08.02.2023 · IWW-Abrufnummer 233635
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 18.10.2022 – 3 K 1540/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
In dem Rechtsstreit
1. A
2. B
- Kläger -
Prozessbev.:
zu 1-2:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
die Richterin am Finanzgericht
die Richterin am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
Tenor:
Tatbestand
Die Kläger sind Ehegatten und werden gemäß §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielte die Klägerin Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Weinkontor und Beteiligungen, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Unter anderen bestanden die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus Kapitalerträgen an der X GmbH und der Y GmbH.
Der Kläger war seit dem 11.08.1994 mit einem Kapitalanteil von 25 % und einen Nennkapital von 1.000.000 DM an der X GmbH beteiligt.
Mit Wirkung zum 31.12.2014 schied er durch Kündigung aus dieser aus und erhielt eine Abfindung, über deren Höhe zunächst keine Einigung erzielt wurde.
Im Nachgang zur Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2014 erklärte die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 07.04.2016 für den Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an der X GmbH in vorläufiger Höhe von 10.186.643,86 €.
Sie erläuterte die Berechnung dieses Gewinns ausgehend von einem Veräußerungserlös i.H.v. 18.642.000 €, Veräußerungskosten i.H.v. 652.969 € und unter Anwendung der Bestimmungen des Teileinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 EStG. Weiter machte sie die Einstellung einer Rücklage i.H.v. 500.000 € gemäß § 6b Abs. 10 EStG geltend, da der Kläger im Jahr 2016 bei der Y GmbH eine Kapitalerhöhung in dieser Höhe durchführen wolle. Schließlich wies sie darauf hin, dass über die Höhe des Veräußerungserlöses noch keine Einigung erzielt sei.
Das Finanzamt veranlagte die Kläger mit Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Es setzte hierbei einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 10.360.801 € an. Die für den Kläger beantragte Rücklage nach § 6b EStG wurde nicht gewährt, da die gesetzlichen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen wurden.
In den Erläuterungen zur Festsetzung ist ausgeführt:
"Die Einkünfte gem. § 17 EStG stehen aufgrund des Rechtsstreits noch nicht fest (vgl. Vorbehalt der Nachprüfung). Ich bitte um Mitteilung, sobald die endgültigen Einkünfte vorliegen. Von mehreren Einzelanträgen bitte ich abzusehen."
Die Prozessbevollmächtigte erhob für die Kläger Einspruch.
Der nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 17.10.2016 blieb ohne Änderung im Streitpunkt.
Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die am 25.04.2017 mit einer vergleichsweisen Einigung vor dem Landgericht Stadt 2 endete, erhielt der Kläger für seine Kapitalbeteiligung eine Abfindung in Höhe von insgesamt 22.642.000 €.
Mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom 17.10.2017 und vom 29.01.2018 und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Bescheid vom 19.09.2018 legte das Finanzamt den Veräußerungsgewinn jeweils mit 12.488.838 € zugrunde. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
Mit Schreiben vom 18.07.2018 machte die Prozessbevollmächtigte Bewirtungsaufwendungen i.H.v. 1.200 € als weitere Veräußerungskosten geltend. Zur Erläuterung führte sie aus, dass nach dem erfolgreichen Abschluss des Gerichtsverfahrens der Kläger seinen Rechtsanwalt C und seinen Berater D mit Ehefrauen zum Essen eingeladen habe, wobei er selbst aufgrund einer Erkrankung nicht habe teilnehmen können. Dem Schreiben vom 18.07.2018 war die Kopie eines Bewirtungsbelegs eines japanischen Restaurants in Stadt 1 vom 31.08.2017 beigefügt. Handschriftlich sind die bewirteten Personen und der Anlass angegeben.
Die Einsprüche der Kläger wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 als unbegründet zurück.
Die Prozessbevollmächtigte hat für die Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
Die Voraussetzungen der Gewährung der Rücklage nach § 6 b EStG seien im Streitfall erfüllt. Das Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen Zahlung einer Abfindung stelle eine Veräußerung i.d.S. § 17 EStG und damit auch i.S.d. § 6b EStG dar. Die Vorschrift des § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG sehe vor, dass unter anderem Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2, 3 und 5 sowie Satz 2 sinngemäß anzuwenden seien. Das Wort "sinngemäß" sei dahin auszulegen, dass nicht alle Voraussetzungen wie bei einer Veräußerung von Betriebsvermögen vorliegen müssten. Sinn der Regelung sei es, dass das reinvestierte Vermögen auch in Zukunft steuerverhaftet bleibe.
Die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei erfüllt, da der Gewinn nach ständiger Rechtsprechung des BFH nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt werde. Auch wenn § 17 EStG eine Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art sei, würden die Einkünfte den gewerblichen Einkünften gleichgestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sei der Veräußerungsgewinn stichtagsbezogen aufgrund eines Betriebsvermögensvergleiches zu ermitteln. Dies entspreche einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG.
Auch die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG sei sinngemäß erfüllt. Eine wortlautgetreue Auslegung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG würde gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs.1 GG verstoßen, da diese Auslegung zwangsläufig dazu führe, dass § 6b EStG bei der Besteuerung von Gewinnen aus § 17 EStG nie anwendbar sei. Die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG mit mindestens 6 Jahren Dauer stelle somit nicht auf das Anlagevermögen ab, sondern auf die Dauer des Bestandes im Vermögen.
