01.11.2005 | Sozialhilferegress
Zahlungsanspruch des Sozialhilfeträgers bei Umzug des Übergebers ins Pflegeheim?
von RA und Notar Reinhold Redig, Mörlenbach
Bei der Übergabe behalten sich die Übergeber oft ein Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB im Anwesen vor. Der Übernehmer verpflichtet sich im Gegenzug zur „Wart und Pflege“ des Übergebers. Wechselt dieser in ein Pflegeheim, stellt sich die Frage, ob der Sozialhilfeträger, der den nicht gedeckten Fehlbetrag der Heimkosten trägt, einen Geldanspruch auf Grund des nicht mehr ausgeübten Wohnungsrechts bzw. hinsichtlich der Pflegepflicht auf sich überleiten kann. Der Beitrag zeigt dazu die aktuelle Rechtslage auf.
Grundsätze zur Behandlung des Wohnungsrechts nach Umzug des Übergebers ins Pflegeheim |
Der Sachwert der Wohnung ist abzugelten, wobei überwiegend auf die erzielbare Nettomiete der dem Wohnrecht unterliegenden Räumlichkeiten abgestellt wird (Littig/J. Mayer, Sozialhilferegress gegenüber Erben und Beschenkten 1999, Rn. 264 ff.; J. Mayer, MittBayNot 04, 181).
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Auslegung von Pflegeklauseln bei Heimunterbringung des Übergebers |
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte sich die Übernehmerin den Übergebern gegenüber zu Wart- und Pflegeleistungen verpflichtet. Von den Kosten für die Unterbringung in einem Pflegeheim war nicht die Rede. Der BGH legte den Übergabevertrag dahingehend aus, dass die Übernehmerin zwar nicht die vollen Kosten der Heimunterbringung, jedoch einen Betrag in Höhe der eigenen ersparten Aufwendungen erstatten musste. Da die Übernehmerin für die Heimunterbringungskosten nicht aufkommen musste, handelte es sich um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten des zuständigen Trägers der Sozialhilfe. Der BGH distanziert sich von der Auslegung des Berufungsgerichts, dass die Übernehmerin für Pflegekosten, die außerhalb des Hofes und nicht im Krankenhaus anfielen, nicht aufkommen sollte, weil hierdurch die Interessenlage des Übergebers verletzt werde, da die Vorstellung, zum Sozialfall zu werden, in bäuerlichen Kreisen geradezu „unerträglich“ sei.
In diesem Fall wurde im Übergabevertrag eine Pflicht zur Erbringung sämtlicher häuslicher Arbeiten sowie eine Betreuung und Pflege in gesunden und kranken Tagen, solange kein Krankenhausaufenthalt notwendig werde, vereinbart. Die Vorinstanz hatte den Vertrag dahingehend ausgelegt, dass der Übernehmer von den Altenteilsleistungen mit Ausnahme der Leibrente wegen der dauernden Unterbringung der Berechtigten im Pflegeheim frei werde und auch keinen Wertersatz hierfür schulde. Zwar enthalte die vertragliche Pflegepflicht eine Leistungseinschränkung nur für den Fall des Krankenhausaufenthalts, dem der Aufenthalt in einem Pflegeheim nicht ohne weiteres gleichzustellen sei. Die Lücke der vertraglichen Vereinbarung sei jedoch im Wege der ergänzenden Auslegung dahingehend zu schließen, dass generell keine Zahlungspflicht des Übernehmers gewollt sei, wenn die Pflegeleistungen objektiv unmöglich werden.
