· Fachbeitrag · Wahlleistungen
Wie rechnet der Chefarzt bei bewusstlosen und Notfallpatienten richtig ab?
von Rechtsanwältin Rosemarie Sailer, LL.M. Medizinrecht, Wienke & Becker - Köln, www.kanzlei-wbk.de
| Mit dem Wunsch nach ärztlichen Wahlleistungen möchten sich Patienten gerne eine besondere Qualität der ärztlichen Behandlung sichern. Nötig ist hierfür eine schriftliche Vereinbarung, die besonderen Formvorschriften unterliegt. Wird ein Patient allerdings bewusstlos oder als Notfallpatient aufgenommen, ist es ihm selbst naturgemäß kaum möglich, eine wirksame Wahlleistungsvereinbarung abzuschließen. Der nachfolgende Beitrag zeigt, was der Chefarzt in solchen Fällen beachten sollte. |
Klinikmitarbeiter als Vertreter des Patienten
In den vorgenannten Fällen wird in Kliniken vermehrt auf eine rechtliche Vertreterkonstruktion zurückgegriffen: Wird ein Patient bewusstlos im Krankenhaus aufgenommen, unterschreibt ein Krankenhausmitarbeiter die Wahlleistungsvereinbarung als Vertreter des Patienten. Sobald es der Zustand des Patienten erlaubt, wird er informiert und ihm anheimgestellt, die Wahlleistungsvereinbarung rückwirkend zu genehmigen - oder die Genehmigung zu verweigern. Finanziell ist ein solches Vorgehen für Krankenhausträger bzw. den liquidationsberechtigten Wahlarzt sicherlich interessant.
Zulässigkeit der Vertreterkonstellation
Grundsätzlich ist es zulässig, Verträge unter Einschaltung eines Vertreters abzuschließen - dies gilt somit auch für Wahlleistungsvereinbarungen. Dann liegt die sogenannte Vertretungsmacht oder Vollmacht vor, mit der der Vertretene den Vertreter ermächtigt, für ihn rechtsverbindlich zu handeln. Denkbar und gesetzlich vorgesehen ist auch die Vertretung einer Person, die von diesen Umständen nichts weiß - wie im Fall eines bewusstlosen Patienten.
Spätere Genehmigung erforderlich
Die Wirksamkeit einer solchen - „schwebend unwirksamen“ - Vereinbarung, die jemand als „vollmachtloser Vertreter“ für einen anderen abschließt, hängt von der späteren Genehmigung durch den Vertretenen ab. Genehmigt der Patient also nachträglich, ist eine wirksame Wahlleistungsvereinbarung zustande gekommen - der Honoraranspruch lässt sich durchsetzen.
Genehmigung kann mündlich erfolgen
Die Genehmigung muss dabei nicht zwingend schriftlich erfolgen; eine schriftliche Dokumentation durch den Arzt ist jedoch aus Beweisgründen sehr zu empfehlen. Auch wenn die Einschaltung eines Krankenhausmitarbeiters als vollmachtloser Vertreter des Patienten zunächst irritiert und nach einer Umgehung geltender Vorschriften klingt, ist diese Handhabung rein rechtlich gesehen nicht zu beanstanden.
Folgen verweigerter Genehmigung des Patienten
Verweigert ein Patient die nachträgliche Genehmigung des Vertragsschlusses, liegt keine wirksame Wahlleistungsvereinbarung vor - und der Patient muss die tatsächlich in Anspruch genommenen Wahlleistungen nicht bezahlen. In diesem Fall haftet streng genommen der Klinikmitarbeiter, der die Wahlleistungsvereinbarung unterschrieben hat. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Krankenhausträger von der fehlenden Vertretungsmacht wusste bzw. dies hätte wissen können - was regelmäßig der Fall ist.
Die Angestellten des Krankenhauses, die als Vertreter ohne Vertretungsmacht eine Wahlleistungsvereinbarung unterzeichnet haben, könnten dem Krankenhausträger bzw. den Wahlärzten daher in der Regel entgegenhalten, dass diese die fehlende Vertretungsmacht kannten oder hätten kennen müssen, sodass entsprechende Regressforderungen ausgeschlossen sind.
PRAXISHINWEIS | Um Rechtssicherheit herzustellen, sollte der Krankenhausträger den infrage kommenden Mitarbeitern - zum Beispiel in der zentralen Notaufnahme - schriftlich bescheinigen, dass sie berechtigt sind, als vollmachtlose Vertreter für Wahlleistungspatienten entsprechende Vereinbarungen zu unterzeichnen. Zugleich sollte der Träger verbindlich erklären, dass er diese Mitarbeiter von allen Ansprüchen freistellt, die gegen sie als „Vertreter ohne Vertretungsmacht“ geltend gemacht werden. |
Grenzen der persönlichen Leistungserbringung
Zwar lässt sich mithilfe der Vertreterkonstellation relativ unproblematisch eine Wahlleistungsvereinbarung auch mit bewusstlosen Patienten wirksam abschließen; doch auch bei der Erbringung von auf diese Weise vereinbarten Wahlleistungen sind strenge Voraussetzungen zu beachten.
