28.06.2005 · IWW-Abrufnummer 051860
Bundesgerichtshof: Urteil vom 27.01.2005 – IX ZR 273/02
a) Vereinbart ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO verletzt ist.
b) Die Vermutung einer unangemessen hohen Vergütung kann durch den Rechtsanwalt entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 273/02
Verkündet am:
27. Januar 2005
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Ne?kovic, Vill und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. November 2002 aufgehoben, soweit zu seinem Nachteil erkannt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten restliche Honorarzahlung. Der Beklagte ist u.a. wegen Kreditbetrugs in 61 Fällen angeklagt. In dem Strafverfahren war dem Beklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet, außerdem stand ihm ein Wahlverteidiger zur Seite. Als sich das Verfahren vor der Großen Strafkammer nach etwa 10 Verhandlungstagen seinem Ende näherte, nahm der Beklagte Kontakt zu Rechtsanwalt Dr. F. auf, um ihn als weiteren Verteidiger zu gewinnen. Dieser lehnte ab, verwies ihn jedoch an seinen Partner Dr. V. . Dieser erklärte sich zur Übernahme des Mandats bereit. Die Parteien schlossen am 20. August 1998 schriftlich eine Honorarvereinbarung. Diese sieht vor, daß der Beklagte eine Honorarpauschale in Höhe von 60.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer sowie ein Stundenhonorar von 800 DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu zahlen hat. Weiterhin sind nach dieser Gebührenvereinbarung die Kopierkosten und Spesen von dem Beklagten zu tragen. Der Pauschbetrag war nach der Honorarvereinbarung zur Hälfte sofort nach Erhalt einer entsprechenden Kostennote fällig und zur anderen Hälfte innerhalb einer Woche ab Unterzeichnung der Honorarvereinbarung. Das Stundenhonorar war fällig "gemäß Anforderung". Mit dem Pauschalhonorar sollte das besondere "Know how" des Rechtsanwalts abgegolten werden.
Da sich der Beklagte in finanziellen Schwierigkeiten befand, bestand Rechtsanwalt Dr. V. darauf, daß die zweite Honorarhälfte durch die Bestellung einer Grundschuld abgesichert werde. Die erste Hälfte der Pauschale in Höhe von 34.800 DM zahlte der Beklagte sofort und wegen der weiteren Hälfte wurde eine Grundschuld an einem der Tochter des Beklagten gehörenden Grundstück abgetreten. Das Mandat dauerte vom 20. August 1998 bis 28. September 1998. In diesem Zeitraum haben zwei Verhandlungstermine am 4. September und 15. September stattgefunden. Die Parteien waren ursprünglich davon ausgegangen, daß Dr. V. den Beklagten an fünf Verhandlungstagen vertreten werde. Am 3. September erteilte Dr. V. wegen der zweiten Hälfte der Pauschale und wegen des Stundenhonorars für 29,42 Stunden eine Rechnung über insgesamt 62.138,88 DM. Wenige Tage vor dem nächsten Hauptverhandlungstermin am 28. September 1998 erklärte Dr. V. dem Beklagten, er werde den Termin nicht wahrnehmen, wenn die Honorarrechnung vom 3. September 1998 nicht zuvor beglichen werde. Als der Beklagte nicht zahlte, legte Dr. V. das Mandat nieder.
Mit der Klage hat die Klägerin ursprünglich die zweite Hälfte des Pauschalhonorars sowie ein Zeithonorar für 44,25 angefallene Arbeitsstunden und Kosten für angefertigte Fotokopien geltend gemacht. Nach Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer hat das Landgericht das vereinbarte Honorar gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO herabgesetzt und dem Beklagten unter Zurückweisung der Klage im übrigen zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 6.357,96 DM verurteilt. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin nunmehr als Resthonorar insgesamt 40.461,96 DM gefordert, das sind 2/5 der Pauschale von 60.000 DM sowie die Vergütung für 51 Stunden Arbeitsaufwand nebst Kopierkosten und Auslagenpauschale. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zunächst zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung aufgehoben. Daraufhin hat das Berufungsgericht der Klage in ihrem nunmehrigen Umfang stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
I.
