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  • · Fachbeitrag · Schadenersatz

    Klinik lässt alkoholkranken Belegarzt weiter operieren: 250.000 Euro Schmerzensgeld

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Eine Klinik darf grundsätzlich keine belegärztliche Tätigkeit in ihrem Hause ermöglichen, von der sie aufgrund eigener Erkenntnisse annehmen musste, dass sie sich schädigend auf Patienten auswirken könnte. Daher hätte die Klinikleitung die Zusammenarbeit mit dem Belegarzt aufkündigen müssen. Indem sie dies nicht tat, handelte sie grob pflichtwidrig und haftet wegen eines Organisationsverschuldens auf Zahlung von Schmerzensgeld für die Patientin, die in Folge einer Operation des Belegarztes querschnittsgelähmt ist (Landgericht [LG] Münster, Urteil vom 01.03.2018, Az. 111 O 25/14). |

    Der Fall

    Die klagende Patientin litt seit dem Jahr 2003 an Kopfschmerzen, Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in den Hinterkopf sowie an Armschmerzen bis in den Oberarm bzw. in die Schulter hinein (Zerviko-Zephalgien). Zeitweilig bestanden auch Schmerzen im Bereich der Oberarmaußenseite sowie Parästhesien im Bereich der Finger eins und zwei der rechten Hand und im Bereich beider Füße. Sie wurde von ihrem Hausarzt im November 2009 an ein Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie überwiesen. Dort wurde nach der Erhebung von MRT-Befunden zur Überprüfung der unklaren Parästhesien zunächst eine elektrophysiologische Abklärung empfohlen.

     

    Da die Beschwerden fortbestanden, stellte sich die Patientin im Januar 2011 bei dem Belegarzt vor, einem Neurochirurgen, der Bandscheibenvorfälle in den Segmenten C5/6 und C6/7 mit rechtsbetonten beidseitigen Zerviko-Brachialgien diagnostizierte und die Indikation für eine OP beider Segmente stellte.

     

    Der Eingriff wurde von ihm am 04.02.2011 in der beklagten Klinik durchgeführt. Unstreitig kam es hierbei zu einer Verletzung des Rückenmarks. Nach Abklingen der Narkose war die Patientin nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Es wurde eine intraoperative Rückenmarksverletzung festgestellt. Die Patientin ist nun inkomplett querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.

     

    Im Hause der beklagten Klinik kursierten bereits ab dem Jahr 2008 Gerüchte über einen Alkoholkonsum des Belegarztes. Ärzte berichteten der Klinikleitung von Auffälligkeiten des Belegarztes bei der Arbeit wie z. B. Gangunsicherheiten und Alkoholgeruch. Die Klinikleitung quittierte die geäußerten Bedenken mit dem Satz, der Zeuge „höre wieder das Gras wachsen“ und gestattete dem Belegarzt nach einer mehrwöchigen Entzugsbehandlung, seine belegärztliche Tätigkeit als Neurochirurg der Klinik fortzusetzen. Blutproben zeigten einen positiven Blutalkoholwert. In den Jahren 2009 und 2010 kam es zu weiteren, ähnlichen Vorfällen. Gleichwohl war der Belegarzt weiter operativ im Hause der beklagten Klinik tätig.

    Klinik haftet wegen Organisationsverschulden

    Das LG Münster verurteilte die Klinik, der Patientin ein Schmerzensgeld von 250.000 Euro zu zahlen. Der Klinik sei ein grobes Organisationsverschulden vorzuwerfen. Angesichts der Gefahren, die von einem alkoholkranken, operativ tätigen Neurochirurgen für Patienten offenkundig ausgingen, hätte die im Jahr 2008 getroffene Entscheidung, den Belegarzt weiter operieren zu lassen, schon nicht getroffen werden dürfen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Belegarzt immerhin während einer Operation unter Alkoholeinfluss auffällig geworden war. Dem Geschäftsführer der Klinik sei bekannt gewesen, dass der Belegarzt bereits im Jahr 2008 im Operationssaal unter erheblichem Alkoholeinfluss tätig gewesen war, was eine mehrwöchige Entzugsbehandlung zur Folge hatte. Auch wegen der ihm vom Zeugen geschilderten Vergangenheit des Belegarztes hätte der Geschäftsführer schon damals davon ausgehen müssen, dass es sich um eine schwerwiegende Problematik handelt, die trotz möglicherweise anders lautender Empfehlungen der Entzugsklinik die Eignung des Belegarztes als Neurochirurg grundsätzlich infrage stellt. Der Geschäftsführer hätte aus Sicht des Gerichts dem bedrohten Patientenwohl weitaus mehr Gewicht beimessen und die Zusammenarbeit mit dem Belegarzt früher aufkündigen müssen.

    Erben des Belegarztes haften wegen Aufklärungsfehler

    Gegen die Erben des zwischenzeitlich an den Folgen seiner Alkoholerkrankung verstorbenen Belegarztes hat die Patientin aus Sicht des Gerichts überdies einen Arzthaftungsanspruch auf Zahlung von ebenfalls 250.000 Euro Schmerzensgeld. Und zwar wegen Verletzung der Pflicht zur Aufklärung über die Alternativen zu einer Wirbelsäulenoperation. Das Hauptproblem der Patientin bestand aus Sicht des gerichtlichen Sachverständigen in den Nacken- und Kopfschmerzen. Eine Abmilderung bzw. Beseitigung dieser Symptomatik sei durch die Wirbelsäulenoperation grundsätzlich nicht zu erwarten gewesen. Ausgehend vom Beschwerdebild der Patientin hätten ihr bei fachgerechtem Vorgehen primär eine fortgesetzte konservative Behandlung und eine Schmerztherapie empfohlen werden müssen. Die Erben des Belegarztes hätten aber nicht beweisen können, dass der Belegarzt die Klägerin dementsprechend ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Im Gegenteil habe der Belegarzt die Risiken einer Nicht-Operation betont! Im Aufklärungsbogen ist maschinenschriftlich vermerkt: „Wenn mit der Operation zu lange gewartet werden sollte, muss mit folgenden Folgen gerechnet werden: Lähmungen, Gefühlsstörungen, Blasen-Mastdarm-Störungen, Schmerzen, Querschnittsyndrom“. Dieser Hinweis sei eindeutig fehlerhaft.

     

    FAZIT | Dass eine Klinik einen Arzt, der derart offenkundig Alkoholprobleme hat, weiter beschäftigt, ist ungewöhnlich. Klinikleitungen tun sich manchmal schwer damit, gegen ihr medizinisches Personal einzuschreiten. Dies kann zu katastrophalen gesundheitlichen Folgen für die Patienten führen und sollte unbedingt vermieden werden. Die Haftung der Klinik ist insofern folgerichtig und im Sinne der Patientensicherheit zu begrüßen. Das Urteil sollte Klinikleitungen und Chefärzte sensibilisieren, derartige Vorfälle zu verhindern. Die Haftung der Erben wegen der fehlerhaften Aufklärung über die Behandlungsalternative ist wohl nur deshalb so eindeutig festgestellt worden, weil der Belegarzt nachweislich die angeblich drastischen Gefahren einer Unterlassung der Operation in den Vordergrund stellte und so der Patientin Angst machte. Damit lag der Aufklärungsfehler auf der Hand.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2019 | Seite 13 | ID 45545106