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  • · Fachbeitrag · Interview

    „Mit sich selber in Kontakt zu gehen ‒ das ist die Hauptübung, um gesund zu bleiben!“

    | Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin Dr. med. Christina Petersen aus Eutin beschäftigt sich neben ihrer Tätigkeit als angestellte Ärztin intensiv mit den Themen „Intuitive Gesundheit“ und Arztgesundheit. Zu diesen Themen interviewt sie regelmäßig Kolleginnen und Kollegen und veröffentlicht die Interviews in ihrem „Healthy Docs Podcast“. In Folge 82 sprach sie mit Prof. Dr. med. Angela Geissler darüber, wie man als Chefärztin gesund führen kann. Das komplette Interview können Sie auf der Website https://intuitiv-gesund.de hören (Shortlink direkt zum Podcast: ogy.de/ye8y ) |

     

    Tina Petersen: Wie geht es den Ärzten? Sind Ärzte „unkaputtbar“?

     

    Angela Geissler: Sagen wir mal so. Auch da ist ein Wandel erkennbar. Ich bin ja noch aufgewachsen in der Generation „Ein Arzt ist unkaputtbar.“ Ich habe 36-Stunden-Dienste gemacht, eine Nacht geschlafen und einen neuen 36-Stunden-Dienst gemacht. Erstaunlicherweise geht das und das Medizinstudium ist ja eine krasse Selektion, was physische und psychische Belastbarkeit angeht. Aber wir sind nicht unkaputtbar! Und in den Spiegel zu gucken und mal zu überlegen „Wie geht es mir eigentlich?“, ist total sinnvoll.

     

    Petersen: Der Druck auf den einzelnen Arzt hat stetig zugenommen.

     

    Geissler: Klar, wir kriegen immer mehr Druck. Wir sollen immer mehr leisten. Es gibt eine immer stärkere Arbeitsverdichtung. Und dann muss man irgendwann überlegen, wie komme ich da raus? Ich habe angefangen zu meditieren, was viel Zeit gekostet hat am Tag. Das total Witzige daran war, dass ich plötzlich Zeit übrighatte. Dadurch, dass ich mich um mich gekümmert habe, haben sich die Prioritäten verschoben. Beim Thema Arztgesundheit ist es ja immer so, dass man bestimmte Rahmenbedingungen einfordert. Man sagt: Ernähre dich gesund, beweg dich, schlaf ausreichend usw. Aber wir alle wissen: So einfach geht das nicht im Krankenhaus, auch nicht in der Praxis. Manchmal ist da kein Schlaf. Manchmal ist das nix mit Bewegung. Aber diese äußeren Faktoren sind eigentlich nur ein kleiner Teil. Dieses Innere, selber zu akzeptieren, wer man ist, selber zu erkennen, was man ist, das ist eigentlich der viel größere Part. Und dann merkt man auch, wenn es einem nicht gut geht, dass man Urlaub braucht oder ein verlängertes Wochenende.

     

    Petersen: Was war das Ergebnis dieser veränderten Selbstwahrnehmung?

     

    Geissler: Wenn ich eine Umgebung habe, ein Krankenhaus, in dem nur Druck herrscht, in dem die Chefs diesen Druck voll weitergeben, dann werden die Mitarbeiter auch krank und heutzutage kündigen sie einfach. Durch meine veränderte Selbstwahrnehmung bin ich wesentlich entspannter durch den Tag gegangen und bei mir hat sich in der Abteilung ganz viel verändert. Die Mitarbeiter sind plötzlich entspannter, weil die Chefin entspannter ist.

     

    Petersen: Was heißt das für die Arztgesundheit im Klinikalltag?

     

    Geissler: Ich bin in einer Notaufnahme, ich merke, ich kann nicht mehr, ich setze mich hin und sage einfach „Okay, ich kann nicht mehr. Ich muss jetzt einfach zehn Minuten Pause machen.“ Alleine diese Tatsache zu akzeptieren, verändert etwas. Und es geht dann plötzlich, die Arbeit ist die gleiche, der Stress ist der gleiche, die Notaufnahme ist immer noch voll, aber ich habe einen eigenen inneren Punkt gefunden und plötzlich geht es besser. Dieses „Selber für sich die Verantwortung nehmen, Dinge zu akzeptieren auch selber die Grenzen zu erkennen“, ist ein total schwieriger Weg. Aber damit fängt es an.

     

    Petersen: Das hätte ich damals gebraucht, dass jemand zu mir gesagt hätte, setz dich mal kurz 5 Minuten, mach mal kurz die Augen zu, dann geht es wieder. Ich habe das nie gemacht, ich habe immer weitergemacht. Aber das ist so wichtig, dass das jemand von oben sagt, dass es jemand von oben vormacht.

     

    Geissler: Die Mind-Body-Medizin ist ein schöner erster Schritt und man kann den Mitarbeitern etwas mitgeben, was über die reine fachbezogene Ausbildung hinausgeht. Und das ist auch etwas, was mir zurückgespiegelt wird von den Ärzten: dass sie viel mitgenommen haben, was über die Radiologie hinausgeht, was für sie selber wichtig ist. Weniger dadurch, dass sie jetzt meditieren. Also ich meditiere nicht mit meinen Mitarbeitern, manche tun das. Aber ich finde das irgendwie ein bisschen seltsam. Aber alleine, weil da jetzt ein offener Raum existiert, dass man ihnen immer wieder erzählt, was man macht, das verändert schon was für die Mitarbeiter.

     

    Petersen: Was tun Sie persönlich für Ihre Gesundheit außer Meditation?

     

    Geissler: Ich treibe Sport, ich meditiere, schaue, dass ich mich gesund ernähre und versuche immer wieder, aus dem Scheitern aufzustehen, zu lernen und loszulassen. Zu akzeptieren, dass Dinge nicht immer so sind, wie man sie erwartet. Ich glaube, das ist für die eigene Gesundheit super wichtig, und die schwierigste Übung: Einfach loszulassen. Gerade, wenn man in einer Führungsposition ist. Nicht so blöde: Wenn du loslässt, hast du jetzt zwei Hände frei. Da gibt es ja tausend Bücher. Das ist so nicht. Das ist ein nicht Anhaften, jeden Moment mit neuen Augen auf die Dinge zu schauen und auch die eigenen Verstrickungen zu erkennen. Und das ist eben für die eigene Gesundheit wichtig, sonst hat man immer Bluthochdruck, ist immer im Stress und man nimmt die eigene Gesundheit, die eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahr.

     

    Petersen: Aber das ist das Schwierigste überhaupt, oder?

     

    Geissler: Es mit sich selber auszuhalten und mit sich selber in Kontakt zu gehen. Das ist die Hauptübung, um gesund zu bleiben. Sonst spüre ich gar nicht, wenn ich krank bin oder wenn mir was fehlt. Und ich kann es nicht erkennen und nicht benennen. Ich habe ein paar Wochen ein Sabbatical gemacht und ein Mitglied unserer Geschäftsführung sagte: „Finde ich ja toll, dass Sie das machen. Also ich würde es kein Wochenende mit mir alleine aushalten.“ Und das ist der Punkt, da könnten wir viel machen. Wenn wir uns klar werden, was für uns selbst richtig ist. Und der Impact für die Patienten wäre gigantisch.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 4 | ID 46080532