Das Berufungsgericht hat die zwischen den Parteien getroffene Honorarvereinbarung als wirksam angesehen. Insbesondere hat es die Verbindung von Pauschal- und Zeithonorar nicht beanstandet. Das vereinbarte Honorar sei nicht gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO herabzusetzen. Es sei angesichts der Gesamtumstände des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht unangemessen hoch. So sei zu berücksichtigen, daß hinsichtlich der Pauschale gemäß § 628 BGB nur ein Teil anzusetzen sei, weil Rechtsanwalt Dr. V. den Beklagten nur an zwei Verhandlungstagen verteidigt habe. Außerdem habe er sogleich ein äußerst umfangreiches Wirtschaftsstrafverfahren übernehmen und innerhalb kurzer Zeit sechs bis acht Leitzordner durcharbeiten müssen. Es sei eindeutig, daß der mit der Übernahme des Mandats verbundene Arbeitsaufwand mit der Rahmengebühr des § 83 BRAGO und auch mit einem Mehrfachen derselben nicht angemessen abgegolten werde.
II.
Diese Erwägungen halten in wesentlichen Punkten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung vom 20. August 1998 bejaht. Sie ist weder gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit noch wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam.
a) Aufgrund der getroffenen Feststellungen scheidet eine Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung vom 20. August 1998 gemäß § 138 Abs. 1 BGB aus. Zwar ist bei Anwaltsdienstverträgen in der Regel davon auszugehen, daß ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung desjenigen rechtfertigt, der sich die überhöhte Vergütung hat zusagen lassen (BGHZ 144, 343, 346). Falls hier ein derartiges Mißverhältnis bestehen sollte, wären jedoch Umstände gegeben, die eine andere Beurteilung rechtfertigen. Die Klägerin mußte ihre Leistung kurzfristig erbringen. Sie hat nicht eine Notlage oder eine Unterlegenheit des Beklagten bewußt zu ihrem Vorteil ausgenutzt (vgl. BGH, Urt. v. 23. Februar 1995 - IX ZR 29/94, NJW 1995, 1425, 1429 f). Eine Notlage bestand nicht, weil der Beklage im Strafverfahren durch einen Pflicht- und ein Wahlverteidiger vertreten war. Bei dem Beklagten handelt es sich um einen erfahrenen Kaufmann, der geschäftsführender Gesellschafter einer größeren Unternehmensgruppe war, deren drei größte Unternehmen ein Stammkapital von 25 Millionen DM aufwiesen. Die Revision macht denn auch keine Verletzung von § 138 Abs. 1 BGB geltend.
b) Die Honorarvereinbarung ist außerdem ausreichend bestimmt.
aa) Für die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung ist es erforderlich, daß sie genügend bestimmt ist (BGH, Urt. v. 25. Februar 1995 - VII ZR 112/63, NJW 1965, 1023; Urt. v. 12. Januar 1978 - III ZR 53/76, AnwBl. 1978, 227; OLG Hamm AnwBl. 1986, 452; Gebauer/Schneider, BRAGO 2002 § 3 Rn. 19; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO 8. Aufl. § 3 Rn. 26). Dabei muß ein Maßstab gewählt werden, der ohne Schwierigkeiten eine ziffernmäßige Bezeichnung der Vergütung zuläßt (BGH aaO S. 1023 und S. 227; OLG Hamm aaO S. 452).
Die Revision meint, im Streitfall fehle es an der hinreichenden Bestimmtheit, weil die hier gewählte Verbindung von Pauschal- und Zeithonorar dazu führe, daß die Vergütung des Anwalts (umgerechnet auf die einzelne Arbeitsstunde) nicht von vornherein feststehe, sondern je nach tatsächlich aufgewendeter Zeit variiere. Diese Auffassung verdient keine Zustimmung. Die Berechnung der Vergütung auf der Grundlage der im Streitfall getroffenen Honorarvereinbarung ist ohne Schwierigkeiten möglich. Für das Pauschalhonorar liegt das ohne weiteres auf der Hand. Das gleiche gilt für die Stundenlohnvereinbarung. Zwar war das Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung bei Abschluß der Honorarvereinbarung noch offen. Dadurch wird die Leistung jedoch nicht unbestimmt. Vielmehr reicht es aus, wenn die Leistung bestimmbar ist (LG München I NJW 1975, 937). Das ist bei einem aufwandsbezogenen Stundenhonorar der Fall, da der Zeitaufwand für den Auftraggeber nachprüfbar darzulegen ist und demgemäß objektiv ermittelt werden kann (LG München I aaO S. 937).
