· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
BAG-Urteil zur Zeiterfassung bleibt für Krankenhäuser vorerst folgenlos
von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin, christmann-law.de
| Arbeitgeber sind laut Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21 ). Mit dieser Entscheidung beruft sich das BAG auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.05.2019 (Rs. C-55/18, Abruf-Nr. 215595 ). Chefärzte sind zwar keine Arbeitgeber, wohl aber für die Personaleinteilung in ihrer Abteilung verantwortlich. Zudem sehen Chefarztverträge heute i. d. R. vor, dass Chefärzte für die Einhaltung der Arbeitszeiten ihrer nachgeordneten Mitarbeiter zu sorgen haben ( CB 03/2021, Seite 10 ). Daher dürfte sich der ein oder andere Chefarzt gefragt haben, welche Folgen das BAG-Urteil für Krankenhäuser hat. Die Antwort: vorerst keine. |
Hintergrund: Arbeitszeiten im Krankenhaus
Bekanntermaßen haben in Kliniken oder MVZ angestellte Ärzte immer wieder damit zu kämpfen, Überstunden nachzuweisen und vergütet zu bekommen. Ähnliche Probleme stellen sich für sie bei der Bezahlung von Rufbereitschaftszeiten. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG sei der Arbeitgeber ohnehin verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen, so das BAG im o. g. Urteil. Auch Kliniken sind Arbeitgeber i. S. d. ArbSchG. Mithin gilt diese Pflicht zur Zeiterfassung auch für sie.
MERKE | Die Vertragsparteien des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern (TV-Ärzte/VKA) hatten schon zum 01.07.2019 ‒ also nach Verkündung des o. g. EuGH-Urteils ‒ die Einführung einer Arbeitszeiterfassung vereinbart und waren damit der Umsetzung des Urteils im deutschen Arbeitsrecht zuvorgekommen (Beitrag online vom 06.06.2020, Abruf-Nr. 46650338). |
Wenn ein Arbeitgeber, für den der TV-Ärzte/VKA nicht gilt, keine Zeiterfassung durchgeführt hat, können angestellte Ärzte allerdings keine Beweiserleichterungen für sich beanspruchen (BAG, Urteil vom 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21).
Auswirkungen für Kliniken und angestellte Ärzte
Ärzte, die als Arbeitnehmer z. B. Überstunden abgeleistet haben, müssen nach wie vor zweierlei beweisen: dass sie erstens die Überstunden tatsächlich erbracht haben und zweitens die Leistung dieser Überstunden auch auf eine Weisung oder Anordnung der Klinikleitung zurückgeht.
FAZIT | Für Krankenhäuser bedeutet das o. g. BAG-Urteil also nicht, dass sie nun sofort Zeiterfassungssysteme einführen müssen. Die Verletzung der arbeitsschutzrechtlichen Pflicht zur Zeiterfassung ist rechtlich gesehen folgenlos. Das ArbSchG knüpft an die Verletzung dieser Pflicht auch keine Bußgeldvorschriften. Lediglich in arbeitsschutzrechtlichen Sonderkonstellationen (Mutterschutz, Jugendschutz) kann eine fehlende Zeiterfassung zu Nachteilen für den Arbeitgeber führen. Vergütungsrechtliche Nachteile hat eine fehlende Arbeitszeiterfassung dagegen nicht für den Arbeitgeber. Selbstverständlich ist es aber der sicherste Weg für den Arbeitgeber, wenn er eine Zeiterfassung einführt. |