12.11.2019 · IWW-Abrufnummer 212209
Verwaltungsgerichtshof München: Beschluss vom 12.06.2019 – 11 C 19.233
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Verwaltungsgerichtshof Bayern
Beschluss vom 12.06.2019
Az.: 11 C 19.233
Tenor:
I. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
I.
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Der Kläger begehrt mit seiner Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis mit Bescheid der Beklagten vom 7. September 2015 und hilfsweise auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne Beibringung eines Fahreignungsgutachtens.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erstmals mit Beschluss vom 12. Juni 2018 mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. August 2018 zurückgewiesen, da der Kläger seine wirtschaftlichen Verhältnisse trotz Aufforderung nicht ausreichend glaubhaft gemacht und die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt hatte.
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Mit Beschluss vom 9. Januar 2019 lehnte das Verwaltungsgericht seinen weiteren Prozesskostenhilfeantrag erneut ab. Zugleich hat es die Klage mit Urteil vom 9. Januar 2019 abgewiesen, das nach dem in den Akten des Verwaltungsgerichts enthaltenen Empfangsbekenntnis der Klägerbevollmächtigten am 17. Januar 2019 zugestellt worden und nach telefonischer Auskunft des Verwaltungsgerichts am 23. Februar 2019 rechtskräftig geworden ist.
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Die mit Schriftsatz vom 26. April 2019 beim Verwaltungsgerichtshof eingelegte Berufung gegen das Urteil vom 9. Januar 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom heutigen Tag verworfen, da sie mangels Zulassung durch das Verwaltungsgericht nicht statthaft war. Über den ebenfalls am 26. April 2019 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand musste deshalb nicht entschieden werden.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerbevollmächtigte ausgeführt, in ihrer Akte befinde sich nur der Beschluss vom 9. Januar 2019 aber kein Urteil. Am Tag der Zustellung habe ihr Rechtsanwaltsfachangestellter die Post geöffnet und die Fristen notiert. Dabei sei nur die Rechtsmittelfrist für die Beschwerde notiert und das Empfangsbekenntnis der Bevollmächtigten ohne Unterlagen vorgelegt worden. Sie habe das Empfangsbekenntnis dann ohne weitere Überprüfung unterzeichnet und dabei nicht bemerkt, dass das Urteil nicht mit zugestellt worden sei. Der Rechtsanwaltsfachangestellte versicherte an Eides statt, dass er die Berufungsfrist nicht notiert habe, da ein Urteil nicht zugestellt worden sei und er nicht bemerkt habe, dass auf dem Empfangsbekenntnis zwei Entscheidungen vermerkt gewesen seien.
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Im Beschwerdeverfahren hat die Berichterstatterin mit Schreiben vom 11. Februar 2019, dessen Empfang die Klägerbevollmächtigte nicht bestätigte, und wortgleichem Schreiben vom 11. März 2019 weitere Unterlagen vom Kläger angefordert, da die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachvollziehbar ausgefüllt war. Am 22. März 2019 gingen die vollständigen Unterlagen beim Verwaltungsgerichtshof ein.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und seine Prozessvertreterin nicht beigeordnet werden.
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1. Die Frage, ob noch Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, wenn das Verfahren in der Hauptsache schon beendet ist, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (vgl. zum Streitstand BayVGH, B.v. 7.2.2012 - 14 C 1.2539 - juris; B.v. 11.6.2012 - 12 C 12.1042 - juris; BGH, B.v. 7.3.2012 - XII ZB 391710 - FamRZ 2012, 964).
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Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens allenfalls ausnahmsweise rückwirkend Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, denn der Zweck der Prozesskostenhilfe, die für die Führung eines aussichtsreichen Rechtsstreits erforderlichen Kosten aufzubringen, kann in diesen Fällen nicht mehr erreicht werden (vgl. BayVGH, B.v. 11.6.2012 a.a.O. Rn. 4; weitergehend z.B. Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 166 Rn. 57; weitergehend für das Beschwerdeverfahren Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 166 Rn. 81).
