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  • · Fachbeitrag · Leserforum

    Chefärzte als Sachverständige: Darf die Erstellung eines Gutachtens delegiert werden?

    von Rechtsanwalt Stephan Peters, Kanzlei am Ärztehaus, Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de 

    | Die nachfolgende Frage eines Lesers befasst sich mit der Praxis, dass viele Chefärzte, die von einem Gericht als Sachverständige mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt wurden, andere Ärzte oder weitere Hilfspersonen einspannen. In der Antwort wird auch ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts erörtert, das zu dieser Frage Stellung nimmt. |

    Hilfspersonen im Gutachten namentlich aufführen

    Frage: „Ich bin Leiter einer gynäkologischen Krankenhausabteilung und werde gelegentlich von Gerichten mit der Erstellung von Sachverständigengutachten beauftragt. Da die Anfertigung umfangreicher Gutachten sehr aufwendig ist, versuche ich, meine Mitarbeiter einzubinden. Ein befreundeter Kollege berichtete mir nun, dass dies nur in engen Grenzen zulässig sei. Stimmt das? Wenn ja: In welchem Umfang darf ich meine Mitarbeiter einsetzen und was ist zu beachten?“

     

    Antwort: Grundsätzlich sind Sie gemäß § 407a Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht befugt, den vom Gericht erteilten Auftrag auf einen anderen Arzt zu übertragen. Allerdings ist es Ihnen gemäß § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO ausdrücklich gestattet, sich zur Erledigung des Gutachtenauftrags anderer Personen zu bedienen. Tun Sie dies, sind Sie gesetzlich verpflichtet, die Gehilfen namentlich zu nennen und den Umfang der Tätigkeit anzugeben, sofern es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.

     

    Typisches Problem bei der Verhandlung vor Gericht

    Probleme entstehen regelmäßig dann, wenn ein Arzt in Arzthaftungsverfahren ein Gutachten erstellt hat, es in der mündlichen Verhandlung vorstellt und sich Gutachter und Proband (Kläger im Arzthaftungsverfahren) vor Gericht erstmals begegnen. Oftmals fallen vom Probanden dann Sätze wie: „Sie haben mich doch überhaupt nicht untersucht!“. Dann stellt sich die Frage, ob eine persönliche Untersuchung erforderlich war und ob der Rückgriff auf Hilfspersonen rechtlich zulässig war.

     

    Pflicht zur persönlichen Erstattung

    Obwohl die Hinzuziehung von Gehilfen - wie dargestellt - ausdrücklich gestattet ist, ergeben sich in der Praxis Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der „noch“ und der „gerade nicht mehr“ zulässigen Hinzuziehung. In der juristischen Literatur wird darauf abgestellt, dass die Einschaltung der Gehilfen die „Eigenverantwortlichkeit des Sachverständigen für sein Gutachten nicht infrage“ stellen darf (Zöller, ZPO, § 408, Rn. 2). In der nachfolgend aufgeführten Entscheidung vom 17. April 2013 hat das Bundessozialgericht (BSG) diese Vorgaben für die Erstellung psychiatrischer Gutachten konkretisiert und darüber hinaus allgemein verbindliche Kriterien formuliert.

     

    Urteil des Bundessozialgerichts

    Der Gutachter wurde in dem vom BSG entschiedenen Fall mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens beauftragt (Urteil vom 17. April 2013, Az. B 9 V 3/12 R, Abruf-Nr. 140624). Eine persönliche Begutachtung durch ihn erfolgte nicht. Der Proband gab an, den Sachverständigen lediglich auf dem Flur gesehen zu haben. Die Untersuchungen seien in vollem Umfang durch einen anderen Arzt durchgeführt worden. Unterzeichnet wurde das Gutachten durch den vom Gericht beauftragten Arzt mit dem Zusatz: „einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsbildung.“

     

    Alleinige persönliche Erstellung nicht immer nötig

    Zu der Frage, ob eine persönliche Untersuchung des Probanden durch den beauftragten Sachverständigen unverzichtbarer Kern der Erstellung eines Gutachtens ist, führte das Gericht aus:

     

    • Zitat aus dem Urteil des Bundessozialgerichts

    „Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung des Probanden zum sogenannten unverzichtbaren Kern der vom Sachverständigen selbst zu erfüllenden Zentralaufgaben zählt, hängt von der Art der Untersuchung ab. Je stärker die Untersuchung auf objektivierbare und dokumentierbare organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist die Einbeziehung von Mitarbeitern möglich (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 2012, § 125, Rn. 3a). Bei psychologischen und psychiatrischen Gutachten muss der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen.“

     

    Gutachten war vorliegend nicht verwertbar

    Auf Grundlage dieser Kriterien kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Gutachten mangels persönlicher Untersuchung durch den Sachverständigen nicht verwertbar ist. Daran könne auch der Zusatz „einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsbildung“ nichts ändern. Wenngleich das Gericht in dem konkreten Fall die Verwertbarkeit abgelehnt hat, ist den Ausführungen zu entnehmen, dass eine persönliche Untersuchung des Probanden durch den Gutachter - wohl ausgenommen bei der Erstellung von psychiatrischen Gutachten - nicht zwingend ist. Vielmehr sind Art und Inhalt des gerichtlichen Auftrags im Einzelfall maßgeblich.

     

    FAZIT | Die Entscheidung verdeutlicht, dass zu der Leseranfrage keine klaren Kriterien vorliegen. Mit Ausnahme der psychiatrischen Gutachten kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an. Im Übrigen sollten folgende Punkte beachtet werden:

     

    • Die Untersuchung des Probanden sollte durch den Gutachter selbst erfolgen.
    • Hilfsdienste können an fachlich geeignete Mitarbeiter delegiert werden.
    • Wer Hilfsdienste ausführt, ist in dem Gutachten namentlich aufzuführen.
    • Der Umfang der Tätigkeit des Gehilfen ist anzugeben.
    • Eine Abschlussformel sollte deutlich machen, dass der Gutachter nur im rechtlich zulässigen Umfang Hilfspersonen eingesetzt hat und sich deren Ausführungen und Erkenntnisse zu eigen macht.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 16 | ID 42492438