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  • 01.07.2003 | Aktuelle Rechtsprechung

    Erhöhte Überwachungspflichten für den Chefarzt bei Sedierung im Rahmen einer ambulanten Behandlung

    Wird ein Patient bei einer ambulanten Behandlung so stark sediert, dass seine Tauglichkeit für den Straßenverkehr für einen längeren Zeitraum erheblich eingeschränkt ist, kann dies für den behandelnden Arzt die Verpflichtung begründen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich der Patient nach der durchgeführten Behandlung nicht unbemerkt entfernt. Zu diesem Ergebnis ist der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 8. April 2003 (Az: VI ZR 265/02) gekommen.

    Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Patient unterzog sich beim Chefarzt für innere Medizin einer Magenspiegelung. Dabei wurde er vor der Sedierung über die Risiken des invasiven Eingriffs aufgeklärt und belehrt, dass er nach dem Eingriff kein Fahrzeug führen dürfe. Nach Durchführung der Untersuchung verblieb der Mann zunächst eine halbe Stunde im Untersuchungszimmer unter Aufsicht. Danach hielt er sich auf dem Flur vor den Dienst- und Behandlungsräumen des Chefarztes auf, der wiederholt Blick- und Gesprächskontakt zu ihm hatte. Ohne vorher entlassen worden zu sein, entfernte er sich zweieinhalb Stunden später aus dem Krankenhaus und fuhr mit seinem Fahrzeug weg. Kurz danach erlitt er einen tödlichen Verkehrsunfall. Die Angehörigen des Mannes machten nun Schadenersatzansprüche geltend.

    Patient war zwar "home ready", aber nicht "street ready"

    Der BGH meinte, der Chefarzt habe seine bestehende Überwachungspflicht verletzt. Er hätte sicherstellen müssen, dass der Patient das Krankenhaus nach der Magenspiegelung vor seiner Entlassung nicht unbemerkt verlassen konnte. Die Richter betonten, dass die Gefahr einer Selbstschädigung erst durch die vom Chefarzt im Zusammenhang mit dem Eingriff durchgeführte Sedierung und ihre Folgewirkungen entstanden sei, die unter anderem wegen der unstreitig gegebenen Möglichkeit einer anterograden Amnesie und einer längeren Fahruntüchtigkeit für den Patienten gefährlich waren. Der Patient sei wegen der Wirkung des Medikaments zum Zeitpunkt seines Weggehens aus dem Krankenhaus zwar nicht mehr vital gefährdet, aber im Sinne der Fachterminologie nur "home ready", nicht jedoch "street ready" gewesen.  Wegen der Folgewirkungen der Sedierung könne bei dem Patienten - als er das Krankenhaus verließ - eine Bewusstseinstrübung mit Einschränkung der Einsichtsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden.

    Was fordert der Bundsgerichtshof konkret vom Chefarzt?

    Der Chefarzt hätte den Patienten in einem Raum unterbringen müssen, in dem er unter ständiger Überwachung stand und gegebenenfalls daran erinnert werden konnte, dass er das Krankenhaus nicht eigenmächtig verlassen durfte. In Betracht wäre insoweit ein Vorzimmer oder ein besonderes Wartezimmer gekommen, wobei sich die Organisation nach den Möglichkeiten vor Ort richten durfte. Die tatsächlich erfolgte Unterbringung auf dem Flur ohne die Möglichkeit einer ständigen Beobachtung würde nicht ausreichen, um den Patienten daran zu hindern, sich gegebenenfalls unbemerkt zu entfernen und die Gefahr eines selbstgefährdenden Verhaltens auszuschließen. Dass der Patient unbemerkt das Krankenhaus verlassen konnte, weise auf Überwachungsdefizite hin.

    Leserservice: Die Entscheidung ist unter Nr.  031311 abrufbar.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2003 | Seite 2 | ID 96803