03.05.2005 · IWW-Abrufnummer 051283
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 05.04.2005 – VII ZB 17/05
Durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides kann der Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO durch den Gläubiger nicht geführt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 17/05
vom
5. April 2005
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Kuffer, Bauner, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Safari Chabestari
am 5. April 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 19. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Juli 2004 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.
Wert: bis 300 ¤
Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung "aus vorsätzlich strafbarer unerlaubter Handlung". Sie erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der die Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Arbeitsentgelt zum Gegenstand hat. Ihren Antrag, zugleich den unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens gemäß § 850f. Abs. 2 ZPO herabzusetzen, hat das Vollstreckungsgericht zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sie sich mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist das Vollstreckungsgericht an eine Angabe im Vollstreckungsbescheid, die Forderung sei auf eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zurückzuführen, nicht gebunden, weil im Mahnverfahren keine Schlüssigkeitskontrolle und keine richterliche Überprüfung des Anspruchsgrundes erfolge. Auch sei der Schuldner anderenfalls gezwungen, gegen den Vollstreckungsbescheid allein wegen der unzutreffenden Bezeichnung der Anspruchsgrundlage vorzugehen, selbst wenn der Anspruch aus seiner Sicht aus einem anderen Grunde berechtigt sei. Die Frage, ob der Anspruch auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhe, sei nicht im Vollstreckungsverfahren zu klären. Vielmehr müsse der Gläubiger vor dem Prozeßgericht eine entsprechende Feststellungsklage erheben.
Die Rechtsbeschwerde hält dem entgegen, der Vollstreckungsbescheid sei gemäß § 700 Abs. 1 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichgestellt und der materiellen Rechtskraft fähig. Der Nachweis einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sei daher erbracht, wenn sich aus dem Vollstreckungsbescheid ein deliktischer Anspruchsgrund ergebe.
2. Der Standpunkt des Beschwerdegerichts ist richtig.
a) Die Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären. Über die Herabsetzung des unpfändbaren Betrages entscheidet auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht. Es hat nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen des Gläubigers und des Schuldners den der Pfändung zusätzlich unterliegenden Teil des Arbeitseinkommens zu bestimmen.
Hingegen ist es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Bei der Prüfung, ob der Gläubiger aus einem in der Zwangsvollstreckung nach § 850f Abs. 2 ZPO privilegierten Anspruch vorgeht, ist es an die Auffassung des Prozeßgerichts gebunden. Allein das wird der Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gerecht (BGH, Beschluß vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166, 170), nach der die materiell-rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dem Prozeßgericht obliegt, während die Vollstreckungsorgane die formellen Voraussetzungen prüfen, von denen die Durchsetzung des vollstreckbaren Anspruchs abhängt. Um den Nachweis für die Vollstreckungsprivilegierung zu erbringen, hat der Gläubiger dem Vollstreckungsgericht daher einen Titel vorzulegen, aus dem sich - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - der deliktische Schuldgrund und der von § 850f Abs. 2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben; eine davon abweichende Beurteilung ist dem Vollstreckungsgericht versagt.
b) Hat sich das Prozeßgericht in dem vom Gläubiger beigebrachten Titel mit dem Vorliegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht oder nicht ausdrücklich befaßt, begründet auch dies keine Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts, die materiell-rechtliche Fragen zum Gegenstand hätte. Das Vollstreckungsverfahren ist seinem Wesen nach auf raschen Zugriff und nicht auf Verhandlung ausgelegt. Es ist nicht kontradiktorisch ausgestaltet und bietet deshalb für die Prüfung materiell-rechtlicher Ansprüche regelmäßig eine geringere Richtigkeitsgewähr als das Erkenntnisverfahren (BGH, Beschluß vom 30. November 1989 - III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 280). Wäre dem Vollstreckungsgericht und damit dem in erster Linie funktional zuständigen Rechtspfleger die Beurteilung überlassen, ob der Vollstreckungstitel (auch) auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, müßte es sich unter Umständen auf Vorbringen und Beweismittel stützen, die nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Damit würden die Grenzen zwischen den beiden Verfahrensarten und zugleich die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger unzulässig verschoben (vgl. BGH, Beschluß vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, aaO). Schon um dem Schuldner eine sachgerechte Verteidigung im Erkenntnisverfahren zu ermöglichen, muß ein Gläubiger, der nicht bereits neben dem Leistungsantrag die Feststellung des deliktischen Anspruchsgrundes begehrt hat, daher nachtr äglich Feststellungsklage erheben (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, aaO, 171 f.; vom 14. März 2003 - IXa ZB 52/03 - ZVI 2003, 301; vom 26. September 2002 - IX ZB 208/02 - ZVI 2002, 422).