Es sei aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gerechtfertigt, dass eine Reinvestition von Veräußerungsgewinnen aus Kapitalbeteiligungen im Privatvermögen nicht begünstigt sei. Das Gleichbehandlungsgebot erfordere eine Lastengleichheit. Gegen das Prinzip der Lastengleichheit werde insbesondere dann verstoßen, wenn bei der Gewähr von Vergünstigungen wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt werde. Bei einer verfassungskonformen Auslegung müsse die Qualifikation der Einkünfte als gewerbliche dann aber auch dazu führen, dass der Steuerpflichtige bei der Besteuerung der Gewinne auf begünstigende Regelungen, wie die der Reinvestition nach § 6b EStG, zurückgreifen könne. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Anwendung des § 6b EStG bei der Besteuerung von Gewinnen aus § 17 EStG generell auszuschließen. Um eine verfassungskonforme Auslegung zu ermöglichen, verlange der Gesetzestext in § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG eine sinngemäße Anwendung der Voraussetzungen bei der Reinvestition von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalbeteiligungen.
Die Vergütung des ausscheidenden Gesellschafters sei gemäß dem Gesellschaftsvertrag vom 11.08.1994 im Streitfall in vier verzinslichen (2 %) Jahresraten erfolgt. Die letzte Rate sei 2017 gezahlt worden. Im Übrigen sei die Berechnung des Veräußerungsgewinns zwischen den Parteien unstreitig.
Bei Gewährung der Rücklage ergebe sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 20.313.012 €, der nach Anwendung des § 3 Nr. 40 EStG in Höhe von 12.187.807 € der Besteuerung zugrunde zu legen sei.
Weiter seien bei der Berechnung des Veräußerungserlöses nach § 17 EStG noch Bewirtungsaufwendungen in Höhe von 1.200 € anzusetzen. Zum Dank für die erfolgreiche Betreuung in dem Klageverfahren zur Ermittlung des Abfindungswertes habe der Kläger den Rechtsanwalt C und den Berater D am 31.08.2017 zusammen mit deren Ehefrauen in das Restaurant "R" in Stadt 1 eingeladen. Da die Kosten im Zusammenhang mit der Ermittlung der Höhe der Abfindung stünden und eine Aufmerksamkeit in dieser Größenordnung im Verhältnis zu der erzielten Abfindung angemessen sei, seien die Kosten als Veräußerungskosten anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 17.08.2022 hat die Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass hinsichtlich der Veräußerungskosten eine bislang angesetzte Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € tatsächlich nicht existiere.
Die Klägervertreterin beantragt,
den Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 dahin zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG auf 12.193.413 € angesetzt und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird vorgebracht, dass die beantragte Rücklage nach § 6b EStG nicht anzusetzen sei. Nach § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG seien § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 und 5 EStG sinngemäß anzuwenden. Danach sei Voraussetzung für die Gewährung einer 6b-Rücklage, dass der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermittele (Nr. 1), die veräußerten Anteile an Kapitalgesellschaften müssten im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben (Nr. 2) und die neu angeschafften Anteile an Kapitalgesellschaften müssten zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören (Nr.3). Weiter müssten sowohl die Bildung als auch der Abzug und die Auflösung der Rücklage in der Buchführung nachvollzogen werden können (Nr. 5).
Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 17 EStG werde zwar den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet, es handele sich hierbei aber um eine Fiktion. Lediglich die Merkmale des § 15 Abs. 2 EStG müssten nicht vorliegen und lägen im Streitfall auch nicht vor, da die Veräußerung von Beteiligungen für sich genommen keine originär gewerbliche Tätigkeit begründe. Daher gelte auch, dass die Beteiligung zum Privatvermögen gehöre und nicht wie Betriebsvermögen behandelt werde.
Es bestünden grundlegende Unterschiede in der Besteuerung von Betriebs- und Privatvermögen. Das Einkommensteuerrecht gehe vom sogenannten Dualismus der Einkunftsarten aus. Die dadurch bedingte unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen sei nach der Rechtsprechung des BVerfG mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar (Hinweis auf BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rz. 68 f., 83, sowie 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86, Rz 64; BFH-Urteil vom 06.04.2016 I R 61/14, BStBl. II 2017, 48, Rz 22).
Die Bewirtungsaufwendungen seien bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt worden, da sie nicht durch die Erzielung der Einkünfte veranlasst seien, sondern eine rein gesellschaftliche Einladung darstellen würden. Anlass der Bewirtung sei laut dem Vortrag des Klägers der "Dank für die erfolgreiche Betreuung in dem Klageverfahren zur Berechnung des Abfindungswertes" gewesen. Somit habe zwar ein Zusammenhang mit dem Abschluss des Verfahrens, jedoch keine Verpflichtung bestanden, den Anwalt und den Berater, die bereits ein Honorar von mehr als 200.000 € erhalten hätten, nachträglich noch einzuladen. Der Zusammenhang mit dem Abfindungsprozess werde daher durch das private Motiv überlagert, seinen Dank auszudrücken.
Selbst wenn die Bewirtung als geschäftlich veranlasst angesehen werden könnte, wären gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG allenfalls 70 % der angemessenen Aufwendungen abziehbar. Im Hinblick auf die Angemessenheit erscheine mangels besseren Maßstabes eine ähnliche Wertung angebracht, wie sie der Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 Nr. 1a EStG mit der Grenze von 110 € je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer vorgenommen habe. Weiter lägen auch formelle Mängel vor, da auf dem im Rechtsbehelfsverfahren und dem mit Klagebegründung vom 18.01.2021 vorgelegten Beleg die Unterschrift fehle. Erst mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 13.04.2021 sei ein unterschriebener Originalbeleg vorgelegt worden.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten mit Anlagen sowie auf die vom Finanzamt vorgelegte Einkommensteuerakten für die Jahre 2014 und 2015 sowie die Rechtsbehelfsakte der Kläger verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Kläger sind durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Finanzamt hat zu Recht die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG abgelehnt.
