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  • · Fachbeitrag · GW-Handel

    Rechtsprechungsreport ‒ Die wichtigsten Urteile des Jahres 2020 zum GW-Handel auf einen Blick

    | Auch im Jahr 2020 wurden die Gerichte von Diesel-Klagen überrollt, auch in GW-Fällen. ASR fasst nachfolgend für Sie zusammen, was die Gerichte bei Gebrauchtwagen außerhalb der Diesel-Fälle entschieden haben. |

    Sach- und Rechtsmängel

    Das Gesetz unterscheidet zwischen Sach- und Rechtsmängel. Für Sie als Händler ist aber die entscheidende Frage: Welche Rechte hat der Kunde?

     

    Sachmangel ‒ ja oder nein?

    In welchen Fällen die Gerichte einen Sachmangel und damit eine Haftung des Händlers bejaht bzw. verneint haben, sehen Sie in der folgenden Übersicht.

     

    Übersicht / Sachmängelhaftung ‒ ja oder nein?

    Sachmängelhaftung bejaht

    Zu einer Sichtprüfung, die ein Kfz-Händler auch in seiner Eigenschaft als Vermittler durchzuführen hat, gehört ein Blick auf die Unterseite des Fahrzeugs. Zu diesem Zweck muss der Händler es auf eine Hebebühne nehmen. Missachtet der Händler diese Pflicht, können dem Käufer Schadenersatz- und Minderungsansprüche zustehen.

    OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.05.2020, Az. 9 W 10/20, Abruf-Nr. 219345

    ASR 1/2021, Seite 3,

    Abruf-Nr. 47024326

    Auch ungefragt hat ein Verkäufer den Kaufinteressenten auf eine atypische Vorbenutzung hinzuweisen (hier: längere Nutzung eines Siebener BMW in Dubai/Vereinigte Arabische Emirate). Ansonsten kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten.

    OLG Hamm, Urteil vom 17.08.2020, Az. I-17 U 231/18, Abruf-Nr. 218187

    ASR 11/2020, Seite 2,

    Abruf-Nr. 46908868

    Sachmängelhaftung verneint

    Ein bei Fahrzeugübergabe vorliegender, dem Alter, der Laufleistung und der Qualitätsstufe entsprechender, gewöhnlicher, die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigender Verschleiß ist kein Sachmangel. Dies gilt auch dann, wenn das Verschleißteil in absehbarer Zeit erneuert werden muss. Die Käuferin konnte deshalb nicht vom Vertrag zurücktreten.

    BGH, Urteil vom 09.09.2020, Az. VIII ZR 150/18,

    Abruf-Nr. 218483

    ASR 12/2020, Seite 19,

    Abruf-Nr. 46973441

    Ist eine Umweltplakette an der Frontscheibe vorhanden, bedeutet dies noch keine stillschweigende Zusage, dass die Plakette für das Fahrzeug korrekt ist. Das gilt zumindest, wenn der Verkäufer ein Privatmann mit Hobbywerkstatt ist. Folge: Der Käufer hat keinen Anspruch auf Schadenersatz.

     

    Wichtig | Dieses Urteil lässt sich auf gewerbliche Verkäufer übertragen.

    LG Frankfurt/Oder, Urteil vom 23.01.2020, Az. 16 S 110/18, Abruf-Nr. 214012

    ASR 3/2020, Seite 3, Abruf-Nr. 46356446

    Weist der Verkaufsberater den Käufer darauf hin, dass das „Nein“ in der Bestellscheinrubrik „Zahl, Umfang und Art von Mängeln und Unfallschäden laut Vorbesitzer“ nicht von ihm stammt, sondern direkt vom System nach der betriebsüblichen Eingangsprüfung generiert worden ist, liegt im „Nein“ keine arglistige Täuschung vor. Es handelt sich um eine bloße Wissensmitteilung, aber um keine Beschaffenheitsvereinbarung. Folge: Der Käufer kann nicht zurücktreten.

