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  • 07.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223343

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 26.04.2021 – 4 W 272/21

    1. Bei einem anwaltlich vertretenen Schuldner beginnt die Rechtsmittelfrist noch nicht zu laufen, wenn ein Ordnungsmittelbeschluss dem Schuldner persönlich zugestellt wird.

    2. Die Heilung eines Zustellungsmangels tritt nicht durch Kenntnisnahme von einem Beschluss im Rahmen der Akteneinsicht ein.

    3. Voraussetzung für einen Ordnungsmittelbeschluss ist allein der Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung, es kommt hingegen nicht darauf an, dass das verbotswidrige Verhalten im Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses noch andauert.


    Oberlandesgericht Dresden

    Beschluss vom 26.04.2021


    In Sachen
    ...... (......), Anstalt des öffentlichen Rechts, ...
    vertreten durch die Intendantin Prof. K...... W......
    - Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte P...... H...... P......, ...
    gegen
    H...... S......, ...
    - Antragsgegner und Beschwerdeführer -
    Prozessbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt Prof. Dr. J...... G......, ...

    wegen einstweiliger Verfügung
    hier: Beschwerde

    hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
    Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S......,
    Richterin am Oberlandesgericht Z...... und
    Richterin am Oberlandesgericht W......

    ohne mündliche Verhandlung am 26.04.2021 beschlossen:

    Tenor:

    I. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16.10.2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

    II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts vom 28.04.2020 ist dem Antragsgegner u. a. aufgegeben worden, es zu unterlassen, das dort näher bezeichnete Interview zu vervielfältigen, zu bearbeiten, zu ändern oder öffentlich, insbesondere über soziale Netzwerke zugänglich zu machen. Die einstweilige Verfügung ist dem Antragsgegner am 06.05.2020 zugestellt worden.

    Auf den am 19.05.2020 eingegangenen Ordnungsmittelantrag der Antragstellerin hat das Landgericht am 06.07.2020 gegen den Antragsgegner ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000,00 €, ersatzweise für je 500,00 € einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Auf Antrag der Gläubigerin vom 31.03.2020 hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.10.2020 gegen den Schuldner ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 2000,00 € ersatzweise für je 500,00 € einen Tag Ordnungshaft verhängt. Der Beschluss ist dem anwaltlich vertretenen Schuldner persönlich am 24.10.2020 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 08.02.2021 hat sich für den Antragsgegner ein neuer Prozessbevollmächtigter angezeigt und zunächst um Akteneinsicht gebeten. Der Beschluss vom 16.10.2020 ist dem Prozessbevollmächtigten am 05.03.2021 zugestellt worden. Mit am 15.03.2021 eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen den Beschluss vom 16.10.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Er behauptet, bereits am 01.03.2021 längst nicht mehr gegen die einstweilige Verfügung verstoßen zu haben und vertritt die Auffassung, der Ordnungsmittelbeschluss hätte deswegen vor der erneuten Zustellung auf seine "inhaltliche Berechtigung" überprüft werden müssen, was jedoch fehlerhaft nicht geschehen sei.

    Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

    II.

    Die sofortige Beschwerde vom 15.03.2021 gegen den angefochtenen Ordnungsmittelbeschluss ist nach § 793 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

    1.

    Insbesondere war die Beschwerdefrist der §§ 793, 569 Abs. 1 ZPO im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde beim Landgericht am 15.03.2021 nicht verstrichen. Eine wirksame Zustellung des Beschlusses vom 16.10.2020 ist erst am 05.03.2021 erfolgt. Vorliegend war der Antragsgegner im Verfügungsverfahren anwaltlich vertreten, so dass für die Zustellung § 172 Abs. 1 ZPO gilt mit der Folge, dass nicht an den Antragsgegner persönlich, sondern an den Prozessbevollmächtigten zuzustellen war. Das Vollstreckungsverfahren gehört nach § 172 Abs. 1 Satz 3 ZPO zum ersten Rechtszug (Zöller-Schultzky, 33. Aufl., ZPO, § 172 Rn. 17). Für ein Erlöschen der Vollmacht nach Abschluss des Verfügungsverfahrens ist nichts ersichtlich. Unabhängig davon wären auch dann Zustellungen weiter an den früheren Bevollmächtigten zu richten gewesen (§ 87 ZPO, Zöller-Schultzky, a.a.O., Rn. 9). Der Fortbestand der Vollmacht gilt zwar nicht für selbständige Nebenverfahren, in denen die Partei selbst handeln kann (Zöller/Althammer, a.a.O., Rn. 3). Bei der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO kann die Partei jedoch nicht selbst handeln. Im Vollstreckungsverfahren vor dem Prozessgericht vielmehr der Anwaltszwang (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 6 W 105/19 -, Rn. 5, juris Zöller-Seibel, a.a.O., § 887 Rn. 4; § 890 Rn. 13). Die an den Schuldner ausweislich der bei den Vollstreckungsakten befindlichen Postzustellungsurkunde bereits am 24.10.2020 erfolgte Zustellung des Ordnungsmittelbeschlusses konnte angesichts dessen die Beschwerdefrist nicht in Lauf setzen, ein Verstoß gegen § 172 Abs. 1 ZPO macht die Zustellung unwirksam (BGH NJW 2020, 1728; HK-ZPO/Siebert, 7. Aufl., § 172 Rn. 9; Zöller-Schultzky, a.a.O., § 172 Rn. 22).

