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  • · Fachbeitrag · Forderungsvermächtnis

    Auslegungsregel des § 2173 S. 1 BGB und Fragen der Beweislast bei einem Forderungsvermächtnis

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

    | Das OLG Frankfurt hat sich mit den Auslegungsregeln des §  2173 BGB bei einem angeordneten Forderungsvermächtnis befasst (OLG Frankfurt 5.4.22, 10 U 200/20, Abruf-Nr. 230289 ). |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerinnen verlangen als Erbinnen nach der verstorbenen Erblasserin von den Beklagten die Erfüllung eines Vermächtnisses. Die Erblasserin errichtete ein notarielles Testament, das auszugsweise wie folgt lautet:

     

    • Auszug Testament
    • 1. Ich setze zu meinem alleinigen Erben ein: (Es folgen der Name sowie Angaben zum Nachlass).
    •  
    • 2. Ich ordne folgende von meinem Erben zu erfüllende Vermächtnisse an: Meine Wertpapiere in Höhe von derzeit 780.000,00 EUR bei der … -Bank sollen verkauft werden. Den Erlös vermache ich folgenden Personen zu je 1/6 Anteil: (Es folgen die Namen von fünf Personen und dem eingesetzten Erben als Vermächtnisnehmer.)
     

    Der Generalbevollmächtigte der Erblasserin, der sich u. a. auch um ihre Geldanlagen kümmerte, legte das Geld aus den im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Depot befindlichen, nach dem Ende der Laufzeit zurückgezahlten Anleihen nicht wieder in Anleihen oder anderen Wertpapieren an, da aus seiner Sicht entsprechende Renditen nur mit großem Risiko zu erzielen gewesen seien. Die Rückzahlungen wurden deshalb auf einem Festgeld-Sparkontoangelegt.

     

    Im Todeszeitpunkt wies das Wertpapierdepot einen Wert von rund 100.000 EUR auf. Die Beklagten zahlten an die Klägerinnen jeweils 1/6 dieses Betrags, mithin rund 16.000 EUR aus. Eine Finanzübersicht zum 13.3.19 weist als Bankvermögen (bestehend aus Kontokorrent, Spareinlagen, Termineinlagen,Geschäftsanteilen und Depot) einen Gesamtbetrag von 740.000 EUR aus.Davon betrugen die Spareinlagen rund 611.000 EUR.

     

    Die Klägerinnen haben behauptet, die Spareinlagen seien mit den (noch vorhandenen) Wertpapieren gleichzusetzen. Die Beklagten haben behauptet, die Vermächtnisse hätten sich ausschließlich auf die Wertpapiere bezogen, die im Todeszeitpunkt im Depot vorhanden gewesen seien. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Vermächtnisansprüche der Klägerinnen seien durch die Zahlungen erfüllt. Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen Berufung eingelegt, mit der sie ihre Forderung auf Zahlung von 1/6 (auch) der Spareinlagen weiterverfolgen.

     

    Entscheidungsgründe

    Das OLG hat das Urteil des LG abgeändert und der (weitergehenden) Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

     

    Habe ein Erblasser Wertpapiere vermacht, die eine Forderung verbriefen, handele es sich um ein Forderungsvermächtnis i. S. v. § 2173 BGB. Nach § 2173 S. 1 BGB sei, wenn die vermachte Forderung vor dem Erbfall erfüllt werde und sich der geleistete Gegenstand noch in der Erbschaft befinde, im Zweifel anzunehmen, dass dem Bedachten dieser Gegenstand zugewendet sein soll. Nach § 2173 S. 2 BGB gelte diese Zweifelsregel bei Geldforderungen sogar ohne diese Einschränkung. Nach § 2173 BGB sei es daher ohne Belang, wenn angelegte Gelder in andere Anlageformen überführt worden sind (OLG Oldenburg ZEV 01, 276). Im Zweifel solle daher der Ersatzgegenstand vermacht werden. Dabei stehe der Erfüllung, also hier der Auszahlung des Gegenwerts der Anleihen bei Laufzeitende, einer Veräußerung der Anleihen gleich.

     

    Zwar habe die Erblasserin vorliegend nicht unmittelbar die Wertpapiere vermacht, sondern deren Verkauf angeordnet und den Erlös vermacht. Damit handele es sich strenggenommen um ein Geldvermächtnis. Zweck dieser testamentarischen Regelung sei aber offensichtlich gewesen, im Hinblick auf die Anzahl der Vermächtnisnehmer die Abwicklung zu vereinfachen. Einem einzelnen Vermächtnisnehmer hätte die Erblasserin ohne Weiteres das Wertpapiervermögen als solches vermachen können; bei der Vielzahl von Vermächtnisnehmern hätte der Wunsch nach einer gleichmäßigen Verteilung aber zu Schwierigkeiten geführt.