    LG Stuttgart, Urteil vom 06.03.2020, Az. 19 O 123/19, Abruf-Nr. 215514

    Eine zu schwache Lichtausbeute der Xenon-Hauptscheinwerfer ist bei einem sieben Jahre alten Peugeot 407 kein Sachmangel; mit einem Austausch muss auch ein Verbraucher rechnen. Folge: Der Käufer hat keinen Anspruch auf Schadenersatz.

    LG Kiel, Urteil vom 02.06.2020, Az. 1 S 93/18, Abruf-Nr. 216088

    ASR 7/2020, Seite 4,

    Abruf-Nr. 46637411

    Keine erheblichen, zum Rücktritt berechtigenden Mängel liegen vor, wenn an einem ca. sieben Jahre alten Mercedes Viano erhöhte Lackschichtdicken nach einer Vorschadenreparatur vorhanden sind. Folge: Der Käufer hat lediglich einen Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwerts.

    OLG Rostock, Urteil vom 28.08.2020, Az. 4 U 1/19,

    Abruf-Nr. 218186

    ASR 11/2020, Seite 2,

    Abruf-Nr. 46908862

     

     

    Ausschluss von Sachmängeln

    Die Gewährleistung für ein altes Fahrzeug ist stillschweigend ausgeschlossen, wenn es beim Verkauf eines Neufahrzeugs in Zahlung genommen wird. Dasselbe gilt bei der Konstellation „gebraucht auf gebraucht“. Entscheidend sind in solchen Fällen die Interessen der Vertragspartner (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.06.2020, Az. 3 U 105/19, Abruf-Nr. 217077; ASR 9/2020, Seite 1, Abruf-Nr. 46745301).

     

    Beweislastumkehr bei Sachmängeln

    Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war (Beweislastumkehr; heute § 477 BGB, früher § 476 BGB). Dafür muss der Käufer (Verbraucher) aber darlegen und notfalls beweisen, dass sich an dem Fahrzeug in dieser Zeit ein mangelhafter Zustand (Mangelerscheinung) gezeigt hat. Kein mangelhafter Zustand in diesem Sinn liegt vor, wenn die Auspuffanlage eines älteren GW „starke Geräusche“ macht, die auf Undichtigkeit durch normale Korrosion schließen lassen. Da normale Korrosion grundsätzlich kein Mangel ist und die Käuferin keinen sonstigen Mangel nachgewiesen hat, konnte sie nicht vom Vertrag zurücktreten (BGH, Urteil vom 09.09.2020, Az. VIII ZR 150/18, Abruf-Nr. 218483; ASR 12/2020, Seite 19, Abruf-Nr. 46973441).

     

    Verjährungsfrist

    Die handelsübliche Klausel in den GW-Verkaufsbedingungen „Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung …“ ist rechtens. Verkäufer können sie nutzen, bis das Gesetz geändert wird. Zeigt sich der Mangel innerhalb eines Jahres, gilt die Verjährungsfrist von einem Jahr (BGH, Urteil vom 18.11.2020, Az. VIII ZR 78/20, Abruf-Nr. 219580; ASR 10/2020, Seite 3, Abruf-Nr. 46847032). Damit bestätigt der BGH das Urteil des OLG Zweibrücken vom 19.03.2020 (Az. 4 U 198/19, Abruf-Nr. 215236).

     

    Rechtsmangel

    Keinen Rechtsmangel hat ein Fahrzeug, wenn es erst lange nach der Übergabe (hier: fast drei Jahre) an den Käufer als gestohlen in das Schengener Informationssystem (SIS) eingetragen wurde. Der Käufer kann nicht mehr vom Vertrag zurücktreten. Andernfalls würde die Haftung des Verkäufers zu stark ausgedehnt werden (BGH, Urteil vom 26.02.2020, Az. VIII ZR 267/17, Abruf-Nr. 215056; ASR 5/2020, Seite 3, Abruf-Nr. 46492848).