bb) Die Revision ist darüber hinaus der Auffassung, daß sich die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Honorarvereinbarung aus einer analogen Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 1 BRAGO herleiten lasse. Dabei versteht sie diese Bestimmung so, daß das vereinbarte Honorar in dem dort geregelten Anwendungsbereich (außergerichtliche Angelegenheiten; Vergütung, die niedriger als die gesetzlichen Gebühren ist) entweder pauschal pro Angelegenheit oder nach Zeitaufwand abgerechnet werden müsse.
Diese Ansicht geht fehl. Ihr ist schon im Ausgangspunkt nicht zu folgen, wobei offenbleiben kann, ob die Voraussetzungen einer Analogie überhaupt vorliegen, insbesondere das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke (vgl. dazu BGHZ 149, 165, 174 m.w.N.) enthält. Die Revision mißversteht den Regelungsgehalt des § 3 Abs. 5 Satz 1 BRAGO. Diese Vorschrift gebietet es in den dort geregelten Fällen nicht, das Honorar pro Angelegenheit entweder pauschal oder nach Zeitaufwand abzurechnen. Einer solchen Rechtsauffassung steht schon der Wortlaut dieser Bestimmung entgegen. Dort ist ausdrücklich von Pauschalvergütung und Zeitvergütung die Rede. Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/4993, S. 44) liefert für die Rechtsauffassung der Revision keinen Anhaltspunkt. Im Hinblick auf das in § 49b Abs. 1 BRAO geregelte grundsätzliche Verbot, geringere als in der BRAGO vorgesehene Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, wollte der Gesetzgeber dieses standesrechtliche Verbot - in Anlehnung an eine schon bestehende Praxis - für Fälle der außergerichtlichen Beratung und in Beitreibungssachen lockern. Dieser Begründung läßt sich jedoch nicht der Wille des Gesetzgebers entnehmen, daß die von ihm - statt der gesetzlichen Gebührenberechnung - genannten Berechnungsmethoden (Pauschal- und Zeitvergütung) in einem Alternativverhältnis stehen sollen. Hierfür ist kein vernünftiger Grund erkennbar. Ein solcher wird von der Revision auch nicht angeführt. Die Literaturmeinung, auf die sie verweist (Gebauer/Schneider, aaO § 3 Rn. 131; Hansens, BRAGO 8. Aufl. 1995 § 3 Rn. 28), liefert ebenfalls keine nachvollziehbare Begründung für eine solche dem Wortlaut des § 3 Abs. 5 Satz 1 BRAGO widerstreitende Auslegung.
2. Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Herabsetzung des Honorars gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO abgelehnt hat.
a) § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO (so jetzt auch § 4 Abs. 4 RVG) räumt dem Richter das Recht und die Pflicht ein, eine vereinbarte Vergütung, die unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen hoch ist, herabzusetzen. Die Herabsetzung ist ein gestaltender richterlicher Eingriff in den von dem Rechtsanwalt mit dem Auftraggeber geschlossenen Vertrag, der mit der besonderen Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und dem Erfordernis des Mandantenschutzes gerechtfertigt wird (BGH, Urt. v. 15. Mai 1997, aaO S. 2389 m.w.N.; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, aaO § 3 Rn. 31).
Für die Beantwortung der Frage, ob die vereinbarte Vergütung unangemessen hoch ist, kommt es nicht darauf an, was bei Vertragsschluß vorauszusehen war und bei der Vereinbarung kalkuliert wurde, sondern es ist die spätere Entwicklung zu berücksichtigen (Riedel/Sußbauer/Fraunholz, aaO § 3 Rn. 36 m.w.N.; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO 15. Aufl. § 3 Rn. 24; OLG Düsseldorf OLGR 1996, 211). Der Gesetzgeber hat den Begriff "unter Berücksichtigung aller Umstände" nicht näher erläutert. In Rechtsprechung und Literatur haben sich aber gewisse Faktoren herausgebildet, die hierbei zu beachten sind. Danach kommen namentlich in Betracht: die Schwierigkeit und der Umfang der Sache, ihre Bedeutung für den Auftraggeber, das Ziel, das der Auftraggeber mit dem Auftrag angestrebt hat. Weiter ist wesentlich, in welchem Umfang dieses Ziel durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden ist, wie weit also das Ergebnis tatsächlich und rechtlich als Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen ist. Die Stellung des Rechtsanwalts und die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sind ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. grundlegend OLG München NJW 1967, 1571, 1572; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, aaO § 3 Rn. 37; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, aaO § 3 Rn. 25).
