20.06.2013
Finanzgericht Niedersachsen: Beschluss vom 15.04.2013 – 2 K 25/13
- Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 1 Nr. 2 AO (hier: Bekanntgabe am 31.12.2012) wird nicht dadurch außer Kraft gesetzt,
dass das Büro eines RA oder Steuerberaters, an das der Einspruchsbescheid vom 28.12.2012 übersandt wurde, am 31.12.2012 nicht
besetzt war und der Einspruchsbescheid daher einen Eingangsstempel vom 2.1.2013 erhielt.
- Der Umstand, dass ein Prozessbevollmächtigter den Bescheid vermutlich nicht vor dem 2.1.2013 gelesen hat, ändert daran ebenfalls
nichts.
Gründe
Das Prozesskostenhilfegesuch war – gerichtskostenfrei durch Beschluss des im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats
entscheidenden Berichterstatters (§ 79a Abs. 3, 4 FGO) - zurückzuweisen. Die Rechtsverfolgung des Klägers hat keine Aussicht
auf Erfolg (§ 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO). Die Klage ist bereits unzulässig.
Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers gegen den angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 23. Oktober 2012 mit Bescheid vom
28. Dezember 2012 zurückgewiesen. Dieser Bescheid ist am gleichen Tage mit einfachem Brief zur Post gegeben worden, so dass
er nach der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 1 Nr. 2 AO als am 31. Dezember 2012 bekannt gegeben gilt. Die einmonatige Klagefrist
endete daher mit Ablauf des 31. Januar 2013 (§§ 47 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 2 FGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klage ist
jedoch erst am 4. Februar 2013 erhoben worden.
Dass das Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers, an das der Einspruchsbescheid vom 28. Dezember 2012 übersandt wurde,
am 31. Dezember 2012 nicht besetzt war und der Einspruchsbescheid wohl daher dort einen Eingangsstempel vom 2. Januar 2013
erhielt, ändert nichts daran, dass der Bescheid als am 31. Dezember 2012 bekannt gegeben gilt. Auf die Regelung des § 122
Abs. 1 Nr. 2 AO ist die Fristenbestimmung des § 108 Abs. 3 AO anzuwenden, so dass, wenn nach der erstgenannten Regelung die
Bekanntgabe eines Bescheides an einem Sonntag, einem gesetzlichen Feiertag oder einem Sonnabend anzunehmen wäre, erst von
einer Bekanntgabe am ersten nachfolgenden Werktag auszugehen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003, IX R 68/98, BStBl.
II 2003, 898; Rätke in Klein, AO, Rz. 6 zu § 108; Brockmeyer/Ratschow, in Klein, AO, Rz. 52 zu § 122; AEAO zu § 108 Nr. 2).
Der 31. Dezember 2012 war aber ein Montag und daher weder ein Sonntag noch ein Samstag. Er ist auch kein gesetzlicher Feiertag;
er ist weder im Nds. Feiertagsgesetz noch in einer entsprechenden bundeseinheitlichen Regelung erwähnt. Dass am 31. Dezember
wie im Büro der Klägerin auch (weitgehend) in der Justiz tatsächlich oftmals nicht gearbeitet wird, ändert an der rechtlichen
Eigenschaft dieses Tages als Tag, an dem auch Monatsfristen wirksam ablaufen können (= Werktag), nichts (vgl. Urteil des VGH
Baden-Württemberg vom 24. November 1986, 1 S 1106/86, NJW 1987, 1353).
An der Vermutung des Zugangs des Einspruchsbescheides ändert auch der Umstand nichts, dass die Prozessbevollmächtigte des
Klägers den Bescheid wohl nicht vor dem 2. Januar 2013 gelesen hat. Zugang einer Postsendung im Sinne des § 122 AO ist jedenfalls
entsprechend der von ihr angeführten Regelung des § 130 Abs. 1 BGB dahin gehend zu verstehen, dass die Sendung derart in den
Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von dem entsprechenden Schriftstück Kenntnis nehmen konnte und diese Kenntnisnahme
nach allgemeinen Gepflogenheiten auch erwartet werden darf (vgl. Brockmeyer/Ratschow, a.a.O., Rz. 56). Die erwartbare Möglichkeit
der Kenntnisnahme von einer mit der Post übermittelten Sendung besteht aber grundsätzlich an jedem Werktag, auch wenn es sich
hierbei um den 31. Dezember handelt. Auch wenn nicht selten an jenem Tag Geschäftsräume geschlossen bleiben, handelt es sich
hierbei nicht um eine dahingehende allgemeine Gepflogenheit, dass Postsendungen an diesem Tag nicht zugehen könnten. So ist
es gerichtsbekannt noch nicht einmal in den rechts- und steuerberatenden Berufen generell üblich, an jenem Tag die Büroräume
komplett zu schließen; vielmehr wird durchaus - gerade zum Empfang der Post - zumindest eine Notbesetzung am Vormittag aufrecht
erhalten. Es kann daher insoweit nur von einer, hier nicht relevanten, allgemeinen Gepflogenheit ausgegangen werden, dass
die Möglichkeit der Kenntnisnahme von einem Schriftstück und damit dessen Zugang am (späten) Nachmittag des 31. Dezember,
nach 14.00 Uhr beziehungsweise Ablauf der gewöhnlichen Postzustellungszeiten, nicht erwartet werden kann, auch wenn dieser
auf einen Werktag fällt (vgl. BGH-Urteil vom 5. Dezember 2007, XII ZR 148/05, NJW 2008, 843; Urteil des LG Waldshut-Tiengen
vom 9. Juli 2009, 1 S 19/09, zit. n. juris; ausf. Urteil des AG Lüdenscheid vom 23. September 2011, 93 C 21/11, WuM 2011,
628, s.a. Urteil des BSG vom 1. Februar 1979, 12 RK 33/77, BSGE 48, 12).
Dem Kläger kann insoweit auch nicht Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 56 Abs.
1 FGO gewährt werden.
Dies setzte voraus, dass er - beziehungsweise seine Prozessbevollmächtigte, deren Verhalten ihm insoweit zuzurechnen ist -
ohne Verschulden daran gehindert gewesen wäre, die Klagefrist einzuhalten. Dies ist aber nicht der Fall; der nach ihrem Vorbringen
ersichtlich bestehende Irrtum der prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin über die Eigenschaft des 31. Dezember als Werktag
(bzw. über die Bedeutung des von ihrem Büro aufgebrachten Eingangsstempels) ist als regelmäßig verschuldet anzusehen (vgl.
v.g. Urteil des VGH Baden-Württemberg). Eine Rechtskundige hat die - vorstehend skizzierte - Rechtslage zu kennen.
Nur ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Klage auch in der Sache nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg
hat [wird ausgeführt].