     

    Haftung bei einem Agenturgeschäft

    Wer haftet bei einem Agenturgeschäft? Diese Frage musste das OLG Karlsruhe in einem Fall klären, in dem dem Käufer ein unzulänglich reparierter Unfallschaden nicht offenbart und keine Sichtprüfung durchgeführt worden war. Antwort: Es haften die Autohaus-Mitarbeiterin als Verkäuferin und ihr Arbeitgeber als Vermittler und Abschlussvertreter (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.05.2020, Az. 9 W 10/20, Abruf-Nr. 219345; ASR 1/2021, Seite 3, Abruf-Nr. 47024326).

     

    Händler verletzen ihre Aufklärungspflicht, wenn sie den Käufer vor Abschluss eines Kaufvertrags nicht darüber informieren, dass der als Verkäufer ausgewiesene Privatmann nicht in den Kfz-Papieren steht. Folge: Eigenhaftung des Vermittlers (LG Kleve, Urteil vom 20.03.2020, Az. 3 O 134/19, Abruf-Nr. 217075; ASR 9/2020, Seite 1, Abruf-Nr. 46745202).

     

    Ein unzulässiges Umgehungsgeschäft liegt nicht vor, wenn auf einen Vertrag mit einem kanadischen Verkäufer deutsches Kaufrecht anwendbar ist ‒ und damit auch die §§ 475 ff. BGB. Der deutsche Vermittler haftet in diesem Fall also nicht, weil die die deutschen Verbrauchsgüterkaufregelungen nicht umgangen werden (LG Landshut, Urteil vom 15.05.20, Az. 73 O 3793/19, Abruf-Nr. 216086; ASR 7/2020, Seite 3, Abruf-Nr. 46637336).

    Fernabsatz oder stationärer Kauf oder Haustürgeschäft?

    Ein Kaufvertrag, der ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen ist, aber nachweislich nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems, ist kein Fernabsatzgeschäft (§ 312c Abs. 1 BGB). Was das für den GW-Handel bedeutet, haben die Gerichte in 2020 unterschiedlich entschieden:

     

    Übersicht / Fernabsatzvertrag, stationärer Kauf oder Haustürgeschäft?

    Eine Käuferin hat kein Fernabsatz-Widerrufsrecht, wenn der Kfz-Händler kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem unterhält. Das ist der Fall, wenn der Händler nur ausnahmsweise Kaufverträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln schließt, ohne dass die Käufer das Fahrzeug zuvor besichtigt haben. Es liegt dann kein Fernabsatzgeschäft vor.

    OLG Oldenburg, Urteil vom 12.03.2020, Az. 14 U 284/19, Abruf-Nr. 219346,

    Vorinstanz LG Osnabrück, Urteil vom 16.09.2019, Az. 2 O 683/19, Abruf-Nr. 211500;

    ASR 2/2021, Seite 2,

    Abruf-Nr. 47024363

    Nutzt ein Händler eine Plattform bzw. einen „Onlinemarktplatz“, um Interessenten zu gewinnen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Fernabsatzvertriebssystem vorliegt. Das gilt auch bei der systematischen Nutzung von Fahrzeugvermittlungsportalen wie mobile.de durch einen Gebrauchtwagenhändler. Folge: Der Käufer hat ein Fernabsatz-Widerrufsrecht.

    OLG Celle, Urteil vom 03.06.2020, Az. 7 U 1903/19, Abruf-Nr. 216608;

    ASR 8/2020, Seite 16,

    Abruf-Nr. 46684714

    Ein sog. Außergeschäftsraumvertrag („Haustürgeschäft“) und kein Fernabsatzkauf liegt vor, wenn der Verkäufer nach telefonisch geführten Kaufverhandlungen das Fahrzeug zum Wohnsitz des Kunden bringt, wo dann „das Schriftliche“ gemacht wird (Unterzeichnung des Kaufvertrags und eines Darlehensantrags). Folge: Beide Geschäfte „an der Haustür“ (Kaufvertrag und Darlehensvertrag) sind widerruflich.

    LG Braunschweig, Urteil vom 22.09.2020, Az. 5 O 2947/19, Abruf-Nr. 218188;

    ASR 1/2021, Seite 17, Abruf-Nr. 46908947

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2021 | Seite 18 | ID 47061646