Nach Ansicht des BGH widerspricht die Argumentation dem Gebot einer interessengerechten Vertragsauslegung. Diese ergebe eine umfassende Altersversorgung für die Übergeberin. Die Übergeberin sollte gerade nicht auf die Inanspruchnahme der Sozialhilfe verwiesen werden können, sondern umfassend von der Familie versorgt werden. Wenn der Verpflichtete die infolge der Heimunterbringung nicht mehr in Natur zu erfüllenden Leistungen erbringen könne, müsse er sich in Höhe der ersparten Aufwendungen an den Pflegekosten beteiligen. Der BGH stellt klar, dass beim Wohnungsrecht nur die tatsächlich ersparten Aufwendungen, etwa für Wasser, Strom und Heizung, sowie Reparatur- und Unterhaltungskosten verlangt werden können, nicht aber der Sachwert des Wohnungsrechts selbst, das heißt die erzielbare Nettomiete (a.A. OLG Köln NJW-RR 95, 1358; vgl. Rechtsprechungsübersicht bei Staudinger/J. Mayer, BGB [02], § 1093 Rn. 55).
Anmerkung: Erfreulich ist, dass sich der BGH von der Argumentation des unzulässigen Vertrags zu Lasten des Sozialhilfeträgers distanziert hat und damit der Einsatz von Wegzugsklauseln nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt ist. Die Argumentation des BGH vom „Gebot einer interessengerechten Vertragsauslegung“ kommt allerdings verdächtig nahe an die Risiken einer Inhaltskontrolle auch bei eindeutigen und daher nicht auslegungsbedürftigen leistungseinschränkenden Vereinbarungen im Übergabevertrag. Offensichtlich will man die umfassende Kontrolle im Interesse des Verbraucherschutzes über die Eheverträge (BGH NJW 04, 930 = FamRZ 04, 601 m. Anm. Borth; BGH FamRZ 05, 26 m. Anm. Bergschneider) und über die Inhaltskontrolle von Pflichtteilsverzichten (Wachter, ZErb 04, 238 ff., 306 ff.) hinaus auch auf eine sozialhilferechtlich orientierte Inhaltskontrolle von Übergabeverträgen ausdehnen.
Bedenklich ist die Argumentation des BGH insoweit, als in bäuerlichen Kreisen die Befürchtung vorherrsche, „zum Sozialfall“ zu werden, was geradezu „unerträglich“ sei. In weiten Teilen der Bevölkerung, nicht nur in bäuerlichen Kreisen, ist eher die Vorstellung unerträglich, sich durch einen Übergabevertrag eventuell Ansprüche auf staatliche Leistungen abzuschneiden. „Unerträglich“ wird von den meisten Übergebern empfunden, wenn ihre Kinder in zu großem Umfang für die Pflegeheimkosten im Wege des Sozialhilferegresses herangezogen werden.
Das OLG begründet dies mit dem Fehlen einer vertraglichen Zahlungspflicht für den Fall, dass der Berechtigte infolge erhöhter Pflegebedürftigkeit nicht mehr auf dem übergebenden Anwesen leben kann. Da die Parteien nur solche Gegenleistungen vereinbart hätten, die dem Übernehmer keinen finanziellen Aufwand abforderten, könne der Wille der Vertragsparteien entnommen werden, dass die Rechte auf die Zeit begrenzt würden, in der der Begünstigte auf dem übertragenen Grundstück lebe. Im konkreten Fall habe der Übergeber sein Vermögen durch vorweggenommene Erbfolge auf seine Kinder übertragen wollen.
Die Vermögensaufteilung nach bestimmten Quoten könne aber durch Zahlungspflichten des Übernehmers im Pflegefall gefährdet werden. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bejaht das Gericht dagegen eine Geldersatzpflicht hinsichtlich des Wohnungsrechts des Übergebers, dies jedoch nur auf Grund der Umstände des Falls: Anders als bei der Übergabe geplant, bewohnte der Übergeber das Anwesen bei seiner Unterbringung im Pflegeheim nicht mehr, so dass durch dessen Auszug der Weg für die Vermietung des gesamten Objekts frei wurde. Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Übernehmer das Grundstück selbst bewohnt hätte. In diesem Fall lehnt das Gericht einen wirtschaftlichen Vorteil bei Auszug des Übergebers ab, da die dem Wohnrecht unterliegenden Räume mangels Abgeschlossenheit nicht separat hätten vermietet werden können.
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Quelle: Ausgabe 11 / 2005 | Seite 188 | ID 86976