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  • 01.03.2003 | Arbeitsrecht

    Die neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Bereitschaftsdienst: Wer hat nun gewonnen?

    von Dr. Guido Mareck, Richter am Arbeitsgericht Iserlohn

    Nachdem sich bereits einige Arbeits- und Landesarbeitsgerichte in der jüngsten Vergangenheit mit dem Thema "Bereitschaftsdienst" beschäftigt haben und zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen (vergleiche "Chefärzte-Brief" Nr.  4/2002), hatte nun auch der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 18. Februar 2003 (Az: 1 ABR 2/02) über die Frage zu entscheiden, ob Bereitschaftsdienste des medizinischen Personals in Krankenhäusern als Arbeitszeit anzusehen sind. Das BAG kam hierbei zum Ergebnis, dass auf Grund der derzeitigen Rechtslage die Richter gezwungen waren, deutsches Recht anzuwenden. Und da das Arbeitszeitgesetz betont, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes - in denen der Arbeitnehmer tatsächlich nicht arbeitet - Ruhezeiten und keine Arbeitszeiten sind, hat der Arbeitgeber vor dem BAG rein faktisch gewonnen. Das Ergebnis ist auch für Juristen zunächst verwirrend, da jede der beteiligten Parteien die Entscheidung als eigenen Erfolg feierte. Versuchen wir, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

    Ausgangspunkt des Streits war eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft

    Kernpunkt der Diskussion war das Problem, ob Vorschriften des deutschen Arbeitszeitgesetzes nicht an der EG-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 vom 23. November 1993 orientiert ausgelegt werden können. Diese Richtlinie begrenzt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden. Darüber hinaus bestimmt sie, dass die Zeiten, während der die Arbeitnehmer im Rahmen des Bereitschaftsdienstes in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers anwesend sein müssen, in vollem Umfang Arbeitszeiten im Sinne der Richtlinie sind. Genau umgekehrt sieht es das deutsche Arbeitszeitgesetz: Insbeson-dere §  5 Abs.  3 und §  7 Abs.  2 Nr.  1 Arbeitszeitgesetz betonen, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich nicht arbeitet, Ruhezeiten und keine Arbeitszeiten sind.

    Richter können geltendes Recht auslegen, niemals jedoch geltende Gesetze aufheben

    Das Landesarbeitsgericht Hamburg (Beschluss vom 13. Februar 2002 - Az: 8 TaBV 10/01), das Arbeitsgericht Kiel (Urteil vom 8. November 2001 - Az: 1 Ca 2113d/01) und das Arbeitsgericht Herne (Urteil vom 11. Dezember 2002 - Az: 2 CA 4373/00) sind dem Wortlaut der EG-Richtlinie gefolgt und haben Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit sowohl im Sinne der genannten Richtlinie als auch im Sinne des deutschen Arbeitszeitgesetzes angesehen. Die Richter des BAG dagegen konnten dieser Ansicht nicht folgen, sondern stellten zunächst einmal deutlich heraus:

    Der Bereitschaftsdienst sei zwar keine Arbeitszeit im Sinne des deutschen Arbeitszeitgesetzes, wohl aber im Sinne der oben genannten EG-Richtlinie. Damit stehen die Bestimmungen der Europa-Richtlinie dem eindeutigen Wortlaut des Arbeitszeitgesetzes entgegen. Und obwohl die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes nicht mit denen der europäischen Richtlinie übereinstimmen, muss derzeit das deutsche Arbeitszeitgesetz Anwendung finden, denn: Würde man den Bereitschaftsdienst ohne Einschränkungen als Arbeitszeit behandeln, hätten die oben genannten Vorschriften des deutschen Arbeitszeitgesetzes keinen Raum mehr. Sie würden von einem Gericht nicht ausgelegt, sondern aufgehoben werden. Ein Gericht darf aber grundsätzlich einen Sachverhalt nur am geltenden Recht auslegen, jedoch niemals Gesetze aufheben. Diese Aufgabe kommt ausschließlich dem Gesetzgeber zu. Daher sind trotz der Unvereinbarkeit mit den Vorgaben der Richtlinie die betreffenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes anzuwenden.

    Die Richter gaben aber auch einen deutlichen Hinweis an die Adresse der Bundesregierung: Eine EG-Richtlinie begründe grundsätzlich die Pflicht für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, diese umzusetzen. Kämen dieser der Umsetzungspflicht nicht nach, seien Sanktionen gegen die jeweiligen Staaten auf europarechtlicher Ebene möglich. Allein im Verhältnis zwischen einem Arbeitnehmer zu einem staatlichen Arbeitgeber käme eine andere Sichtweise in Betracht. Der hier fragliche Arbeitgeber sei hingegen ein Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes und damit eben kein staatlicher Arbeitgeber.

    Auch in einem weiteren Fall konnte das BAG nur zugunsten des Krankenhauses entscheiden

    Auch in einem weiteren Fall (Beschluss vom 18. Februar 2003 - Az: 1 ABR 17/02) hatten die BAG-Richter zu Gunsten des beklagten Arbeitgebers - eines Krankenhauses - entschieden. Hier ging es um die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung, die betriebliche Arbeitszeitregelungen enthält, gegen die Europa-Richtlinie verstößt. Einen solchen Verstoß verneinte der 1. Senat, da eine Betriebsvereinbarung eine bloße Rahmenregelung für konkrete Dienstpläne enthalte und damit eine europarechtskonforme Umsetzung der Betriebsvereinbarung möglich sei.