1. Das Finanzamt hat zutreffend bei der Berechnung des Gewinns im Streitjahr den Veräußerungspreis gemäß dem vor dem Landgericht Stadt 2 im Jahr 2017 getroffenen Vergleich und die Veräußerungskosten bis zur Abwicklung gemäß der gerichtlichen Regelung angesetzt.
a) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Veräußerungspreis i.S. der genannten Vorschrift ist der Wert der Gegenleistung, die der Veräußerer durch Abschluss des dinglichen Veräußerungsgeschäfts am maßgebenden Stichtag erlangt.
b) Das Finanzamt hat zutreffend bei der Berechnung des Gewinns im Streitjahr den Veräußerungspreis gemäß der gerichtlichen Regelung im Jahr 2017 und die Veräußerungskosten bis zur Abwicklung gemäß der gerichtlichen Regelung angesetzt.
Der Veräußerungsgewinn ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Veräußerung, d.h. der Zeitpunkt, zu dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen ist (BFH-Urteile vom 20.07.2010 IX R 45/09, BStBl. II 2010, 969; und vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 13). Nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 (GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897) sind später eintretende Veränderungen beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis solange und soweit materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück zu beziehen, als der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises noch nicht erfüllt hat.
Dabei ist es unerheblich, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des Erlöses maßgebend waren. Wann ein Sachverhalt in diesem Sinne steuerlich zurückwirkt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2009 I R 3/09, BStBl. II 2010, 249). Vor diesem Hintergrund kann eine nachträgliche Änderung des Veräußerungspreises i.S. des § 17 Abs. 2 EStG grundsätzlich auch dann auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken, wenn das Ereignis erst nach dem Zeitpunkt der Veräußerung eingetreten ist (BFH-Urteil vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 14 m.w.N.; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 17 Tz. 66).
Bei nachträglichen vertraglichen Änderungen des Veräußerungspreises kommt es entscheidend darauf an, ob über den Veräußerungspreis im Zeitpunkt der Betriebsübertragung keine abschließende Einigung erzielt wurde --dann erhöht ein später festgesetzter Mehrbetrag rückwirkend, d.h. für das Jahr der Veräußerung, den Veräußerungsgewinn-- oder ob ein zunächst feststehender Veräußerungspreis nachträglich geändert wird --dann ist ein Mehrbetrag erst in dem Veranlagungszeitraum zu erfassen, in dem die Erhöhung vereinbart wurde-- (vgl. BFH-Urteile vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 15; vom 17.01.1989 VIII R 370/83, BStBl. II 1989, 563, zu § 16 EStG).
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im angefochtenen Bescheid Veräußerungserlös und Veräußerungskosten zutreffend angesetzt. Im Streitfall standen der Veräußerungserlös und verschiedene Veräußerungskosten erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens im Jahr 2017 fest. Vorher bestand keine Einigkeit über den Erlös. Im Übrigen ist die Systematik der Berechnung des Veräußerungsgewinns zwischen den Beteiligten unstreitig.
2. Das Finanzamt hat zu Recht die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG nicht zugelassen.
a) Nach § 6b Abs. 10 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige, die keine Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sind, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis zu einem Betrag von 500.000 € auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren angeschafften Anteile an Kapitalgesellschaften oder angeschafften oder hergestellten abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter oder auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften oder hergestellten Gebäude nach Maßgabe der Sätze 2 bis 10 übertragen. Absatz 2, Absatz 4 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und Satz 2 sowie Absatz 5 sind sinngemäß anzuwenden (§ 6b Abs. 10 Satz 4 EStG).
b) Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 3 ist nach § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG, dass der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 ermittelt (Nr. 1), die veräußerten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben (Nr. 2), die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören (Nr. 3), (...) und der Abzug nach Absatz 1 und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 in der Buchführung verfolgt werden können (Nr. 4).
c) Der Verweis des § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG ist ein Verweis auf die Voraussetzungen, die in § 6b Abs. 4 enthalten sind; d.h. die Voraussetzungen müssen für den Begünstigungstatbestand bzw. die Bildung der Rücklage erfüllt sein (so auch Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6b Tz. 163; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Aufl., § 6b Tz. 95 und 101 ff; Brandis/Heuermann/Schießl, EStG § 6b Tz 321 ff; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 6b Rz. 95, 102 - 105; Jachmann-Michel in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 6b Tz. 15ff und 41).
d) Im Streitfall ist keine der in den Ziffern 1, 2, 3 und 5 des § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger ermittelt den Gewinn nicht nach § 4 Absatz 1 oder § 5 EStG. Die Anteile an der X GmbH hat der Kläger im Privatvermögen gehalten und hieraus Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Sie haben damit im Zeitpunkt der Veräußerung auch nicht mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört. Die Anteile an der Y GmbH hielt der Kläger im Privatvermögen und erzielte hieraus im Klagejahr, aber auch in den Folgejahren, Einkünfte aus Kapitalvermögen. Da der Kläger keine Handelsbücher führte, kann der Abzug nach § 6 b Abs. 1 EStG und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 auch nicht in der Buchführung verfolgt werden.
Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 17 EStG wird zwar den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet, es handelt sich hierbei aber um eine Fiktion. Es erfolgt sonach eine Umqualifizierung an sich nicht steuerbarer Gewinne aus der privaten Vermögenssphäre in steuerbare gewerbliche Gewinne. § 17 EStG enthält eine Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art. Es finden die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4, 5 EStG für den Betriebsvermögengsvergleich Anwendung. Deshalb handelt es sich bei den von § 17 erfassten Veräußerungsgewinnen um fiktive gewerbliche Einkünfte (vgl. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 17 Tz. 66; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Tz. 63). Damit wird die Beteiligung auch nicht zu Betriebsvermögen, laufende Einkünfte aus der Beteiligung sind Einkünfte aus Kapitalvermögen und der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG ist auch nicht gewerbesteuerpflichtig (Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Tz. 63).
e) Die Möglichkeit der Bildung einer Rücklage im Streitfall ergibt sich auch nicht aus der von der Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Überlegung, dass die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 EStG "sinngemäß" erfüllt seien. Diese trägt vor, dass das Wort "sinngemäß" dahin auszulegen sei, dass nicht alle Voraussetzungen wie bei einer Veräußerung von Betriebsvermögen vorliegen müssten. Dieser Gedanke wird - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur von niemanden vertreten. Mit der Regelung zur gewinnneutralen Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 6 b Abse. 10, 4 EStG wollte der Gesetzgeber zur weiteren Förderung des Mittelstandes der Benachteiligung von Personenunternehmen gegenüber Körperschaften begegnen, die sich insbesondere durch die Steuerbefreiung nach § 8 b Abs. 2 KStG ergibt. § 6 b Abs. 10 EStG enthält jedoch durch die Begrenzung des Betrages und die Schaffung der weiteren Voraussetzungen in § 6 b Abs. 4 EStG gravierende Einschränkungen (Brandis/Heuermann/Schießl, EStG § 6b Tz 321 ff). Zudem erfolgt der Verweis in § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG auf den Absatz 4, der die Voraussetzungen benennt, nicht aber auf Absatz 3, der die Möglichkeit der Rücklagenbildung behandelt. Daraus ergibt sich nach der Überzeugung des Senats, dass die Voraussetzungen auch tatsächlich erfüllt sein müssen.
f) Schließlich verkennt die Prozessbevollmächtigte, dass im Streitfall weder ein Buchnachweis für die Bildung, den Abzug und die Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 in der Buchführung vorliegt, sondern hierfür jeglicher Nachweis in der Steuererklärung des Klägers fehlt. In der Steuererklärung oder den eingereichten Unterlagen des Klägers für das Folgejahr 2015 wird eine Rücklage nicht einmal erwähnt. Eine Kontrolle, dass eine gewährte Rücklage fortgeführt und dann auch aufgelöst wird, ist damit erschwert. Damit würde die "sinngemäße Anwendung" der Prozessbevollmächtigten zum vollständigen Wegfall der Voraussetzung der Ziffer 5 in § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG führen. Der Verweis in § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG würde völlig leerlaufen.
g) Diese vom Senat vertretenen Grundsätze verstoßen auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes. Es bestehen grundlegende Unterschiede in der Besteuerung von Betriebs- und Privatvermögen. Das Einkommensteuerrecht geht vom sogenannten Dualismus der Einkunftsarten aus. Die dadurch bedingte unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Veräußerungsgewinnen oder Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH als Grundentscheidung innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt und ist mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rz. 83, sowie 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86, Rz 64; BFH-Urteile vom 24.02.2022 III R 9/20, BFH/NV 2022, 850; vom 16.06.2020 VIII R 15/17, BStBl. II 2020, 841; und vom 06.04.2016 I R 61/14, BStBl. II 2017, 48, Rz 22). Es mag unter dem Gesichtspunkt einer Ausrichtung der Besteuerung an der Leistungsfähigkeit zwar wünschenswert sein, Veräußerungen von im Betriebsvermögen und im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen gleich zu behandeln. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedoch nicht. Soweit überhaupt im Streitfall eine Schlechterstellung gegenüber im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen zu sehen ist, ist diese jedenfalls vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst.
3. Es sind keine weiteren Veräußerungskosten in Höhe von 1.200 € wegen Bewirtung der beiden Berater des Klägers anzusetzen. Der Senat kann es hierbei dahingestellt lassen, ob die Voraussetzen für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen vorliegen, denn dieser Betrag wäre mit den tatsächlich zu Unrecht berücksichtigten Veräußerungskosten aus einer nicht existierenden Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € zu verrechnen.
a) Mit Schreiben vom 17.08.2022 hatte die Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass hinsichtlich der Veräußerungskosten eine Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € tatsächlich nicht existiert. Damit sind die Aufwendungen um diesen Betrag zu hoch bzw. der Veräußerungsgewinn zu niedrig festgesetzt.
b) Der Entscheidungsspielraum des Gerichts ist einerseits durch das Klagebegehren und andererseits durch das Verbot der Schlechterstellung begrenzt (BFH-Beschluss vom 10.03.2016 X B 198/15, BFH/NV 2016, 1042; und BFH-Urteil vom 26.11.1997 X R 146/94, BFH/NV 1998, 961; Gräber/Ratschow, FGO 9. Auflage, § 96 Tz. 51; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 101).
Dem Gericht bleibt es jedoch unbenommen, noch zu berücksichtigende Aufwendungen mit im angefochtenen Einkommensteuerbescheid bzw. der angefochtenen Einspruchsentscheidung zu Unrecht angesetzten Aufrechnungen zu verrechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.
Urteil vom 19.10.2022
In dem Rechtsstreit
1. A
2. B
- Kläger -
Prozessbev.:
zu 1-2:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2014
hat der 3. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,die Richterin am Finanzgericht
die Richterin am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 19.10.2022 für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.Tatbestand
Streitig ist, ob bei einem Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt werden kann, sowie ob Bewirtungsaufwendungen als Veräußerungskosten zu berücksichtigen sind.
