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  • 29.11.2016 · IWW-Abrufnummer 190218

    Oberlandesgericht Saarbrücken: Beschluss vom 10.10.2016 – 1 Ws 113/16

    Eine Auswechslung des Pflichtverteidigers ist m Falle eines Instanzwechsels dann zulässig, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen. Ein Gebührenverzicht des neuen Pflichtverteidigers ist wirksam. § 49b BRAO steht dem nicht entgegen.


    In der Strafsache
    gegen pp.

    wegen Diebstahls

    Verteidiger:
    hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 10. Oktober 2016
    durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

    1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Juli 2016 aufgehoben, Rechtsanwalt Bernd F. aus Bremerhaven entpflichtet und dem Angeklagten Rechtsanwalt Hans M.-M1. aus Bremen zum Pflichtverteidiger bestellt.
    2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
    Gründe:

    I. Dem Angeklagten wurde im Berufungsverfahren mit Beschluss des Vorsitzenden der 12. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 15.- Februar 2016 Rechtsanwalt F. aus Bremerhaven anstelle von Rechtsanwalt H. aus Bremen zum notwendigen Verteidiger bestellt. Mit Urteil vom 7. März 2016 änderte die Strafkammer unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 4. August 2015, durch welches der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt worden war, im Rechtsfolgenausspruch dahin ab, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt F. am 8. März 2016 für den Angeklagten Revision ein und beantragte zugleich „Akteneinsicht nach Vorlage der schriftlichen Urteilsgründe“. Mit Telefaxschreiben vom 9. März 2016 legte sodann Rechtsanwalt M.-M1. unter gleichzeitiger Anzeige seiner Beauftragung durch den Angeklagten ebenfalls Revision ein, die er nach erfolgter Urteilszustellung - das Urteil wurde am 25. April 2016 an Rechtsanwalt F. und am 28. April 2016 an Rechtsanwalt M.-M1. zugestellt - mit Telefaxschreiben vom 22. Mai 2016 mit mehreren Verfahrensrügen und der Sachrüge begründete. Eine Begründung der Revision durch Rechtsanwalt F., dem mit der Zustellung des schriftlichen Urteils die begehrte Akteneinsicht gewährt worden war, erfolgte in der Folgezeit nicht.

    Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 beantragte Rechtsanwalt M.-M1., ihn unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F., der gegen eine Umbeiordnung keine Bedenken erhob, zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Beschluss vom 14. Juli 2016 zurückgewiesen, wobei er die Ablehnung der (einvernehmlichen) Auswechselung im Wesentlichen damit begründet hat, dass es an der für eine Auswechselung des Pflichtverteidigers notwendigen Verzichtserklärung eines der betroffenen Verteidiger, auf die Beanspruchung solcher Gebühren zu verzichten, die auch bei dem jeweils anderen Verteidiger bereits angefallen sind, trotz eines gerichtlichen Hinweises fehle. Nachdem Rechtsanwalt M.-M1. mit Telefaxschreiben vom 15. Juli 2016 erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind, hat er mit weiterem Telefaxschreiben vom 16. Juli 2016 namens und im Auftrag des Angeklagten Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des Vorsitzenden der Kammer eingelegt.

    Der Vertreter des Vorsitzenden der Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Bestellung von Rechtsanwalt M.-M1. zum Pflichtverteidiger unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F. beantragt.

    II.

    Die gegen die Ablehnung der Auswechselung des Pflichtverteidigers gerichtete Beschwerde ist nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung statthaft (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2008 – 1 Ws 150/08 - und 28. April 2014 – 1 Ws 45/14 -; M.-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 141 Rn. 10, § 143 Rn. 7, jew. m. w. N. sowie die unter § 143 Rn. 5 a angeführten Nachweise aus der Rspr.) und auch im Übrigen zulässig.

    Dem Rechtsmittel kann auch in der Sache der Erfolg nicht versagt bleiben.

