· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Chefarzt wehrt sich auch in letzter Instanz erfolgreich gegen Aufspaltung seiner Abteilung
von Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de
| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in letzter Instanz die gegen einen Chefarzt ausgesprochene Änderungskündigung als unwirksam befunden. Mit dieser hatte der Krankenhausträger versucht, die Abteilung des Internisten zu spalten und den Arzt fortan nur noch in einer der beiden neuen „Medizinischen Kliniken“ zu beschäftigen. Die mit Spannung erwartete Prüfung der „Entwicklungsklausel“ hat das BAG dabei jedoch vermieden, gleichwohl Andeutungen zum möglichen Geltungsbereich solcher Klauseln gemacht ( Urteil vom 22.10.2015, Az. 2 AZR 124/14, Abruf-Nr. 182888 ). |
Der Fall
Der Internist war Chefarzt der internistischen Klinik eines Krankenhauses im Rheinland, deren Träger Mitglied der Diakonie ist. Arbeitsvertraglich war er als „leitender Angestellter“ bezeichnet. Die Klinik kündigte das Arbeitsverhältnis des Internisten und bot ihm zugleich eine Stelle als Chefarzt an der medizinischen Klinik I - Allgemeine Innere, Diabetologie, Gastroenterologie, Hämato-/Onkologie an (sogenannte Änderungskündigung).
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Die Änderungskündigung dient dem Arbeitgeber meist als Gestaltungsmittel, um einseitig solche Veränderungen der Arbeitsbedingungen zu erreichen, die von seinem Direktionsrecht nicht mehr gedeckt sind. Eine Änderungskündigung beinhaltet stets eine Kündigung des aktuellen Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem Angebot, dieses mit geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen.
Der Arbeitnehmer kann wie folgt reagieren:
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Der Internist hat die dritte Option gewählt, also das Angebot der Klinikleitung angenommen und gegen die Änderungskündigung geklagt. Er wandte ein, die Mitarbeitervertretung (MAV) habe nicht zugestimmt. Tatsächlich war diese vom Krankenhausträger zur beabsichtigten Änderungskündigung angehört worden. Die MAV hatte sich nach dieser Anhörung für die „umfassende Information“ schriftlich bedankt und lediglich mitgeteilt, dass sie „für einen weiteren Austausch zur Verfügung steht“.
Die Entscheidung
Das BAG hielt die Änderungskündigung für unwirksam. Die Kündigung sei erklärt worden, bevor das zwingend durchzuführende Mitbestimmungsverfahren abgeschlossen worden sei. Rechtsgrundlage für die Anhörung sei das Kirchengesetz über die Bildung von Mitarbeitervertretungen in kirchlichen Dienststellen der Evangelischen Kirche im Rheinland (MVG-EKiR).
Chefarzt kein „leitender Angestellter“
Von dessen Anwendungsbereich war der Internist umfasst - was die Klinik bestritten hatte. Entgegen der im Dienstvertrag gewählten Bezeichnung war der Arzt kein „leitender Angestellter“. Maßgeblich ist nicht die Bezeichnung; vielmehr muss hinzukommen, dass der Chefarzt eigene Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten treffen bzw. solche Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen darf, die für den Bestand oder die Entwicklung der Einrichtung bedeutsam sind. Der Krankenhausträger hat diesen Nachweis im Gerichtsverfahren nicht erbringen können.
MAV wurde nicht ordnungsgemäß angehört
Somit war ein Anhörungsverfahren durch die MAV erforderlich. Dies ist jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Dazu hätte der Klinikträger bei der MAV konkret beantragen müssen, dass diese der beabsichtigten Kündigung des Arztes zustimmt. Die Klinikleitung hat in ihrem Anschreiben an die MAV jedoch nur von „Anhörung“ gesprochen. Zumindest aber wurde die Kündigung erklärt, ehe das Zustimmungsverfahren abgeschlossen war, so das Gericht. Das Schreiben der MAV, für einen weiteren Austausch zur Verfügung zu stehen, ist nicht als Zustimmung zu werten. Die erforderliche Zustimmung der MAV ist auch nicht durch die Vorschriften der MVG-EKiR fingiert worden.
