· Fachbeitrag · Arzthaftung
Narkotisierter Patient stürzt nach OP ‒ Klinik haftet
von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de
| Stürzt ein narkotisierter Patient im Aufwachraum einer Klinik und verletzt sich, so haftet die Klinik auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, da der Sturz ein voll beherrschbares Risiko darstellt. Im Fall eines Patienten, der eine teilweise Querschnittslähmung erlitt, muss die genaue Schadenshöhe noch separat ermittelt werden (Landgericht [LG] Dortmund, Urteil vom 04.03.2021, Az. 4 O 152/19). Die beklagte Klinik hat Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) Hamm eingelegt (Az. I-3 U 57/21). |
Der Sachverhalt
Ein 71-jähriger Patient unterzog sich einer Knieoperation. Nach dem Eingriff brachten ihn zwei Pflegekräfte in seinem Bett vom OP in den Aufwachraum. Der Patient war wach, kooperativ und ansprechbar. Das Bett wurde so platziert, dass es weder von angrenzenden Räumen einsehbar noch, dass ein sofortiger Zugriff auf den Patienten möglich war. Bettgitter waren keine angebracht. Laut einer internen Arbeitsanweisung war dies nur bei unruhigen Patienten vorgesehen. Da eine Kollegin, die einen anderen Patienten aus dem OP abholte, Hilfe benötigte, blieb der Patient kurze Zeit unbeaufsichtigt. Er stürzte aus dem Bett, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und erlitt eine teilweise Querschnittslähmung. Seine Klage hatte vor dem LG Dortmund Erfolg.
Die Entscheidungsgründe
Das Gericht war der Auffassung, die Klinik habe den noch unter den Nachwirkungen der Narkose stehenden Kläger im Aufwachraum nicht hinreichend abgesichert. Dass der Kläger nach dem Ausschleusen aus dem OP wach, kooperativ und ansprechbar war, stehe seinem Haftungsanspruch nicht entgegen. Wie der Sachverständige ausführte, entstehe der wache Eindruck beim Ausschleusen dadurch, dass die Patienten vom Personal angesprochen würden. Sobald sie alleingelassen würden, schliefen sie narkosebedingt sofort wieder ein. Dass dies auch beim Kläger so gewesen sei, zeige sich daran, dass dieser ohne jeden Schutzreflex aus dem Bett gefallen sei.
Die Klinik müsse Stürze in dieser Phase der akuten Gefährdung verhindern. Der Fall des Klägers liege im Bereich des voll beherrschbaren Risikos. Voll beherrschbar seien letztlich alle Bereiche im Umfeld ärztlichen Tuns, die von der Person des Patienten und von den individuellen Eigenheiten seines Organismus nicht beeinflusst seien. Gegen die kurzzeitige Sicherung eines grundsätzlich sturzgefährdeten Patienten, der offensichtlich schutzbedürftig sei, weil er nicht bei Bewusstsein und damit nicht „Herr seiner Sinne“ sei, bestünden ‒ so die Richter ‒ auch keinerlei rechtliche Bedenken.
PRAXISTIPP | Es empfiehlt sich, bei Patienten im Aufwachraum ein Bettgitter am Bett anzubringen. Denn auch wenn der Patient ansprechbar erscheint, steht er immer noch unter der Wirkung der Narkosemittel. Da er in diesem betäubten Zustand keine Abwehrreflexe zeigt, kann er sich durch einen Sturz schwer verletzen. Das damit verbundene Haftungsrisiko sollte jede Klinik ausschließen. |