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  • · Fachbeitrag · Honorarrecht

    Abrechnungsstelle „frisiert“ ärztliche Abrechnungen: Wie reagiert der Chefarzt?

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizin- und Arbeitsrecht, Dr. Tilman Clausen, Hannover, www.spkt.de 

    | Hochaktuell ist eine auffällige Häufung von fehlerhaften Abrechnungen bei einer großen privatärztlichen Abrechnungsstelle. Chefärzte, die wegen des Versprechens der „Optimierung“ Ihrer Abrechnung mit Zustimmung der Klinikleitung dorthin gewechselt waren, geraten nun in Schwierigkeiten. Der Beitrag zeigt anhand eines wirklichkeitsnahen Beispiels, wie der Chefarzt einen Konflikt mit dem Gesetz vermeidet. |

     

    • Musterfall: Die unseriöse Abrechnungsstelle

    Die Leitung eines Großklinikums wechselte vor Jahren zu einer großen Abrechnungsstelle. Diese versprach, die Einnahmen aus Privatliquidationen deutlich zu erhöhen. Der Wechsel zahlte sich zunächst aus: Einnahmen und Erlöse stiegen merklich. Der neue Abrechnungsservice nahm die Abrechnung nicht im Klinikum vor, sondern holte die Akten ab und brachte sie nach erfolgter Abrechnung zurück.

    Ein neu eingestellter, privatliquidierender Chefarzt wechselte auf Wunsch der Klinik nach einigem Zögern ebenfalls zu der genannten Stelle. Nach einigen Monaten erhielt er Post von der zuständigen Landesärztekammer: Patienten hatten sich über die Abrechnungen beschwert, er möge bitte Stellung nehmen.

    Bei Durchsicht der relevanten Krankenakten stellte der Chefarzt fest, dass die Abrechnungsstelle bei OPs mehrfach Ziffern aus dem Gebührenverzeichnis zur GOÄ abgerechnet hatte, die er weder in seinen OP-Berichten dokumentiert noch tatsächlich erbracht hatte. Auch bei den prä- und postoperativen Leistungen waren viele Blutentnahmen und Injektionen abgerechnet worden, die ebenfalls weder von ihm noch seinem ständigen ärztlichen Vertreter erbracht worden waren. Der Chefarzt hatte die Abrechnung dieser Leistungen auch nicht in Auftrag gegeben.

     

    Der Chefarzt wandte sich daraufhin an die Geschäftsleitung sowie an die das Klinikum beratenden Rechtsanwälte und bat um Rat.

    Was soll der Chefarzt tun?

    Von einer Strafanzeige rieten die Rechtsanwälte ab: Da der Chefarzt nur wenige Rechnungen überprüft habe, sei ein individuelles Fehlverhalten eines Angestellten der Abrechnungsstelle nicht auszuschließen. Hinter den Auffälligkeiten müsse kein „System“ stecken. Vor weiteren Überprüfungen sei es für eine Anzeige daher zu früh, zumal staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit regelmäßig keinen Erfolg gehabt hätten. Im Übrigen empfahlen die Anwälte folgende Vorgehensweise:

     

    • Gegenüber der Landesärztekammer soll der Chefarzt erklären, dass seine beanstandeten Abrechnungen korrigiert würden, da hier ein Versehen vorliege. Auf die entsprechenden Gebührenpositionen soll verzichtet und zu unrecht gezahlte Beträge sollten erstattet werden.

     

    • Dem Chefarzt und dem Justiziar - er hatte beim Patientenmanagement seines Hauses von weiteren Beschwerden der nicht liquidationsberechtigten Chefärzte erfahren - wurde empfohlen, die Sache in der Chefarztkonferenz vorzubringen. Dort sei für eine umfassende Aufklärung zu sorgen.

     

    • Zur weiteren Aufklärung werden jeweils 10 bis 20 Privatliquidationen aus dem ambulanten und stationären Bereich gesammelt und mit der dazugehörigen Patientendokumentation an einen unabhängigen Sachverständigen übergeben. Dieser prüft die Abrechnungen und fertigt ein Gutachten. Das weitere Vorgehen wird je nach dem Ergebnis der Prüfung erfolgen.

     

    • Strafrechtliche Konsequenzen für die Vergangenheit sind für den betroffenen Chefarzt, das Klinikum und die anderen dort tätigen Chefärzte nicht zu befürchten, da man von Verdachtsmomenten erst jetzt Kenntnis erlangt hat und der Abrechnungsbetrug Vorsatz voraussetzt. Sofern sich bei einer umfassenden Überprüfung die Substanz der Vorwürfe aber bestätigt, muss sofort reagiert werden, so die Rechtsanwälte des Krankenhauses.