Nach § 3 Abs. 3 Satz 2 BRAGO hat das Gericht vor der Herabsetzung ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Diese Verpflichtung besteht allerdings nur dann, wenn eine Herabsetzung beabsichtigt ist (Gebauer/Schneider, aaO § 3 Rn. 113 m.w.N.). Das Gutachten ist (wie bei § 12 Abs. 2 BRAGO) ein Rechtsgutachten, welches die Kontrolle des anwaltlichen Billigkeitsermessens durch das Prozeßgericht unterstützen soll (BGH, Urt. v. 11. Dezember 2003 - IX ZR 109/00, NJW 2004, 1043, 1046). Das Gericht ist an das Gutachten, das der freien richterlichen Würdigung unterliegt, nicht gebunden (BGH aaO S. 1046; Gebauer/Schneider, aaO § 12 Rn. 102; Hansens, aaO § 3 Rn. 18).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff "unangemessen hoch" verkannt.
aa) Es hat die vereinbarte Pauschale gemäß § 628 BGB herabgesetzt, weil Rechtsanwalt Dr. V. nur an zwei von ursprünglich fünf geplanten Hauptverhandlungsterminen teilgenommen habe. Dies ist rechtsfehlerhaft. Bei einer vorzeitigen Beendigung des Mandats ist zunächst zu prüfen, welcher Teil des vereinbarten Pauschalhonorars dem Verteidiger nach § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht. Erst dann, wenn der dem Rechtsanwalt zustehende Teil noch immer wesentlich höher als die gesetzliche Vergütung ist, kommt eine weitere Herabsetzung nach § 3 Abs. 3 BRAGO in Betracht. § 628 BGB ist gegenüber § 3 Abs. 3 BRAGO vorrangig (BGH, Urt. v. 16. Oktober 1986 - III ZR 67/85, NJW 1987, 315; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, aaO § 3 Rn. 19 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung ist die Rechtsanwaltskammer in ihrem Gutachten von einem Pauschalhonorar in Höhe von 24.000 DM ausgegangen. Die Revisionserwiderung nimmt dies im Anschluß an einen entsprechenden Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz hin.
bb) Gegenstand der Prüfung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO ist demnach folgende Abrechnungssumme:
Pauschale 24.000,00 DM
Stundenaufwand 40.800,00 DM
Kopien 43,00 DM
Auslagenpauschale 30,00 DM
Kosten BGH-Urteil 8,00 DM
Summe: 64.881,00 DM
16 % Mehrwertsteuer 10.380,00 DM
Summe: 75.261,96 DM
abzüglich Vorschußzahlung 34.800,00 DM
Restforderung: 40.461,96 DM
Eine Gegenüberstellung mit den gesetzlichen Höchstgebühren, die im Streitfall entstanden wären, ergibt folgendes Bild:
Erster Hauptverhandlungstag (§ 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) 1.520,00 DM
Zweiter Hauptverhandlungstag (§ 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) 760,00 DM
16 % Mehrwertsteuer 364,80 DM
Gesamtsumme: 2.644,80 DM
cc) Hiernach übersteigt die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Höchstbeträge um mehr als das Achtundzwanzigfache (75.261,96 : 2.644,80 = 28,46), so daß sich die Frage aufdrängt, ob sich eine vereinbarte Vergütung schon deshalb als unangemessen hoch erweist.
