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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    Aufklärung in besonderen Situationen: Eingriff mit nur relativer Indikation

    von RA und FA MedR Dr. Rainer Hellweg, M.mel., Hannover

    | Den Behandlungsweg auszuwählen, ist grundsätzlich Arztsache. Behandelnde Ärzte müssen sich jedoch an die rechtlichen Aufklärungsanforderungen halten ( CB 04/2018, Seite 8 und CB 05/2018, Seite 6 ). Das gilt auch für sogenannte „relative Indikationen“. Damit sind Maßnahmen gemeint, die für den Patienten zwar vorteilhaft, aber nicht zwingend notwendig sind. Wenn eine Operation „nur“ relativ indiziert ist, muss der Arzt den Patienten über eine konservative Behandlung als echte Alternative aufklären (Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Urteil vom 15.12.2017, Az. 26 U 3/14, dejure.org ). |

    Sachverhalt

    Der Kläger, ein fast 60-jähriger Patient, litt schon seit 30 Jahren an therapieresistenten Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Er stellte sich bei einem im Krankenhaus tätigen Belegarzt vor. Es folgten ein mehrtägiger stationärer Aufenthalt mit konservativer Behandlung und ein CT. Im anschließenden Aufklärungsgespräch empfahl der Belegarzt eine Operation des verengten Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule (Discektomie, Dekompression, Neurolyse und Spondylodese). Der Patient willigte in die Behandlung ein.

     

    Nach der Operation stellten sich neurologische Ausfälle in beiden Beinen des Patienten ein. Der Patient war nicht mehr in der Lage, das gestreckte Bein anzuheben. Zudem zeigten sich Lähmungen beim Heben und Senken der Füße, eine Blasenentleerungsstörung und eine Störung der Sexualfunktion. 2 Revisionsoperationen bewirkten keine nachhaltige Verbesserung: Es verblieben chronische Beschwerden mit eingeschränkter Mobilität und Sexualfunktion sowie eine sich entwickelnde Depression. Der Vorwurf des Patienten: Der Eingriff sei sowohl behandlungs- als auch aufklärungsfehlerhaft erfolgt. Er forderte Schadenersatz i. H. v. ca. 34.500 Euro und ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 200.000 Euro. Das OLG Hamm gab dem Patienten Recht: Der Patient erhielt den verlangten Schadenersatz sowie ein Schmerzensgeld i. H. v. 75.000 Euro.

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht war der Auffassung, dass eine Operation der Lendenwirbelsäule nur relativ indiziert gewesen sei: Der Patient habe keine neurologischen Ausfallerscheinungen gezeigt. Die konservative Behandlung (Bettruhe, Medikamente, physikalische Therapie) habe als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden können. Hierüber hätte der Patient aufgeklärt werden müssen. Da dies unterblieben sei, liege ein Aufklärungsfehler vor. Zwar sei die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Gebe es aber mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten, müsse der Arzt nach entsprechend vollständiger Aufklärung dem Patienten die Entscheidung überlassen. Der Patient müsse selbst abwägen können, auf welchem Weg er behandelt und auf welches Risiko er sich einlassen wolle.

     

    Je weniger dringlich der Eingriff nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht sei, desto umfangreicher und genauer müsse aufgeklärt werden. So sei bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten. Im vorliegenden Fall sei zum Zeitpunkt der Operation die konservative Behandlung weiterhin eine echte Behandlungsalternative gewesen. Zudem sei der Eingriff mit Risiken versehen gewesen, über die der Patient ebenfalls hätte aufgeklärt werden müssen.

     

    Die Richter bemängelten darüber hinaus, dass der verwendete Aufklärungsbogen nicht umfassend genug gewesen sei und keine handschriftlichen Zusätze oder Individualisierungen enthalten habe. Eine hinreichende Aufklärung sei insgesamt nicht nachgewiesen.

    Relative Indikationen: Praxistipps für (Chef-)Ärzte

    Damit Sie als (Chef-)Arzt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahren, gelten für relative Indikationen besonders strenge Aufklärungsanforderungen.

     

    • So klären Sie Patienten richtig über relativ indizierte Eingriffe auf
    • Weisen Sie den Patienten ausdrücklich darauf hin,
      • dass auch ein Aufschieben oder ein gänzliches Unterlassen des Eingriffs möglich wäre und
      • mit welchen Chancen und Risiken ein Eingriff bzw. dessen Unterlassen verbunden wäre.

     

    • Erörtern Sie Pro und Kontra jeweils umfassend und stellen Sie beide Optionen vergleichend gegenüber.

     

    • Erläutern Sie vor allem bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert (z. B. Biopsie) auch entfernt liegende Komplikationsmöglichkeiten. Wenn Sie eine Operation oder einen diagnostischen Eingriff nur erwägen, um dem Sicherheitsbedürfnis des Patienten entgegenzukommen, sprechen Sie dies gegenüber dem Patienten ebenfalls ausdrücklich an.

     

    • Ergänzen Sie während des Aufklärungsgesprächs den Aufklärungsbogen durch handschriftliche Notizen/Vermerke. Dies
      • bedeutet für Sie als aufklärenden Arzt keinen zusätzlichen Zeitaufwand,
      • unterstreicht den individuellen Charakter des Aufklärungsgesprächs und
      • hilft Ihnen in einem möglichen späteren Haftungsprozess als Beweismittel.
     

    Wichtig | Als Chefarzt können Sie unter dem Aspekt des Organisationsverschuldens u. U. auch für die Fehler Ihrer nachgeordneten Ärzte haften (CB 02/2018, Seite 6). Geben Sie deshalb die o. g. Handlungsempfehlungen regelmäßig an Ihre nachgeordneten Ärzte weiter (z. B. in Teambesprechungen). Kontrollieren Sie ggf. stichprobenartig die Aufklärungsprotokolle, um sich von der Umsetzung und der Qualität der Aufklärung zu überzeugen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2018 | Seite 8 | ID 45299008