Arzt kann nicht auf frühere Bedingungen pochen
Im Übrigen stellte das BAG fest, dass der Internist für den Zeitraum des Kündigungsrechtsstreits keinen Anspruch habe, zu den vormaligen Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden. Ein solcher Weiterbeschäftigungsanspruch scheide grundsätzlich aus, wenn der Arbeitnehmer - also hier der Chefarzt - das Angebot auf Vertragsänderung unter Vorbehalt angenommen habe.
Einschätzung des BAG zur Entwicklungsklausel
Offen bleibt, ob die Änderungskündigung mit ihren strengen Vorgaben, die hier nicht eingehalten wurden, vorliegend überhaupt hätte ausgesprochen werden müssen. Möglicherweise hätte eine einfache Weisung der Klinik gegenüber dem Chefarzt genügt - verbunden mit dem Hinweis auf sein Direktionsrecht und die im Chefarzt-Vertrag vereinbarte Entwicklungsklausel. Mit ihr behält sich der Klinikträger vor, einseitige organisatorische Maßnahmen zu treffen. Diese können auch Aufgaben des Chefarztes berühren.
Gleichwohl ließ das BAG in seiner Entscheidung zumindest einige dieser Punkte anklingen - im Wege eines sogenannten „obiter dictum“. Das BAG stellte fest, dass Veränderungen des Klinikzuschnitts auch nach dem Chefarzt-Vertrag nicht ausgeschlossen sind.
Nicht zulässig wäre nach Ansicht des BAG eine Änderung des Arbeitsbereichs des Chefarztes in folgenden Fällen:
- Die Zuweisung eines kleineren Zuständigkeitsbereichs des Chefarztes im Wege des Direktionsrechts, wenn dadurch erhebliche Einbußen bei den Liquidationserlösen eintreten und/oder in den Kernbereich des vertraglichen Austauschverhältnisses eingegriffen wird.
- Die neue Tätigkeit des Chefarztes ist gegenüber der Leitung der gesamten Klinik für Innere Medizin nicht gleichwertig.
Ist das DKG-Muster zur Entwicklungsklausel rechtlich wirksam?
Vorliegend hat der BAG nicht entschieden, ob das von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) herausgegebene neue Muster der chefärztlichen Entwicklungsklausel rechtlich wirksam gestaltet ist (zu bestellen über info@dkvg.de). Dagegen spricht aus Verfassersicht, dass nach dem DKG-Muster die Eingriffsbereiche des Klinikträgers so weit gefasst sind, dass er sämtliche Gründe für eine Umstrukturierung anführen könnte.
Ungeachtet dessen lassen die Ausführungen des BAG vermuten, dass die Richter die Entwicklungsklauseln grundsätzlich als zulässig erachten und lediglich deren Auswirkungen prüfen, wenn die Klausel angewendet wird.
PRAXISHINWEIS | Chefärzte und solche, die es werden wollen, sollten ihre Verträge mit Blick auf das „Risikopotenzial“ der Entwicklungsklausel verhandeln bzw. anpassen.
Aus wirtschaftlicher Sicht kann der Chefarzt z. B. versuchen, seine Einbußen auf eine maximale Verlustquote einzuschränken. Die vom BAG angeführten „erheblichen Einbußen“ dürften dann vorliegen, wenn durch die organisatorische Maßnahme der Klinikleitung ein Entgeltverlust von mehr als 30 bis 35 Prozent eintritt. Da Chefärzte heute in der Regel eher weniger als früher verdienen, dürften diese Quoten aus der älteren Rechtsprechung eher zugunsten der Chefärzte nach unten zu verschieben sein.
Aus medizinischer Sicht kann der Chefarzt in der Vertragsverhandlung versuchen, bestimmte Kernbereiche seines Leistungsspektrums vom Direktionsrecht des Klinikträgers auszuklammern. |
Nicht höchstrichterlich geklärt wurde also die Frage, welche Maßnahmen des Klinikträgers von seinem Direktionsrecht umfasst und vom Chefarzt im Rahmen der vertraglichen Entwicklungsklausel zu tolerieren sind. Dies hat auch positive Aspekte für Chefärzte: Ihr Verhandlungsspielraum auf Basis rechtlicher Argumente in etwaigen Auseinandersetzungen bleibt erhalten.