15.01.2015 · IWW-Abrufnummer 174241
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 17.07.2014 – 7 Sa 83/14
1. Unterlässt es der Arbeitgeber unter Verletzung einer ihn treffenden Initiativlast, eine Zielvereinbarung zustande zu bringen, die die Grundlage für eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte erfolgsabhängige Vergütung bildet, so kann der Arbeitnehmer die erfolgsabhängige Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes als entgangenen Gewinn beanspruchen.
2. Die Höhe des Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzulegen und ggf. nachzuweisen (BAG vom 12.12.2007, NJW 2008, 872 ff. [BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07] ).
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.12.2013 in Sachen4 Ca 9887/12 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.100,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2013 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt nur noch über einen Restanspruch des Klägers auf eine erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2012.
Der Kläger hat auf der Grundlage einer Ergänzung vom 04.01.2008 zu seinem Anstellungsvertrag vom 14.11.2000 einen Anspruch auf eine erfolgsabhängige Vergütung entsprechend den jeweils geltenden Vergütungsrichtlinien der Beklagten. Grundlage für die Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung ist eine Zielvereinbarung. Diese soll in einem jährlich im ersten Quartal stattfindenden Zielvereinbarungsgespräch zwischen dem Kläger und seiner Führungskraft möglichst einvernehmlich festgelegt werden. Gemäß Ziffer 2.3 des Ergänzungsvertrages bestimmt die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen die Ziele, falls eine Einigung der Parteien hierüber nicht herbeigeführt werden konnte. Auf den vollständigen Inhalt des Ergänzungsvertrages vom 04.01.2008 (Bl. 201 - 203 d. A.) wird Bezug genommen. Ferner wird auf die Gesamtbetriebsvereinbarung über das Performance and Development Interview (PDI) vom 09.12.2011 Bezug genommen (Bl. 204 ff. d. A.), welche nähere Einzelheiten zur Durchführung des Zielvereinbarungsgespräches regelt.
Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 17.07.2014 unstreitig geworden ist, hätte im Falle des Klägers die erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2012 bei hundertprozentiger Zielerreichung wie im Jahr 2011 23.500,00 € brutto betragen.
Da die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bereits im Januar 2012 gekündigt und den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt hatte, fand für das Kalenderjahr 2012 kein Zielvereinbarungsgespräch statt und wurde zwischen den Parteien eine Zielvereinbarung nicht getroffen.
Mit Urteil vom 27.06.2012 (13 Sa 57/13) hat das Landesarbeitsgericht Köln die Beklagte bereits zur Zahlung eines vierzigprozentigen Vorschusses auf die erfolgsabhängige Vergütung 2012 in Höhe von 9.400,00 € verurteilt.
Im vorliegenden Klageverfahren hat der Kläger u. a. den Differenzbetrag zwischen dem ihm bereits zugesprochenen Vorschuss und der Summe von 23.500,00 €, also einen weiteren Betrag in Höhe von 14.100,00 € als erfolgsabhängige Restvergütung für 2012 geltend gemacht.
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 05.12.2013 in Sachen 4 Ca 9887/12 die Klage insoweit abgewiesen. Hierüber verhält sich Seite 12 der Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils, auf die Bezug genommen wird.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 02.01.2014 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 24.01.2014 Berufung eingelegt und diese am 21.02.2014 begründet.
Der Kläger stellt klar, dass er keine 120%ige Zielerreichung geltend macht, sondern lediglich den Gesamtbetrag begehrt, der für eine hundertprozentige Zielerreichung angefallen wäre. Der Kläger beruft sich auf einen entsprechenden Schadensersatzanspruch. Dieser resultiere daraus, dass die Beklagte im Jahre 2012 das Arbeitsverhältnis mehrfach zu Unrecht und unwirksam gekündigt habe und es deshalb durch Verschulden der Beklagten nicht zu einer Zielvereinbarung gekommen sei.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe die Forderung des Klägers zu Recht abgewiesen, da dieser sie erstinstanzlich bereits nicht schlüssig begründet habe.
Ergänzend wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 18.02.2014 nebst Anlagen sowie die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 28.05.2014 und das Sitzungsprotokoll vom 17.07.2014 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 05.12.2013 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch fristgerecht im Sinne der Vorgaben des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
II.
Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger über den ihm in dem Verfahren Landesarbeitsgericht Köln, 13 Sa 57/13, mit Urteil vom 27.06.2013 zugesprochenen Vorschuss in Höhe von 9.400,00 € hinaus eine weitere variable Vergütung für das Jahr 2012 in Höhe von 14.100,00 €.
1. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz klargestellt, dass er nicht die einer 120%igen Zielerreichung entsprechende Leistung begehrt, sondern nur das, was er bei einem Zielerreichungsgrad von 100 Prozent erhalten hätte. Zudem ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass im Falle des Klägers bei einem Zielerreichungsgrad von 100 Prozent die erfolgsabhängige Jahresvergütung 2012 - ebenso wie im Vorjahr 2011 - 23.500,00 € betragen hätte.