(1) Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung allein das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Aufwandes nicht für ein sittenwidriges Mißverh ältnis von anwaltlicher Leistung und vereinbarter Gegenleistung ausreichen lassen (BGHZ 144, 343, 346; BGH, Urt. v. 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01, NJW 2002, 2774, 2775; Urt. v. 15. Mai 1997 aaO S. 2389; vgl. ferner OLG Hamm, AGS 2002, 268 m.w.N.; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, aaO § 3 Rn. 20; Gebauer/Schneider, aaO § 3 Rn. 121). Dann kann für die Qualifizierung eines Honorars als "unangemessen hoch" nichts anderes gelten. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGHZ 144, 343, 346) nach der Höhe des Streitwerts differenziert. Bei hohen Streitwerten hat er ein Honorar für unangemessen gehalten, das mehr als das Fünffache der gesetzlichen Gebühren betrug, weil nichts dafür spreche, daß die anwaltliche Tätigkeit durch die gesetzlichen Gebühren nicht angemessen abgegolten sei (BGHZ 144, 343, 346).
Diese Rechtsprechung läßt sich - unabhängig davon, daß sie die Sittenwidrigkeit und nicht die Unangemessenheit betrifft - auf die streitgegenständliche Problematik nicht ohne weiteres übertragen, weil sich hier die gesetzlichen Gebühren (§§ 83 ff BRAGO) nicht nach dem Streitwert richten.
(2) Das hindert den Senat jedoch nicht, auch für Strafverteidigungen eine Grenze festzulegen, bei deren Überschreitung regelmäßig davon auszugehen ist, das Honorar sei im Sinne des § 3 Abs. 3 BRAGO unangemessen hoch. Nach dem Sinn und Zweck dieser Gesetzesbestimmung soll ein Rechtsanwalt sich beim Abschluß einer Honorarvereinbarung Mäßigung auferlegen (BGH, Urt. v. 15. Mai 1997, aaO S. 2389). Zur Durchsetzung dieses Mäßigungsgebotes ist die Festlegung einer allgemein verbindlichen Honorargrenze angezeigt. Hierbei müssen die gesetzlichen Gebühren Ausgangspunkt sein (vgl. BGHZ 144, 343, 346; OLG Düsseldorf aaO S. 211). Mit ihnen bemißt der Gesetzgeber den ökonomischen Wert der anwaltlichen Arbeit. Durch die Einführung von Rahmengebühren (§ 12 BRAGO) und die Angabe von konkreten Bestimmungsfaktoren hat er Raum für einzelfallbezogene Überlegungen gegeben, andererseits auch Grenzen gesetzt. An die diesen Grenzen zugrunde liegenden Wertvorstellungen haben die Erwägungen zur Unangemessenheit im Sinne des § 3 Abs. 3 BRAGO anzuknüpfen. Vor diesem Hintergrund wäre es verfehlt, die Maßstäbe des Marktes als Bezugspunkt zu wählen, indem der Betrag zugrunde gelegt wird, der sich dort durchsetzen läßt. Mit einer solchen Sichtweise wäre der gewollten normativen Begrenzung von Honoraransprüchen, die auf Mäßigung abzielt, praktisch der Boden entzogen. Ein fester und einfach zu berechnender Maßstab kann nicht nur die Instanzgerichte bei der häufig sehr schwierigen und aufwendigen Einzelfallprüfung im Rahmen dieser Vorschrift entlasten, sondern gleichzeitig eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleisten. Außerdem kann er eine vorbeugende Wirkung gegen unangemessen hohe Vergütungsvereinbarungen herbeiführen und den durch § 3 Abs. 3 BRAGO erstrebten Schutz des Mandanten, der ihn bei vertraglichen Vergütungsregelungen vor Auswüchsen bewahren soll, verstärken.
