31.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233494
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 07.12.2022 – XII ZB 200/22
Wird eine Beschwerde nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG von einem Rechtsanwalt schriftlich eingelegt, ist die Beschwerdeschrift nach § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2022 durch die Richter Guhling, Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. April 2022 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.
Wert: 4.000 €
Gründe
I.
1
Die Beteiligte zu 2 (Kindesmutter) wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde in einem Verfahren betreffend die elterliche Sorge für ihr Kind S.
2
Mit einem ihrem erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten am 17. Januar 2022 zugestellten Beschluss hat das Amtsgericht der Kindesmutter Teile der elterlichen Sorge für S. entzogen und auf das beteiligte Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Hiergegen hat der zweitinstanzliche Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter mit am 1. Februar 2022, am 2. Februar 2022 und am 2. März 2022 per Post beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsätzen wiederholt Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdeschrift und die Verfahrensakten sind am 17. März 2022 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nachdem das Oberlandesgericht darauf hingewiesen hatte, dass die Beschwerdeschrift innerhalb der am 17. Februar 2022 abgelaufenen Beschwerdefrist als elektronisches Dokument einzureichen gewesen wäre, und hierauf keine Reaktion erfolgt war, hat es die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Kindesmutter.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
4
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Die Beschwerde sei nicht innerhalb der mit Ablauf des 17. Februar 2022 endenden Beschwerdefrist in der erforderlichen elektronischen Form eingereicht worden. Seit dem 1. Januar 2022 seien gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG schriftliche Anträge und Erklärungen von Rechtsanwälten als elektronisches Dokument im Sinne der §§ 14 Abs. 2 FamFG , 130 a ZPO einzureichen. Dies sei hier nicht erfolgt. Der von der Kindesmutter beauftragte Rechtsanwalt sei nicht deshalb von der Einreichung eines elektronischen Dokuments befreit gewesen, weil nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG eine Beschwerdeeinlegung auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle möglich sei. Bediene sich ein Rechtsanwalt nicht dieser Form, sondern lege er Beschwerde durch die Einreichung einer Beschwerdeschrift ein, müsse dies seit dem 1. Januar 2022 mit einem den Anforderungen des § 130 a ZPO genügenden elektronischen Dokument erfolgen. Aus der Möglichkeit nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG , die Beschwerde auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle einlegen zu können, folge keine allgemeine Befreiung des in § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG genannten Personenkreises von der Verpflichtung zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments, wenn die Beschwerde nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werde.
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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Zu Recht hat das Oberlandesgericht angenommen, dass innerhalb der mit Ablauf des 17. Februar 2022 endenden Beschwerdefrist ( § 63 Abs. 1 FamFG ) keine formwirksame Beschwerde eingegangen ist, weil der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter die Beschwerdeschrift nicht in der gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderlichen elektronischen Form eingereicht hat.
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a) Nach § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen durch einen Rechtsanwalt, durch einen Notar, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse als elektronisches Dokument zu übermitteln. Mit dieser durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) eingeführten und durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) im Wortlaut geänderten Vorschrift hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 für den in der Bestimmung bezeichneten Personenkreis eine aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen geschaffen. Die Beschwerdeeinlegung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG wird vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfasst (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2022 - XII ZB 264/22 - MDR 2022, 1426 Rn. 7; OLG FrankfurtFamRZ 2022, 802 f.; OLG Bamberg NJW 2022, 1260, 1261; Prütting/Helms/Ahn-Roth FamFG 6. Aufl. § 14 b Rn. 14; BeckOK FamFG/Obermann [Stand: 1. Oktober 2022] § 64 Rn. 11; Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 14 b Rn. 2; Fritzsche NZFam 2022, 1, 4; MütherFamRZ 2022, 803).
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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich nichts Anderes daraus, dass nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG die Beschwerde - außer in Ehe- und Familienstreitsachen ( § 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG ) sowie in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 215, 1 =FamRZ 2017, 1151Rn. 19) - nicht nur durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, sondern auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden kann. Die Vorschrift trägt mit dieser zusätzlichen Form der Beschwerdeeinlegung dem Umstand Rechnung, dass in den meisten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein Anwaltszwang besteht und die Beteiligten daher das Verfahren selbst führen können. Durch die Möglichkeit, die Beschwerde auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen, soll anwaltlich nicht vertretenen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit eines erleichterten Zugangs zu den Rechtsmittelgerichten gewährt werden, um den Rechtsschutz für rechtsunkundige oder schreibungewandte Beteiligte zu wahren (vgl. Keidel/Sternal FamFG 20. Aufl. § 64 Rn. 2). § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG räumt daher dem Verfahrensbeteiligten ein Wahlrecht ein. Entscheidet er sich aber dafür, die Beschwerde schriftlich einzureichen, muss die Beschwerdeschrift - wie schon § 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 FamFG zeigen - den gesetzlich vorgesehenen Formerfordernissen entsprechen, zu denen auch § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG zählt. Daher ist ein Rechtsanwalt seit dem 1. Januar 2022 zur Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument iSv § 130 a ZPO verpflichtet, wenn die Beschwerde - wie hier - nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt wird.
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c) Der Rechtsbeschwerde kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie in diesem Zusammenhang meint, der Gesetzgeber habe bei der Einführung des § 14 b FamFG möglicherweise nicht gesehen, dass § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwischen der schriftlichen Einlegung der Beschwerde und der Einlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle mit geringeren Formerfordernissen unterscheide. Denn bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften wird der für die Beschwerdeeinlegung maßgebliche § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG ausdrücklich als Beispiel für eine ein Schriftformerfordernis begründende Vorschrift genannt, die dem Anwendungsbereich des § 14 b Abs. 1 FamFG unterfallen soll (BT-Drucks. 19/28399 S. 39).
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d) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass die Kindesmutter innerhalb der Beschwerdefrist ( § 63 Abs. 1 FamFG ) keine formwirksame Beschwerde eingelegt hat.
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Nach den getroffenen und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen hat der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter die Beschwerdeschriftsätze vom 1. Februar und 2. Februar 2022 nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt, sondern nur per Post an das Amtsgericht geschickt. Auch war nicht ausnahmsweise die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften in Schriftform oder per Telefax zulässig. Denn die Kindesmutter hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war ( § 14 b Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG ). Erklärungen von einem Rechtsanwalt, die entgegen § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG per Post eingereicht wurden, sind unwirksam und können Rechtsmittelfristen nicht wahren (OLG FrankfurtFamRZ 2022, 804, 805; Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 14 b Rn. 2).
Guhling
Klinkhammer
Günter
Botur
Krüger