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  • · Fachbeitrag · Arzthaftungsrecht

    Das sollte der Chefarzt wissen: Diese 5 Regeln entscheiden in Arzthaftungsprozessen!

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | Häufiger als ihnen lieb ist werden Chefärzte mit Arzthaftungsprozessen befasst: Entweder, der Chefarzt ist selbst vom Patienten auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld verklagt worden, oder er muss bei einer Klage gegen die Klinik als Gutachter zum Behandlungsverlauf Stellung nehmen. Nach welchen Verfahrensprinzipien treffen die Gerichte eigentlich ihre Entscheidungen? Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die 5 wichtigsten Beweislastregeln, die über den Ausgang des Prozesses entscheiden. |

    Warum die Beweislast so wichtig ist

    Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist in Arzthaftungsverfahren von besonderer Bedeutung: Wer in einem Prozess die Beweislast trägt - also entweder der Patient oder der Arzt bzw. die Klinik - muss den Beweis führen, zum Beispiel durch Zeugen oder Sachverständigen-Gutachten. Gelingt dies nicht, verliert die beweisbelastete Partei den Prozess und die Gegenseite gewinnt.

     

    Die Frage, welche Partei die Beweislast trägt, entscheidet also häufig über den Ausgang eines Arzthaftungsprozesses. Der Grund: Vorgänge im menschlichen Körper und insbesondere hypothetische Kausalverläufe lassen sich im Nachhinein vom medizinischen Sachverständigen kaum sicher beurteilen. Wenn zum Beispiel der Gutachter nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen kann, ob bei früherer Intervention oder bei richtiger Diagnostik die Behandlung erfolgreicher verlaufen und der Patient nicht geschädigt worden wäre, geht dies zulasten der beweisbelasteten Prozesspartei.

    5 Fallgruppen zur Änderung der Beweislast

    Grundsätzlich muss der Patient das Vorliegen eines Behandlungsfehlers sowie dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden beweisen. Insbesondere im Hinblick auf den Kausalitätszusammenhang, der manchmal schwer nachweisbar ist, hat die Rechtsprechung einige Fallgruppen geschaffen, bei denen es zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten der Patientenseite kommen kann:

     

    1. Der „grobe Behandlungsfehler“

    Der grobe Behandlungsfehler ist gewissermaßen die Steigerung zum „einfachen“ Behandlungsfehler. Hierzu findet sich in den gerichtlichen Beweisfragen an den Sachverständigen häufig die verschachtelte wie unscharfe juristische Formulierung, ob ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, das „aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich“ erscheint, weil es einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“.

     

    Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, zum Beispiel bei einer i.m.-Injektion bei markumarisiertem Patienten, kommt es in der Regel zur Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, sodass die Kausalität für den eingetretenen Schaden vermutet wird. Der Arzt müsste dann beweisen, dass der Fehler nicht für die eingetretene Schädigung ursächlich geworden ist.

     

    2. Unterlassene Befunderhebung

    Wenn es der behandelnde Arzt unterlassen hat, medizinisch zwingend gebotene Befunde zu erheben und diese zu sichern - zum Beispiel beim Unterlassen von EKG und Labordiagnostik bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom -, kann es ebenfalls zu einer Beweislastumkehr kommen. Voraussetzung hierfür ist, dass entweder das Nichterheben von Diagnose- oder Kontrollbefunden selbst grob fehlerhaft war oder sich eine Verkennung und Nichtreaktion auf den - bei theoretischer Betrachtung - erhobenen Befund als grob fehlerhaft dargestellt hätte.

     

    3. Dokumentationsmängel

    Wird eine nach medizinischem Maßstab aufzeichnungspflichtige Maßnahme gar nicht oder nur lückenhaft dokumentiert, kommen Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten in Betracht. Die Faustregel lautet: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht durchgeführt.“ Der Arzt müsste in diesem Fall die Durchführung der Maßnahme beweisen - etwa durch Zeugen, die sich jedoch im Prozess, der manchmal Jahre später stattfindet, kaum noch erinnern. Eine unterlassene oder fehlerhafte Dokumentation ist kein Behandlungsfehler, auf den der Patient einen Haftungsanspruch stützen könnte.

     

    4. Voll beherrschbare Risiken

    Der Arzt muss sich entlasten, wenn der Schaden aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren durch ihn voll beherrscht werden müssen - etwa bei Verletzung von Hygienestandards oder falscher Lagerung durch das Pflegepersonal. Wird durch einen unzureichend qualifizierten Assistenzarzt operiert und kommt es zu einem Behandlungsfehler, muss die Behandlungsseite beweisen, dass der Fehler nicht auf dem Qualifikationsmangel beruht hat.

     

    5. Anscheinsbeweis

    Steht ein typischer Geschehensablauf fest, bei dem nach der Erfahrung auf die Verursachung durch einen Behandlungsfehler geschlossen werden kann, sprechen die Juristen von einem Anscheinsbeweis. Es liegt dann an dem beschuldigten Arzt, Tatsachen für die Möglichkeit eines anderen Verlaufs oder einer anderen Schadensursache vorzutragen, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Bejaht haben die Gerichte einen Anscheinsbeweis zum Beispiel für den Fall von Verbrennungen bei Anwendung eines Hochfrequenzchirurgiegeräts oder bei einer Perforation der Gallenblase bei der Leberbiopsie.

     

    PRAXISHINWEIS |  Anders ist die Beweislastverteilung bei der Aufklärungsrüge: Hier liegt die Beweislast beim Arzt. Wenn also der Patient im Prozess nur behauptet, er sei vor Durchführung der Operation nicht hinreichend aufgeklärt worden, muss der Arzt vollumfänglich beweisen, dass der Patient ordnungsgemäß aufgeklärt wurde und in den Eingriff eingewilligt hat.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 10 | ID 42263447