Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 01.05.2004 | Abrechnung von Gerichtsgutachten, Teil 1

    So rechnen Sie Gerichtsgutachten auch nach dem 1. Juli 2004 richtig ab!

    Wurde eine Operation rechtzeitig durchgeführt oder liegt ein Kunstfehler vor? Ist ein Patient mit chronischen Rückenschmerzen erwerbsunfähig? Hat ein Kollege eine korrekte Privatliquidation nach GOÄ erstellt? Diese und andere Fragen beschäftigen die verschiedenen Gerichte - und dann auch Sie, wenn Sie als Gutachter tätig sind. Die Zahl der Prozesse vor deutschen Gerichten steigt und damit auch die Nachfrage nach ärztlichen Gutachten.

    Wie aber werden diese Gutachten korrekt abgerechnet? Im Beweisbeschluss der Gerichte steht oft nur der Verweis auf das Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz (ZSEG), das am 1. Juli 2004 durch das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) abgelöst werden wird. Hinzu kommt, was es dem betroffenen Arzt nicht einfacher macht: In Zeiten knapper öffentlicher Kassen einerseits und wachsender Nachfrage nach ärztlichen Gutachten andererseits kürzen die Gerichtsrevisoren immer häufiger die Honorarnoten der Gutachter mit oft seltsamen Argumenten.

    Medizinische Gutachter werden im ZSEG und JVEG als "Sachverständige" bezeichnet. Sie erhalten ein Honorar, das sich unter anderem nach den Stunden "erforderlicher Zeit" für die Erstellung des Gutachtens richtet. Der erste Konflikt ist damit vorprogrammiert: Nicht der tatsächliche, sondern der "erforderliche" Aufwand wird vergütet. Dazu mehr weiter unten.

    Der - für alle Stunden einheitlich - anzusetzende Stundensatz beträgt dabei nach ZSEG "für jede Stunde der erforderlichen Zeit 25 bis 52 Euro" . Zitat aus dem Gesetz: "Für die Bemessung des Stundensatzes sind der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung, ein nicht anderweitig abzugeltender Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen und besondere Umstände maßgebend" (§  3 Abs.  2 ZSEG).

    Da diese Kriterien unklar formuliert sind und reichlich Interpretationsspielräume lassen, ist der zweite Konflikt vorprogrammiert. Genau an diesen Punkten setzt regelmäßig die Kritik der Gerichtsrevisoren an: Sie kürzen den Stundensatz und die Anzahl der in den Rechnungen angegebenen Arbeitszeit.

    Wie viele Stunden Aufwand sind "erforderlich"?

    Nur der "erforderliche" Aufwand wird vergütet. Was aber ist das? Laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gilt als erforderlich nur die Zeit, die ein Sachverständiger mit "durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt" . Diese Formulierung ist wenig hilfreich, da das Wort "erforderlich" durch das ebenso auslegungsbedürftige Wort "durchschnittlich" ersetzt wird. Hilfreich ist jedoch, was an anderer Stelle in der Rechtsprechung an Vorgaben gemacht wurde. Die Ermittlung des Zeitaufwandes für ein typisches medizinisches Gutachten wird anhand von unterschiedlichen einzelnen Rubriken errechnet:

  • Für das Aktenstudium von "medizinisch durchsetztem Aktenmaterial" veranschlagen die Gerichte einen Zeitaufwand von 50 bis 100 Seiten pro Stunde, in Einzelfällen aber sogar 200 Seiten pro Stunde. Faustregel: 100 Seiten pro Stunde werden akzeptiert, weniger Seiten sollten kurz begründet werden.
  • Anamnese und körperliche Untersuchung werden in der Regel mit zwei Stunden berücksichtigt. In Abhängigkeit vom Fachgebiet und besonderen Bedingungen - zum Beispiel eine Sprachbarriere, die einen Dolmetscher erforderlich macht - werden auch Differenzierungen vorgenommen.
  • Für die Ausarbeitung des Gutachtens werden zwei bis drei Seiten je Stunde veranschlagt. Dabei wird bei der bloßen Wiedergabe von Befunden und Akteninhalt von drei Seiten je Stunde, bei der gutachterlichen Bewertung im engeren Sinne von zwei Stunden ausgegangen.
  • Für das Diktat und die Korrektur ist davon auszugehen, dass ein Sachverständiger etwa fünf Seiten je Stunde bewältigen kann.

