· Fachbeitrag · Organisation/Haftung
„Ihre Abteilung hat genug Ärzte“: So begegnet der Chefarzt den Argumenten der Klinikleitung
von Marc Rumpenhorst, Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Medizinrecht, Kanzlei Klostermann pp., Bochum, www.klostermann-rae.de
| Kliniken leiden unter Ärztemangel. Zum Teil beruht fehlendes ärztliches Personal jedoch auf unterschiedlichen Vorstellungen von Klinikleitung und Chefarzt darüber, wie viele Stellen der Stellenplan vorsehen muss. Wie kann der Chefarzt reagieren, wenn die Klinikleitung seine Hinweise abtut und ihm „vorrechnet“, dass seine Abteilung genügend Ärzte hat? |
Patientenversorgung vs. Arbeitszeiten
Der Chefarzt sitzt in der klassischen Zwickmühle kollidierender Pflichten: Einerseits muss er eine adäquate Patientenversorgung gewährleisten, andererseits - sofern vereinbart - ist er verantwortlich dafür, dass die gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitszeit eingehalten werden. Dabei muss der Klinikträger das „erforderliche“ Personal zur Verfügung stellen, das innerhalb der arbeitszeitgesetzlichen Höchstgrenzen diese adäquate Versorgung gewährleistet. Heftig umstrittene hierbei: Wie viele Ärzte sind konkret nötig?
PRAXISHINWEIS | Selbst ohne konkrete Personalberechnung sollte der Chefarzt dem Krankenhausträger - schriftlich! - mitteilen, wenn die vereinbarten Arbeitszeiten oder sogar die arbeitszeitgesetzlichen Höchstgrenzen in seiner Abteilung ständig überschritten werden. Mit der Mitteilung sollte er die Klinikleitung zugleich auffordern, dass diese für eine ausreichende Personalstärke im Bereich des ärztlichen Dienstes sorgt. |
InEK-Kostenmatrix
Der Krankenhausträger verweist in diesen Fällen nicht selten auf die vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kalkulierten Kosten je Fallpauschale. Die DRG-Vergütung beruht auf Daten von etwa 250 „Referenzkrankenhäusern“, die für sämtliche ihrer Behandlungsfälle je Fallpauschale ermittelt haben, welche Kosten für die jeweilige Behandlung entstanden sind. Diese Kosten werden in elf Kostenbereiche nach Station, OP-Bereich, Anästhesie, Radiologie etc. sowie in zehn Kostenarten unterteilt. Die Kostenarten werden dabei nach Personalkosten (Ärzte, Pflege, medizinisch-technischer Dienst), Sachkosten (Arzneimittel, Implantate, übriger medizinischer Sachbedarf) und Infrastrukturkosten aufgeschlüsselt.
Nach dieser sogenannten InEK-Kostenmatrix können die Kosten abgelesen werden, die bei den Referenzkrankenhäusern im Mittel je Fallpauschale entstanden sind; anschließend können sie den unterschiedlichen Kostenbereichen und -arten zugeordnet werden. Die nachfolgende Matrix zeigt die Aufschlüsselung der Kosten beispielhaft an:
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Personalkosten | Sachkosten | Personal- und Sachkosten | Summe(Euro) | |||
1 Ärztlicher Dienst | 2 Pflegedienst | 3 Med.-techn./Funktionsdienst | 4a bis 6b Arzneimittel Implantate, übriger medizinischer Bedarf | 7 bis 8 Medizinische und nichtmedizinische Infrastruktur | ||
01. Normalstation | 559,32 | 1.265,89 | 43,96 | (...) | (...) | 3.290,61 |
02. Intensivstation | 283,88 | 559,4 | 7,94 | (...) | (...) | 1.414,49 |
04. OP-Bereich | 415,46 | 0 | 282,68 | (...) | (...) | 2.296,99 |
05. Anästhesie | 270,04 | 0 | 176,81 | (...) | (...) | 621,45 |
07. Kardiologische Diagnostik/Therapie | 3,97 | 0 | 4,44 | (...) | (...) | 23,29 |
08. Endoskopische Diagnostik/Therapie | 8,85 | 0 | 8,85 | (...) | (...) | 33,52 |
09. Radiologie | 53,44 | 0 | 68,64 | (...) | (...) | 237,15 |
10. Laboratorien | 15,86 | 0 | 97,06 | (...) | (...) | 448,94 |
11. Übrige diagnostische und therapeutische Bereiche | 56,86 | 3,19 | 229,61 | (...) | (...) | 438,35 |
Summe | 1.667,68 | 1.828,48 | 919,99 | (...) | (...) | 8.804,79 |
Hinweis: Die Durchschnittskosten dividiert durch den Basisfallwert ergeben die Gewichtung der DRG im Fallpauschalenkatalog. Die Aufschlüsselung der Positionen 4a bis 8 wurde nicht dargestellt, um den Fokus auf die Personalkosten zu richten.
