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  • 10.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221055

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 06.01.2020 – 2 K 91/19

    Stichwort: Eine Absichtserklärung des Kindes, sich unmittelbar nach Wegfall der Hinderungsgründe (Krankheit) um eine Berufsausbildung zu bemühen, kann auch für Monate vor Eingang der Erklärung bei der Familienkasse anzuerkennen sein (entgegen V 6.1 Abs. 1 S. 8 DA-KG-2020).


    Finanzgericht Schleswig-Holstein

    Urteil vom 06.01.2020


    In dem Rechtsstreit

    wegen Kindergeldes

    hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 6. Januar 2020 für Recht erkannt:

    Tenor:

    Der Bescheid der Familienkasse vom 24. April 2019 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2019 werden aufgehoben. Die Familienkasse wird verpflichtet, Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2019 zu gewähren.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Familienkasse.

    Das Urteil ist - soweit der Klage stattgegeben wurde - wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten inzwischen nur noch darüber, ob Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Februar 2019 zu gewähren ist. Mit Abhilfebescheid vom 10. Oktober 2019 hat die Beklagte Kindergeld für den Zeitraum März bis Juni 2019 festgesetzt.

    Das Kind A, geboren 1998, befand sich zunächst in Ausbildung. Das Ausbildungsverhältnis wurde vom Ausbildungsbetrieb zum 30. November 2018 innerhalb der Probezeit gekündigt. Die Familienkasse gewährte auf Antrag Kindergeld mit Bescheid vom 12. Dezember 2018 für die Monate August bis November 2018 einschließlich Kindergeld, lehnte jedoch den Antrag ab Dezember 2018 ab, weil A die Berufsausbildung abgebrochen habe. Am 28. März 2019 reichte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung über die Erkrankung seines Kindes ein, mit der der behandelnde Arzt bestätigt, dass A seit dem 1. Oktober 2018 erkrankt und ein Ende der Erkrankung nicht absehbar sei. Weiter reichte der Kläger eine Erklärung seines Kindes vom 25. März 2019 ein, dass es beabsichtige, sich zum nächstmöglichen Beginn um einen Ausbildungsplatz zu bewerben, sobald der Gesundheitszustand es zulasse.

    Mit Bescheid vom 24. April 2019 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld vom 28. März 2019 für das Kind A ab dem Monat Januar 2019 ab. Der Kläger sei zuletzt mit Schreiben vom 2. April 2019 darum gebeten worden, Unterlagen zur Prüfung des Kindergeldanspruches für ein Kind mit Behinderung einzureichen, weil die Grundlage zur Berücksichtigung eines Kindes mit Erkrankung nicht vorliege. Die notwendigen Unterlagen seien nicht eingereicht worden. Es könne deshalb nicht festgestellt werden, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Am 26. April 2019 reichte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung vom 17. April 2019 über die Erkrankung seines Kindes ein, aus der sich ergibt, dass die Erkrankung voraussichtlich im Oktober 2019 enden werde.

    Mit Bescheid vom 13. Mai 2019 lehnte die Familienkasse den Antrag vom 25. März 2019 auf Gewährung von Kindergeld für Dezember 2018 ab.

    Mit Schreiben vom 14. Mai 2019 forderte sie den Kläger auf, bis zum 22. Mai 2019 weitere Unterlagen einzureichen, u. a. die ärztliche Bescheinigung nochmals zur Ergänzung. Es würden Angaben zum Beginn der Erkrankung fehlen. Nachdem sich der Kläger am 21. Mai 2019 telefonisch nach dem Sachstand erkundigt und festgestellt hatte, dass er das Schreiben vom 14. Mai 2019 nicht erhalten hatte, übersandte die Familienkasse mit Schreiben vom 23. Mai 2019 einen Abdruck des Schreibens vom 14. Mai 2019 und mit Schreiben vom 27. Mai die zugesagten Unterlagen.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2019 wurde der Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Kindergeld ab Januar 2019 als unbegründet zurückgewiesen. Das Vorliegen wegen einer Erkrankung sei nicht bestätigt worden. Der Beginn der Erkrankung sei nicht nachgewiesen worden.

    Am 17. Juni 2019 erklärte der Kläger, er sei mit dem Schreiben vom 4. Juni 2019 nicht einverstanden, und reichte ein ärztliches Attest ein, aus dem hervorgeht, dass A seit dem 1. Oktober 2018 bis voraussichtlich Ende Oktober 2019 arbeitsunfähig geschrieben ist.

    Am 3. Juli 2019 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Für den Zeitraum März bis Juni 2019 gewährte die Familienkasse mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 Kindergeld. Da die Willenserklärung des Kindes erst im März 2019 bei der Beklagten eingegangen sei, könne nach V 6.1 Abs. 1 Satz 8 der Dienstanweisung auch erst ab diesem Zeitpunkt Kindergeld bewilligt werden.

    Die Beteiligten erklärten das Verfahren für erledigt, soweit die Familienkasse der Klage für den Zeitraum März bis Juni 2019 abgeholfen hat. Die Familienkasse trägt vor, die Kosten des Verfahrens seien insoweit vom Kläger zu tragen, da die einspruchsbegründenden Unterlagen erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung eingereicht worden seien. Der Kläger tritt dem entgegen.

    Mit Erklärung vom 29. November 2019 erklärte A, dass seit dem 1. Oktober 2018 die Absicht bestehe, sich umgehend nach der Genesung um einen neuen Ausbildungsplatz zu bewerben.

    Der Kläger hat schriftlich zuletzt sinngemäß beantragt,

    unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2019 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für Januar und Februar 2019 für das Kind A zu bewilligen.

