· Fachbeitrag · Mutterschutz
„Schwangere Chirurginnen haben oft Angst, benachteiligt zu werden!“
| Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) soll Mutter und Kind vor Gefahren, Überforderung und Gesundheitsschädigung am Arbeitsplatz ebenso wie vor finanziellen Einbußen und dem Verlust des Arbeitsplatzes schützen. Das klappt im Gesundheitswesen nicht immer. So die Autorinnen des Positionspapiers „Operieren in der Schwangerschaft“ (Initiative OPidS, opids.de ) der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie in Zusammenarbeit mit dem Perspektivforum Junge Chirurgie. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit der Autorin Dr. med. Maya Niethard, Leitende Oberärztin Tumororthopädie am Helios Klinikum Berlin-Buch und Leiterin der Initiative OPidS ( iww.de/s11113 ). |
Frage: Frau Dr. Niethard, von den 1.000 bis 1.500 Ärztinnen, die jährlich in Deutschland schwanger sind, arbeiten viele im Krankenhaus und sind dort in der Weiterbildung. Was bedeutet eine Schwangerschaft für sie?
Antwort: Viele Kolleginnen werden in ihrem Weiterkommen erheblich ausgebremst. Durch die Schwangerschaft droht oft ein Beschäftigungsverbot. Das führt zum Verlust von Weiterbildungszeit, weil eine Schwangerschaft dann nicht auf die Weiterbildungszeit angerechnet wird. Zudem können die Kolleginnen dann weder interventionelle noch chirurgische Fähigkeiten erwerben oder die geforderten Eingriffe für ihren OP-Katalog erbringen.
Frage: Würden Sie das Beschäftigungsverbot bitte noch näher erläutern?
Antwort: Es ist zwischen dem ärztlichen und dem betrieblichen Beschäftigungsverbot zu unterscheiden. Beim ärztlichen Beschäftigungsverbot geht es um die Gesundheit der Schwangeren und ob medizinische Einschränkungen gegen das Weiterarbeiten sprechen. Im Gegensatz dazu beleuchtet das betriebliche Beschäftigungsverbot den Arbeitsplatz an sich. Es auszusprechen, hat auch finanzielle Anreize. Eine Schwangere wird im Beschäftigungsverbot über das Umlageverfahren von der Krankenkasse weiterbezahlt. Der Arbeitgeber kann jemanden als Ersatz einstellen, der z. B. am Dienstsystem teilnimmt. Das mag während der Weiterbildung gut funktionieren, in höheren Positionen ist es sehr schwierig.
Frage: Frauen sind nicht gesetzlich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Schwangerschaft mitzuteilen. Ärztinnen verschweigen sie sogar nicht selten so lange wie möglich. Warum?
Antwort: Aus Angst, als Schwangere benachteiligt zu werden. Wer sich für die Chirurgie entscheidet, möchte operativ tätig sein. Die intrinsische Motivation, auch während der Schwangerschaft zu operieren, ist sehr hoch. Wird der Arbeitsplatz OP untersagt, kommt die schwangere Ärztin beruflich nicht weiter. Auch der berufliche Aufstieg und das Gehalt stehen hinten an. Eine Oberärztin verliert plötzlich ihren chirurgischen Bereich, in dem sie Verantwortung trägt. Das sind krasse Einschränkungen, die viele dazu verleiten, ihre Schwangerschaft nicht bekannt zu geben und auf sinnvolle Schutzmaßnahmen zu verzichten.
Frage: Solange Ärztinnen ihre Schwangerschaft nicht dem Arbeitgeber melden, fallen sie nicht unter das MuSchG. Wie können Sie Frauen motivieren, ihre Schwangerschaft anzuzeigen?
Antwort: Man muss das Mutterschutzgesetz an den aktuellen Wissensstand in der Medizin anpassen. Es ist von 1952. Damals gab es kaum Frauen in der Chirurgie. Heute können wir chirurgische Arbeitsplätze unter Berücksichtigung der Vorgaben im Mutterschutzgesetz sicher umgestalten. Das setzt voraus, nicht emotional, sondern sachlich die individuellen Gefährdungen am Arbeitsplatz auch wirklich individuell zu betrachten. Der Arbeitsplatz einer Augenchirurgin hat andere Gefährdungen als der einer Unfallchirurgin. Ist der Arbeitsplatz individuell angepasst, wird auch die Schwangere bereit sein, ihre Schwangerschaft bekannt zu geben.
Frage: Dann lassen Sie uns das am Beispiel der Orthopädie- und Unfallchirurgin durchspielen. Was müsste sich ändern?
Antwort: Die Unfallchirurgie ist etwas risikobehafteter als die Orthopädie. Die drei großen Risiken, die jeweils immer wieder genannt werden, sind das Infektionsrisiko beim Kontakt mit Blut, Narkosegase und Röntgenstrahlen. Alle Risiken lassen sich ausräumen: Elektive Patienten können vor der OP auf Hepatitis C und HIV getestet werden. Es ist sehr gut möglich, Narkosegase durch intravenöse und zusätzliche regionale Anästhesie zu ersetzen, ohne Patienten zu gefährden. Beim Röntgen kann fast immer der Kontrollbereich oder vielleicht sogar der OP-Saal verlassen werden. Ob das künftig zwingend notwendig sein muss, sollte von der Schwere des Eingriffs und dem Verletzungsrisiko abhängen. Es gibt für alles eine Lösung, wenn man sich Gedanken macht.
Frage: Diese Anpassungen bringen für die Abteilung zusätzliche Arbeit mit sich. Welche Erfahrungen machen Sie mit Chefärztinnen und Chefärzten?
Antwort: Vor zehn Jahren machten sich noch relativ wenige von ihnen Gedanken. Das hat sich erfreulicherweise geändert. Weil Frauen auch in der Chirurgie nachkommen und führende Positionen häufiger besetzen, fragen sich Chefärzte oder Chefärztinnen zunehmend häufiger, ob sie auf eine Kollegin während ihrer Schwangerschaft verzichten möchten. Der Wille, Arbeitsplätze für Schwangere sicher zu gestalten und gut ausgebildete Chirurginnen als wertvolle Arbeitskräfte zu halten, ist auch vor dem Hintergrund der dünnen Personaldecke deutlich gestiegen. Es ist eine Investition in die Zukunft. Denn 60 Prozent der Medizinstudierenden sind Frauen. Für Sommer dieses Jahres planen wir die Veröffentlichung eines fachübergreifenden Konsensuspapiers von 14 chirurgischen Fachgesellschaften. Ein Nachschlagewerk, in dem Operationen aufgeführt werden, die von den Fachgesellschaften als sicher für Schwangere eingestuft werden. Das Risiko einer Operation wird somit aus der Sicht derer beurteilt, die täglich an diesem Arbeitsplatz tätig sind.
Frau Dr. Niethard, vielen Dank für das Gespräch!