Mit solchen Matrizes lassen sich die Personalkosten des ärztlichen Dienstes im Verhältnis zur Fallpauschalenvergütung einer jeden Leistung und dann auch im Durchschnitt ablesen. Hierdurch kann der Klinikträger anhand der Arbeitgeber-Bruttopersonalkosten einerseits und den Umsätzen aus Case-Mix-Punkten andererseits die „erforderliche“ Personalstärke bestimmen.
Allerdings handelt es sich um Durchschnittswerte und damit um „Sollkosten“, die ein idealtypisches Krankenhaus verursacht, wenn es genau das zugrunde liegende Fallspektrum erbracht hätte. Häufig lehnt die Klinikleitung die Forderung des Chefarztes nach mehr Personal ab und wirft ihm vor, mit seinen derzeitigen ärztlichen Mitarbeitern einen zu geringen Umsatz und zu wenige Case-Mix-Punkte erreicht zu haben - und verlagert damit die Verantwortung für die mangelnde Personalausstattung auf den Chefarzt!
Keine Verantwortung des Chefarztes für Wirtschaftlichkeit
Zum einen ist der Chefarzt für die Wirtschaftlichkeit und für den unternehmerischen Erfolg der von ihm geleiteten Abteilung nicht verantwortlich, sondern ausschließlich für eine adäquate Patientenversorgung. Zum anderen kann die Frage des - für die Patientenversorgung - notwendigen Personals nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien wie Umsatz und hierin kalkulierten Personalkosten beantwortet werden. Insofern können die sich aus der InEK-Kostenmatrix ergebenden Personalkosten ein Ziel des Krankenhausträgers darstellen - nicht aber das im Einzelfall erforderliche Personal abbilden. Schließlich sind bei Durchschnittswerten Abweichungen im Einzelfall zu berücksichtigen. Diese können etwa aus baulichen Anforderungen (weite Wege zwischen Bettenstationen und Funktionsräumen) und einer unterschiedlichen Verteilung der Patienten auf verschiedenen Stationen in verschiedenen Etagen oder sogar Gebäuden resultieren. Damit sind sie nicht mit dem „Durchschnitt“ zu vergleichen.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in InEK-Kalkulationen sogenannte Langlieger manchmal ausgeblendet werden und der höhere Aufwand für die Versorgung von Privatpatienten nicht in die Statistik eingeht. Unberücksichtigt bleiben zudem sämtliche (Personal-)Kosten im ambulanten Bereich der jeweiligen Krankenhausabteilung.
Arbeitsgericht: Klinik muss in Chefarzt-Abteilung Ärzte einstellen
Entsprechend hatte ein Chefarzt vor dem Arbeitsgericht Wilhelmshaven erfolgreich geklagt, dass der Klinikträger ihm weitere Assistenzärzte zur Verfügung stellen muss (Urteil vom 23. September 2004, Az. 2 Ca 12/04). Der Chefarzt habe einen Anspruch auf ordnungsgemäße Beschäftigung. Könne er seine vertragsgemäße Arbeit nur zusammen mit anderen Arbeitnehmern oder mit deren Hilfe ausüben, müsse der Träger als Arbeitgeber dafür sorgen, dass diese anderen Personen auch zur Verfügung stehen, so die Richter.
Delegation nur bei genügend Personal möglich
Zur ordnungsgemäßen Beschäftigung gehört es auch, dass der Chefarzt Aufgaben delegieren kann und ober- bzw. stationsärztliche Tätigkeiten nicht selbst regelmäßig wahrnehmen muss. Entsprechend sieht das Muster des Chefarzt-Vertrags der DKG vor, dass der Chefarzt „(…) soweit nicht die Art oder die Schwere der Krankheit sein persönliches Tätigwerden erfordern, den ärztlichen Mitarbeitern - entsprechend ihrem beruflichen Bildungsstand, ihren Fähigkeit und Erfahrungen - bestimmte Tätigkeitsbereiche oder Einzelaufgaben zur selbstständigen Erledigung [überträgt].“
Klinikträger ist in der Pflicht
Soweit es zu den vertraglichen Verpflichtungen des Chefarztes gehört dafür zu sorgen, dass vertragliche und gesetzliche Arbeitszeitregelungen der Mitarbeiter der Abteilung eingehalten werden, ist der Krankenhausträger verpflichtet, dem Chefarzt die dafür mindestens erforderliche Anzahl von Ärzten zur Verfügung zu stellen.
FAZIT | Für den Chefarzt ist es in der Realität schwierig, der Klinikleitung einen Mangel an Personal schlüssig darzulegen, wenn dies nicht offensichtlich ist. Werden ihm InEK-Kalkulationen entgegengehalten, sollte er klarmachen: Nicht Personalkosten und Durchschnittswerte anderer Kliniken bestimmen den erforderlichen Personalbedarf, sondern allein die konkreten Gegebenheiten vor Ort. Statistische Mittelwerte dienen allein der Orientierung und haben keinerlei Verbindlichkeit! |