    Diese Angaben sind höherinstanzlichen Gerichtsurteilen entnommen - im wesentlichen einem Beschluss des Landessozialgerichts NRW vom 28. Juni 2002 (Az: L 10 SB 48/99 - Abruf-Nr.  041068 ) und einem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 4. April 2000 (Az: L  2 SF 12/99 F - Abruf-Nr.  041069 ). Die Stundensätze für das Aktenstudium schwanken dabei deutlich: 50 Seiten pro Stunde laut Landessozialgericht NRW (Az: L 10 SB 48/99), 100 Seiten pro Stunde laut Landessozialgericht Berlin (Az: L 2 SF 12/99 F), aber auch 200 Seiten pro Stunde laut einem Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 2001 (Az: L 12 U 1404/01 - 041070).

    Wie kann der Stundensatz nach ZSEG ermittelt werden?

    Bei der Bemessung des Stundensatzes innerhalb der vom ZSEG vorgegebenen Spanne von 25 bis 52 Euro (früher: 50 bis 100 DM) orientieren sich die Gerichte am Mittelwert von 75 DM bzw. 38 Euro: "... eine Sachverständigenleistung, die normale Fachkenntnisse voraussetzt und keine wesentlichen Schwierigkeiten enthält, auch keinen besonderen technischen Aufwand verlangt und auch nicht unter schwierigen Umständen bearbeitet werden muss, [rechtfertigt] keine über den Durchschnitt des Entschädigungsrahmens hinausgehende Entschädigung, so dass 75 DM pro Stunde angemessen sind" (so das Landessozialgericht NRW). Als Gutachten mittlerer Schwierigkeit gelten zum Beispiel reine Zustandsgutachten ohne Kausalitätsbeurteilungen, als schwierige Gutachten dann im Umkehrschluss solche mit Kausalitätsfragen.

    Tipp : Im neuen JVEG werden die verschiedenen Typen medizinischer Gutachten den Kategorien einfacher, durchschnittlicher und hoher Schwierigkeitsgrad zugeordnet. Diese Zuordnung kann auch für eine Orientierung des Stundensatzes im jetzt noch gültigen ZSEG herangezogen werden. Nähere Einzelheiten erfahren Sie hierzu in der nächsten Ausgabe.

    Was tun, wenn der Revisor das Honorar kürzt?

    Wenn Sie mit einer Kürzung Ihrer Honorarnote nicht einverstanden sind, können Sie eine gerichtliche Festsetzung des Honorars nach §  16 Abs.  1 ZSEG bzw. §  4 Abs.  1 JVEG beantragen. Die Entscheidung fällt dann kein einfacher Sachbearbeiter, sondern ein Richter. Zuständig ist das Gericht oder der Richter, von dem Sie als Sachverständiger herangezogen worden sind. Wenn Sie als Sachverständiger vom Staatsanwalt herangezogen worden sind, dann ist das Gericht zuständig, bei dem die Staatsanwaltschaft errichtet ist. Auch gegen diese richterliche Festsetzung ist noch einmal eine Beschwerde möglich, sofern der strittige Wert 50 Euro (ZSEG) bzw. 200 Euro (JVEG) übersteigt.

    Schema zur Ermittlung eines typischen Gutachtenhonorars nach ZSEG/JVEG
    Zeitaufwand : Faustregel
    Aktenstudium ___ Stunden   (100 Seiten/Stunde)
    Anamnese und Untersuchung ___ Stunden   (zwei Stunden bei Ganzkörperstatus)
    Ausarbeitung ___ Stunden   (zwei bis drei Seiten/Stunde)
    Diktat und Korrektur ___ Stunden   (sechs Seiten/Stunde)
     
    Gesamtzeit ___ Stunden    
    Gesamtzeit ____ Stunden x Stundensatz ____ Euro = ____ Euro
    Ersatz von Aufwendungen :
    Schreibgebühren pro Seite 2,00 Euro (ZSEG) ____ Euro
    bzw. 0,75 Euro je angefangene 1.000 Anschläge JVEG) ____ Euro
    Kopien des Gutachtens  
    50 Blatt je 0,50 Euro, ____ Euro
    weitere Seiten 0,15 Euro ____ Euro
    Auslagen (zum Beispiel Porto) ____ Euro
    gegebenenfalls Umsatzsteuer 16 Prozent ____ Euro
     
    Gesamtsumme ____ Euro
    Quelle: Ausgabe 05 / 2004 | Seite 1 | ID 96869