c) Der Bundesgerichtshof hat bislang offengelassen (BGH, Beschluß vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, aaO, 168), ob der Gläubiger den für § 850f Abs. 2 ZPO erforderlichen Nachweis durch Vorlage eines Vollstreckungsbescheides erbringen kann, der als Anspruchsgrund eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ausweist. Das ist mit dem Beschwerdegericht (ebenso Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850f Rdn. 13; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 850f. ZPO Rdn. 11; LG Düsseldorf NJW-RR 1987, 758; AG Freyung MDR 1986, 595; ferner Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 850f Rdn. 10, der jedenfalls eine formularmäßige Begründung im Vollstreckungsbescheid nicht ausreichen läßt) und entgegen der in Literatur und Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung (Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO 3. Aufl. § 850f Rdn. 28; MünchKomm-ZPO/Smid, 2. Aufl. § 850f Rdn. 16; Smid, ZZP 102 (1989) 22, 52 ff.; Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl. § 850f Rdn. 8a; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rdn. 1193; OLG Düsseldorf JurBüro 1973, 883 zum vormaligen Vollstreckungsbefehl; LG München II JurBüro 2004, 673; LG Karlsruhe ZVI 2002, 364; LG Stuttgart JurBüro 1997, 548; LG Aachen JurBüro 1980, 468; LG Wuppertal MDR 1976, 54) zu verneinen.
(1) Das Mahnverfahren soll dem Gläubiger einen einfachen und kostengünstigen Weg zu einem Vollstreckungsbescheid eröffnen (BGH, Urteil vom 21. März 2002 - VII ZR 230/01, BGHZ 150, 221, 225). Ob der geltend gemachte Anspruch zu Recht besteht, wird in diesem Verfahren nicht geprüft, auf seine Begründung und die bis zur Neuregelung der §§ 688 ff. ZPO durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3281) vorgesehene Schlüssigkeitsprüfung verzichtet. Auch zur Individualisierung des Anspruchs (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) ist eine nähere Angabe des Rechtsgrundes, aus dem er hergeleitet wird, nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 - IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367, 370). Eine materiell-rechtliche Befassung des Prozeßgerichts findet nicht statt; die rechtliche Einordnung des Anspruchs beruht allein auf einseitigen, vor der Titulierung nicht überprüften Angaben des Gläubigers. Schon deshalb kann eine Bindung für das Vollstreckungsgericht nicht eintreten (Schuschke/Walker, aaO). Dem steht nicht entgegen, daß ein Vollstreckungsbescheid der materiellen Rechtskraft fähig ist und diese sämtliche Rechtsgründe für den geltend gemachten Anspruch erfaßt (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 - IX ZR 62/90, aaO). Denn es geht bei § 850f Abs. 2 ZPO für den Gläubiger darum, die Voraussetzungen des Vollstreckungsprivilegs nachzuweisen. Dazu bedarf er eines Titels, der seine Berechtigung zu einem erweiterten Vollstreckungszugriff für das Vollstreckungsgericht erkennen läßt. Diese Berechtigung ist ausschließlich durch das Prozeßgericht zu beurteilen; die ihm obliegende Prüfung kann durch die bloße Behauptung des Gläubigers, der Anspruch ergebe sich (auch) aus einer vorsätzlich begangenen deliktischen Handlung, nicht ersetzt werden.
(2) Hinzu tritt folgendes: Das Mahnverfahren, das zum Erlaß des Vollstreckungsbescheides geführt hat, kann nur wegen eines Anspruchs, der die Zahlung einer bestimmten Geldsumme zum Gegenstand hat, eingeleitet werden (§ 688 Abs. 1 ZPO). Es ist nicht dazu bestimmt, zur Vorbereitung der privilegierten Vollstreckung den deliktischen Schuldgrund und den für § 850f Abs. 2 ZPO erforderlichen Verschuldensgrad feststellen zu lassen (Stein/Jonas/Brehm, aaO). Der Widerspruch des Schuldners und der dadurch bedingte Übergang in das streitige Verfahren zielen auf die Abwehr des geltend gemachten Zahlungsanspruchs. Für den Schuldner besteht zur Einlegung des Widerspruchs keine Veranlassung, wenn er nach seiner Auffassung den geforderten Betrag - obschon aus einem anderen Rechtsgrund - jedenfalls im Ergebnis schuldet. Denn will er lediglich eine Abänderung der rechtlichen Begründung, die der Gläubiger für den Anspruch gegeben hat, oder eine abweichende Feststellung des Verschuldensgrades (Fahrlässigkeit statt Vorsatz) erreichen, bleibt er mit dem vollen Kostenrisiko belastet. Das muß er ebenso wenig hinnehmen, wie er darauf zu verweisen ist, im streitigen Verfahren eine negative Feststellungswiderklage zu erheben. Es ist nicht seine Aufgabe, die vom Gläubiger behaupteten Voraussetzungen für § 850f Abs. 2 ZPO auszuräumen. Vielmehr obliegt es dem Gläubiger, den Nachweis für das von ihm beanspruchte Vollstreckungsprivileg zu erbringen. Dazu muß er seinerseits eine Feststellungsklage erheben, für die die Verfahrensart der §§ 688 ff. ZPO nicht geeignet ist.
3. Das Beschwerdegericht hat somit zu Recht die Vorlage des Vollstreckungsbescheides für die Vergünstigung des § 850f Abs. 2 ZPO nicht ausreichen lassen und den Gläubiger auf eine den bisherigen Vollstreckungstitel ergänzende Feststellungsklage verwiesen.