(3) Vereinbart ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß sie unangemessen hoch ist und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO verletzt. Diese Vermutung kann jedoch durch den Rechtsanwalt entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, die Vergütung bei Abwägung aller für § 3 Abs. 3 BRAGO maßgeblichen Gesichtspunkte nicht als unangemessen hoch anzusehen. Gerade bei Strafverteidigungen mag im Einzelfall unter ganz außergewöhnlichen Umständen auch das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren nicht auskömmlich sein. Der Gesetzgeber hat dort die Hauptverhandlungstage als zentralen Bemessungsfaktor für die Vergütung gewählt und durch die Rahmengebühren einen ausreichenden Spielraum geschaffen, um einzelfallbezogenen Umständen Rechnung tragen zu können. Es kann davon ausgegangen werden, daß grundsätzlich innerhalb dieses Rahmens eine angemessene Vergütung erzielt werden kann, und die Anzahl der Verhandlungstage eine tendenziell taugliche Bemessungsgrundlage darstellt. Es gibt jedoch Fälle, in denen diese Vermutungswirkung ersichtlich entkräftet wird. Insbesondere bei aufwendigen Strafverfahren, die durch Absprachen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung wesentlich vereinfacht werden, findet die eigentliche Arbeit außerhalb der Hauptverhandlung statt. Diese dient später lediglich dazu, das außerhalb der Hauptverhandlung gewonnene und verabredete Prozeßergebnis zu bestätigen. Dafür reichen meist ein oder zwei Verhandlungstage aus, so daß der indizielle Zusammenhang zwischen Arbeitsaufwand und Hauptverhandlungstagen in solchen Fällen aufgelöst ist. Es liegt auf der Hand, daß ein Rechtsanwalt, der in die Vorbereitungen für den Abschluß einer solchen Absprache ungewöhnlich viele Stunden Arbeit investiert hat, bei lediglich einem Verhandlungstag auch mit dem Fünffachen der gesetzlichen Höchstgebühr gemäß § 3 BRAGO nicht angemessen vergütet wird. In solchen und anderen Extremfällen kann die Vermutungswirkung widerlegt werden.
dd) Die danach gebotene umfassende Würdigung der gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO maßgeblichen Umstände hat das Berufungsgericht unterlassen. Bei deren Nachholung wird es insbesondere die folgenden, von der Revision mit Recht genannten Gesichtspunkte berücksichtigen müssen:
(1) Die Vermögensverhältnisse des Beklagten (vgl. dazu oben zu II 2 a) hat das Berufungsgericht nicht in seine Erwägungen einbezogen. Der Beklagte hat dazu unter Beweisantritt vorgetragen, er habe im Jahre 1993 die eidesstattliche Versicherung abgegeben und sich den ersten Teil der Pauschale von einem Bekannten leihen müssen. Beides habe er Dr. V. mitgeteilt. Dieser hat unstreitig darauf bestanden, daß die zweite Hälfte der Pauschalzahlung dinglich zu sichern sei über eine Grundschuld auf einem Grundstück, welches im Eigentum der Tochter des Beklagten stand, weil er offenbar fürchtete, er könne die Erfüllung des vereinbarten Honorars ansonsten möglicherweise nicht durchsetzen.
(2) Auch zu der Schwierigkeit und dem Umfang des Mandats hat das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Statt dessen hat es sich auf die floskelhafte Wendung beschränkt, daß Rechtsanwalt Dr. V. "in einem äußerst umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren" tätig geworden sei, und darauf verwiesen, er habe in kurzer Zeit sechs bis acht Leitzordner durchzuarbeiten gehabt. Damit hat das Berufungsgericht nicht einmal im Ansatz den Sachvortrag der Parteien ausgeschöpft. So hat es sich nicht mit den eingereichten Unterlagen (Anklageschrift; Strafanzeige; Schutzschrift; Factoringvertrag und Beweisanträge) auseinandergesetzt und den entsprechenden Sachvortrag hierzu nicht gewichtet und bewertet. Auf der Grundlage dieser Schriftstücke und des Sachvortrags des Beklagten ist die Wertung eines "äußerst umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahrens" nicht gerechtfertigt. Auch trifft das Berufungsgericht keine Aussage über den Schwierigkeitsgrad des Verfahrens. Weiter fehlen Feststellungen zu dem "Erfolg" der Tätigkeit von Rechtsanwalt Dr. V. . Der Beklagte hat vorgetragen, daß das Verfahren am 19. Oktober 1998 unterbrochen wurde, weil weitere Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft vorgenommen werden sollten. Die Klägerin hat dies mit Nichtwissen bestritten, gleichzeitig jedoch die Vermutung geäußert, daß dies ihrem Verteidigungsverhalten zuzuschreiben gewesen sei.