    2.

    Eine Heilung dieses Zustellungsmangels vor Zustellung an den neuen Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners am 05.03.2021 ist nicht erfolgt. Nach § 189 ZPO gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Eine Heilung durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks im Sinne des § 189 ZPO setzt voraus, dass das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat (BGH, Beschluss vom 12.03.2020 - I ZB 64/19). Zudem kommt die Heilung einer fehlerhaften Zustellung nur beim Vorliegen eines Zustellungswillens in Betracht, mithin dann, wenn eine formgerechte Zustellung von dem Gericht wenigstens angestrebt worden ist (BGH, FamRZ 2021, 55 (56); Beschluss vom 19.02.2020 - XII ZB 291/19 -, FamRZ 2020, 770 Rz. 19, m.w.N.). Die Kenntniserlangung vom Inhalt einer zuzustellenden Entscheidung im Rahmen einer - hier zwischen dem 04.02. und 23.02.2021 erfolgten - Akteneinsicht führt regelmäßig nicht zu einer Heilung gemäß § 189 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 23.11.2004 - 5 StR 429/04 - juris Rn. 5; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21.03.2019 - 1 OWi 2 SsRs 76/18 u. a. - ZfSch 2020, 51 Rn. 7; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12.02.2021 - 11 CS 20.2953 -, Rn. 16, juris).

    3.

    Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 890 ZPO für den Erlass eines zweiten Ordnungsmittelbeschlusses lagen am 16.10.2020 vor. Insbesondere lässt es auch die Beschwerde gegen sich gelten, dass der Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt gegen das Unterlassungsgebot aus der einstweiligen Verfügung vom 28.04.2020 erneut verstoßen hatte. Ob dieser Verstoß zwischenzeitlich zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt, spätestens zum 01.03.2021 abgestellt wurde, wie die Beschwerde nunmehr behauptet, kann dahinstehen. An der Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 16.10.2020 ändert dies nichts. Wie bereits dem Wortlaut von § 890 Abs. 1 ZPO zu entnehmen ist, knüpft der Ordnungsmittelbeschluss nicht an einen nach Erlass des Ausgangstitels erfolgten Verstoß gegen ein Unterlassungsgebot an. Die Zuwiderhandlung ist Verstoß gegen den darin enthaltenen richterlichen Befehl, der mit Verkündung wirksam wird. Von jetzt ab existiert die Verbotsnorm, bei deren Verletzung der Schuldner mit den ihm angedrohten Zwangsmaßnahmen rechnen muss (Bork, WRP 1989, 366 [BGH 26.05.1988 - I ZR 238/86], (363)). Der Ordnungsmittelbeschluss soll damit nicht nur das geschuldete Unterlassen erzwingen, sondern hat zugleich repressiven Charakter. Vor diesem Hintergrund werden Verstöße sogar dann geahndet, wenn das Unterlassungsgebot inzwischen durch Zeitablauf geendet hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01. Juni 2015 - 20 WF 35/15 -, Rn. 9, juris). Erst recht gilt dies, wenn wie hier das Unterlassungsgebot grundsätzlich Bestand hat, der Schuldner aber nach Erlass, jedoch vor Zustellung des Ordnungsmittelbeschlusses die Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot einstellt. Da der Antragsgegner vor Erlass eines Ordnungsmittelbeschlusses zwingend anzuhören ist (§ 891 ZPO), hätte er es ansonsten in der Hand, das Unterlassungsgebot leerlaufen zu lassen, indem er erst die Anhörung zum Anlass nähme, die Zuwiderhandlung einzustellen, sie aber nach Ablehnung des Ordnungsmittelantrags wiederaufzunehmen. Die Aufhebung eines bereits erlassenen, nicht rechtskräftigen Ordnungsmittelbeschlusses erfordert daher über die Einstellung der Zuwiderhandlung hinaus, dass der zugrunde liegende Unterlassungstitel aufgehoben worden ist, etwa weil die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt oder sich hierüber verglichen haben. Selbst dann kann der Titel noch Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen bleiben, die vor dem erledigten Ereignis liegen, wenn der Gläubiger die Erledigungserklärung entsprechend beschränkt (Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 12, Rn 160). Vorliegend hat indes die Unterlassungsverfügung vom 28.04.2020 nach wie vor Bestand. Auch dies gebietet die Durchsetzung von Ordnungsmitteln, selbst wenn die Zuwiderhandlung vor der Zustellung des Beschlusses eingestellt wurde, um den Antragsgegner davon abzuhalten, die streitgegenständlichen Videos erneut auf seien social-media account hochzuladen.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben. Da die Gerichtsgebühren als Festgebühren erhoben werden (Ziff. 2121 KV GKG) und ein Antrag nach § 33 RVG nicht gestellt wurde, bedarf es der Festsetzung eines Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren nicht.

    RechtsgebietVollstreckungsrechtVorschriften§ 172 Abs. 1, § 189 ZPO