    Die Familienkasse hat schriftlich beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 24. April 2019 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

    1. Dem Kläger steht Kindergeld gemäß §§ 62, 63 i. V. m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auch für den Zeitraum Januar bis Februar 2019 zu.

    Gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG wird ein Kind berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen kann. So liegt es im Streitfall.

    a. Für die Berücksichtigung als Kind ohne Ausbildungsplatz im Sinne von § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist es nach der Rechtsprechung erforderlich, dass es dem Kind trotz ernsthafter Bemühungen nicht gelungen ist, eine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen. Neben diesem objektiven Tatbestandsmerkmal erfordert die Regelung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 c EStG für die Gewährung von Kindergeld darüber hinaus als subjektives Tatbestandsmerkmal, dass das Kind ausbildungswillig ist. Ausbildungswillig in diesem Sinne sind Kinder, wenn sie für den frühestmöglichen Zeitpunkt eine Berufsausbildung anstreben (vgl. Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 15. September 1999, II 537/98, EFG 2000, 221).

    Eine Berücksichtigung ist aber auch dann möglich, wenn das Kind - wie im Streitfall - infolge einer Erkrankung daran gehindert ist, sich um eine Berufsausbildung zu bemühen, aber ausbildungswillig ist.

    Zweck der Vorschrift ist die Gleichstellung der "Kinder ohne Ausbildungsplatz" mit den in Ausbildung befindlichen Kindern nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG, weil ein Kind nach Nr. 2 c finanziell ebenso abhängig ist und in typisierender Betrachtungsweise davon ausgegangen wird, dass dem Kindergeldberechtigten regelmäßig Unterhaltsaufwendungen in einer Höhe erwachsen, die die Gewährung von Kindergeld rechtfertigen. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 c EStG soll ein Kind also nicht deshalb benachteiligt werden, weil es trotz ernsthafter Bemühungen - u.U. jahrelang - keinen Ausbildungsplatz findet (Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, § 32 Rn. 103; Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 31. Juli 2018, 6 K 192/17, juris; Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 7. Mai 1998 VI 10/98, EFG 1998, 1204). Ein Anspruch auf Kindergeldfestsetzung besteht auch dann, wenn das Kind seine Ausbildung wegen einer Erkrankung unterbrechen muss. Hat ein Kind einen Ausbildungsplatz und ist ausbildungswillig, ist aber aus objektiven Gründen zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, ist es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist (Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Februar 2018, 2 K 2487/16, juris). Nichts Anderes kann dann gelten, wenn eine Ausbildung wegen einer Erkrankung nicht begonnen oder gesucht werden kann. Auch für solche Fälle gilt die Regelung des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Hiervon geht offensichtlich auch die Beklagte aus.

    b. Im Streitfall hat das Kind des Klägers seine Ausbildung krankheitsbedingt nicht fortführen können und sich anschließend nicht um einen (neuen) Ausbildungsplatz bemüht.

    Der Kläger hat durch ärztliche Atteste nachgewiesen, dass A im Streitzeitraum aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage gewesen ist, sich um eine Ausbildung zu bemühen bzw. eine Ausbildung zu beginnen.

    c. Weiter hat das Kind des Klägers im März 2019 der Beklagten eine Erklärung vorgelegt, wonach es beabsichtige, zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Wegfall der Hinderungsgründe/Krankheit eine Ausbildung zu beginnen. Mit der im Klageverfahren nachgereichten Erklärung vom 29. November 2019 präzisierte A, dass seit Beginn der Erkrankung am 1. Oktober 2018 diese Absicht vorgelegen habe.

    Dies zeigt, dass es auch ausbildungswillig war, allerdings auf Grund der Erkrankung im streitigen Zeitraum nicht in der Lage gewesen ist, eine Ausbildung zu beginnen.

    Bis zur Erkrankung war A "in Ausbildung", also ausbildungswillig. Die Erklärung vom März 2019 sowie die im Klageverfahren eingereichte Erklärung zeigen die fortbestehende Ausbildungswilligkeit im Streitzeitraum.

    An der bestehenden Ausbildungswilligkeit zweifelt auch die Beklagte jedenfalls für die Monate März bis Juni 2019 nicht. Für die noch im Streit stehenden Monate verweist sie jedoch auf ihre Dienstanweisung, aus der sich ergibt, dass Erklärungen, die eine Absicht glaubhaft machen sollen, erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Erklärung bei der Familienkasse wirken. Da diese Erklärung erst im März 2019 bei der Beklagten einging, beruft sie sich darauf, auch erst ab diesem Zeitpunkt Kindergeld bewilligen zu können.

    Bei den Regelungen in der Dienstanweisung der Beklagten handelt es sich um verwaltungsökonomische Regelungen, die die Finanzgerichte nicht binden (vgl. Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Februar 2018, 2 K 2487/16, juris). Entscheidend ist, ob das Kind in den Monaten, für die das Kindergeld begehrt wird, ausbildungswillig war. Die Beurteilung dieser inneren Tatsache obliegt dem Finanzgericht.

    Aufgrund der vorgelegten Erklärungen vom 25. März 2019 und 29. November 2019 und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist das Gericht von der fortbestehenden Ausbildungswilligkeit des Kindes im Streitzeitraum überzeugt. Der Vortrag erscheint dem Gericht insoweit schlüssig.

    Der Klage war daher stattzugeben.

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und § 138 Abs. 2 FGO.

    Im Hinblick auf den für erledigt erklärten Teil trägt die Familienkasse die Kosten, da die anspruchsbegründenden Unterlagen schon während des Verwaltungsverfahrens vorlagen.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

    3. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 115 Abs. 2 FGO).

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 c EStG

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