Die Kläger sind Ehegatten und werden gemäß §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielte die Klägerin Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Weinkontor und Beteiligungen, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Unter anderen bestanden die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus Kapitalerträgen an der X GmbH und der Y GmbH.
Der Kläger war seit dem 11.08.1994 mit einem Kapitalanteil von 25 % und einen Nennkapital von 1.000.000 DM an der X GmbH beteiligt.
Mit Wirkung zum 31.12.2014 schied er durch Kündigung aus dieser aus und erhielt eine Abfindung, über deren Höhe zunächst keine Einigung erzielt wurde.
Im Nachgang zur Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2014 erklärte die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 07.04.2016 für den Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an der X GmbH in vorläufiger Höhe von 10.186.643,86 €.
Sie erläuterte die Berechnung dieses Gewinns ausgehend von einem Veräußerungserlös i.H.v. 18.642.000 €, Veräußerungskosten i.H.v. 652.969 € und unter Anwendung der Bestimmungen des Teileinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 EStG. Weiter machte sie die Einstellung einer Rücklage i.H.v. 500.000 € gemäß § 6b Abs. 10 EStG geltend, da der Kläger im Jahr 2016 bei der Y GmbH eine Kapitalerhöhung in dieser Höhe durchführen wolle. Schließlich wies sie darauf hin, dass über die Höhe des Veräußerungserlöses noch keine Einigung erzielt sei.
Das Finanzamt veranlagte die Kläger mit Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Es setzte hierbei einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 10.360.801 € an. Die für den Kläger beantragte Rücklage nach § 6b EStG wurde nicht gewährt, da die gesetzlichen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen wurden.
In den Erläuterungen zur Festsetzung ist ausgeführt:
"Die Einkünfte gem. § 17 EStG stehen aufgrund des Rechtsstreits noch nicht fest (vgl. Vorbehalt der Nachprüfung). Ich bitte um Mitteilung, sobald die endgültigen Einkünfte vorliegen. Von mehreren Einzelanträgen bitte ich abzusehen."
Die Prozessbevollmächtigte erhob für die Kläger Einspruch.
Der nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 17.10.2016 blieb ohne Änderung im Streitpunkt.
Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die am 25.04.2017 mit einer vergleichsweisen Einigung vor dem Landgericht Stadt 2 endete, erhielt der Kläger für seine Kapitalbeteiligung eine Abfindung in Höhe von insgesamt 22.642.000 €.
Mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom 17.10.2017 und vom 29.01.2018 und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Bescheid vom 19.09.2018 legte das Finanzamt den Veräußerungsgewinn jeweils mit 12.488.838 € zugrunde. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
Mit Schreiben vom 18.07.2018 machte die Prozessbevollmächtigte Bewirtungsaufwendungen i.H.v. 1.200 € als weitere Veräußerungskosten geltend. Zur Erläuterung führte sie aus, dass nach dem erfolgreichen Abschluss des Gerichtsverfahrens der Kläger seinen Rechtsanwalt C und seinen Berater D mit Ehefrauen zum Essen eingeladen habe, wobei er selbst aufgrund einer Erkrankung nicht habe teilnehmen können. Dem Schreiben vom 18.07.2018 war die Kopie eines Bewirtungsbelegs eines japanischen Restaurants in Stadt 1 vom 31.08.2017 beigefügt. Handschriftlich sind die bewirteten Personen und der Anlass angegeben.
Die Einsprüche der Kläger wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 als unbegründet zurück.
Die Prozessbevollmächtigte hat für die Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
Die Voraussetzungen der Gewährung der Rücklage nach § 6 b EStG seien im Streitfall erfüllt. Das Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen Zahlung einer Abfindung stelle eine Veräußerung i.d.S. § 17 EStG und damit auch i.S.d. § 6b EStG dar. Die Vorschrift des § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG sehe vor, dass unter anderem Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2, 3 und 5 sowie Satz 2 sinngemäß anzuwenden seien. Das Wort "sinngemäß" sei dahin auszulegen, dass nicht alle Voraussetzungen wie bei einer Veräußerung von Betriebsvermögen vorliegen müssten. Sinn der Regelung sei es, dass das reinvestierte Vermögen auch in Zukunft steuerverhaftet bleibe.
Die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei erfüllt, da der Gewinn nach ständiger Rechtsprechung des BFH nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt werde. Auch wenn § 17 EStG eine Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art sei, würden die Einkünfte den gewerblichen Einkünften gleichgestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sei der Veräußerungsgewinn stichtagsbezogen aufgrund eines Betriebsvermögensvergleiches zu ermitteln. Dies entspreche einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG.
Auch die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG sei sinngemäß erfüllt. Eine wortlautgetreue Auslegung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG würde gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs.1 GG verstoßen, da diese Auslegung zwangsläufig dazu führe, dass § 6b EStG bei der Besteuerung von Gewinnen aus § 17 EStG nie anwendbar sei. Die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG mit mindestens 6 Jahren Dauer stelle somit nicht auf das Anlagevermögen ab, sondern auf die Dauer des Bestandes im Vermögen.