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Ausnahmen werden z.B. angenommen, wenn eine zweifelhafte Rechtsfrage verfahrensfehlerhaft in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert worden ist (BGH a.a.O. juris Rn. 14) oder wenn das erstinstanzliche Gericht die Entscheidung verzögert hat und die Erfolgsaussicht in der Zwischenzeit entfallen ist (BGH a.a.O. juris Rn. 18; BayLSG, B.v. 1.12.2015 - L 11 AS 780/15 B PKH - juris Rn. 8), wenn über einen entscheidungsreifen Antrag ohne hinreichenden Grund nicht entschieden worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.6.2012 a.a.O. Rn. 6) oder wenn vor Ergehen der den Rechtszug abschließenden Entscheidung des Gerichts bereits alle Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt waren und die rückwirkende Bewilligung der Billigkeit entspricht (OVG NW, B.v. 24.5.2017 - 16 E 1119/16 - juris Rn. 3; B.v. 5.9 2013 - 16 E 847/13 - juris Rn. 2).
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2. Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren bei zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung jedenfalls nur dann ausnahmsweise möglich sein könnte, wenn der Bewilligungsantrag während des Verfahrens gestellt und der Kläger vor Eintritt der Rechtskraft alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat.
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Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor, denn das Urteil vom 9. Januar 2019 ist am 23. Februar 2019 rechtskräftig geworden und die vollständigen Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers sind erst am 22. März 2019 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
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Die Klägerbevollmächtigte konnte die Beweiskraft des am 17. Januar 2019 von ihr unterzeichneten Empfangsbekenntnisses nicht entkräften und hat nicht belegt, dass das Urteil am 17. Januar 2019 entgegen dem von ihr unterzeichneten Empfangsbekenntnis nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen begonnen hatte.
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Das Empfangsbekenntnis ist zwar bei Ausstellung durch einen Rechtanwalt nur eine private Urkunde, die aber gleichwohl nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO dafür Beweis erbringt, dass das Schriftstück an diesem Tag als zugestellt entgegengenommen worden ist (vgl. Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, § 174 Rn. 21; Häublein in Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 174 Rn. 13). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der Angaben ist zulässig, aber allein die Möglichkeit der Unrichtigkeit oder die Erschütterung der Richtigkeit der Angaben reicht dafür nicht aus, sondern es muss die Beweiswirkung des § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO vollständig entkräftet und damit jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (vgl. Schultzky a.a.O. m.w.N.; Häublein a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall.
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Die Prozessbevollmächtigte macht selbst geltend, dass ihr das Empfangsbekenntnis ohne Unterlagen vorgelegt worden ist und sie eine Überprüfung nicht vorgenommen hat. Sie konnte daher nicht erkennen, ob das Urteil bei den Unterlagen gewesen und zugestellt worden ist. Auch die Versicherung des Rechtsanwaltsfachangestellten, dem Empfangsbekenntnis habe kein Urteil beigelegen, kann nicht überzeugen, denn es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, wie in der Kanzlei der Klägerbevollmächtigten überprüft wird, welche Unterlagen einem Empfangsbekenntnis beigefügt sind. Es erscheint deshalb nicht vollständig ausgeschlossen, dass der Rechtsanwaltsfachangestellte die beigefügten Unterlagen überhaupt nicht geprüft und deshalb übersehen hat, dass mit dem Empfangsbekenntnis zwei verschiedene Schriftstücke zugestellt worden sind. Weitere Unterlagen, z.B. ein Anschreiben des Verwaltungsgerichts, aus dem sich ergibt, wie viele Kopien der Entscheidungen übersandt worden sind, sind nicht vorgelegt worden. Aus der Akte des Verwaltungsgerichts ergibt sich, dass am 14. Januar 2019 jeweils zwei Abdrucke der beiden Entscheidungen für die Klagepartei erstellt und am 16. Januar 2019 abgesandt worden sind. Dass sich das Urteil anscheinend nicht in der Akte der Prozessbevollmächtigten befindet, ist ebenfalls kein Beweis dafür, dass es nicht zugestellt worden ist. Dies kann auch darauf zurückzuführen sein, dass versehentlich beide Urteilsabdrucke dem Kläger übersandt oder in der Annahme, es würde sich um überzählige Stücke des Beschlusses handeln, vernichtet worden sind.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für die Zurückweisung der Beschwerde nach dem hierfür maßgeblichen Kostenverzeichnis eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Anlage 1 Nr. 5502).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).