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  • · Fachbeitrag · Interview

    Prof. Dr. Jochen A. Werner: „Die Digitalisierung ist ein Enabler für die Menschlichkeit!“

    | „Digitalisierung im Krankenhaus aus der Sicht eines Klinikdirektors und Vorstandsvorsitzenden.“ So lautet der Titel des Vortrags von Prof. Dr. med. Jochen A. Werner beim 5. IWW-Kongress „Chefarzt heute“ am 15.05.2020 in Dortmund ( chefaerzte-kongress.de ). Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Ärztin für TCM Dr. med. Christina Petersen aus Eutin sprach mit Prof. Werner darüber, wie man die Digitalisierung in der Medizin vorantreiben und für mehr Menschlichkeit nutzen kann. Dr. Petersen interviewt regelmäßig Kolleginnen und Kollegen und veröffentlicht die Interviews in ihrem „Healthy Docs Podcast“, zu finden auf der Website intuitiv-gesund.de , auf der auch das komplette Interview zu hören ist (Shortlink zum Podcast: ogy.de/51cq ). |

     

    Dr. Petersen: Prof. Werner, Sie sind ein Vorreiter in puncto Digitalisierung in der Medizin. Wie schafft man die digitale Transformation zum Smart Hospital und nimmt dabei die Menschen mit?

     

    Prof. Werner: Es ist ganz wichtig, dass man mit allen Beteiligten über das Thema spricht. Dass man nicht irgendwelche Pläne in der Schublade hat und dann Anordnungen trifft. Dann gibt es wenig Bereitschaft für Veränderung. Weil all die Personen, die im Krankenhaus arbeiten, schon so viel an Veränderungsversuchen erlebt haben, sind sie ermüdet davon. Wir müssen also die Bereitschaft erzeugen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Veränderung mit einer gewissen Freude begleiten. Dann kann man die Technologien einführen und sie werden auch gerne angenommen. Und deswegen ist dieser Punkt nicht zu unterschätzen. Denn dieser große Change, das ist ein Kulturwandel. Und nur wenn wir alle zusammen mit gutem Vorbild vorangehen, schaffen wir das. Und natürlich wird die Menschlichkeit durch die Digitalisierung zunehmen, wenn wir es richtig anstellen. Neudeutsch würde man sagen: „Die Digitalisierung ist ein Enabler für die Menschlichkeit.“ Also sie ermöglicht das letztlich, nur wir müssen es natürlich mit Sinn und Verstand machen.

     

    Dr. Petersen: Erleben Sie denn am Universitätsklinikum Essen eine Bereitschaft, die Veränderung mitzumachen?

     

    Prof. Werner: Es gibt ganz viele Personen, die wie umgewandelt sind, die wirklich mit Freude mitmachen. Andere sind skeptisch oder haben „keine Lust mehr dazu“. Wir setzen auf diejenigen, die wollen. Die unterstützen wir auch sehr. Bei den anderen versuchen wir, Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber wir warten nicht mit dem Losgehen, bis alle überzeugt sind. Wir haben einen Lenkungsausschuss aus dem Personal heraus gegründet, der das ganze Thema „Smart Hospital“ nach vorne treibt, also eine intrinsische Bewegung. Und das ist auch eines unserer Erfolgskonzepte. Aber das wird natürlich auch alles dauern und ich kann mich im Moment nicht so sehr mit all den Bedenkenträgern auseinandersetzen. Hier geht es um ein ganzes Klinikum!

     

    Dr. Petersen: Sehen Sie durch die Digitalisierung auch Potenzial für die poststationäre Versorung zu Hause, nach dem Klinikaufenthalt?

     

    Prof. Werner: Unbedingt. In meinen Augen müssen wir einen superengen Schulterschluss mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit dem ambulanten Pflegedienst entwickeln. Das ist das, was ich unter Smart Hospital verstehe: eine Plattform, auf der sich die Niedergelassenen, der ambulante Sektor, die Physiotherapeuten, Logopäden, Krankenhausärzte usw. ganz intensiv austauschen. Die Zeit ist reif dafür! Viele wollen das und deswegen wird das der Weg sein. Wir dürfen ihn uns nicht zerreden lassen und warten, bis die Politik irgendwas hinzaubert und dann wird das gemacht. Besser, wir machen uns selbst auf den Weg.

     

    Dr. Petersen: Was ich ganz toll finde, ist, dass Sie sich den jungen Leuten und der Veränderung öffnen. Waren Sie schon immer so?

     

    Prof. Werner: Als Arzt bin ich in einer klar hierarchischen Struktur aufgewachsen, das war damals so. Das hat man auch nicht groß beklagt. Und wenn man in einer solchen Struktur aufwächst, dann spürt man natürlich gar nicht mehr, wenn man sie so weiterlebt. Und als ich selbst Klinikdirektor in Marburg wurde, da ging es schon klar zur Sache. Und da war ich sicher an der einen oder anderen Stelle auch zu streng und habe bestimmte Dinge nicht gut toleriert. Aber man lernt natürlich und ich habe eine Entwicklung durchgemacht. Ich glaube, es hat sich ganz viel verändert. Die heutige Generation bringt ihre Wünsche vor (Stichwort „Work-Life-Balance“), die man früher nicht gewagt hätte vorzubringen. Und ich kann doch nicht sagen, dass das früher alles besser war. Bei mir war es so: Ich kam meisten erst so um sieben irgendwie nach Hause, dann habe ich kurz was gegessen und dann bin ich wieder in die Klinik gefahren. Und das ist natürlich keine super Situation. Das kann man sich alles gutreden. Habe ich damals auch getan. Aber es war nicht gut. Es gibt so viel in der Familie zu tun: sich um die Eltern, die Großeltern ein bisschen mehr zu kümmern, das ist in Deutschland nicht besonders weit entwickelt. Und vor dem Hintergrund finde ich, kann man sagen, was man denkt. Ich tu es jedenfalls. Weil, wenn ich es nicht sage, wer soll es dann tun?

     

    Dr. Petersen: Ärzte arbeiten oft am Limit. Wie ist Ihr Eindruck dazu?

     

    Prof. Werner: Ganz viele arbeiten wirklich sehr, sehr viel. Manchmal zu viel. Und deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dass Chefärztinnen und Chefärzte mit darauf achten und sagen: „Pass auf, jetzt ist gut, jetzt geh mal nach Hause“. Denn am Schluss geht es darum, dass die Menschen gesund bleiben. Überall! Wir können uns ja nicht nur um andere kümmern, damit sie gesund werden, sondern müssen uns darum kümmern, dass die Mitarbeiterschaft in einem Krankenhaus gesund bleibt. Da tun wir zu wenig, das steht außer Frage. Deswegen glaube ich: Wenn wir uns das alle vornehmen und jeder so in seinem Bereich versucht, auch mit den unmittelbaren Arbeitskolleginnen und -kollegen ein bisschen positiver umzugehen, ein bisschen auf sie zu achten, sie auch mal nach Hause zu schicken oder zu sagen, ich mache das heute für dich. Da ist noch so viel Luft nach oben. Wir könnten ganz vieles neu entdecken und hätten viel mehr Freude aneinander.

    Quelle: Ausgabe 03 / 2020 | Seite 17 | ID 46258484