    Überprüfung der Vorwürfe gegen die Abrechnungsstelle

    Nachdem das Thema in der Chefarztkonferenz angesprochen und intensiv diskutiert worden war, beauftragte die Geschäftsführung des Krankenhauses einen unabhängigen Sachverständigen mit der Prüfung der Vorwürfe. Hierzu übergab die Klinikleitung dem Gutachter jeweils etwa 20 ambulante sowie 20 stationäre Abrechnungen aus drei Fachbereichen mit den zugehörigen Patientendokumentationen. Wegen der ärztlichen Schweigepflicht waren die Patientendaten zuvor anonymisiert worden.

     

    Das Gutachten beanstandete die allermeisten überprüften Abrechnungen. Es stellte unter anderem Folgendes fest:

     

    • Es wurden in fast allen Abrechnungen der Abrechnungsstelle ärztliche Leistungen ohne Dokumentation berechnet.

     

    • Zahlreiche ärztliche Leistungen wurden berechnet, bei denen die Voraussetzungen der Abrechnung nicht dokumentiert waren, etwa die persönliche Leistungserbringung durch den Chefarzt oder seinen Vertreter.

     

    • Analogziffern wurden angesetzt, die weder von den Ärztekammern noch einem ärztlichen Berufsverband empfohlen werden und für deren Berechnung keine nachvollziehbare Begründung erkennbar ist.

     

    • Ärztliche Leistungen wurden im Zusammenhang mit anderen Leistungen berechnet, obwohl diese nach den allgemeinen Bestimmungen des Gebührenverzeichnisses nicht gemeinsam berechenbar sind.

     

    • In vielen Fällen wurden ärztliche Leistungen selbstständig berechnet, obwohl sie neben anderen, ebenfalls abgerechneten ärztlichen Leistungen keine selbstständige Leistung darstellen und somit von der Abrechnung ausgeschlossen sind.

     

    Die richtige Reaktion gegenüber der Abrechnungsstelle

    Nach Vorlage des Gutachtens weisen die Rechtsanwälte darauf hin, dass der konkrete Verdacht besteht, dass die Abrechnungsstelle die Rechnungen des Klinikums systematisch „optimiert“, zumal sie ihre Gebühren nach den abgerechneten Summen erhebt und nicht nach den Beträgen, die das Klinikum tatsächlich einnimmt. Bei der Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen mit der Abrechnungsstelle müssten Chefarzt und Klinikum mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rechnen, da das Gutachten die seltsamen Abrechnungspraktiken aufgedeckt hat und die Beteiligten somit „bösgläubig“ sind.

     

    Kündigung des Vertrags mit der Abrechnungsstelle

    Eine ordentliche Kündigung des Vertrages mit der Abrechnungsstelle, so die Anwälte, könne nur empfohlen werden, wenn keine Verpflichtung besteht, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Privatliquidation weiter über die Abrechnungsstelle laufen zu lassen. Die in dem Beispielfall geschlossenen Verträge ließen ein sofortiges Ende der Geschäftsbeziehung durch eine ordentliche Kündigung jedoch zu, weshalb diese ausgesprochen wurde.

     

    Fristlose Kündigung des Vertrags?

    Eine fristlose Kündigung ist somit nicht notwendig. Sie hätte zudem den Nachteil gehabt, dass das Risiko eines Gerichtsprozesses entstanden wäre, bei dem der Chefarzt seine Vorwürfe - möglicherweise unter heftiger Gegenwehr der Abrechnungsstelle - detailliert hätte belegen müssen.

     

    Vorlage des Gutachtens bei der Abrechnungsstelle?

    In der Chefarztkonferenz fragten einzelne Chefärzte nach der Möglichkeit, die Abrechnungsstelle mit dem Gutachten zu konfrontieren und sie aufzufordern, zukünftig korrekt abzurechnen. Von dieser Vorgehensweise rieten die Anwälte ausdrücklich ab, da man die Abrechnungen der Abrechnungsstelle in der Folgezeit mit erheblichem Aufwand überprüfen müsse. Dies habe einen enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand zur Folge.

    Vorsicht bei erbetener „Nach-“Dokumentation!

    Einzelnen Chefärzten war von der Abrechnungsstelle durch die Blume vorgeschlagen worden, auch Leistungen zu dokumentieren, die gar nicht erbracht worden waren, um diese abrechnen zu können. Die Rechtsanwälte betonten jedoch: Die Dokumentation tatsächlich nicht erbrachter ärztlicher Leistungen überschreitet wohl die Grenze zum strafbaren Verhalten. Ein Arzt, der auf Empfehlung seiner Abrechnungsstelle ärztliche Leistungen dokumentiert, die er tatsächlich gar nicht erbracht hat, setzt sich dem Risiko aus, wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges belangt zu werden. Er macht sich zudem gegenüber seiner Abrechnungsstelle erpressbar, so die Anwälte.

     

    FAZIT | Der geschilderte Fall hat sich in der Realität nicht wie im Beispiel, aber so ähnlich abgespielt, wobei der Verfasser das betroffene Klinikum beraten hat. Er ist ein Lehrbeispiel dafür, welche Risiken Chefärzte bei der Wahl von falschen Abrechnungsstellen eingehen und wie diese Fehlgriffe behoben werden können.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 1 | ID 38081040