2. Dem Kläger steht aus Ziffer 1) der Ergänzung zum Anstellungsvertrag vom 04.01.2008 ein Anspruch auf ein erfolgsabhängiges Entgelt zu. Der Kläger kann zwar nicht darauf verweisen, dass er die in einer Zielvereinbarung für das Jahr 2012 festgelegten Ziele durch seine Leistung in vollem Umfang verdient hat. Daran hat ihn jedoch die Beklagte schuldhaft gehindert.
a. Die Beklagte hat dem Kläger Anfang 2012 Kündigungen ausgesprochen, die sich im Nachhinein als unberechtigt und rechtsunwirksam herausgestellt haben. Sie hat den Kläger überdies von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt und ihn so daran gehindert, durch eigene Arbeitsleistung eine erfolgsabhängige Vergütung zu verdienen. Insbesondere ist es der Beklagten zuzurechnen, dass es entgegen dem in der Ergänzung zum Anstellungsvertrag vom 04.01.2008 in Verbindung mit der Gesamtbetriebsvereinbarung über das Performance and Development Interview vom 09.12.2011 nicht zu einer Zielvereinbarung für das Jahr 2012 gekommen ist.
b. Zwar sehen die Ergänzung zum Arbeitsvertrag und die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 09.12.2011 vor, dass die Jahreszielvereinbarung im beiderseitigen Einvernehmen getroffen werden soll. Die Initiativlast für das Zustandekommen einer Zielvereinbarung liegt nach den entsprechenden Regeln jedoch eindeutig bei der Beklagten in Gestalt der für den Kläger zuständigen Führungskraft. Dies folgt zum einen aus Ziffer 6.2 der Gesamtbetriebsvereinbarung, zum anderen daraus, dass gemäß Ziffer 2.3 der Ergänzung zum Anstellungsvertrag vom 04.01.2008 die Beklagte die Ziele nach pflichtgemäßen Ermessen zu setzen hat, wenn eine Zielvereinbarung nicht einvernehmlich zustande gebracht werden kann.
c. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Beklagte nicht nur ihre Pflicht, eine Zielvereinbarung zustande zu bringen, verletzt hat, sondern sie hat den Kläger als Folge ihrer rechtswidrigen Kündigungen und Freistellungsaktionen nicht einmal die Gelegenheit verschafft, zu arbeiten und dabei Leistung zu erbringen.
d. In einem solchen Fall kann der Kläger die ihm zugesagte erfolgsabhängige Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nach §§ 280 Abs. 1 und 3 BGB i. V. m. 283 Satz 1, 252 BGB beanspruchen (BAG vom 12.12.2007, 10 AZR 97/07, NJW 2008, 872 ff.; BAG vom 12.05.2010, 10 AZR 390/09, NZA 2010, 1009 ff.).
3. Die Höhe des Schadens ist vom Gericht nach § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen.
a. Dabei kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB zugute: Als entgangen ist der Gewinn zu unterstellen, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BAG vom 12.12.2007, NJW 2008, 872 ff. [BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07]).
b. Bei der Schätzung des dem Arbeitnehmer entstandenen Schadens ist davon auszugehen, dass Zielvereinbarungen zwar nicht stets die in Aussicht gestellte Bonuszahlung auslösen müssen, jedoch von vornherein ihren Motivationszweck verfehlen und ihrer Anreizfunktion nicht gerecht werden, wenn die festgelegten Ziele so gestaltet werden, dass sie vom Arbeitnehmer nicht erreicht werden können (BAG a. a. O.). Es ist daher zu unterstellen, dass die Parteien redlicherweise Ziele vereinbart hätten, die der Kläger in Anbetracht seiner Fähigkeiten und seines Leistungsvermögens ohne Weiteres zu 100 Prozent hätte erreichen können. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen (BAG a. a. O.). Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls nachzuweisen (BAG a. a. O.).
c. Die Beklagte ist ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast in keiner Weise gerecht geworden. Es muss daher bei dem Grundsatz verbleiben, dass unterstellt werden kann, dass der Kläger etwaige für das Jahr 2012 vertragskonform vereinbarte Ziele auch zu 100 Prozent erreicht hätte.
d. Dagegen spricht auch nicht etwa, dass der Kläger in dem vorangegangenen Verfahren LAG Köln 13 Sa 57/13 mit seinen Vorstellungen über die Höhe der ihm zustehenden erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2011 unterlegen ist; denn ausweislich der Entscheidungsgründe des Urteils vom 27.06.2013 hatte der Kläger im dortigen Verfahren eine 120%ige Zielerreichung für sich reklamiert, während vorliegend nur eine 100%ige Zielerreichung in Rede steht.
4. Demnach war zu entscheiden wie geschehen.
III.
Da die Beklagte nunmehr im vorliegenden Rechtsstreit erster wie zweiter Instanz vollständig unterlegen ist, waren ihr die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, § 516 Abs. 3 ZPO in vollem Umfang aufzuerlegen.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.