     

    Aufgrund der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass nach dem Willen der Erblasserin zwischen einem Vermächtnis der Wertpapiere und dem Vermächtnis des Verkaufserlöses kein Unterschied bestehen solle. Angesichts der identischen Interessenlage sei auf diese Fallkonstellation daher dieRegelung des § 2173 BGB anzuwenden.

     

    Vorliegend sei der Gegenwert der Wertpapiere ‒ jedenfalls in Form des Festgeldkontos ‒ noch in der Erbmasse vorhanden gewesen.

     

    Letztlich komme es nicht einmal darauf an, ob sich gerade das Surrogat für die Wertpapiere im Vermögen der Erblasserin befunden habe. Denn die vermachten verbrieften Forderungen seien auf die Leistung von Geldsummen gerichtet, sodass die Regelung des § 2173 S. 2 BGB anwendbar sei. Das Gesetz gehe dabei davon aus, dass sich der Wert der Erfüllungsleistung bzw. der Veräußerungserlös im Bestand des Nachlasses irgendwie auswirke.Daher werde § 2173 S. 2 BGB für Forderungen mit wechselndem Bestand‒ insbesondere Sparguthaben ‒ dahin eingeschränkt, dass im Zweifel nur das beim Erbfall noch vorhandene Guthaben und nicht auch die abgehobenen und verbrauchten Beträge vermacht worden sein sollen. Auch bei Berücksichtigung dieser Überlegung erfasse das Vermächtnis im Zweifel jedenfalls das Festgeldkonto. Denn jedenfalls in Höhe des Festgeldkontos ist ein der Differenz zum verbleibenden Wertpapierguthaben entsprechender Betrag wertmäßig im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin in deren Vermögen vorhanden gewesen.

     

    Nach der Auslegungsregel des § 2173 BGB seien die Beklagten beweispflichtig dafür, dass die Erblasserin den Klägerinnen gerade nur den Inhalt des Wertpapierdepots im Wege des Vermächtnisses habe zukommen lassen wollen. Diesen Beweis sieht das OLG Frankfurt als nicht geführt mit dem Ergebnis der Begründetheit der Berufung.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung des OLG kommt zu einem zutreffenden Ergebnis. Allerdings werden die gesetzlichen Auslegungsregeln (§ 2173 BGB „im Zweifel“) ohne den Versuch einer individuellen Auslegung angewandt. Die Auslegung, dass die Erblasserin ihre im Depot befindlichen Wertpapiere als Forderungsvermächtnis zuwenden wollte, obwohl sie den Verkauf derselben nach ihrem Tode angeordnet hatte, ist überzeugend, da die Anordnung ausschließlich der „exakten Teilung“ nach der Quote von 1/6 dienen sollte. In einem Depotbefindliche Wertpapiere können nur dann ausnahmsweise geteilt werden, wenn gleichartige Stücke vorhanden sind. Damit scheidet ein Geldvermächtnis (als Stückvermächtnis) mit der Folge der Anwendbarkeit des § 2173 BGB aus.

     

    Für den Berater zeigt dieser Fall mit aller Deutlichkeit, dass bei der Anordnung von Forderungsvermächtnissen ‒ gleich welchen Inhaltes ‒ fast immer mit der vorzeitigen Erfüllung vor Eintritt des Erbfalls zu rechnen ist. Das führt dann zu Auslegungsproblemen. Deshalb sollte der Erblasser für diesen Fall eine Regelung treffen, was mit dem Vermächtnis geschehen soll. Denn § 2173 BGB ‒ als Auslegungsregel ‒ dürfte nicht immer seinem Willen entsprechen. Im Übrigen trifft die Darlegungs- und Beweislast denjenigen, der einen von den Auslegungsregeln des § 2173 BGB abweichenden Erblasserwillen behauptet (Reymann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 3.4.20, § 2173 Rn. 18).

     

    PRAXISTIPP | Ein Wertpapierdepot sollte nicht einer Mehrheit von Personen als Forderungsvermächtnis zugewandt werden, da es im Regelfall nicht teilbar ist. Sollten mehrere Personen gleichwohl bedacht werden, sollten die zugewandten Wertpapiere im Einzelnen bezeichnet werden.

     

    Ist der Erblasser mit der Auslegungsregel des § 2173 BGB nicht einverstanden, sollte er für den Fall der vorzeitigen Erfüllung der Forderung eine Regel treffen. Die könnte z. B. lauten:

     

    „Sollten einzelne Forderungen aus meinem Wertpapierdepot bei der … -Bank vorzeitig erfüllt werden, wird die Bestimmung des § 2173 BGB abbedungen mit der Folge der Unwirksamkeit des Vermächtnisses nach § 2171 BGB.“

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 130 | ID 48455815