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  • 24.02.2004 · IWW-Abrufnummer 040482

    Bundesgerichtshof: Urteil vom 08.01.2004 – IX ZR 30/03

    Zur Beratungspflicht des Rechtsanwalts, der für seinen Mandanten einen Mahnbescheid beantragt, wenn gegen den Schuldner bereits ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt ist.


    BUNDESGERICHTSHOF
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL

    IX ZR 30/03

    Verkündet am:
    8. Januar 2004

    in dem Rechtsstreit

    wegen Forderung

    Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2003 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

    von Rechts wegen

    Tatbestand:

    Die Kauffrau B. M. war persönlich haftende Gesellschafterin verschiedener Kapitalanlagegesellschaften, deren Firmen sich nur durch eine fortlaufende Numerierung unterschieden. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten sich in Höhe von 617.500,00 DM an der "S. M. -H. KG" beteiligt. Nachdem gegen die M. -Gesellschaften Konkursantrag gestellt und vom Konkursgericht die Sequestration angeordnet worden war, beantragte der verklagte Rechtsanwalt im Auftrag der Klägerin und ihres Ehemannes (im folgenden: Mandanten) am 3. Februar 1998 den Erlaß eines Mahnbescheides gegen die "4./6./7. M. -H. KG". Für den Fall des Widerspruchs beantragte er die Durchführung des streitigen Verfahrens. Der Mahnbescheid wurde am 27. Februar 1998 erlassen und am 4. März 1998 an M. zugestellt. Am 6. März 1998 legte diese Widerspruch ein, wobei sie im Anschriftenfeld "4./6./7. MHKG" anführte und im Betreff den Antragsgegner als "M. -H KG's" bezeichnete. Den Mandanten entstanden Gerichts- und Anwaltskosten von insgesamt 9.614,75 DM. Am 17. März 1998 wurden die Konkursverfahren über die Vermögen der drei erwähnten Kommanditgesellschaften eröffnet.

    Der Rechtsschutzversicherer der Mandanten erstattete diesen die Kosten des Mahnverfahrens und trat die auf ihn übergegangenen Ansprüche der Mandanten an die Klägerin ab.

    Diese hat den Beklagten aus dem abgetretenen Recht auf Schadensersatz von - umgerechnet - 4.915,94 ? in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils erster Instanz.

    Entscheidungsgründe:

    Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

    I.

    Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung in der geltend gemachten Höhe zu. Der Beklagte habe seine anwaltlichen Pflichten verletzt, indem er einen Mahnbescheid gegen eine nicht existente Person beantragt habe. Welche Gesellschaft in Wirklichkeit gemeint gewesen sei, habe nicht festgestellt werden können. Durch diese Pflichtverletzung sei den Mandanten ein Schaden in Höhe der für eine nutzlose Leistung aufgewandten Kosten entstanden. Eine kostenneutrale Korrektur des anwaltlichen Fehlers sei nicht möglich gewesen. Das Rubrum habe nicht berichtigt werden können. Vielmehr hätte eine Klageänderung vorgenommen werden müssen, die sich wie eine Klagerücknahme ausgewirkt hätte. Damit hätten die Mandanten in jedem Fall für die entstandenen Gerichtskosten entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO einstehen müssen. Auch die anwaltlichen Gebühren und Kosten seien als adäquat verursachter Schaden anzusehen. Ob die durch eine Klageänderung neu entstehenden Gebühren mit den im Mahnverfahren angefallenen hätten verrechnet werden können, sei unerheblich.

    II.

    Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

    1. Vorab ist klarzustellen, daß die Klägerin aus zweifach übergegangenem Recht vorgeht. Zunächst waren Schadensersatzforderungen der Klägerin und ihres Ehemannes aus dem Mandatsverhältnis mit dem Beklagten kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 2 Satz 1 ARB, § 17 Abs. 8 ARB 94 i.V.m. § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG; vgl. Harbauer, Rechtsschutzversicherung 6. Aufl. § 2 ARB Rn. 27; § 20 ARB Rn. 13) auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen. Dieser gesetzliche Forderungsübergang betrifft nicht nur berechtigte Rechtsverfolgungskosten wegen eines Schadens, sondern auch solche Kosten, die zur Rechtsverfolgung nicht nützlich oder erforderlich waren, sich also im Verhältnis des Versicherungsnehmers zu dem von ihm eingeschalteten Rechtsanwalt selbst als Schaden darstellen, vom Rechtsschutzversicherer aber ausgeglichen worden sind. Die auf den Rechtsschutzversicherer übergegangenen Ansprüche hat dieser sodann an die Klägerin (zurück-)übertragen.

    Die in den Vorinstanzen aufgestellte Behauptung des Beklagten, die Rückübertragung sei in Schädigungsabsicht erfolgt, hat die Revision nicht aufgegriffen. Für sie ist auch kein Anhalt ersichtlich.

    2. Die Revision wendet sich nicht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe durch die fehlerhafte Angabe des Schuldners in dem Antrag auf Erlaß des Mahnbescheides seine anwaltlichen Pflichten verletzt. Ob ihrer Auffassung, unter Zugrundelegung der Differenztheorie habe dieser Anwaltsfehler keinen Schaden verursacht, weil die durch das Mahnbescheidsverfahren verursachten Kosten in derselben Höhe auch bei ordnungsgemäßem Antrag entstanden wären und die Mandanten des Beklagten durch Fortsetzung eines ordnungsgemäß eingeleiteten Mahnverfahrens - wegen der Eröffnung der Konkursverfahren (§ 240 ZPO) - keinen Vollstreckungstitel mehr erlangt hätten, mag dahinstehen. Die Revision kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagte - worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist - zu dem Zeitpunkt, in dem er den Mahnbescheid beantragte, einen solchen Antrag nicht mehr hätte stellen dürfen, also auch nicht gegen die richtige Antragsgegnerin. Unter diesem Gesichtspunkt kann das angefochtene Urteil gehalten werden, weil die Klägerin ihn schon in den Tatsacheninstanzen vorgetragen hat.

    a) Am 3. Februar 1998 mußte der Beklagte Mandanten, die einen Anspruch gegen die Vierte, Sechste oder Siebte M. -H. KG besaßen, in jedem Falle abraten, einen Mahnbescheid gegen eine dieser Gesellschaften zu beantragen. Es lag auf der Hand, daß durch eine solche Maßnahme lediglich unnötige Kosten verursacht wurden.

    Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten waren zu diesem Zeitpunkt längst Konkursanträge gegen die genannten Gesellschaften gestellt. Es war auch bereits die Sequestration angeordnet worden. Ob die Konkursverfahren eröffnet werden würden, hing - wie der Beklagte in einem an alle "M. -Geschädigten" (auch an die Klägerin und ihren Ehemann) gerichteten Schreiben vom 19. Dezember 1997 ausführte - davon ab, ob der Sequester genügend Geld vorfinden würde, damit die Kosten der Konkursverfahren gedeckt waren.