    1. Zwar liegt - wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt wird - ein Fall, der Anlass zum Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt F. aus wichtigem Grund geben könnte (vgl. hierzu nur Senatsbeschluss vom 22. April 2010 – 1 Ws 80/10 -; M.-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 143 Rn. 3 ff. m. w. N.), nicht vor, da Umstände, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden, insbesondere Umstände, die eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem bisherigen Verteidiger zu begründen vermögen, weder dargetan noch sonst ersichtlich sind.

    2. Nach zutreffender, vom Senat geteilter Auffassung ist eine Auswechselung des Verteidigers jedenfalls im Falle eines - wie hier vorliegenden - Instanzwechsels jedoch dann zulässig, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2008 – 1 Ws 150/08 -, 26. März 2009 – 1 Ws 54/09 -, 22. April 2010 – 1 Ws 80/10 - und 1. Juni 2015 – 1 Ws 89/15 -; OLG Brandenburg StV 2001, 442; OLG Bamberg NStZ 2006, 467; OLG Düsseldorf StraFo 2007, 156; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Köln StraFo 2008, 348; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010; Hanseat. OLG Bremen NStZ 2014, 358; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; s.a. M.-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 143 Rn. 5 a m. w. N.). So liegt es hier.

    Beide Verteidiger haben sich mit der Auswechselung des Pflichtverteidigers einverstanden erklärt, eine Verfahrensverzögerung ist hierdurch nicht zu besorgen. Durch einen Wechsel des bestellten Verteidigers entstehen für die Landeskasse auch keine Mehrkosten. Zwar hat Rechtsanwalt F. bereits die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und im Hinblick auf die nach Einlegung der Revision gewährte Akteneinsicht auch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG (zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 6. März 2013 – 1 Ws 235/12 - und 16. Januar 2014 – 1 Ws 254/13-; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG, 22. Aufl., Vorb. 4 VV Rn. 10 ff., 14) verdient und stünde auch Rechtsanwalt M.-M1. im Falle seiner Bestellung grundsätzlich ein diese Gebühren umfassender Vergütungsanspruch zu, nachdem er die Revision des Angeklagten mit Schriftsatz vom 22. Mai 2016 begründet hat. Ein zweifacher Anfall der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG ist vorliegend jedoch - worauf die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hinweist - ausgeschlossen, nachdem Rechtsanwalt M.-M1. nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind.

    Dieser Gebührenverzicht ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur auch wirksam (vgl. OLG Bamberg NStZ 2006, 467; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; Hartmann, Kostengesetze, VV 4100, 4101 Rn. 9; Volpert in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil A Rn. 1392). Der abweichenden Ansicht, die im Hinblick auf § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, wonach es unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt, einen derartigen Gebührenverzicht als unzulässig erachtet (vgl. Thüring. OLG, Beschluss vom 29.11.2005 – 1 Ws 440/05 -, juris; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.04.2010 – 2 Ws 52/10 -, juris; OLG Köln NStZ 2011, 654 f.; Hanseat. OLG Bremen NStZ 2014, 358 f.), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insoweit wird nämlich von der herrschenden Meinung zu Recht darauf hingewiesen, dass dem von § 49b BRAO verfolgten Zweck, einen Preiswettbewerb um Mandate zu verhindern (vgl. z. B. Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., § 49 b BRAO Rn. 17; Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 49 b Rn. 7), in der vorliegenden Fallkonstellation ausreichend dadurch begegnet wird, dass ein Wechsel nur bei Einverständnis beider beteiligter Rechtsanwälte möglich ist (vgl. OLG Frankfurt; OLG Oldenburg; OLG Karlsruhe, jew. a. a. O.).

    Danach war der angefochtene Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer aufzuheben und Rechtsanwalt M.-M1. unter Entpflichtung von Rechtsanwalt F. zum Verteidiger des Angeklagten zu bestellen.

    Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.