Es sei aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gerechtfertigt, dass eine Reinvestition von Veräußerungsgewinnen aus Kapitalbeteiligungen im Privatvermögen nicht begünstigt sei. Das Gleichbehandlungsgebot erfordere eine Lastengleichheit. Gegen das Prinzip der Lastengleichheit werde insbesondere dann verstoßen, wenn bei der Gewähr von Vergünstigungen wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt werde. Bei einer verfassungskonformen Auslegung müsse die Qualifikation der Einkünfte als gewerbliche dann aber auch dazu führen, dass der Steuerpflichtige bei der Besteuerung der Gewinne auf begünstigende Regelungen, wie die der Reinvestition nach § 6b EStG, zurückgreifen könne. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Anwendung des § 6b EStG bei der Besteuerung von Gewinnen aus § 17 EStG generell auszuschließen. Um eine verfassungskonforme Auslegung zu ermöglichen, verlange der Gesetzestext in § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG eine sinngemäße Anwendung der Voraussetzungen bei der Reinvestition von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalbeteiligungen.
Die Vergütung des ausscheidenden Gesellschafters sei gemäß dem Gesellschaftsvertrag vom 11.08.1994 im Streitfall in vier verzinslichen (2 %) Jahresraten erfolgt. Die letzte Rate sei 2017 gezahlt worden. Im Übrigen sei die Berechnung des Veräußerungsgewinns zwischen den Parteien unstreitig.
Bei Gewährung der Rücklage ergebe sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 20.313.012 €, der nach Anwendung des § 3 Nr. 40 EStG in Höhe von 12.187.807 € der Besteuerung zugrunde zu legen sei.
Weiter seien bei der Berechnung des Veräußerungserlöses nach § 17 EStG noch Bewirtungsaufwendungen in Höhe von 1.200 € anzusetzen. Zum Dank für die erfolgreiche Betreuung in dem Klageverfahren zur Ermittlung des Abfindungswertes habe der Kläger den Rechtsanwalt C und den Berater D am 31.08.2017 zusammen mit deren Ehefrauen in das Restaurant "R" in Stadt 1 eingeladen. Da die Kosten im Zusammenhang mit der Ermittlung der Höhe der Abfindung stünden und eine Aufmerksamkeit in dieser Größenordnung im Verhältnis zu der erzielten Abfindung angemessen sei, seien die Kosten als Veräußerungskosten anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 17.08.2022 hat die Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass hinsichtlich der Veräußerungskosten eine bislang angesetzte Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € tatsächlich nicht existiere.
Die Klägervertreterin beantragt,
den Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 dahin zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG auf 12.193.413 € angesetzt und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird vorgebracht, dass die beantragte Rücklage nach § 6b EStG nicht anzusetzen sei. Nach § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG seien § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 und 5 EStG sinngemäß anzuwenden. Danach sei Voraussetzung für die Gewährung einer 6b-Rücklage, dass der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermittele (Nr. 1), die veräußerten Anteile an Kapitalgesellschaften müssten im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben (Nr. 2) und die neu angeschafften Anteile an Kapitalgesellschaften müssten zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören (Nr.3). Weiter müssten sowohl die Bildung als auch der Abzug und die Auflösung der Rücklage in der Buchführung nachvollzogen werden können (Nr. 5).
Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 17 EStG werde zwar den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet, es handele sich hierbei aber um eine Fiktion. Lediglich die Merkmale des § 15 Abs. 2 EStG müssten nicht vorliegen und lägen im Streitfall auch nicht vor, da die Veräußerung von Beteiligungen für sich genommen keine originär gewerbliche Tätigkeit begründe. Daher gelte auch, dass die Beteiligung zum Privatvermögen gehöre und nicht wie Betriebsvermögen behandelt werde.
Es bestünden grundlegende Unterschiede in der Besteuerung von Betriebs- und Privatvermögen. Das Einkommensteuerrecht gehe vom sogenannten Dualismus der Einkunftsarten aus. Die dadurch bedingte unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen sei nach der Rechtsprechung des BVerfG mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar (Hinweis auf BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rz. 68 f., 83, sowie 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86, Rz 64; BFH-Urteil vom 06.04.2016 I R 61/14, BStBl. II 2017, 48, Rz 22).
Die Bewirtungsaufwendungen seien bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt worden, da sie nicht durch die Erzielung der Einkünfte veranlasst seien, sondern eine rein gesellschaftliche Einladung darstellen würden. Anlass der Bewirtung sei laut dem Vortrag des Klägers der "Dank für die erfolgreiche Betreuung in dem Klageverfahren zur Berechnung des Abfindungswertes" gewesen. Somit habe zwar ein Zusammenhang mit dem Abschluss des Verfahrens, jedoch keine Verpflichtung bestanden, den Anwalt und den Berater, die bereits ein Honorar von mehr als 200.000 € erhalten hätten, nachträglich noch einzuladen. Der Zusammenhang mit dem Abfindungsprozess werde daher durch das private Motiv überlagert, seinen Dank auszudrücken.
Selbst wenn die Bewirtung als geschäftlich veranlasst angesehen werden könnte, wären gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG allenfalls 70 % der angemessenen Aufwendungen abziehbar. Im Hinblick auf die Angemessenheit erscheine mangels besseren Maßstabes eine ähnliche Wertung angebracht, wie sie der Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 Nr. 1a EStG mit der Grenze von 110 € je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer vorgenommen habe. Weiter lägen auch formelle Mängel vor, da auf dem im Rechtsbehelfsverfahren und dem mit Klagebegründung vom 18.01.2021 vorgelegten Beleg die Unterschrift fehle. Erst mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 13.04.2021 sei ein unterschriebener Originalbeleg vorgelegt worden.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten mit Anlagen sowie auf die vom Finanzamt vorgelegte Einkommensteuerakten für die Jahre 2014 und 2015 sowie die Rechtsbehelfsakte der Kläger verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Kläger sind durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 06.09.2016 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.09.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2020 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Finanzamt hat zu Recht die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG abgelehnt.
