· Fachbeitrag · Arzthaftung
Leistenbruchoperation: Arzt muss den Patienten über mögliche Nervenschädigungen aufklären
von RA, FA MedizinR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de
| Der behandelnde Arzt hat bei einer Leistenbruchoperation den Patienten mündlich darüber aufzuklären, dass durch den Eingriff im Bruchbereich verlaufende Nerven verletzt und dadurch Leistenschmerzen ausgelöst werden können, die in seltenen Fällen auch andauern können. Spricht der Arzt mit dem Patienten dagegen nur von möglichen „Sensibilitätsstörungen“ oder „Missempfindungen“, so ist dies nicht ausreichend für die Aufklärung über die Risiken einer Leistenbruchoperation (Oberlandesgericht [OLG] Dresden, Urteil vom 20.07.2021, Az. 4 U 2901/19). |
Sachverhalt
Eine Patientin erlitt infolge einer Leistenbruchoperation eine dauerhafte Nervschädigung. Sie klagte gegen den behandelnden Arzt und machte Arzthaftungsansprüche geltend. Streitig war u. a., ob der Arzt die Klägerin vor einer Leistenbruchoperation über die damit verbundenen Risiken von Nervschädigungen korrekt aufgeklärt hatte.
Während die Vorinstanz (Landgericht Chemnitz, Urteil vom 02.12.2019, Az. 4 O 1899/11) nur von einem Behandlungsfehler, nicht aber von einem Aufklärungsfehler ausging, sah das OLG Dresden als Berufungsinstanz sowohl einen Behandlungs- als auch einen Aufklärungsfehler. Im Ergebnis entsprach das Gericht die Berufung der Klägerin jedoch nicht und sah das durch die Vorinstanz zugesprochene Schmerzensgeld als angemessen an.
Entscheidungsgründe
Das OLG bejahte einen Aufklärungsfehler. Eine Nervschädigung könne je nach betroffenem Nerv ein breites Spektrum möglicher Folgen von einer vorübergehenden Schmerzempfindung, einer kurzfristigen Lähmung oder einem Taubheitsgefühl bis hin zu chronischen, unbeherrschbaren Schmerzen oder andauernder Lähmung nach sich ziehen. Der bloße Hinweis auf „Nervschädigungen“ vermittle dem Patienten als medizinischem Laien daher grundsätzlich keine allgemeine Vorstellung von den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren.
Bei einer Leistenbruchoperation sei der Patient daher darüber aufzuklären, dass durch den Eingriff im Bruchbereich verlaufende Nerven verletzt und dadurch Leistenschmerzen ausgelöst werden können, die in seltenen Fällen andauern können. Dabei genüge die Erwähnung einer „Hautnervenverletzung“ nicht. Es sei auch nicht ausreichend, wenn eine mündliche Erläuterung dahin gehend erfolgt, dass „Nerven, die im zu operierenden Bereich liegen, verletzt oder durchtrennt werden können und das zu vorübergehenden oder dauernden Ausfällen führen kann“, da es insoweit an dem Hinweis auf die mögliche Schmerzhaftigkeit der Nervläsion fehle.
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„Durchtrennungen oder Vernarbungen an Hautnerven können zu Taubheitsgefühl im Bereich der Operationsnarbe und zu vorübergehenden, selten auch bleibenden stärkeren Schmerzen in der Leistengegend oder am Damm führen. Durch die Verletzung von Muskelnerven kann es extrem selten zu einer Bauchwandlähmung, zu Empfindungsstörungen am Bein oder einer Beinlähmung kommen; eine weitere Behandlung, gegebenenfalls auch eine erneute Operation, kann dann erforderlich werden.“ |
Ausweislich des Bogens über das Aufklärungsgespräch (Auszug s. o.) habe der Arzt zwar ferner bei den allgemeinen Operationsrisiken auf Blutungen, Schmerzen etc. hingewiesen. Bei den spezifischen Risiken habe er jedoch lediglich „Sensibilitätsstörungen“ und dahinter ergänzend „Narbengebiet“ vermerkt. Er habe dazu erklärt, er hätte aufgrund der in dem Bogen vermerkten handschriftlichen Eintragungen über Sensibilitätsstörungen aufgeklärt. Allerdings habe er keine Auskunft mehr geben können, wie weitgehend er die Patientin dahin gehend aufgeklärt habe, insbesondere, ob sich seine Ausführungen nur auf das Narbengebiet bezogen hätten. Ergänzend habe nur er angeführt, er habe „in der Regel“ auch darauf hingewiesen, dass als Folge von entsprechenden Operationen „Missempfindungen entstehen können, die sich durch dumpfe Schmerzen äußern, welche das Bein runterziehen.“
Damit könne zwar dem schriftlichen Aufklärungsbogen, den die Klägerin nach eigenen Angaben gelesen habe, entnommen werden, dass sie auf bleibende Schmerzen im Leistenbereich oder Damm aufgrund von Verletzungen der „Hautnerven“ hingewiesen worden sei. Über eine Verletzung der tieferliegenden Nerven mit dauerhaften starken Schmerzen sei sie jedoch im Gespräch nicht aufgeklärt worden. Denn den Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, dass im Rahmen des Aufklärungsgesprächs ein entsprechender Hinweis erfolgte. Vielmehr ergebe sich aus der Anhörung des behandelnden Arztes unter Berücksichtigung der stichpunktartigen Vermerke im Aufklärungsbogen lediglich, dass dieser Sensibilitätsstörungen erwähnt habe, die jedoch von Nervenschmerzen nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ausdrücklich zu unterscheiden seien.
Ungeachtet dieser unzureichenden Aufklärung müsse im vorliegenden Fall von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin ausgegangen werden. Das heißt, die Klägerin hätte sich wohl auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die Operation entschieden.
FAZIT | Dass die streitgegenständlichen Risiken im von der Klägerin unterzeichnen Aufklärungsformular benannt waren, half den behandelnden Ärzten nicht. Der Fall verdeutlicht, dass die mündliche Aufklärung maßgebend ist. Aufklärungsformulare können diese mündliche Aufklärung nur unterstützen. Operierende Ärzte sind daher gut beraten, den Patienten ‒ wenn auch nur in groben Zügen ‒ über die wesentlichen Risiken eines Eingriffs mündlich aufzuklären und dies entsprechend handschriftlich im Aufklärungsbogen zu dokumentieren. |
Weiterführender Hinweis
- Aufklärung und Einwilligung bei „Neulandmethoden“: BGH präzisiert Anforderungen (CB 08/2021, Seite 7 ff.)