· Fachbeitrag · Interview
DNEV-Chef Michael Daschner: Übernahme freier Dialyse-Praxen durch Konzerne bedroht die Qualität der Patientenversorgung
| Die Senkung der Wochenpauschalen für Dialysen bedroht die Existenz freiberuflicher Nephrologen. Sie haben wenig Möglichkeiten, die laufenden Kosten ihrer Praxen zu reduzieren. Der Verband Deutsche Nierenzentren (DNEV) versucht gegenzusteuern, um die ärztliche Dienstleistung weiterhin auf hohem Niveau sicherzustellen. Der Vorstandsvorsitzende des Verbands, Michael Daschner, erläutert im Gespräch mit dem ChefärzteBrief die aktuellen Strategien. |
Frage: Die Gestaltung der Vergütungen für Dialysebehandlungen macht es Nephrologen schwer, ihre Dienstleistungen flächendeckend anzubieten. Worauf ist die Tendenz zurückzuführen?
Antwort: Wir haben glücklicherweise in Deutschland aktuell eine flächendeckende, ambulante nephrologische Versorgung. Durch die immer größeren bürokratischen Anforderungen an die Ärzte, die in erster Linie immer noch Mediziner und nicht Unternehmer sind, gestaltet sich die Nachfolgeregelung jedoch in einigen Regionen als sehr schwierig. Die Senkung der Dialysewochenpauschale im Jahr 2013 haben einige Industrieanbieter augenscheinlich genutzt und die Ärzte mit Angst vor einer unsicheren Zukunft und einem lukrativen Angebot zum Verkauf ihrer Praxis zu bewegen.
Frage: Wie sollten sich Nephrologen unter diesen Bedingungen am besten positionieren?
Antwort: Auf dem Deutschen Ärztetag 2018 in Erfurt hat sich ein deutliches Bild abgezeichnet: Die Ärzteschaft möchte gemeinsam und zielgerichtet auf den vorherrschenden Status quo und die omnipräsente Sorge um die zunehmende Industrialisierung und Konzernbildung in der ambulanten nephrologische Versorgung aufmerksam machen. Die Entschließungsanträge des Deutschen Ärztetages im Mai 2018 zum Thema „Industrialisierung“ und „Freiberuflichkeit statt Konzernbildung ‒ Im Interesse der Patienten“ wurden vom Ärzteparlament dort bereits verabschiedet. Unter den heute oftmals erschwerten Bedingungen im Praxisalltag ist es wichtig, dass gerade in der Position des Freiberuflers das ärztliche Ethos im Vordergrund steht und unsere Arbeit nicht durch immer neue Auflagen zunehmend erschwert wird. Es muss im Interesse des Patienten gehandelt werden, und dafür stehen wir als freiberufliche und unabhängige Nephrologen.
Frage: Eine weitere Befürchtung richtet sich darauf, dass Industrieunternehmen zunehmend als Anbieter von Dialyse auftreten. Worin besteht nach Ihrer Ansicht das Risiko?
Antwort: Das stimmt, zunehmend werden medizinische Versorgungszentren durch den Aufkauf von Vertragsarztsitzen durch privatwirtschaftlich organisierte Konzerne gegründet und treten dann als Anbieter von Dialyse auf. Wir sehen vor allem das Risiko darin, dass die Qualität der Patientenversorgung in diesen Zentren sinkt und die Wahlfreiheit so für Patientinnen und Patienten regional eingeschränkt wird oder sogar verloren geht. Eine Dialyse ist für uns niedergelassene Ärzte kein industrielles Massenprodukt. Die Behandlung schwerstkranker, multimorbider Patienten mit all ihrer Komplexität steht im Vordergrund. Die Dialyse macht dabei ja auch nur einen Teil unserer Arbeit aus. In der Sprechstunde behandeln wir Patienten, die noch nicht dialysepflichtig sind und versuchen die Dialysepflicht so lange wie möglich hinauszuzögern. Das Personal bildet in der Dialyse den größten Kostenfaktor. Sie können sich eine Dialyse-Einheit wie ein mittelständisches Unternehmen vorstellen, mit bis zu 100 Angestellten. Ein Dialysepatient ist einen Großteil seiner wachen Lebenszeit in einer Dialysepraxis, er wird meist dreimal pro Woche für etwa vier Stunden dialysiert. Wichtig für sein Wohlbefinden ist dabei auch der zwischenmenschliche Aspekt, der Kontakt zu seinem behandelnden Arzt und zu den Schwestern. Wir hören immer wieder, dass in Industrie-MVZ die Ärzte häufig wechseln und die Pflegekräfte, um Kosten einzusparen, nicht ausreichend Zeit für die Patienten haben. In den USA zeichnet sich bereits ein erschreckendes Bild ab, dort ist der Arzt in industriellen Zentren teilweise gar nicht mehr anwesend, oder übernimmt lediglich eine Alibi-Funktion.