    Bereits dieser Umstand mußte einen verantwortungsbewußten Rechtsanwalt veranlassen, von einem gerichtlichen Vorgehen gegen eine der in Betracht kommenden Schuldner-Gesellschaften abzuraten. Da die Konkursverfahren bereits etwa ein halbes Jahr zuvor beantragt worden waren, war mit alsbaldigen Entscheidungen des Konkursgerichts über die Eröffnung zu rechnen. Tatsächlich ergingen diese circa 6 Wochen später. Es war schon ganz unwahrscheinlich, daß bis dahin ein Vollstreckungstitel erreichbar sein würde. Noch unwahrscheinlicher war eine erfolgreiche Vollstreckung. Die Entscheidungen über die gestellten Konkursanträge mußten sich, wie sie auch immer lauteten, für die Antragsteller der Mahnverfahren negativ auswirken. Wurden die Konkursverfahren eröffnet, führte dies zur Unterbrechung noch laufender Mahnverfahren (§ 240 ZPO); aus etwa bereits titulierten Forderungen konnte bis zum Abschluß der Konkursverfahren nicht vollstreckt werden, und danach war es höchst unsicher, ob den Forderungen noch ein wirtschaftlicher Wert beizumessen war. Gegebenenfalls war ein Auszug aus der Konkurstabelle ein geeigneter - und wesentlich billiger zu erlangender - Vollstreckungstitel. Wurden die Konkursverfahren mangels Masse nicht eröffnet, fehlte es an liquidem Vermögen. In einem solchen Fall auf angebliche Forderungen der Gesellschaften gegen ausländische Schuldner "in Millionenhöhe" zugreifen zu können, war eine durch nichts belegte vage Hoffnung.

    Selbst wenn es der Klägerin und ihrem Ehemann gelungen wäre, bis zur Eröffnung der Konkursverfahren einen Vollstreckungstitel zu erwirken und erfolgreich daraus zu vollstrecken, mußte der Beklagte damit rechnen, daß nach einer Verfahrenseröffnung der Konkursverwalter diesen Erwerb wirksam anfechten würde. Die Voraussetzungen der Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 2 KO hätten offensichtlich vorgelegen (vgl. BGHZ 136, 309, 311).

    Da der Erwerb, so er denn überhaupt erreichbar erschien, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht von Bestand sein würde, hätte der Beklagte davon abraten müssen, jetzt noch Kosten aus einem Streitwert von 617.500,00 DM in ein gerichtliches Verfahren zu investieren.

    b) Den allein sinnvollen Rat, bis zur Entscheidung über die Anträge auf Eröffnung der Konkursverfahren kein Geld mehr für gerichtliche Verfahren - und seien es auch nur Mahnverfahren - auszugeben, hat der Beklagte den Mandanten nicht erteilt. Das Schreiben vom 19. Dezember 1997, in dem der Beklagte den Mitgliedern der Interessengemeinschaft der "M. -Geschädigten" nahelegte, mit Mahnbescheidsanträgen vorzugehen, und sich für die Ausführung empfahl, stellte die Vorteile und Risiken dieses Vorgehens schon damals nicht zutreffend dar. Erst recht gilt dies für den späteren Zeitpunkt, als der Beklagte den Auftrag der Klägerin und ihres Ehemannes erhielt, nunmehr für sie einen Mahnbescheid zu beantragen.

    c) Dieses Verhalten stellt, falls bereits ein Mandatsverhältnis bestanden haben sollte, eine - schuldhafte - positive Vertragsverletzung dar, andernfalls ein Verschulden bei der Vertragsanbahnung.

    d) Das Verhalten des Beklagten war für den Schaden kausal. Die Klägerin hat behauptet, wären sie und ihr Ehemann ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hätten sie von einer Beauftragung des Beklagten abgesehen. Dieser Vortrag ist dahin zu verstehen, daß sie auch einen bereits erteilten Auftrag zurückgenommen hätten, wenn der Beklagte sie über dessen Zweckmäßigkeit zutreffend beraten hätte. Dem Vortrag der Klägerin ist der Beklagte - soweit ersichtlich - nicht entgegengetreten. Davon abgesehen wird er nach den Regeln des Anscheinsbeweises erhärtet. Für ihn spricht die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens (BGHZ 123, 311, 315 ff; BGH, Urt. v. 22. Februar 2001 - IX ZR 293/99, WM 2001, 741, 744).

    e) Gegen die Höhe des Schadens sind keine Bedenken vorgebracht worden. Schadensmindernd hätte es sich auswirken können, falls dem Beklagten eine Gebühr für die Beratung der Klägerin und ihres Ehemannes zugestanden hätte. Dazu fehlt es an hinreichendem Vortrag.

    RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 675