängig und neutral erfolgt. Da der Kläger gemäß dem Schreiben des Vorstandsvorsitzenden M… vom 5. Mai 2014 mit der Rechtsgestaltung von Grundstücks- und Mietverträgen betraut ist, an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen wesentlich teilhat und Entscheidungen auch nach außen kommuniziert, kann ohne Weiteres ein solcher verfälschender Eindruck bei den Kunden der Unternehmensgruppe E… AG entstehen.
Darüber hinaus könnte ein Rechtsanwalt das Wissen, das er aus der Beratung seiner Mandanten über deren Vermögensverhältnisse erlangt, dazu nutzen, seinen Mandanten Geschäfte mit den Gesellschaften, in denen er seine Vorstandstätigkeit ausübt, zu empfehlen, obwohl er dies als unabhängiger Rechtsanwalt nicht tun dürfte und würde (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2011 – AnwZ (B) 36/10 –, Rn. 10, juris). Solche Gefährdung besteht auch vorliegend. Denn es ist durchaus denkbar, dass der Kläger die Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse seiner Mandanten mit dem Interesse seines Unternehmens, wirtschaftlich erfolgreich am Markt tätig zu sein, in unzulässiger Weise verquickt.
Unmaßgeblich ist, dass die Beklagte dem Kläger zuvor die Nebentätigkeit im Angestelltenstatus gestattet hatte. Denn die Sachlage ist anders, wenn der Rechtsanwalt als Geschäftsführer oder Vorstand handelt. Hier kommt es nicht darauf an, ob er als gesetzlicher Vertreter selbst akquirierend tätig ist oder ob dies anderen obliegt (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2007 – AnwZ (B) 92/06 –, Rn. 12 f., juris). Denn der (Mit-) Geschäftsführer bzw. Vorstand ist dem Unternehmensinteresse stärker verpflichtet als ein Angestellter des Unternehmens mit eingeschränktem Aufgabenbereich. Auch wenn die Vergütung des Vorstands nicht umsatzabhängig ausgestaltet ist, so hat er doch ein größeres Interesse an dem wirtschaftlichen Wohlergehen des Unternehmens, für das er nach außen und gegenüber den Gesellschaftern einzustehen hat. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Vergütung zukünftig am Umsatz orientiert wird.
Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Einschränkung, dass der Kläger tatsächlich nicht im Bereich der Akquise tätig sein dürfe, weder aus § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages noch aus dem Schreiben des Vorstandsvorsitzenden Müller vom 12. Juni 2014 (Anlage K 5) zu entnehmen ist. Vielmehr ergibt sich aus letzterem nur, dass er diese Tätigkeit derzeit (in tatsächlicher Hinsicht) nicht ausübt; in § 1 Abs. 2 des Vorstandsdienstvertrages sind nur allgemeine Regeln zum Aufgabenbereich enthalten. Schließlich ist § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vorstand (Anlage 1 zur Anlage K 4) zu berücksichtigen. Darin ist in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage statuiert, dass die Verteilung der Arbeitsgebiete kein Mitglied des Vorstands von der gemeinschaftlichen Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung befreit.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass nach der Geschäftsordnung der E… AG Interessenkollisionen zu vermeiden seien, ist dies bereits deshalb nicht entlastend, als es sich um eine Regelung im Interesse der E… Gruppe handelt, wie sich auch daraus ergibt, dass kein Mitglied des Vorstandes bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen dürfe. Der Widerruf der Rechtsanwaltszulassung soll dagegen gerade die höherrangige Bewertung von Interessen für das Unternehmen, für das der Rechtsanwalt zusätzlich tätig ist, zum Nachteil der Mandanten bzw. zum Nachteil der öffentlichen Meinung vermeiden.
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die trotz der Unvereinbarkeit der Tätigkeit des Klägers für die E… Gruppe mit seiner Stellung als Rechtsanwalt einem Widerruf entgegen stehen würden, weil der Widerruf für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde (§ 14 Bas. 2 Nr. 8 letzter Halbsatz BRAO).
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Absatz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Ein Anlass, die Berufung nach §124 VwGO, §§112 Abs.1, 112 e BRAO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§§124 a Absatz 1 Satz 1, 124 Absatz 2 Nr.2 und 3 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bundesgerichtshof zugelassen wird.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach zu beantragen. Der Antrag ist beim Anwaltsgerichtshof Berlin, Elßholzstraße 30/33, 10781 Berlin zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe schriftlich oder in elektronischer Form über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.