Frage: Wieso erkennt die Industrie hier ein attraktives Geschäftsfeld ‒ obwohl die Nephrologen selbst in Bedrängnis sind?
Antwort: Durch ein Gutachten, das unser Berufsverband in Auftrag gegeben hat, konnte die ursprünglich geplante zweite Senkung der Dialysewochenpauschale abgewendet werden. Industrieunternehmen haben natürlich durch ihre zentrale Verwaltung Synergieeffekte im Bereich Einkauf, Marketing, Vertrieb und Personalplanung. Die immer größer werdende Anzahl an bürokratischen Gängelungen wird dort dem Arzt, der in einer Industriepraxis nur noch angestellt ist, abgenommen. Das ist sicher im ersten Moment für einen Arzt, der verkauft, attraktiv. Allerdings gehen dem Arzt mit dem Verkauf auch alle Vorteile der Selbstständigkeit verloren. Wir erleben oft, dass es die Seniorpartner in Praxen sind, die sich zu einem Verkauf entscheiden und dann die Praxis auch verlassen. Die Juniorpartner merken schnell, dass das Arbeiten als angestellter Arzt, gerade bei einer Industrie-Praxis, ein anderes ist.
Frage: Welche Vorteile bieten niedergelassene Nephrologen den Patienten im Vergleich zu den hier tätigen Industrieunternehmen und wie können sie ihre Wettbewerbsvorteile bzw. die Qualität der Versorgungen sichtbar machen?
Antwort: Unser Motto lautet: Wir behandeln Menschen, keine Krankheiten. Deshalb stehen die Patienten, ihre Familien und Angehörigen sowie ihre individuellen Bedürfnisse bei den Behandlungsansätzen im Mittelpunkt. Dadurch, dass ein Patient so häufig bei der Dialyse ist, übernimmt der Nephrologe meist auch die Funktion des Hausarztes ‒ denn viele Krankheiten hängen mit einer Nierenerkrankung zusammen. Wir haben ein Logo entwickelt, das diese besondere Qualität einer freien nephrologischen Praxis nach außen zeigen und den Patienten auf die inhabergeführte Praxis aufmerksam machen soll. Es soll dem Patienten vermitteln: Beim niedergelassenen Nephrologen mit eigener Praxis und Dialysezentrum sind Sie in guten Händen. Hier ist der Arzt selbst Eigentümer des Nierenzentrums und sorgt für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen.
Frage: Haben Sie aktuell eine Strategie, den Problemen wirksam zu begegnen? Wie sieht sie aus?
Antwort: Zusätzlich zum oben erwähnten Patientenlogo unterstützt unsere Tochtergesellschaft, die DIALAID GmbH, Praxiseinsteiger sowie Praxisabgeber bei der Gestaltung der Verträge. Über unseren Stellenmarkt bringen wir erfolgreich Ärzte zusammen und konnten so schon zahlreiche Praxisübergänge von Arzt zu Arzt ermöglichen. In Seminaren machen wir die jungen Einsteiger fit für die Bereiche Abrechnung, Praxismanagement und Personalführung. Zudem bieten wir mit unserem DN-Kompetenz-Netzwerk zahlreiche Services für Mitglieder an, etwa eine Einkaufsgemeinschaft oder eine zentrale Beschaffungsstelle für Arzneimittel, die den Ärzten die Arbeit erleichtern.
Frage: Was fordern Sie von der Politik?
Antwort: Von der Politik wünschen wir uns eine stärkere Unterstützung der niedergelassenen Ärzte. Durch die Regelung in § 95 SGB V , welche die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) seit dem Jahr 2012 auch Nicht-Ärzten ermöglicht, wurde der Markt für Kapitalinvestoren geöffnet, die auch aus dem Ausland kommen. Wir fordern, dass die aktuell noch sehr gute gesundheitliche Versorgung in Deutschland dadurch nicht gefährdet wird. Es darf nicht zu einer Monopolbildung durch Industrie-Anbieter in der ambulanten nephrologischen Versorgung kommen.