Zu berücksichtigen ist, dass der Wahlarzt zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet wird. Die Einschaltung eines Vertreters, der anstelle des Wahlarztes die Leistungen erbringt, ist bei Wahlleistungen generell nur unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen zulässig, die der BGH mit Urteil vom 20. Dezember 2007 (Az. III ZR 144/07, Abruf-Nr. 073966) konkretisiert hat.
Keine wahlärztliche Leistung bei vorhersehbarer Arzt-Abwesenheit
Auch bei wahlärztlichen Leistungen gegenüber Bewusstlosen gilt der bekannte Grundsatz, dass bei unvorhersehbarer Abwesenheit des Wahlarztes (kurzfristige Erkrankung) der ständige ärztliche Vertreter nach § 4 Abs. 2 GOÄ die Wahlleistungen erbringen darf. Bei vorhersehbarer Verhinderung des Wahlarztes (Urlaub, Fortbildungsveranstaltung) ist jedoch die Erbringung und Abrechnung wahlärztlicher Leistungen gegenüber Bewusstlosen grundsätzlich ausgeschlossen. Während im „Normalfall“ - also wenn der Patient selbst die Wahlleistungsvereinbarung unterschreibt - bei vorhersehbarer Abwesenheit des Wahlarztes im Wege einer Individualvereinbarung festgelegt wird, ob und wie die Behandlung erfolgen soll, ist eine solche Individualvereinbarung bei Bewusstlosigkeit des Patienten nicht möglich.
Anforderungen an Individualvereinbarung nicht gegeben
Wird ein Patient bewusstlos eingeliefert und steht zu diesem Zeitpunkt fest, dass der Wahlarzt die Behandlung nicht persönlich übernehmen kann (vorhersehbare Abwesenheit), käme eine Behandlung durch einen Vertreter nur in Betracht, wenn eine schriftliche Individualvereinbarung mit dem Patienten abgeschlossen worden ist. Zwar wäre es grundsätzlich auch hier denkbar, einen Klinikmitarbeiter die Individualvereinbarung unterzeichnen und durch den Patienten später genehmigen zu lassen; allerdings dürfte eine unter diesen Umständen geschlossene Individualvereinbarung den strengen Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügen.
Oberstes Kriterium einer Individualvereinbarung ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH), dass der Patient frei entscheiden kann, ob er
- die wahlärztliche Leistung durch einen bestimmten Vertreter des Wahlarztes beanspruchen möchte,
- die Behandlung verschieben will oder
- sich mit den allgemeinen Krankenhausleistungen begnügt.
Wesentliche Einzelheiten sind mündlich zu erläutern
Die wesentlichen Einzelheiten müssen mit dem Patienten im Detail mündlich erörtert werden, zudem muss ihm nachdrücklich eine echte Wahlmöglichkeit eingeräumt werden. Diese Individualität ist durch die Einschaltung eines vollmachtlosen Vertreters nicht gewährleistet - vor allem, weil bei bewusstlosen bzw. Notfallpatienten die erforderliche Behandlung in der Regel nicht aufschiebbar ist und somit die Wahlfreiheit bereits faktisch eingeschränkt ist.
Keine echte Abwägung
Zudem ist nicht anzunehmen, dass eine echte Abwägung zwischen den vorgenannten Alternativen und einer individuelle Entscheidung durch den Klinikmitarbeiter als Vertreter des Patienten erfolgt - vielmehr wird die Entscheidung zumeist zugunsten der wahlärztlichen Leistung durch einen Vertreter erfolgen.
FAZIT | Der Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung durch Krankenhausmitarbeiter als Vertreter des Patienten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gerade bei privat oder stationär zusatzversicherten Patienten bietet sich diese Vorgehensweise an - schließlich ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil dieser Patienten sich für die Behandlung durch den Wahlarzt entschieden hätte.
Bei wahlärztlichen Leistungen ist jedoch strikt darauf zu achten, dass diese durch den Wahlarzt persönlich erbracht werden. Eine Vertretung des Wahlarztes ist nur bei unvorhersehbarer Abwesenheit zulässig. Ist zum Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung dagegen bekannt, dass der Wahlarzt nicht persönlich behandeln kann - etwa außerhalb der Dienstzeiten und am Wochenende bei Notfallpatienten -, ist eine Vertretung nicht zulässig, da eine Individualvereinbarung nicht wirksam abschließbar ist. Da der BGH mit Urteil vom 25. Januar 2012 (Az. 1 StR 45/11, Abruf-Nr. 120897) betont, dass die normwidrige Abrechnung privatärztlicher Leistungen strafbar sein kann, wenn die Vertretungsvoraussetzungen nicht vorliegen, ist von einem derartigen Vorgehen dringend abzuraten. |