1. Das Finanzamt hat zutreffend bei der Berechnung des Gewinns im Streitjahr den Veräußerungspreis gemäß dem vor dem Landgericht Stadt 2 im Jahr 2017 getroffenen Vergleich und die Veräußerungskosten bis zur Abwicklung gemäß der gerichtlichen Regelung angesetzt.
a) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Veräußerungspreis i.S. der genannten Vorschrift ist der Wert der Gegenleistung, die der Veräußerer durch Abschluss des dinglichen Veräußerungsgeschäfts am maßgebenden Stichtag erlangt.
b) Das Finanzamt hat zutreffend bei der Berechnung des Gewinns im Streitjahr den Veräußerungspreis gemäß der gerichtlichen Regelung im Jahr 2017 und die Veräußerungskosten bis zur Abwicklung gemäß der gerichtlichen Regelung angesetzt.
Der Veräußerungsgewinn ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Veräußerung, d.h. der Zeitpunkt, zu dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen ist (BFH-Urteile vom 20.07.2010 IX R 45/09, BStBl. II 2010, 969; und vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 13). Nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 (GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897) sind später eintretende Veränderungen beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis solange und soweit materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück zu beziehen, als der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises noch nicht erfüllt hat.
Dabei ist es unerheblich, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des Erlöses maßgebend waren. Wann ein Sachverhalt in diesem Sinne steuerlich zurückwirkt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2009 I R 3/09, BStBl. II 2010, 249). Vor diesem Hintergrund kann eine nachträgliche Änderung des Veräußerungspreises i.S. des § 17 Abs. 2 EStG grundsätzlich auch dann auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken, wenn das Ereignis erst nach dem Zeitpunkt der Veräußerung eingetreten ist (BFH-Urteil vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 14 m.w.N.; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 17 Tz. 66).
Bei nachträglichen vertraglichen Änderungen des Veräußerungspreises kommt es entscheidend darauf an, ob über den Veräußerungspreis im Zeitpunkt der Betriebsübertragung keine abschließende Einigung erzielt wurde --dann erhöht ein später festgesetzter Mehrbetrag rückwirkend, d.h. für das Jahr der Veräußerung, den Veräußerungsgewinn-- oder ob ein zunächst feststehender Veräußerungspreis nachträglich geändert wird --dann ist ein Mehrbetrag erst in dem Veranlagungszeitraum zu erfassen, in dem die Erhöhung vereinbart wurde-- (vgl. BFH-Urteile vom 23.05.2012 IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675, Rn. 15; vom 17.01.1989 VIII R 370/83, BStBl. II 1989, 563, zu § 16 EStG).
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind im angefochtenen Bescheid Veräußerungserlös und Veräußerungskosten zutreffend angesetzt. Im Streitfall standen der Veräußerungserlös und verschiedene Veräußerungskosten erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens im Jahr 2017 fest. Vorher bestand keine Einigkeit über den Erlös. Im Übrigen ist die Systematik der Berechnung des Veräußerungsgewinns zwischen den Beteiligten unstreitig.
2. Das Finanzamt hat zu Recht die Bildung einer Rücklage nach § 6 b EStG nicht zugelassen.
a) Nach § 6b Abs. 10 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige, die keine Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sind, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis zu einem Betrag von 500.000 € auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren angeschafften Anteile an Kapitalgesellschaften oder angeschafften oder hergestellten abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter oder auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften oder hergestellten Gebäude nach Maßgabe der Sätze 2 bis 10 übertragen. Absatz 2, Absatz 4 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und Satz 2 sowie Absatz 5 sind sinngemäß anzuwenden (§ 6b Abs. 10 Satz 4 EStG).
b) Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 3 ist nach § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG, dass der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 ermittelt (Nr. 1), die veräußerten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben (Nr. 2), die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören (Nr. 3), (...) und der Abzug nach Absatz 1 und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 in der Buchführung verfolgt werden können (Nr. 4).
c) Der Verweis des § 6b Abs. 10 Satz 4 EStG ist ein Verweis auf die Voraussetzungen, die in § 6b Abs. 4 enthalten sind; d.h. die Voraussetzungen müssen für den Begünstigungstatbestand bzw. die Bildung der Rücklage erfüllt sein (so auch Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6b Tz. 163; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Aufl., § 6b Tz. 95 und 101 ff; Brandis/Heuermann/Schießl, EStG § 6b Tz 321 ff; Schmidt/Loschelder, EStG 41. Auflage, § 6b Rz. 95, 102 - 105; Jachmann-Michel in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 6b Tz. 15ff und 41).
d) Im Streitfall ist keine der in den Ziffern 1, 2, 3 und 5 des § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG genannten Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger ermittelt den Gewinn nicht nach § 4 Absatz 1 oder § 5 EStG. Die Anteile an der X GmbH hat der Kläger im Privatvermögen gehalten und hieraus Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Sie haben damit im Zeitpunkt der Veräußerung auch nicht mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört. Die Anteile an der Y GmbH hielt der Kläger im Privatvermögen und erzielte hieraus im Klagejahr, aber auch in den Folgejahren, Einkünfte aus Kapitalvermögen. Da der Kläger keine Handelsbücher führte, kann der Abzug nach § 6 b Abs. 1 EStG und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 auch nicht in der Buchführung verfolgt werden.
Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 17 EStG wird zwar den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet, es handelt sich hierbei aber um eine Fiktion. Es erfolgt sonach eine Umqualifizierung an sich nicht steuerbarer Gewinne aus der privaten Vermögenssphäre in steuerbare gewerbliche Gewinne. § 17 EStG enthält eine Gewinnermittlungsvorschrift eigener Art. Es finden die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4, 5 EStG für den Betriebsvermögengsvergleich Anwendung. Deshalb handelt es sich bei den von § 17 erfassten Veräußerungsgewinnen um fiktive gewerbliche Einkünfte (vgl. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG 20. Auflage, § 17 Tz. 66; Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Tz. 63). Damit wird die Beteiligung auch nicht zu Betriebsvermögen, laufende Einkünfte aus der Beteiligung sind Einkünfte aus Kapitalvermögen und der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG ist auch nicht gewerbesteuerpflichtig (Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Tz. 63).
e) Die Möglichkeit der Bildung einer Rücklage im Streitfall ergibt sich auch nicht aus der von der Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Überlegung, dass die Voraussetzung des § 6b Abs. 4 Satz 1 EStG "sinngemäß" erfüllt seien. Diese trägt vor, dass das Wort "sinngemäß" dahin auszulegen sei, dass nicht alle Voraussetzungen wie bei einer Veräußerung von Betriebsvermögen vorliegen müssten. Dieser Gedanke wird - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur von niemanden vertreten. Mit der Regelung zur gewinnneutralen Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 6 b Abse. 10, 4 EStG wollte der Gesetzgeber zur weiteren Förderung des Mittelstandes der Benachteiligung von Personenunternehmen gegenüber Körperschaften begegnen, die sich insbesondere durch die Steuerbefreiung nach § 8 b Abs. 2 KStG ergibt. § 6 b Abs. 10 EStG enthält jedoch durch die Begrenzung des Betrages und die Schaffung der weiteren Voraussetzungen in § 6 b Abs. 4 EStG gravierende Einschränkungen (Brandis/Heuermann/Schießl, EStG § 6b Tz 321 ff). Zudem erfolgt der Verweis in § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG auf den Absatz 4, der die Voraussetzungen benennt, nicht aber auf Absatz 3, der die Möglichkeit der Rücklagenbildung behandelt. Daraus ergibt sich nach der Überzeugung des Senats, dass die Voraussetzungen auch tatsächlich erfüllt sein müssen.
f) Schließlich verkennt die Prozessbevollmächtigte, dass im Streitfall weder ein Buchnachweis für die Bildung, den Abzug und die Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 in der Buchführung vorliegt, sondern hierfür jeglicher Nachweis in der Steuererklärung des Klägers fehlt. In der Steuererklärung oder den eingereichten Unterlagen des Klägers für das Folgejahr 2015 wird eine Rücklage nicht einmal erwähnt. Eine Kontrolle, dass eine gewährte Rücklage fortgeführt und dann auch aufgelöst wird, ist damit erschwert. Damit würde die "sinngemäße Anwendung" der Prozessbevollmächtigten zum vollständigen Wegfall der Voraussetzung der Ziffer 5 in § 6 b Abs. 4 Satz 1 EStG führen. Der Verweis in § 6 b Abs. 10 Satz 4 EStG würde völlig leerlaufen.
g) Diese vom Senat vertretenen Grundsätze verstoßen auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes. Es bestehen grundlegende Unterschiede in der Besteuerung von Betriebs- und Privatvermögen. Das Einkommensteuerrecht geht vom sogenannten Dualismus der Einkunftsarten aus. Die dadurch bedingte unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Veräußerungsgewinnen oder Wertsteigerungen im Betriebs- und Privatvermögen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH als Grundentscheidung innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt und ist mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rz. 83, sowie 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86, Rz 64; BFH-Urteile vom 24.02.2022 III R 9/20, BFH/NV 2022, 850; vom 16.06.2020 VIII R 15/17, BStBl. II 2020, 841; und vom 06.04.2016 I R 61/14, BStBl. II 2017, 48, Rz 22). Es mag unter dem Gesichtspunkt einer Ausrichtung der Besteuerung an der Leistungsfähigkeit zwar wünschenswert sein, Veräußerungen von im Betriebsvermögen und im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen gleich zu behandeln. Verfassungsrechtlich geboten ist dies jedoch nicht. Soweit überhaupt im Streitfall eine Schlechterstellung gegenüber im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen zu sehen ist, ist diese jedenfalls vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst.
3. Es sind keine weiteren Veräußerungskosten in Höhe von 1.200 € wegen Bewirtung der beiden Berater des Klägers anzusetzen. Der Senat kann es hierbei dahingestellt lassen, ob die Voraussetzen für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen vorliegen, denn dieser Betrag wäre mit den tatsächlich zu Unrecht berücksichtigten Veräußerungskosten aus einer nicht existierenden Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € zu verrechnen.
a) Mit Schreiben vom 17.08.2022 hatte die Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass hinsichtlich der Veräußerungskosten eine Rechnung von S vom 28.03.2015 über 8.825,04 € tatsächlich nicht existiert. Damit sind die Aufwendungen um diesen Betrag zu hoch bzw. der Veräußerungsgewinn zu niedrig festgesetzt.
b) Der Entscheidungsspielraum des Gerichts ist einerseits durch das Klagebegehren und andererseits durch das Verbot der Schlechterstellung begrenzt (BFH-Beschluss vom 10.03.2016 X B 198/15, BFH/NV 2016, 1042; und BFH-Urteil vom 26.11.1997 X R 146/94, BFH/NV 1998, 961; Gräber/Ratschow, FGO 9. Auflage, § 96 Tz. 51; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 101).
Dem Gericht bleibt es jedoch unbenommen, noch zu berücksichtigende Aufwendungen mit im angefochtenen Einkommensteuerbescheid bzw. der angefochtenen Einspruchsentscheidung zu Unrecht angesetzten Aufrechnungen zu verrechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.