Schließlich fehlen Feststellungen zu den Versprechungen der Klägerin über den Umfang und den Inhalt des von ihr beabsichtigten Verteidigungsverhaltens und der Einhaltung dieser Zusagen. So hat der Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen, daß die Klägerin zugesagt habe, "buchartige Schriftstücke" zu fertigen, mit denen das Gericht "zugeschüttet" werden sollte. Die Verteidigung werde die Themen der Verhandlungstage letztlich bestimmen oder aber zumindest nachhaltig beeinflussen. Die Länge und die Fülle der Schriftsätze sollten das Gericht dazu bringen, allein wegen der Unüberschaubarkeit der maßgeblichen Sachverhalte "die Akte zu schließen". Diese Versprechen seien nicht eingehalten worden. Im Gegenteil: Rechtsanwalt Dr. V. sei unvorbereitet in die Hauptverhandlung gegangen. So habe er andere Verteidiger gebeten, die Verhandlungsführung zu übernehmen, da er nach eigenen Angaben nicht genügend mit dem Stoff vertraut sei.
In diesem Zusammenhang ist das Berufungsgericht auch nicht der Behauptung des Beklagten nachgegangen, Rechtsanwalt Dr. F. habe Rechtsanwalt Dr. V. als einen auf dem Gebiet des Strafrechts ausgewiesenen Spezialisten bezeichnet, obwohl er zum damaligen Zeitpunkt nur als Fachanwalt für Steuerrecht im Briefkopf aufgeführt gewesen ist. Als ausgewiesenen Spezialisten im Strafrecht sieht selbst die Revisionserwiderung Rechtsanwalt Dr. V. nicht an; denn sie verweist darauf, es habe für den Beklagten von Anfang an offensichtlich sein müssen, daß keiner der Rechtsanwälte der Klägerin Fachanwalt für Strafrecht war. Da nach der Anklageschrift nicht erkennbar ist, daß auch steuerrechtliche Fragen für die strafrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfes bedeutsam sein konnten, konnten sich spezielle steuerstrafrechtlichen Erfahrungen des Rechtsanwalts Dr. V. nur insoweit zugunsten des Beklagten auswirken, als dieser im Rahmen von Steuerstrafverfahren zwangsläufig auch allgemeine strafrechtliche Erfahrungen gesammelt hat. Auch hierzu hätte das Berufungsgericht Feststellungen treffen müssen, weil die Qualifikation/Reputation des Rechtsanwalts nach der Rechtsprechung (OLG Hamm AGS 2002, 268) gerade bei (Pauschal-)Honorarvereinbarungen in Strafsachen ein gewichtiges Abwägungsmerkmal darstellt.
(3) Schließlich ist zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagte von der Klägerin darauf hingewiesen wurde, daß das vereinbarte Honorar erheblich über den Rahmenbeträgen der §§ 83, 84 BRAGO liege. Auch hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Bei der Festlegung und Bewertung von Abwägungsfaktoren im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsentscheidung gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO stellt der Hinweis des Rechtsanwalts an den Mandanten auf die Höhe der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren ein weiteres (wenn auch nicht besonders gewichtiges) Abwägungsmerkmal dar, weil es einen Wertungsunterschied macht, ob der Mandant die Honorarvereinbarung in dem Bewußtsein einer Überschreitung der gesetzlichen Gebühren unterzeichnet oder ihm das nicht bewußt ist.
III.
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird bei seiner Herabsetzungsentscheidung die unterlassenen Feststellungen nachzuholen und dabei auch zu berücksichtigen haben, daß der vereinbarte Stundensatz nicht den Aufwand für Fahrten zwischen Gericht und Kanzlei umfaßt. Die Honorarvereinbarung trifft hierzu keine eindeutige Aussage. Im Hinblick auf die ungewöhnlich hohe Vergütung konnte der Beklagte nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß diese auch den zeitlichen Aufwand für die Fahrten zwischen der Kanzlei und dem Gericht umfassen sollte, zumal es hier nur um Fahrten zum ortsansässigen Gericht ging. Jedenfalls wäre es Sache der Klägerin gewesen, die notwendige Klarstellung in der Honorarvereinbarung herbeizuführen. Als Rechtskundige hat sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dafür Sorge zu tragen, daß jede Abweichung von gesetzlichen Gebühren eindeutig und unmißverständlich festgelegt wird, so daß der Mandant unschwer erkennen kann, was er zu bezahlen hat (BGH, Urt. v. 25. Februar 1965 - VII ZR 112/63, NJW 1965, 1023).